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Toshio Sugiman, Kenneth J. Gergen et al. (Hrsg.): Meaning in Action

Rezensiert von Dipl.-Psych. Gesche Keding, 24.05.2008

Cover Toshio Sugiman, Kenneth J. Gergen et al. (Hrsg.): Meaning in Action ISBN 978-4-431-74679-9

Toshio Sugiman, Kenneth J. Gergen, Wolfgang Wagner, Yoko Yamada (Hrsg.): Meaning in Action. Constructions, Narratives, and Representations. Springer (Berlin) 2007. 362 Seiten. ISBN 978-4-431-74679-9. 119,95 EUR.

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Thema

In der psychologischen Forschung geht der Behaviorismus davon aus, dass das Verhalten des Menschen, das Denken und Fühlen genauso einschließt wie Handlungen, mit den Methoden der Naturwissenschaft untersucht werden kann. Das Individuum steht dabei im Mittelpunkt. Nach den Theorien des Sozialkonstruktivismus, einer Variante des Konstruktivismus, schaffen bzw. verhandeln Menschen auf unterschiedlichen Wegen soziale Vereinbarungen, soziale Konstrukte, einen Konsens zu allen Aspekten menschlichen Verhaltens und sozialer Interaktion. Diese Vereinbarungen oder Kodizes, die zum großen Teil implizit wirken, also vielfach gar nicht sprachlich ausgedrückt werden, steuern das Verhalten der Menschen. Psychologie ist aus dieser Sichtweise folglich keine Natur- sondern eine Sozialwissenschaft. Verschiedene Bewegungen der Psychologie haben zu dieser Gruppe von Theorien zu sozialen Prozessen beigetragen, so der Sozialkonstruktivismus, die Theorie der sozialen Repräsentation, die Narrative Psychologie und einige andere. Soziale Prozesse gewinnen im Verständnis menschlichen Handelns eine größere Bedeutung. Psychologische Forschungsmethoden orientierten sich bis dahin am Individuum. Die neuen Konzepte der Sozialpsychologie haben folglich bedeutsame Veränderungen in der psychologischen Forschung bewirkt.

Der vorliegende englischsprachige Band enthält Aufsätze unterschiedlicher Richtungen des Sozialkonstruktivismus, denen gemeinsam ist, dass sie sich mit dem sozialen Aushandeln und Generieren von Sinn und Bedeutung sowie deren Implikationen für menschliches Verhalten beschäftigen. 

Aufbau und Inhalt

Nach einem einleitenden Kapitel folgen vier Teile, die jeweils vier oder fünf Aufsätze von insgesamt 26 Autoren enthalten.

  1. Der erste Teil widmet sich der Macht oder dem Einfluss der Bedeutung. Wessen Deutungen werden beachtet, wer hat die Macht die Welt zu definieren und wessen Deutungen werden unterdrückt? Das Ringen um die Definitionsmacht, zu bestimmen, worum es geht und was als falsch oder richtig angesehen werden soll, ist Quelle möglicher Konflikte. Privatinteressen, historische und ökonomische Bedingungen beeinflussen, wer diese Macht sucht und hat. Diejenigen, dessen Deutung weniger beachtet wird oder verschwiegen wird, werden auf unterschiedliche Weise benachteiligt oder geschädigt. Die fünf Kapitel betrachten dieses Phänomen jeweils an der Pädagogik von Paulo Freire, der Hexenverfolgung, der westlichen und nicht-westlichen Psychotherapie, den möglichen Konflikten zwischen Generationen in der Familie und der Posttraumatischen Belastungsstörung.
  2. Veränderungen finden laufend in sozialer, ökonomischer, technischer und wissenschaftlicher Hinsicht statt. Menschen müssen folglich beständig ihr Weltwissen anpassen und neu bestimmen. Mit der Konstruktion von Bedeutung im Alltag beschäftigt sich der zweite Teil. Werte und Normen werden sozial konstruiert und rekonstruiert und auf Personen angewandt. Veränderungen sind Herausforderungen der bisher gültigen Werte und beeinflussen die persönliche und soziale Identität. Zuverlässigkeit eines kollektiven Diskurses verringert individuelle Unsicherheit. Durch Sinnstiftung gewinnen Menschen Stabilität auch unter notvollen Lebensbedingungen.
  3. Soziale und individuelle Identität wird u.a. durch Erzählen und in Dialogen ausgehandelt – Narrative und Dialoge sind Thema des dritten Teiles. Diese Konversationen sind in einen Kontext eingebettet. Sie können interpretiert werden, d.h. die Identität des Erzählenden ist durch den Hörenden interpretierbar und veränderbar. Erzähler und Hörende sind am Generieren einer Identität beteiligt. Ebenso wird der Umgang des Menschen mit seiner Umwelt durch die Narrationen, in denen er seine Konzeptualisierung der Umwelt reflektiert, geprägt. Es stellt sich die Frage inwieweit andere Bilder der Umwelt das Verhalten in der Umwelt in Zukunft verändern. Auch die Möglichkeit, Menschen darin zu unterstützen ihre eigenen Narrationen in Hinblick auf mögliche Katastrophen zu entwickeln und so das Verständnis und die Handlungsfähigkeit der Menschen bei Katastrophen zu erweitern, wird exploriert. Während Narrationen ein Nebeneinander und Veränderungen von Bedeutung zulassen, ist der Dialog eher von Opposition gekennzeichnet.
  4. Kultur, Geschichte und die Repräsentationen in Texten wirken gegenseitig aufeinander ein und generieren und erhalten so Bedeutung und Sinn. Der Prozess des Entstehens von Bedeutung kann in Verbindung gebracht werden mit dem umfassenderen Konzept von Kultur. Der vierte Teil des Buches behandelt Repräsentationen von Bedeutung und Identität in Text, Kultur und Geschichte. Einzelne Narrationen beeinflussen die Art, wie sich Gruppen darstellen (Narrationen von Gruppen). Literatur bietet reichhaltige Einsichten in die Veränderungen von Motivation, Verhalten in ihren unterschiedlichen Ausprägungen in den verschiedenen Kulturen. Wenn soziale Ordnung durch kollektive und geschichtliche Erzählung mit entsteht, kann moralisches Verhalten nicht allein Sache Einzelner sein.

Herausgeber

Toshio Sugiman leert und forscht im Bereich der Gruppendynamik, der Sozialpsychologie und des Sozialkonstruktivismus an der Universität von Kyoto. Narrative Psychologie, Sozialpsychologie und Sozialer Konstruktivismus sind die Forschungsgebiete von Kenneth J. Gergen. Er leert im Swarthmore College. