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Stiftung ZürcherKinder-Jugendheime, Claude Arnold u.a. (Hrsg.): Pflegefamilien- und Heimplatzierungen

Rezensiert von lic. phil. Melanie Hirtz, 17.02.2009

Cover  Stiftung ZürcherKinder-Jugendheime,   Claude Arnold u.a. (Hrsg.): Pflegefamilien- und Heimplatzierungen ISBN 978-3-7253-0890-3

Stiftung ZürcherKinder-Jugendheime, Claude Arnold u.a. (Hrsg.): Pflegefamilien- und Heimplatzierungen. Eine empirische Studie über den Hilfeprozess und die Partizipation von Eltern und Kindern. Edition Rüegger (vormals Rüegger Verlag) (Zürich) 2008. 319 Seiten. ISBN 978-3-7253-0890-3. 30,70 EUR. CH: 48,00 sFr.
Reihe: Nationales Forschungsprogramm 52, Kindheit, Jugend und Generationenbeziehungen im gesellschaftlichen Wandel.

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Thema

Die vorliegende Studie wurde im Rahmen eines Nationalen Forschungsprogramms des Schweizerischen Nationalfonds durchgeführt. Sie untersuchte den Prozess der Heim- oder Pflegeplatzierung von Kindern und Jugendlichen in ausgewählten Schweizer Kantonen. Dabei wurde den Fragen nachgegangen, welche Faktoren die Wahl eines Heim- oder Pflegefamilienplatzes beeinflussen, wie die Partizipationsmöglichkeiten der Kindern und ihrer Eltern während des Prozesses aussehen, wie die verschiedenen beteiligten Personen den Platzierungsprozess sowie den Aufenthalt (im Heim oder in der Pflegefamilie) selber wahrnehmen und inwieweit die Platzierung Veränderungen im Familiensystem der betroffenen Familien bewirkt.

In der Längsschnitt-Studie wurden – zu drei verschiedenen Zeitpunkten – insgesamt 337 leitfadengestützte Gespräche mit Eltern, Kindern, Sozialarbeitenden, Pflegeeltern und Mitarbeitenden von Heimen geführt. Diese wurden im Sinne einer Zusammenfassung mit Fragen ergänzt, welche die Betroffenen anhand von Rating-Skalen beurteilen sollten.

Die Daten wurden nach der skalierenden Strukturierung nach Mayring ausgewertet.

Entstehungshintergrund

Die Studie lässt sich zwei unterschiedlichen Kontexten zuordnen. Der eine Kontext bildet das Nationale Forschungsprogramm 52, welches zum Thema „Kindheit, Jugend und Generationenbeziehungen im gesellschaftlichen Wandel“ im Jahre 2003 startete und auch die vorliegende Studie finanziell unterstützte (vgl. www.nfp52.ch). Der zweite Kontext bildet die Forschungslandschaft zur Heimerziehung und zum Pflegekinderwesen in der Schweiz. Im Vergleich zu anderen Ländern liegen in der Schweiz zu diesem Themenfeld erst wenige Forschungsarbeiten vor. Dies bedeutet, dass sich die Autor/innen kaum auf bereits bestehende, empirisch abgesicherte Ergebnisse oder Erkenntnisse beziehen konnten. Damit lässt sich möglicherweise das sehr breit angelegte Forschungsdesign der Studie erklären.

Aufbau und Inhalte

In ersten und einführenden Kapitel geben die Autor/innen einen kurzen Einblick in ausgewählte Ergebnisse unterschiedlicher Studien im Heim- und Pflegekinderwesen. Dabei konzentrierten sie sich vornehmlich auf Studien aus der Schweiz, aus Deutschland, Grossbritannien und den USA. Es wird beispielsweise aufgezeigt, dass verschiedene Ansätze zur Beurteilung des Platzierungserfolges bestehen, diese jedoch aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit häufig nicht vergleichbar sind. Für die Schweiz stellen die Autor/innen fest, dass – im Vergleich zu Deutschland – erst wenige Forschungsarbeiten in diesem Bereich vorliegen (was in Anbetracht der beachtlichen Zahl an Platzierungen erstaunen mag).

