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Marcus Hasselhorn, Wolfgang Schneider (Hrsg.): Handbuch der Entwicklungspsychologie

Rezensiert von Dr. Dipl.-Psych. Lothar Unzner, 29.06.2008

Cover Marcus Hasselhorn, Wolfgang Schneider (Hrsg.): Handbuch der Entwicklungspsychologie ISBN 978-3-8017-1847-3

Marcus Hasselhorn, Wolfgang Schneider (Hrsg.): Handbuch der Entwicklungspsychologie. Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG (Göttingen) 2007. 711 Seiten. ISBN 978-3-8017-1847-3. 59,95 EUR. CH: 99,00 sFr.
Reihe: Handbuch der Psychologie - Band 7.

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Thema

Das Handbuch soll einen kompakten Überblick über Themen, Methoden, Befunde und Theorien der ontogenetischen Veränderungen menschlichen Erlebens und Verhaltens geben.

Aufbau und Inhalt

Das Buch enthält 57 Beiträge, verfasst von 78 Autorinnen und Autoren. Die Kapitel sind zu neun übergeordneten Bereichen zusammengefasst.

I. Metatheorien und Entwicklungsmodelle

Im ersten Teil werden übergreifende Theorien und Modelle vorgestellt: Strukturgenetische Theorien, wobei August Flammer und Luciano Gasser nur auf die Theorie von Piaget und daraus abgeleitete Theorien eingehen; Informationsverarbeitungsansätze (Michael Schneider & Elsbeth Stern); handlungstheoretische Ansätze, die vor allem in der Altersforschung entstanden sind (Judith Glück), dynamische und systemtheoretische Ansätze (Friedrich Wilkening & Trix Cacchione), psychoanalytische Grundlagen der Entwicklungspsychologie (Tilmann Habermas & Susanne Döll-Hentschker) sowie die Entwicklungspsychologie der Lebensspanne (Ursula Staudinger).

II. Entwicklungsmechanismen

In diesem Teil werden grundlegende Mechanismen der Entwicklung thematisiert. So wird das moderne Verständnis von Reifung (Michael Kovšek) einschließlich der alten Anlage-Umwelt-Diskussion und Lernen (Klaus Oberauer) im Rahmen konnektionistischer Modelle erklärt. Hanns Martin Trautner erläutert das Phänomen der Prägung, findet in der menschlichen Entwicklung jedoch nur sensible Perioden in einigen wenigen Bereichen. Jens Asendorpf beschäftigt sich mit der Interaktion und Kovariation von Genom und Umwelt und stellt heraus, dass genetische und Umweltbedingungen nicht unabhängig voneinander betrachtet werden können.

III. Phasen der Lebensspanne

Im dritten Teil sind Beiträge zusammengefasst, die sich mit einzelnen Altersstufen (pragmatisch definierten Zeitfenstern der menschlichen Entwicklung) und den damit verbundenen zentralen Themen beschäftigen:

  • Die pränatale Entwicklung einschließlich der Auswirkung der unterschiedlichsten Risikofaktoren ist Gegenstand des Kapitels von Axel Schölmerich und Marlies Pinnow.
  • Die Entwicklung des Säuglings im ersten Lebensjahr zeigt, dass der allein hilflose Säugling zweckmäßige kognitive Startkompetenzen besitzt, um die Umgebung entwicklungsförderlich zu explorieren, dabei sind genetisch determinierte Mechanismen des Lernens beteiligt; Aspekte der sensomotorischen, kognitiven und sozial-emotionalen Entwicklung werden dargestellt (Monika Knopf & Wolfgang Mack).
  • Im Kleinkindalter (Beginn zweites bis Ende viertes Lebensjahr) sind die Themen Informationsverarbeitung, Sprache, Wissen, emotionale, Selbst- und soziale Entwicklung zentral (Gudrun Schwarzer & Bianca Jovanovic), im Kindergartenalter Theory of Mind, Fantasie, Spiel und die Weiterentwicklung sozialer Kompetenzen (Claudia Mähler).
  • Mit dem Eintritt in die Schule stellen sich neue Anforderungen; Persönlichkeit, Kognition, Motivation und Emotion werden als wichtige Bereiche angesprochen (Klaudia Kramer, Ina Bovenschen & Gottfried Spangler).
  • Im Jugendalter ist die Auseinandersetzung mit Familie, Peers, Schule und Berufsvorbereitung und Werthaltungen zentral (Alexander Grob).
  • Im frühen Erwachsenenalter geht es darum, eigene Lebensziele zu entwickeln und die berufliche Entwicklung zu gestalten (Ernst-H. Hoff & Ulrike Schraps); auf Unterschiede bei Frauen und Männern wird eingegangen.
  • Den Abschluss bildet ein Kapitel zum späten Erwachsenenalter (ab 35 Jahre bis ins (hohe) Alter), in dem Altersveränderungen psychischer Ressourcen und die dazugehörigen theoretischen Vorstellungen thematisiert werden (Mike Martin)

