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Barbara Cramer: Bist du jetzt ein Engel?

Rezensiert von Prof. Dr. Hans Goldbrunner, 18.01.2009

Cover Barbara Cramer: Bist du jetzt ein Engel? ISBN 978-3-87159-070-2

Barbara Cramer: Bist du jetzt ein Engel? Mit Kindern über Leben und Tod reden. dgvt-Verlag (Tübingen) 2008. 304 Seiten. ISBN 978-3-87159-070-2. 32,00 EUR.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.

Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-87159-270-6 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.

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Thema

Wenn die These vom Umkippen der Todesverdrängung in eine ?Todesbesessenheit? ? wie es von manchen Autoren inzwischen kritisch konstatiert wird ? noch eines Beweises bedarf, liefert diesen die gegenwärtige Kinderbuchliteratur. Unzählige Bilderbücher über Tod und Sterben bilden die Speerspitze dieser Bewegung, obwohl aus der Anzahl der Veröffentlichungen leider nicht geschlossen werden darf, dass es inzwischen zur Selbstverständlichkeit gehört, Kinder in der Auseinandersetzung mit dem schwierigen Thema unverkrampft zu begleiten. Barbara Cramer, Kinderpsychologin und Kennerin der einschlägigen Literatur, hat in der vorliegenden Studie bereits 250 deutschsprachige Bilderbücher explizit untersucht, ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben oder überhaupt erheben zu können. Ihr Anliegen ist dabei nicht vorrangig die systematische Aufarbeitung, obwohl sie auch dazu wesentliche Grundlagen liefert, sondern ein psychologisches, nämlich zum Gespräch mit Kindern über Leben und Tod zu ermutigen und zahlreiche Anregungen zur Vertiefung dieser Gespräche zu geben.

Aufbau und Inhalt

Barbara Cramer geht die Mammutaufgabe auf verschiedenen Ebenen an um zu versuchen, den Überblick über die vorhandenen Veröffentlichungen nicht zu verlieren und diese gleichzeitig in einer Form zu präsentieren, dass sie für Praktiker genutzt werden kann.

Indem sie zwei theoretische Kapitel über das Todesverständnis von Kindern an den Anfang stellt, unterstreicht sie, dass das Bemühen um das Verstehen der Kinder im Mittelpunkt zu stehen hat. Es geht dabei um die Voraussetzungen für das Erkennen der Endgültigkeit des Todes und die Entwicklung der Todesvorstellungen von Kindern. Damit ordnet sie sich in die Reihe kognitiv orientierter Psychologen ein, während emotionale Faktoren und Beziehungserleben im Hintergrund bleiben. Im Mittelpunkt stehen Fragen der Gesprächsführung mit Kindern und besonders detaillierte Hinweise zur Frage der Einsatzmöglichkeiten von Kinderbüchern als Gesprächseinstieg. Eine Übersicht über Typen und inhaltliche Darstellungen des Todes in Bilderbüchern nimmt einen breiten Raum ein. Dieser Teil ist jedoch klar strukturiert, so dass Leser sich rasch orientieren können. Zahlreiche Anregungen zur Verknüpfung mit anderen Medien im Rahmen der Begleitung von Kindern in ihrer Auseinandersetzung mit dem Sterben runden die praxisbezogenen Ausführungen ab. Ausführliche Falldarstellungen illustrieren das praktische Vorgehen. Mehrere Anhänge, darunter insbesondere eine tabellarische Übersicht über die benutzten Bücher, dienen der raschen Orientierung. Praktiker dürften für die übersichtliche Formatierung des Textes und die reichliche Illustration durch Bilder aus Büchern wie durch Kinderbilder aus der psychologischen Praxis sehr dankbar sein. Die robuste, verschleißfeste Ausstattung des Buches macht dieses zu einem wertvollen Handbuch, das nicht bereits nach dem ersten Durchblättern zerfällt.

Diskussion

Es ist das Anliegen von Barbara Cramer, über das Medium Kinderbuch das Gespräch über das schwierige Thema Tod und Sterben mit Kindern in Gang zu setzen und damit zur Bewusstseinsbildung beizutragen. Damit leistet sie einen wichtigen Beitrag zur Frage der Thanatopädagogik, die den Tod als Gegenstand der Erziehung (wieder) salonfähig machen möchte. Demgegenüber tritt die Auseinandersetzung mit eigenen Verlusterfahrungen des Kindes zurück. Dies erscheint wesentlich, um falsche Erwartungen, die der Titel wecken könnte, zu verhindern. Das Buch kann als wertvolle Pionierarbeit zur Erreichung des angestrebten Zieles bezeichnet werden. Nicht nur die gelungene Analyse der verwendeten Literatur erweist sich als wertvolles Instrument, sondern auch die zahlreichen praktischen Anregungen für Pädagogen, die durch diese Darstellung hoffentlich ermutigt werden, sich dieser Thematik in Zukunft mit weniger Ängsten zu nähern.

Trotz des positiven Gesamteindrucks seinen auch kritische Fragen erlaubt. Die Kindzentrierung blendet den Beziehungskontext, insbesondere familiäre Beziehungen im Umgang mit dem Tod weitgehend aus. Eine der schmerzhaftesten Erfahrung von Kindern besteht jedoch darin, dass erwachsene Angehörige von eigener Trauer so überwältigt sind, dass die Zuwendung zu Kindern darunter leidet.

In der Analyse der Kinderbücher werden die sehr unterschiedlichen Todeserfahrungen mit den damit verbundenen Erlebnissen angesprochen. In dem Bemühen, die Angst vor den Schrecken des Sterbens ? besonders bei Suicid oder nach Gewalteinwirkungen ? zu reduzieren, durchzieht die Literatur eine Verniedlichungstendenz, die auch von der Autorin teilweise übernommen wird.

Mehr Wachsamkeit würde ich mir auch gegenüber den ideologischen Suggestionen verschiedener Kinderbücher wünschen, die bei Kindern nicht selten unrealistische Vorstellungen wecken. Es ist verständlich, wenn in einem Einzelfall besorgte Angehörige Kinder nach dem Tod des Lieblingstieres zu beruhigen suchen, indem sie einen ?Hundehimmel? ausmalen. Ob ein derartiges Vorgehen in Kinderbüchern jedoch religiös-spirituelles Denken fördert oder eher missbraucht, steht auf einem anderen Blatt. Hier sei auch die schon häufig geäußerte Frage erlaubt, ob manche Kinderbücher der Fantasie von Kindern entspringen oder eher den naiven Projektionen von Erwachsenen, die möglicherweise von dem eigenen Erwachsenwerden flüchten.

Fazit

Trotz dieser kritischen Anmerkungen ist festzustellen, dass Barbara Cramer eine bedeutsame Arbeit vorgelegt hat, die dazu beitragen könnte, Erwachsene dabei zu unterstützen, den Fragen von Kindern über Tod und Sterben nicht auszuweichen. Ich möchte das Buch besonders Lehrern und Erziehern nachdrücklich ans Herz legen, nicht nur um die eigene Einstellung und Praxis kritisch zu hinterfragen, sondern ein offenes Ohr für die häufig unausgesprochenen Fragen von Kindern zu bekommen und sich dem Gespräch mit Kindern über den Tod zu stellen.

Rezension von
Prof. Dr. Hans Goldbrunner

Es gibt 37 Rezensionen von Hans Goldbrunner.

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ISSN 2190-9245