Im zweiten Kapitel werden die theoretisch-inhaltlichen Vorüberlegungen der Autor/innen sowie die methodische Anlage der Untersuchung vorgestellt.
Die inhaltlichen Vorüberlegungen gehen vor allem in zwei Richtungen. Zum einen stellt sich die Frage nach der Wahl des Platzierungsortes. Dabei wird die Frage fokussiert, ob eine Platzierung in einem Heim oder in einer Pflegefamilie zu favorisieren sei. Hier führen die Autor/innen verschiedene Überlegungen an, die sowohl für bzw. gegen eine der beiden Unterbringungsformen sprechen können. Die zweite Richtung bildet die Frage nach den Auswirkungen der Platzierung, und zwar sowohl hinsichtlich der betroffenen Kinder und Jugendlichen, als auch hinsichtlich der betroffenen Familien(-systeme). Die Autor/innen kommen zum Schluss, dass viele der (in den theoretischen Vorüberlegungen) generierten Forschungsergebnisse für die hohe Bedeutung des Planungsprozesses hinsichtlich eines Erfolgs oder Misserfolgs der Platzierung sprechen (S.34).
Methodisch ist die Untersuchung als Längsschnittstudie angelegt, wobei die drei Erhebungszeitpunkte vor die Platzierung, kurz nach sowie etwa ein Jahr nach erfolgter Platzierung statt fanden. Es wurden leitfadengestützte Interviews mit den Eltern, den platzierten Kindern und Jugendlichen, den Platzierungsverantwortlichen und den Pflegeeltern bzw. den Hauptbetreuungspersonen im Heim durchgeführt. Diese wurden im Sinne einer Methodenkombination mit einem Fragebogen ergänzt, auf welchem die Befragten einzelne Themen auf Ratingskalen beurteilen sollten.
Um typische Muster von Platzierungsprozessen zu erkennen und statistisch absichern zu können, strebten die Autor/innen eine Stichprobe von 50 Platzierungen an, wobei die Platzierungen entweder auf zivil- oder auf strafrechtlicher Grundlage erfolgen sollten. Die Rekrutierung stellte sich jedoch als schwierig heraus, weswegen die Stichprobe mit 43 Platzierungen leicht unter der angestrebten Grösse blieb und die Gleichverteilung von Heim- und Pflegefamilienplatzierungen nicht berücksichtigt werden konnte.
Die Interviews wurden auf Band aufgenommen, vollständig transkribiert und inhaltsanalytisch (mit Hilfe der skalierenden Strukturierung von Mayring) ausgewertet.

Das dritte Kapitel führt in die Strukturen der Jugend- und Familienhilfe in der Schweiz ein. Die Grundlagen der Vormundschaft sind primär im Schweizerischen Zivilgesetzbuch zu finden. Aufgrund des Föderalismus sieht die konkrete Situation aber in jedem Kanton wieder anders aus, was bei Studien in diesem Themenfeld berücksichtigt werden muss.

In Kapitel vier bis neun werden die Ergebnisse der Studie präsentiert.

Im vierten Kapitel werden die Einstellungen und das Rollenverständnis der Sozialarbeitenden dargestellt. Hinsichtlich der Entscheidung für oder gegen eine Platzierung in eine Pflegefamilie oder in ein Heim zeigte sich, dass die Argumente für eine Pflegefamilie eher beim Kind oder Jugendlichen zu verorten waren, während die Vorteile einer Heimplatzierung eher mit der Situation der Herkunftsfamilie der Kinder und Jugendlichen verknüpft wurden.

Das Kapitel fünf widmet sich den Vorgeschichten der Platzierung. Den einzelnen Platzierungen gingen meist lange Phasen der Problemeskalation voraus. Während die Eltern die Platzierungsgründe zu zwei Dritteln bei kindbezogenen Problematiken verorteten, führten die Sozialarbeitenden familiäre und elterliche Problemkonstellationen gleich häufig an wie kindbezogene.