IV. Kognitive Entwicklung

Ein Entwicklungsbereich, der näher dargestellt wird, ist die kognitive Entwicklung:

  • Die Meilensteine des Spracherwerbs und der Zusammenhang mit anderen Entwicklungsbereichen werden von Sabine Weinert beschrieben.
  • Ebenfalls den Schwerpunkt im Säuglings- und frühen Kindesalter hat das Kapitel von Horst Krist und Gudrun Schwarzer zur Entwicklung der (visuellen, auditiven und intermodalen) Wahrnehmung und Aufmerksamkeit.
  • Es gibt keine große, integrative Theorie der kognitiven Entwicklung und des Denkens, stellt Beate Sodian fest, geht kritisch auf Piaget ein sowie auf Informationsverarbeitungsansätze und Theorien zur Entwicklung begrifflichen Wissens. Thematisch eng damit verwandt sind die Kapitel zur Metakognition (Kathrin Lockl & Wolfgang Schneider) und zum Gedächtnis (Marcus Hasselhorn & Wolfgang Schneider).
  • Einem psychometrischen Intelligenzkonzept folgt Wolfgang Schneider und skizziert die Ursprünge und Verlaufsmuster individueller Unterschiede in intraindividuellen Verläufen der Intelligenzentwicklung.
  • Andreas Helmke und Friedrich-Wilhelm Schrader definieren akademische Leistungen als Lernergebnisse, die sich bestimmten Inhaltsdomänen zuordnen lassen, und behandeln als zentrale Kompetenzen Lesen, Schreiben und Mathematik.
  • Abschließend geht Manfred Holodynski auf die Komponenten der Leistungsmotivation und dessen Entwicklungsmeilensteine ein und erweitert die Erwartung-x-Wert-Theorie.

V. Sozial-emotionale Entwicklung

Einen weiteren Schwerpunkt bildet das weit gefächerte Feld der sozialen und emotionalen Entwicklung:

  • Klassische Erklärungsansätze und neuere Forschungen zur Moralentwicklung leiten diesen Teil ein (Gertrud Nunner-Winkler).
  • Peter Zimmermann erläutert die Bindungsentwicklung über den Lebenslauf mit seinen Konsequenzen für Persönlichkeit und psychische Gesundheit.
  • Freundschaften sind die ersten eigenständigen sozialen Leistungen von Kindern; ihre Bedeutung in Kindheit und Jugend erklärt Maria von Salisch.
  • Emotionstheorien, Indikatoren für Emotionen bei Kindern und die Entwicklung über die Lebensspanne ist Thema des nächsten Kapitels (Bettina Janke).
  • Mit einem brisanten Thema beschäftigt sich Mechthild Schäfer, der Entwicklung aggressiven Verhaltens, und spannt den Bogen von der explorativen Aggression kleiner Kinder bis hin zum Mobbing in der Schulklasse.
  • Abgeschlossen wird der Teil mit Kapiteln zur Identitätsentwicklung (Francoise Alsaker & Jane Kroger) und zur Entwicklung des sozialen und leistungsbezogenen Selbstkonzepts (Claudia Roebers).

VI. Differenzielle Entwicklungsaspekte

Aus unterschiedlichen Blickwinkeln befassen sich die folgenden Kapitel mit individuellen Unterschieden:

  • In einem eher methodischen Beitrag differenzieren Christiane Spiel, Alfred Schabmann und Judith Glück zwischen Kontinuität und Stabilität und stellen exemplarische Befunde dar.
  • Yvonne Brehmer und Ulman Lindenberger beschäftigen sich mit der intraindividuellen Variabilität und Plastizität der Entwicklung, vor allem am Beispiel der fluiden Intelligenz und dem episodischen Gedächtnis im Erwachsenenalter.
  • Aussagen der gängigen Theorien zur Ausbildung von Geschlechtsdifferenzen und Beispiele, wie sich Geschlechtsunterschiede über die Lebensspanne hinweg manifestieren, thematisieren Bettina Hannover und Karoline Schmidthals.
  • Heidi Keller beschreibt unterschiedliche kulturelle Modelle elterlicher Strategien am Beispiel westlicher städtischer Mittelklassenfamilien und subsistenzwirtschaftlich organisierten bäuerlichen Familien traditioneller Gesellschaften und deren Einflüsse auf frühkindliche Entwicklungsaufgaben.
  • Der soziale Wandel stellt neue Anforderungen an die Individuen; theoretische Modelle zur Wirkung; Methoden zur Erforschung der Effekte sowie ausgewählte Befunde werden vorgestellt (Martin Pinquart & Rainer Silbereisen).
  • Der Einfluss der Medien ist Thema von Gerhild Nieding und Peter Ohler; die Entwicklung kognitiv-symbolischer Kompetenzen im Vorschulalter wird als Voraussetzung für das Verstehen der Medien gesehen, Auswirkungen von Fernsehen und gewalthaltiger Medien werden diskutiert.
  • Den Abschluss bildet das Kapitel von Detlef Rost, Susanne Buch und Jörn Sparfeldt, die Befunde zur Hochbegabung präsentieren.

VII. Normative Entwicklungsübergänge

In unserer Kultur gibt es einige Überginge, die regelhaft alle Menschen oder doch mit hinreichender Häufigkeit betrifft. Diese Übergänge stellen meist neue Entwicklungsaufgaben:

  • Ein erster Übergang ist für die meisten Kinder aus der Familie in eine öffentliche Tagesbetreuung. Bei ausreichender Qualität, angemessener Eingewöhnung und Ausgewogenheit öffentlicher und familiärer Betreuungszeiten stellen Kinderkrippe und Kindergarten eine Bereicherung für die Eltern-Kind-Beziehung dar, ermöglichen neue Beziehungen zu anderen Erwachsenen und Kindern und setzen Entwicklungsimpulse (Liselotte Ahnert).
  • Ein wichtiger Schritt in unserer Gesellschaft ist der Schuleintritt. Er wird nicht nur vom Alter, sondern auch von der Schulfähigkeit abhängig gemacht; Anforderungen und Bewältigungshilfen werden dargestellt (Marcus Hasselhorn & Arnold Lohaus).
  • Der Prozess der Loslösung vom Elternhaus erfordert eine Umgestaltung der Eltern-Kind-Beziehung und mündet beim Auszug als Meilenstein (Bärbel Kracke).
  • Es folgt die Familiengründung und der Übergang zur Elternschaft. Trotz sozialem Wandel und Pluralisierung der Familienformen können normative und nicht-normative Übergänge unterschieden werden (Gabrielle Gloger-Tippelt).
  • Ehescheidungen gehören nicht zu den normativen Übergängen. Beate Schwarz beschreibt den Prozess der Trennung von der Vortrennungsphase über die familiäre Reorganisation bis zum Übergang in die Stieffamilie.
  • Abschließend zeigt Andreas Kruse, dass mittlerweile die Anpassung an den Ruhestand allgemein eher gut gelingt.

