Lamya Kaddor, Rabeya Müller: Der Koran. Für Kinder und Eltern
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 02.05.2008

Lamya Kaddor, Rabeya Müller: Der Koran. Für Kinder und Eltern.
Verlag C.H. Beck
(München) 2008.
240 Seiten.
ISBN 978-3-406-57222-7.
D: 19,90 EUR,
A: 20,50 EUR,
CH: 35,90 sFr.
Illustriert von Karl Schlamminger.
"Gottes unerschaffenes Wort"
Wie bei allen "heiligen Büchern" gibt es von Anfang an Meinungsverschiedenheiten darüber, ob das original gesetzte Wort, ob als Überlieferung oder Nacherzählung, übersetzbar in andere Sprachen sei. Besonders die koranische Tradition ist voll von Versuchen, antiquierte und nicht mehr zeitgemäße Formulierungen zu verändern oder auch, in Sinne der jeweiligen Glaubensrichtung zu interpretieren; genau so wie von heftigen Gegenbewegungen, die das originale, in arabischer Schrift verfasste Wort unangetastet wissen wollten. "Als vollkommener Ausdruck des göttlichen Wesens und Willens kann aber der Koran nicht in eine andere Sprache übersetzt werden", so formuliert es die Islamwissenschaftlerin Annemarie Schimmel in der Reclam-Ausgabe der deutschen Übersetzung des Koran von 1981. Und in den Anmerkungen zum von der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion e. V. ((DITIB) 1991 herausgegebenen "Gnadenreichen Koran" (Kur«‰n-õ Ker”m) (Sonderzeichen) schreibt Achmed Schmiede: "Koran ist allein der geoffenbarte arabische Wortlaut. Selbst eine Wiedergabe in arabischer Sprache mit anderen Worten ist nicht mehr Koran, sondern bestenfalls der Versuch einer Interpretation". Immerhin freilich, theologische, philosophische, juristische und poetische Auslegungen der einzelnen Koranverse hat es immer gegeben. So wird davon berichtet, dass Mystiker 7000 Auslegungen eines einzigen Verses kannten. Die Volksfrömmigkeit hat freilich bestimmte Aussagen, die allgemein und leicht verständlich sind, zu herausgehobenen Preisungen gemacht und andere, unhandlichere, vernachlässigt. Immer im Vordergrund stand und steht die Frage nach der Wahrheit und Gültigkeit des göttlichen Wortes. Auch die für Nichtmuslime nicht leicht zu verstehende Praxis, die "Macht des göttlichen Wortes" in der Originalfassung, dem Arabischen, zu beten und immer zu wiederholen, auch wenn sie der Betende nicht versteht, hat ihren Ursprung im Koran, wie dies in der 36. Sure zum Ausdruck kommt. Aber dass Gebets- und Alltagssprache auseinander klaffen, ist eben nicht nur ein Phänomen des Islam, sondern findet sich in allen Religionen, auch in den christlichen Konfessionen. Ebenso die geforderte Einheit vom göttlichen Wort mit dem alltäglichen Leben der Gläubigen ist kein Spezifikum; wiewohl die sonst in den säkularen Glaubensgemeinschaften übliche Trennung von Kirche und Staat im Islam nicht vorhanden ist. Das islamische Leben gründet sich in allem Denken und Tun auf den Koran.
Gerade diese Eigenheit und auch der Anspruch – "Jede Reformbewegung im Islam hat sich am Koran zu orientieren" – macht es schwer, zeit- und kulturgemäßere Darstellungen und Auslegungen des Koran zu realisieren. Dadurch hat sich in der nichtmuslimischen, insbesondere in der westlichen Welt ein Bild vom Islam entwickelt, das geprägt ist von Fanatismus, Gewalt, Unterwürfigkeit und Intoleranz. Doch diese Anschauungen von Unaufgeklärtheit und Rückständigkeit versus Aufklärung und Entwicklung beginnen seit einigen Jahren einen Riss zu bekommen, insbesondere seit sich Islamwissenschaftler daran machen, die im Koran gesetzten grundsätzlichen Aussagen über Gott und die Welt, Schöpfung und Jenseits zu vergleichen mit denen in den "Heiligen Büchern" der anderen monotheistischen Religionen: Judentum, Christentum und Bahaitum. Die Ergebnisse sind zwar nicht allzu überraschend, aber für die Ideologen und Dogmatiker der einzelnen Glaubensgemeinschaften nicht leicht zu akzeptieren: Das Anliegen aller monotheistischen, also einen Gott verehrenden Religionen, ist, "den Menschen zu zeigen, dass alles von Gott kommt und wieder zu ihm zurückkehren wird".
