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Theodor Thesing: Leitideen und Konzepte bedeutender Pädagogen

Rezensiert von Prof. Dr. Ulrich Bartosch, 24.08.2009

Cover Theodor Thesing: Leitideen und Konzepte bedeutender Pädagogen ISBN 978-3-7841-1775-1

Theodor Thesing: Leitideen und Konzepte bedeutender Pädagogen. Ein Arbeitsbuch für den Pädagogikunterricht. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2007. 3., vollst. überarbeitete Auflage. 295 Seiten. ISBN 978-3-7841-1775-1. 22,50 EUR. CH: 39,80 sFr.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.

Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-7841-2442-1 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.

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Autor

Der Pädagoge und frühere Institutsdirektor Theodor Thesing hat eine Reihe von Schriften zur Heilpädagogik, Sozialpädagogik und Heilerziehungspflege vorgelegt. Die „Leitideen…“ richten sich als Schul- und Ausbildungslektüre an diese Professionen.

Thema und Inhalt

Das Arbeitsbuch von Thesing spricht eine breite Leserschaft an. Es soll erste Zugänge zum „pädagogischen Sehen, Denken und Reflektieren ihrer eigenen Erziehungspraxis“ (9) ermöglichen. Hierzu wählt der Autor eine durchgängige, gleich gestaltete Systematik in der Behandlung der vorgestellten pädagogischen „Klassiker“ (7). Die Leserin findet jeweils acht Abschnitte, die das Leben und das Werk beschreiben sowie zentrale Aussagen herausarbeiten und weiterführende Hinweise zur Aktualität und zur vertieften Bearbeitung geben:

  1. Biografie,
  2. Zeittafel,
  3. Pädagogische Leitideen und Konzepte,
  4. Lesetext,
  5. Impulse für die heutige Erziehungspraxis,
  6. Übungsfragen,
  7. Literatur,
  8. Medien.

Seine beispielgebenden Autorinnen und Autoren versammelt Thesing unter den Rubriken

  • „Bildungs- und Erziehungsbedürftigkeit des Menschen“,
  • „Die Erwachsenen-Kind-Beziehung“,
  • „Persönlichkeit und Rechte des Kindes“,
  • „Das Entwicklungsfördernde Milieu“,
  • „Christliche Erziehung und Anthroposophie“,
  • „Bildung“ und
  • „Menschsein mit Behinderung“.

Damit wird der Vorrang einer heilpädagogischen, sozialpädagogischen Sichtweise im Buch deutlich, die auch mit dem sonstigen Schrifttum von Thesing korrespondiert. Den Leser erwarten auch keine Überraschungen in der Autorenliste oder in den Fragestellungen. Interkulturelle Erziehung oder ökonomisierte Bildungspolitik z.B. werden von den bedeutenden Pädagogen nicht angesprochen. (Rousseau, Pestalozzi, Itard, Buber, Nohl, Fröbel, Korczak, Neil, Bettelheim, Montessori, Malaguzzi, Bosco, Flanagan, Wichern, Steiner, Comenius, Humboldt, Klafki, Keller, Moor) Das ist kein Fehler des Buches, sondern belegt die Verortung des Textes als Werk für schulischen Unterricht und zur ersten, handbuchartigen Anwendung im Studium.

Diskussion

Die Anthropologische Dimension wird über den Urvater Jean-Jaques Rousseau erschlossen. Er allerdings wird ob seiner eigenen Vaterrolle gerügt: „Festzuhalten ist auch, dass er alle sein fünf nichtehelichen Kinder in ein Waisenhaus gab und sich der persönlichen erzieherischen Verantwortung entzog. Großartige Ideen und mangelhafte persönliche Lebenspraxis beleiben hier im Widerspruch.“ (23) Dies sei hier beispielhaft angeführt, um auf eine Schwäche der grundsätzlichen Anlage hinzuweisen. Der Versuch, die aktuelle praktische Relevanz von herausragenden Texten der pädagogischen Ideengeschichte greifbar zu machen, kann mehrfach in die Irre gehen. Waldkindergärten werden dann zu späten Verbündeten von Rousseaus Orientierung an der Natur.(22) Das Modell des privaten Hauslehrers belegt die „eine fehlende Praxisrelevanz der Theorie“ und die Charakterschwäche des verstoßenden Vaters gibt dem pädagogischen Entwurf dann den Rest. Es ist allerdings müßig derlei praktische Maßstäbe an Rousseau (u.a.) zu legen. In seiner hilfreichen Übersicht zu „Leitideen und Konzept“ zeigt Theising einen eher widerspruchsfreien, etwas romantischen Rousseau. Die explizite Ablehnung, seine Investition als Erzieher einem behinderten Kind angedeihen zu lassen, bleibt unerwähnt. Hier allerdings wäre der ‚theoretische‘ Rousseau zu hinterfragen. So verwundert im Kontext der heilpädagogischen Linie des Buches, dass jene Gräben verschüttet werden, die in der pädagogischen Ideengeschichte auch von Rousseau aufgerissen werden. Immerhin führt ein direkter Weg seiner Naturorientierung z.B. zu Ellen Key und expliziter Eugenik. Diese scharfen Kanten in der Argumentation von Rousseau sollten aber erkannt werden, wenn eine ideengeschichtliche Herangehensweise zur kritischen, zur vorsichtigen reflektierten pädagogischen Theoriearbeit und – noch viel mehr – zur Reflexion verantwortlicher Praxis führen soll. Andernfalls erscheint die pädagogische Ideengeschichte als sehr glatte Abfolge freundlicher Gedanken zum Kind oder von Weisheiten, die neuerdings von ‚Super Nanny‘ oder ‚Disziplinar-Pädagogen‘ neu erfunden werden. (Vgl. „Es ist ein Despot.“ S. 20) Auch die „Übungsfragen“ (S. 24) zeigen eher in die Richtung einer kritischen Übersetzung in heutige Praxis, denn in eine grundsätzliche Kritik an Rousseau selbst.

Ähnliche rasche Aktualisierungen erlebt auch Pestalozzi, wenn in seiner kompletten, distanzlosen Aufopferung „sicher kein Arbeitszeitmodell für Erzieher heute zu sehen ist“ (43). Aber das „Gleichgewicht der Bildung von Kopf, Herz und Hand“ dann aber „aktuelle Bedeutung in einer technisierten und den Menschen zu bloßen Maschinen verdammenden Welt“ besitzt (44). Allerdings erfährt Pestalozzi eine vergleichsweise umfangreiche Darstellung mit den wesentlichen Aspekten seines Werkes. Wiederum ein sehr knappe Würdigung erhält Montessori. Deren komplexe theoretische Ausgangssituation wird in einem längeren Zitat von Karl Erlinghagen ‚verpackt‘ und nicht weiter kommentiert. Ärgerlich ist dabei, dass die Quelle nicht ausgewiesen wird. Offensichtlich ist der Beitrag von Erlinghagen in „Klassiker der Pädagogik“ von Scheuerl 1979 gemeint. Schade ist, dass die Chance, die Konsistenz der Montessori-Konzeption - z.B. auf der Basis ihrer religiösen Überzeugung -kritisch zu entwickeln, nicht genutzt wird. Auch dass die grundsätzliche Unterscheidung von Arbeit und Spiel bei Montessori mit dem Verweis auf eine lockere Umsetzung in heutiger Praxis zu Beiläufigkeit wird, ist für die analytische Schärfe der Argumentation abträglich. Dagegen bekommt Janusz Korczak etwas mehr Raum, wird allerdings sehr auf seine Magna Charta der Rechte des Kindes reduziert. Gleichzeitig wird aber versäumt, auf das konzeptionelle Selbstverständnis von Korczak als ‚konstitutioneller Pädagoge“ explizit einzugehen. So gerät die Tatsache aus dem Blick, dass Kinderrechte bei Korczak schlichtweg Menschenrechte sind und sein müssen – womit die rechtliche Differenz zwischen Kindern und Erwachsenen ein für allemal grundsätzlich aufgehoben wird. Überhaupt ist die aktuelle Interpretation von Korczak durchaus eingeschränkt, wenn auf die nunmehr fast vollständig vorliegende Werkausgabe nur im Verweis auf ein Projekt eingegangen wird.

Das Buch wird als 3. vollständig überarbeitete Auflage 2007 ausgewiesen. Es muss daher gestattet sein, die Hinweise auf Materialien in DM-Beträgen als fragwürdig hinsichtlich ihres Informationsgehaltes einzuschätzen. Die Literaturangaben erscheinen durchweg unterschiedlich aktualisiert. Allerdings sind durch Verweise auf einschlägige Websites dem Leser mit aktivem Internetanschluss jederzeit die neuesten Quellenlisten erschließbar. Es wäre trotzdem redlich, die Angaben im Buch durchgängig auf neuesten Stand zu bringen, oder auf einige historische Verweise ggf. zu verzichten.

Fazit

Bei aller Kritik, die hier exemplarisch angeführt wird, sei doch festgehalten, dass das „Arbeitsbuch für den Pädagogikunterricht“ seine Berechtigung hat und eine Empfehlung verdient. Es bedarf allerdings einer kritischen Begleitung und Ergänzung, wenn es neben dem Überblick zu den „Klassikern“ auch zu einem kritischen Umgang mit pädagogischen Leitideen und Konzepten führen verhelfen soll. Zur kritischen Begleitung gehörte auch, die „Impulse für die heutige Erziehungspraxis“ und die „Übungsfragen“ offensiv zu hinterfragen.

Rezension von
Prof. Dr. Ulrich Bartosch
Präsident der Universität Passau
Bis 2019 Professur für Pädagogik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
Vorsitzender der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler e.V. (VDW) seit 2009; Mitglied im Team deutscher Bologna-Experten des DAAD (2007-2013); ehem. Vorsitzender des deutschen Fachbereichstages Soziale Arbeit (2006-2012)
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Es gibt 14 Rezensionen von Ulrich Bartosch.

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Zitiervorschlag
Ulrich Bartosch. Rezension vom 24.08.2009 zu: Theodor Thesing: Leitideen und Konzepte bedeutender Pädagogen. Ein Arbeitsbuch für den Pädagogikunterricht. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2007. 3., vollst. überarbeitete Auflage. ISBN 978-3-7841-1775-1. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/5845.php, Datum des Zugriffs 12.09.2024.


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