VIII. Angewandte Entwicklungspsychologie

Einen kleinen Ausschnitt aus dem weiten Feld der Angewandten Entwicklungspsychologie geben die folgenden Kapitel:

  • Programme zur vorschulischen Entwicklungsförderung (Frühlesen, phonologische Bewusstheit, Schreiben, Sprache, Kognition, Mathematik, soziale, emotionale Kompetenzen, Bewegung und Gesundheit), Langzeiteffekte und Bedingungen für eine erfolgreiche Förderung bespricht Ulrich Schmidt-Denter.
  • Für die Entwicklungsdiagnostik werden theoretische Grundlagen, Aufgaben, Ziele und Methoden (Befragung, Beobachtung, Tests) beschrieben. Neuere Testverfahren werden in einer tabellarischen Übersicht dargestellt; diese ist aufgrund aktueller Neuerscheinungen schon wieder unvollständig (Pia Deimann & Ursula Kastner-Koller).
  • Entwicklungspsychologische Aspekte der Gesundheitsförderung, die über den Lebenslauf eine Rolle spielen (Inge Seiffge-Krenke), des Drogenkonsums im Jugend- und jungen Erwachsenenalter (Rainer Silbereisen & Karina Weichold) und der Jugendkriminalität (Werner Greve & Stefan Suhling) thematisieren die folgenden Kapitel.
  • Strategien der Lebensbewältigung im Alter bilden den Abschluss des Teils (Alexandra Freund).

IX. Forschungsmethoden

Im letzen Teil werden einige die Entwicklungspsychologie betreffenden spezifischen forschungsmethodischen Aspekte aufgegriffen, von Fragen der Versuchsplanung (Willi Hagen & Marcus Hasselhorn), über Datenerhebung und Forschungsparadigmen (Arnold Lohaus) und die Analyse von Längsschnittdaten (Christian Rietz & Georg Rudinger) zu speziellen Auswertemethoden (Alexander von Eye). Ein eigenes Kapitel geht auf neurowissenschaftliche Methoden ein (Christoph Klein).

In jedem Kapitel sind wichtige Details, Definitionen, Merksätze oder kurze Experimentbeschreibungen in Kästen besonders herausgehoben. Die meisten Autorinnen und Autoren verweisen zum Ende des Beitrags auf weiterführende Literatur, meist längere Übersichtsarbeiten und Buchkapitel.

Fazit

Die einzelnen Beiträge sind jeweils kurz und knapp mit einer hohen Informationsdichte. Sie haben eher Lexikoncharakter und sind nicht so breit und umfassend, wie der Titel Handbuch es vielleicht erwarten lässt. Dies wird durch die Hinweise auf weiterführende Literatur jedoch ausgeglichen. Durch die einzelnen Beiträge werden Themen von verschiedenen Seiten beleuchtet. Dies wird aber auch überstrapaziert; die Modelle für das höhere Lebensalter zum Beispiel werden in unterschiedlichen Kapiteln vorgestellt, ohne Hinweis aufeinander bzw. ohne ausreichende Erfassung im Stichwortregister.

Insgesamt kann das Buch als Überblicks- und Nachschlagewerk empfohlen werden kann, sowohl für Studierende, Lehrende und Berufstätige der Psychologie wie auch für Angehörige von Nachbardisziplinen.

Rezension von
Dr. Dipl.-Psych. Lothar Unzner
ehem. Leiter der Interdisziplinären Frühförderstellen in Dorfen, Erding und Markt Schwaben im Einrichtungsverbund Steinhöring
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Es gibt 188 Rezensionen von Lothar Unzner.

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Zitiervorschlag
Lothar Unzner. Rezension vom 29.06.2008 zu: Marcus Hasselhorn, Wolfgang Schneider (Hrsg.): Handbuch der Entwicklungspsychologie. Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG (Göttingen) 2007. ISBN 978-3-8017-1847-3. Reihe: Handbuch der Psychologie - Band 7. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/6074.php, Datum des Zugriffs 03.10.2023.


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