Oliver Holz (Hrsg.): Jungenpädagogik und Jungenarbeit in Europa
Rezensiert von Dipl. Soz.-Päd. Gregor Prüfer, 16.04.2009
Oliver Holz (Hrsg.): Jungenpädagogik und Jungenarbeit in Europa. Standortbestimmung - Trends - Untersuchungsergebnisse.
Waxmann Verlag
(Münster/New York/München/Berlin) 2008.
200 Seiten.
ISBN 978-3-8309-1942-1.
24,90 EUR.
Reihe: Sokrates, Comenius - Bildung und Kultur.
Thema
In diesem Band wird der aktuelle Stand der Jungenpädagogik in neun europäischen Ländern vorgestellt und bewertet. Dargestellt werden sowohl die jeweilige Entwicklung von Jungenpädagogik in den verschiedenen Ländern als auch die gegenwärtige Fachpraxis in Bereichen wie z.B. Schule, Freizeitpädagogik, Gruppenarbeit oder Jugendverbandsarbeit.
AutorInnen
Die AutorInnen sind ausgewählte Fachkräfte mit z.T. erheblicher Praxiserfahrung (siehe z.B. Bernd Drägestein / Deutschland) in den jeweiligen Ländern.
Entstehungshintergrund
Im Rahmen des von der europäischen Kommission geförderten Programms COMENIUS wird hier der Versuch unternommen, den Ist-Stand der Jungenpädagogik in Europa darzustellen. Durch die Beiträge von versierten Autoren, die Ihr Fachwissen und Ihre Untersuchungsergebnisse aus neun europäischen Ländern eingebracht haben, wird ein relativ breites Spektrum von Herangehensweisen, fachlicher Entwicklung, Handlungsfeldern und –ansätzen beleuchtet.
Aufbau und Inhalt
- Zu Begin gibt Oliver Holz, der Herausgeber dieses Bandes, einen Überblick über die Entstehungsgeschichte der pädagogischen Berücksichtigung von Jungenentwicklung, der Jungenpädagogik. Darüber hinaus stellt er zentrale Fragen bezüglich der Perspektiven von geschlechtsspezifischer Förderung für Jungen.
- Renate Seebauer und Johann Göttel beschreiben die Entwicklung der Buben- und Burschenarbeit in Österreich. Anhand der Bereiche Kindergarten, Schule und außerschulische Kinder- und Jugendgruppenarbeit werden beispielhaft Ziele und Inhalte genderspezifischen Handelns dargestellt. Besondere Beachtung schenken die AutorInnen der Ausbildung von Grundschullehrer/innen, den nötigen Anforderungen für Freizeitangebote (z.B. im Sportbereich) und der Zusammenhänge von Junge-Sein und Migration in Österreich.
- Oliver Holz wendet sich im dritten Beitrag der Situation in Flandern zu. Er beleuchtet Genderaspekte im flämischen Bildungswesen. Insbesondere widmet er seine Betrachtungen den Bereichen Grundschule, Freizeitangebote und Jugendbewegung. Seine Ausführungen beschäftigen sich mit der Frage, wie geschlechtergerechte Jungenförderung in den bestehenden Strukturen eingebettet werden könnte.
- Otakar Fleischmann beschreibt die gegenwärtige Jungenpädagogik in der Tschechischen Republik. Vereinzelte Auseinandersetzungen mit Genderthemen ließen sich dort bisher nicht zu einem kontinuierlichen Entwicklungsstrang bündeln. Dennoch sieht er Potenziale für die Zukunft. Anhand von Untersuchungen belegt er z.B. die eher traditionelle Ausrichtung der Inhalte von Lehrmaterialien. Er beschreibt die zahlenmäßigen Geschlechterverhältnisse der Fachkräfte im Erziehungswesen als stark weiblich dominiert und zieht daraus seine Schlüsse.
- Bernd Drägestein und Olaf Schwarze beschreiben die Entwicklung von Jungenarbeit und Jungenpädagogik in Deutschland. Sie differenzieren hier zwischen den unterschiedlichen Verläufen in Jugendarbeit und Schule. Die Verfasser diskutieren Ziele und Inhalte aktueller Jungenpädagogik und beleuchten in diesem Zuge verschiedene Praxis- und Themenfelder (insbesondere: die Ausbildung von Grundschullehrern/-lehrerinnen, Freizeitangebote, Jungen aus benachteiligten Schichten und mit Migrationshintergrund). Schwerpunkt ist in diesem Artikel der Bereich Bildungsförderung. Die Autoren bieten konkrete Schritte an, die geeignet scheinen, Jungen bessere Bildungschancen zu vermitteln, ohne die Geschlechtergerechtigkeit dabei aus den Augen zu verlieren.
- Im sechsten Beitrag widmet sich Meeli Väljaots der Entstehung und der Gegenwart von Jungenpädagogik in Estland. Der Schwerpunkt der Betrachtungen liegt auf dem estländischen Schulwesen mit seinen wechselhaften historischen Abschnitten und den daraus resultierenden Charakteristika in der Gegenwart. Weitere Beobachtungen beziehen sich z.B. auf die Besonderheit der estnischen Sprache, die zum Teil auf Geschlechterzuordnungen verzichtet, auf Freizeitangebote, die Ausbildung von Grundschullehrern/-innen und weitere estnische Spezifika (u.a. steigende Straffälligkeit).
- Viktor Pérez-Samaniego und Carmen Santamaria-Garcia beschreiben die gegenwärtige Situation der Jungenpädagogik in Spanien anhand des Lehrplanes zu Leibesübungen. Sie verorten eine starke Gewichtung von heroischer Männlichkeit in die vorherrschenden Vorstellungen von Maskulinität. Eine Erklärung hierfür bietet die historische Entwicklung; insbesondere die Zeit der Franko-Diktatur. Die aktuelle Entwicklung baut auf diesen Gegebenheiten auf.
- Im achten Beitrag stellt sich Erika Grossmann der Frage, ob es Genderpädagogik in Ungarn überhaupt gibt. Die Verfasserin richtet ihre Aufmerksamkeit auf die Bereiche Ausbildung von Grundschullehrer/innen, schulische Leistungen, Schul- und Freizeitangebote und schließlich auf Lehrbuchinhalte. Mit einem abschließenden Blick auf die Zuständigkeit für die Kindererziehung kritisiert die Autorin eine weitgehende Überrepräsentanz von Frauen, bei gleichzeitiger Entscheidungshoheit durch Männer in Leitungspositionen.
- Eva Bilinska-Suchanek beschreibt die Situation der Jungenpädagogik in Polen. Die Genderforschung richtet sich dort hauptsächlich auf die Untersuchung von Geschlechterunterschieden und weniger auf die jeweilige Situation von Jungen (bzw. Mädchen). Hervorgehobene Bereiche sind in diesem Artikel die Grundschule und die Freizeitgestaltung von Jungen.
- Im zehnten Beitrag beschäftigt sich Fiona Sheldon mit der Frage, wie es Jungen in Großbritannien gelingen kann, ihre Leistungen im Fach Englisch zu verbessern. Anhand dieser Fragestellung beschäftigt sich die Autorin beispielhaft mit Fragen zur Sozialisation von Jungen. Diese Auseinandersetzung bietet Einsichten, die durch ihre Übertragbarkeit auf andere Bereiche der Jungenpädagogik von hohem Interesse sind.
- Der elfte Beitrag ist ein Artikel von Renate Seebauer im Rahmen einer empirischen Studie in neun europäischen Ländern. Hier wurden „Leistungsmotive“, „soziale Erfahrungen“ und „notwendige Eigenschaften von Lehrer/inne/n und Erzieher/inne/n“ unter Berücksichtigung von buben- und mädchenspezifischen Ausprägungen untersucht. Die Ergebnisse bieten Hinweise darauf, was Jungen, bzw. Mädchen, zu Leistung motiviert und was eine Person braucht, um sie entsprechend zu unterrichten oder zu erziehen.
- Der zwölfte Beitrag ist der elfte Beitrag in englischer Sprache.
- Im abschließenden Artikel fasst Bernd Drägestein die Ergebnisse der vorangegangenen Beiträge zusammen und eröffnet einen Ausblick auf notwendige Entwicklungen.
Zielgruppen
Dieses Buch richtet sich an Fachfrauen und Fachmänner, die sich dem Thema Jungenpädagogik nähern oder ihr Wissen vertiefen möchten. Besonders werden diejenigen auf ihre Kosten kommen, die dem Bereich Schule nahestehen.
Diskussion
Die Artikel sind alle sehr eingängig. Besonders spannend zeigen sich die historischen Hintergründe und die kulturell bedingten Unterschiede. Auch wenn der Bereich Schule eine hohe Beachtung findet, sind die Beiträge durch ihre Übertragbarkeit der Rückschlüsse auf andere Bereiche allgemein von Interesse für alle, die sich mit der Erziehung von Jungen beschäftigen.
Fazit
Spannend. Erhellend. Anregend zum Weiterdenken.
Rezension von
Dipl. Soz.-Päd. Gregor Prüfer
M.A. Päd. / Dipl. Soz.-Päd.(FH)
War lange tätig in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit; Aktiv in der Vernetzung von Jungenarbeit in München seit 1993 (www.netzwerk-jungenarbeit.de), freiberuflicher Fortbildungsreferent zu Themen der Genderpädagogik und zu Gender Mainstreaming seit 1999. Seit 2005 Mitarbeiter im Münchner Informationszentrum für Männer mit den Schwerpunkten Männerberatung und Gruppenarbeit für Männer mit Gewalthintergrund (www.maennerzentrum.de), seit WS 2008/09 auch Lehrbeauftragter an der Katholischen Stiftungshochschule München (www.ksh.de). Seit 2011 außerdem Mitarbeiter am Pädagogischen Institut in München, zuständig für Geschlechtergerechte Pädagogik und Jungenförderung an den Städtischen Münchner Schulen (www.pi-muenchen.de).
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Es gibt 26 Rezensionen von Gregor Prüfer.
Zitiervorschlag
Gregor Prüfer. Rezension vom 16.04.2009 zu:
Oliver Holz (Hrsg.): Jungenpädagogik und Jungenarbeit in Europa. Standortbestimmung - Trends - Untersuchungsergebnisse. Waxmann Verlag
(Münster/New York/München/Berlin) 2008.
ISBN 978-3-8309-1942-1.
Reihe: Sokrates, Comenius - Bildung und Kultur.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/6092.php, Datum des Zugriffs 25.01.2025.
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