Petra C. Gruber (Hrsg.): Nachhaltige Entwicklung und Global Governance
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 28.03.2008

Petra C. Gruber (Hrsg.): Nachhaltige Entwicklung und Global Governance. Verantwortung. Macht. Politik. Verlag Barbara Budrich GmbH (Opladen, Berlin, Toronto) 2008. ISBN 978-3-86649-153-3. D: 19,90 EUR, A: 20,50 EUR, CH: 35,90 sFr.
Sich beteiligen an dem, was noch nicht verwirklicht ist,
diese Metapher für utopisches Denken und Handeln, das, philosophisch interpretiert, Fesseln des Gewohnten sprengt, ohne die Vernunft dabei zu vergessen, ist fürwahr ein unversöhnlicher Spagat, an dem Realisten, Utopisten und Phantasten seit Jahrtausenden bauen, einreißen und verzweifeln. In diese Auseinandersetzung wollen wir uns hier nicht einmischen. Vielmehr geht es darum, in der sich immer interdependenter und entgrenzender entwickelnden Welt, nach etwas zu suchen, was der Gier der Menschheit nach einem "immer-Größer-immer-Weiter-immer-Höher-immer-Mehr" eine Alternative entgegen zu setzen vermag; etwa, wenn der britisch-deutsche Soziologe und Pädagoge österreichisch-ungarischer Herkunft, Karl Mannheim (1893 – 1947) von der "Utopie als Hoffnung" spricht; oder uns Albert Einstein als Merksatz in die Tagesordnung schreibt: "Phantasie ist wichtiger als Wissen". Die aus Jamaika stammende, 1936 geborene und 2002 gestorbene Lyrikerin und politische Aktivistin June Jordan hat das in ihren "Aufruf an alle schweigenden Minderheiten" (1989) so formuliert: He!//du dort//mach dich auf//wo immer du bist//wir müssen zusammenkommen//unter diesem Baum//der nicht mal//gepflanzt ist.
Im heutigen Diskurs über die Entwicklung in der Einen Welt wird der Begriff der "nachhaltigen Entwicklung", der ursprünglich aus der Forstwirtschaft stammt und den Waldbesitzern anriet, nur so viele Bäume zu schlagen, wie auch wieder nachwachsen können, verwendet als "tragfähige Entwicklung" (Brundtland-Bericht von 1987) und der Verpflichtung, dass die "Bedürfnisse gegenwärtiger und zukünftiger Generationen auf Entwicklung und Umwelt gerecht erfüllt werden" (Agenda 21). Weil, das zeigen die mittlerweile zahlreichen Deklarationen, Akklamationen und Szenarien-Darstellungen in lokalen, regionalen und globalen Diskussionen, es meist relativ einfach ist, Appelle zu formulieren und so unendlich schwierig, sie auch in konkrete Politik umzusetzen, werden im internationalen Ringen bei der Suche nach der "Rettung der Menschheit aus der selbstverschuldeten Gefahr" Konzepte von "Global Governance" diskutiert. In der deutschen Sprache wird diese Hoffnung nur unzureichend übersetzt mit "globale Regierungsführung", "globale (politische) Lenkungsformen" oder "weltumspannende Politikgestaltung". Es bedarf also der Forschung und Überzeugung, neues Denken und Instrumentarien, um eine zukunftsfähige (Weiter-)Entwicklung der Menschheit in unserer Einen Welt zu ermöglichen.
Entstehungshintergrund
Das Wiener Institut für Umwelt – Friede – Entwicklung (IUFE) will mit ihren Forschungsarbeiten, Diskussionsforen und Informationsveranstaltungen ZUKUNFTSFÄHIGKEIT und VERANTWORTUNGSETHIK in EINER WELT mit verwirklichen helfen, um die großen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen, nämlich "unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und zu erhalten, eine nachhaltige, sprich zukunftsfähige (Welt)Gesellschaft samt Wirtschaft zu etablieren und damit Frieden zu sichern". Die Geschäftsführerin des Instituts, Petra C. Gruber, legt mit dem Buch ausgewählte Beiträge aus den Dialogrunden von 2006 und 2007 vor und bietet damit Einblicke und Teilhabe an den österreichischen, weil europäischen und globalen Auseinandersetzungen um eine gerechtere, humanere und vielleicht auch utopische Welt.
Inhalt
- Der Ständige Vertreter Österreichs beim Europarat in Strassburg, Wendelin Ettmayer, spricht in seinem Beitrag "Eine geteilte Welt" über Machtpolitik und Wohlfahrtsdenken in den internationalen Beziehungen des 21. Jahrhunderts. Dabei verweist er, und damit zeigt er sich als Realist, dass zwar bei den verschiedenen Weltkonferenzen und UN-Deklarationen "ein wesentlicher Wandel hinsichtlich der Legitimität des außenpolitischen Handelns stattgefunden hat", es aber, in den Auffassungen und der politischen Machtausübung, ein "geteiltes Wertebewusstsein" gebe.
- Der Entwicklungstheoretiker und ehemalige Direktor des Duisburger Instituts für Entwicklung und Frieden (INEF), Franz Nuscheler, der derzeit als Gastprofessor an der Linzer Johannes Kepler Universität tätig ist, informiert über "Global Governance", indem er Begründungszusammenhänge, Widersprüche und Perspektiven aufzeigt. Dabei macht er deutlich, dass "Global Governance" weder eine "akademische Kopfgeburt" sei; aber auch kein hegemoniales Richtschwert, vielmehr "eine realistische Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung".
- Der Soziologe Florian J. Huber nimmt diesen Faden auf und arbeitet in seinem Beitrag "Global Governance – Lösungsweg oder Utopie?" heraus, dass es bei der Suche nach gerechten Wegen einer Weltentwicklung eines globalen Konsenses bedarf.
- Der Münsteraner Politikwissenschaftler Sven Bernhard Gareis stellt die "Vereinten Nationen als Global Governance Akteur" vor und lotet dabei Anspruch und Wirklichkeit aus. Auch wenn die Gestaltungsmöglichkeiten der Vereinten Nationen "in den Händen ihrer Mitgliedsstaaten bleiben und diese eine schwache Weltorganisation der Aufgabe nationaler Souveränitätsrechte vorziehen", bedarf es der Stärkung der internationalen Gemeinschaft "als gestaltender Akteur von Global Governance-Prozessen".
- Der Grazer Wissenschaftler für Internationales Management, Bernhard Ungericht, formuliert in sechs Thesen, wie transnationale Unternehmen als zentrale Akteure der Weltwirtschaft wirken und welche Möglichkeiten der Regulation bestehen, also für ihr wirtschaftliches Handeln auch verantwortlich gemacht werden können. Dabei spricht er von einer "verantwortlichen Rückbettung", die nicht mit den freien Kräften des Marktes erreicht werden würden, sondern mit institutionellen Reformen, etwa dem Ausbau des extraterritorialen Rechts.
- Die Frankfurter Politologin Tanja Brühl plädiert dafür, dass die NGOs ein stärkeres Gewicht und deutlichere Partizipationsmöglichkeiten bei den Global Governance-Prozessen übernehmen, damit die Transparenz der internationalen Verhandlungen und Beschlüsse vergrößert und die internationale Demokratie gestärkt werden.
- Der Geschäftsführer des österreichischen Umweltdachverbandes, Franz Maier, macht auf die Diskrepanzen zwischen "Rhetorik und Realität" im Diskurs des "reichen" Österreich über Artenschutz und Biodiversität aufmerksam.
- Der Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik in Bonn, Dirk Messner, zeigt am Beispiel der deutschen Entwicklungspolitik auf, dass "Entwicklungspolitik als globale Strukturpolitik" verstanden werden muss. Die Gretchenfrage, ob die deutschen und europäischen Beziehungen zu den Entwicklungsländern zukunftsfähig seien, beantwortet er freilich mit einem Jein! Nur wenn es gelingt, tatsächlich so etwas wie eine "europäische Entwicklungspolitik" zu verwirklichen, wird sich das Leitbild einer globalen Strukturpolitik auch umsetzen lassen. Gewissermaßen als Einschub und Ergänzung zum europäischen Diskurs um Entwicklungszusammenarbeit soll auf den (nicht im Band aufgegriffenen) provozierenden, in jedem Fall aber beachtenswerten Beitrag des Dekans der Lee Kuan Yew School of Public Policy an der National University of Sigapore, Kishore Mahbubani, in der monatlich erscheinenden Zeitschrift E+Z, Entwicklung und Zusammenarbeit, 2/2008, mit dem Schwerpunktthema "Geberharmonisierung und die EU" verwiesen werden, in dem er vom "Mathos westlicher Entwicklungshilfe" spricht und dafür plädiert, die "Legende, dass der Westen der Dritten Welt hilft", zu entmystifizieren.
- Petra C. Gruber stellt mit dem Dreischritt "Hilfe. Macht. Konflikte" eine Bestandsaufnahme der Wiederaufbauhilfe für die Tsunami-Opfer im Süden Sri Lankas vor. Dabei legt sie ihre Finger in zahlreiche Wunden, die sich im Zusammenhang mit der Katastrophenhilfe ergeben; die Forderung nach einer besseren Zusammenarbeit und Koordination zwischen Multilateralen Institutionen, Regierungen, internationalen und lokalen Nichtregierungsorganisationen ist nur eine davon.
Fazit
Der Sammelband ist Diskussionsforum, Reflexion und Bestandsaufnahme zugleich. Auch wenn mit den einzelnen Beiträgen nur ansatzweise "die Probleme der Erde" angesprochen werden und die angedeuteten Lösungsansätze hin zu einer gerechteren, humaneren und friedlicheren Welt nicht immer ausformuliert werden; das Buch ist ein Baustein für die Konstruktion der Utopie, die wir als EINE WELT bezeichnen.
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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