Im Zentrum des sechsten Kapitels stehen der Aushandlungsprozess sowie die konkrete Entscheidungsfindung. Da die Zeitspanne zwischen der offiziellen Meldung eines Falles und der Platzierung stark variierte, zeigten sich auch im Aushandlungsprozess starke Unterschiede. Auch was die Partizipationsmöglichkeiten der Kinder und Jugendlichen sowie ihrer Eltern betraf, liess sich ein grosses Spektrum feststellen. Dies konnte jedoch nicht nur auf die zeitlichen Ressourcen zurück geführt werden, sondern unter anderem auch darauf, dass bei den Fachleuten Unklarheiten darüber bestanden, welche Art der Partizipation bspw. den Kindern und Jugendlichen zuzugestehen sei. Dementsprechend divergent schätzten die Befragten dann auch ihre Zufriedenheiten mit dem Prozess ein.

Im siebten Kapitel wird der Tag der Platzierung fokussiert. Hier zeigte sich, dass auch das Erleben des Platzierungstags stark davon abhing, inwieweit die Kinder und Jugendlichen und/oder ihre Eltern mit der Platzierung einverstanden waren und wie Zusammenarbeit zwischen Eltern und Sozialarbeitenden im Vorfeld beurteilt wurde.

Das achte Kapitel widmet sich der Interaktionen von Eltern, Kindern und Hilfesystem nach erfolgter Platzierung. Für dieses komplexe Geschehen haben die Autor/innen verschiedene Aspekte zueinander in Beziehung gesetzt, unter anderem die Zufriedenheit mit dem Einweisungsprozess, die Partizipationsmöglichkeiten der Betroffenen, die Kontakte der Betroffenen zu weiteren Fachpersonen, Interaktionen innerhalb des Hilfesystems oder allfällige personellen Wechsel im Hilfesystem.

Im neunten Kapitel wird auf die Auswirkungen der Platzierung auf die Kinder und Familien eingegangen. Dabei schauten die Autor/innen nicht nur auf die Veränderungen bei den platzierten Kindern und Jugendlichen, sondern auch auf jene innerhalb des Familiensystems. Aufhorchen lässt an dieser Stelle das Ergebnis, dass die betroffenen Kindern und Jugendlichen den Grad der angestrebten Zielerreichung während der Platzierung signifikant schlechter einschätzten als die Eltern oder die Platzierungsverantwortlichen.

Im zehnten und letzten Kapitel werden die Ergebnisse zusammengefasst und einzelne Empfehlungen zur Verbesserung des Platzierungsprozesses abgeleitet. Die Empfehlungen richten sich unter anderem darauf, das Bewusstsein für die partizipativen Rechte von Kindern und Jugendlichen bei Fachleuten zu fördern, die Professionalität der Begleitung und Leitung des Platzierungsprozesses zu stärken und verbindliche Standards zur Qualitätssicherung während des Platzierungsprozesses zu schaffen.

Fazit

Die Studie stützt sich primär auf leitfadengestützte Gespräche, die inhaltsanalytisch ausgewertet wurden. Auf dieser Grundlage wollten die Autor/innen typische Platzierungsverläufe herausarbeiten und gleichzeitig die Ergebnisse statistisch absichern. Dieser Anspruch an die Repräsentativität der Daten (den die Autor/innen selber in Frage stellen (S.40)) erstaunt, da die Anlage der Studie und die Reichhaltigkeit der Ergebnisse für eine qualitative Typenbildung genügend Material liefern würde. Doch hier liegt möglicherweise auch die Grundschwierigkeit der Studie: Ihr quantitativer Umfang ist im Sinne einer qualitativen Untersuchung nur mit immensen Mitteln zu bewältigen. Gleichzeitig verhindert das induktive Vorgehen bis zu einem gewissen Grad eine statistische Absicherung der Daten.

Dennoch ist es den Autor/innen gelungen, zu einem bis anhin in der Schweiz nur wenig erforschten Themenfeld eine Fülle von Ergebnissen und Erkenntnissen zu generieren. Die ausgebliebene Typenbildung schmälert da zwar die Übersichtlichkeit und Handhabbarkeit der Ergebnisse – wodurch deren Qualität aber in keiner Weise an Wert verlieren. Die Darstellung der Ergebnisse anhand einzelner Phasen des Platzierungsprozesses ermöglicht es dem Leser, gezielte Antworten zur jeweiligen Frage zu finden.

Rezension von
lic. phil. Melanie Hirtz
Website

Es gibt 1 Rezension von Melanie Hirtz.

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ISSN 2190-9245