Autorinnen und Anliegen
Die in Deutschland geborene Tochter syrischer Einwanderer, die 29jährige Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor von der Universität Münster, setzt sich, zusammen mit der Leiterin des Kölner Instituts für interreligiöse Pädagogik und Didaktik, Rabeya Müller, in Deutschland dafür ein, dass Muslime, die in diesem Land leben, ihren Glauben als aufgeklärte Menschen vertreten können. Es macht sie wütend, dass in der öffentlichen Diskussion so viele Vorurteile und Stereotypen über Muslime verbreitet werden. Sie treten dafür ein, dass der Islam als Glaubensgemeinschaft gleichberechtigt neben den christlichen Religionen anerkannt wird; was auch bedeutet, dass sie ihre Glaubensbrüder und –schwestern auffordern, nicht das Kopftuch als Zeichen ihrer Zugehörigkeit zum Islam provozierend zu tragen, sondern, wenn sie wollen, als Kleidungsstück wie jedes andere auch. Beide haben sich nun daran gemacht, nicht etwa einen neuen Koran zu schreiben oder den zahlreichen bisherigen Übersetzungen eine weitere hinzuzufügen, sondern einen "Koran für Kinder und Erwachsene" vorzulegen, der "den Respekt vor dem heiligen Buch der Muslime mit einem verständlichen Zugang verbindet". Sie betonen in ihrem Nachwort des gefällig gestalteten Buches, in dem sie Themen über Gott und Mohammed, die Schöpfung und die Vorstellung vom Jenseits und den Pflichten der Gläubigen, auch über Gleich- und Verschiedenheiten mit der christlichen Heilslehre übersetzen und gleichzeitig die arabischen Originaltexte gegenüber stellen, dass sie dabei nicht beabsichtigen, dem traditionellen koranischen Kanon ihren eigenen entgegen zu setzen; deshalb erklären sie deutlich: "Dieser Koran entspricht nicht den gängigen Koranausgaben und kann daher nicht in der herkömmlichen Weise rezitiert werden". Die Leser erfahren etwas über Ibrahim, Abraham also, über Musa, also Moses und den Propheten Isa, also Jesus. In ihrem Koran ist Mohammed im Paradies zu sehen und einträchtig mit Jesus abgebildet. Kunstvolle Ornamente und Kaligraphien künden vom Heiligen Buch der Muslime.
Aufbau und Inhalt
Die insgesamt in zwölf Kapiteln ausgewählten Verse, beginnend mit der Frage nach Gott, der Schöpfung, den Mitmenschen, den Propheten und Gesandten, bis hin zur Frage, "wie wir Gott dienen" und nach dem Paradies und der Hölle, werden mit Informationen und einfühlsamen Erläuterungen versehen. Zwar nicht provozierend, aber dennoch bestimmt machen die beiden Autorinnen klar, dass die Zugehörigkeit von Menschen zum Islam "Hingabe an den einen Gott" bedeutet; und damit die Aufgabe der Gläubigen, immer wieder neu nach dieser Bestimmung Ausschau zu halten und im alltäglichen Leben den Willen Gottes zu verwirklichen suchen. Dies bedeutet dann auch, "Mut zum Widerstand" zu haben und nicht den vorherrschenden, dogmatischen und ideologischen Meinungen von Mächten woher sie auch kommen und wie sie sich auch definieren, nachzulaufen. Sicherlich nicht von Ungefähr stellen die Autorinnen die Verse, in denen im Koran "vorbildliche Frauen" gepriesen werden, dar: Maryam (Maria), Balqis (Königin von Saba) und Asya (Frau des Pharao). "Sie haben erkannt, dass nur Gott der einzige gerechte ’Herrscher’ sein kann. Damit sind diese Frauen in ihrem weisen und klugen Handeln ein Vorbild für alle Menschen".
In einem Interview äußert sich Lamya Kaddor auf die Frage, ob der "Koran für Kinder und Erwachsene" bei konservativen Muslimen nicht Aggressionen und Widerstand hervorrufen würde: "Es würde mich wundern, wenn es keinen Ärger gibt". Doch das sagt die gläubige Muslima, die selbst kein Kopftuch trägt, weil sie im Verhüllen der Haare für die hiesige Gesellschaft keinen religiösen Sinn erkennt, die aber, wie ihre Eltern, fünfmal am Tag betet, im Ramadan fastet und versucht, die religiösen Gebote einzuhalten.
Fazit
Es ist zu wünschen, dass dieser Koran nicht nur all denjenigen, die als Muslime und als Minderheiten in anderskulturellen und –religiösen Mehrheitsgesellschaften leben, einen zeitgemäßen, verständlichen Zugang zu ihrem "Heiligen Buch" ermöglicht - nicht zuletzt den Kindern und Jugendlichen muslimischer Herkunft - sondern dass die ausgewählten Lehren und Erzählungen des Koran auch den Nichtmuslimen ein besseres Verständnis der monotheistischen Religion des Islam ermöglichen. Beim interkulturellen und interreligiösen Dialog gilt eine Voraussetzung, die als Menschenrecht ganz oben auf der Agenda des Zusammenlebens aller Menschen in der immer interdependenter sich entwickelnden und entgrenzten Welt zu stehen hat: "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen".
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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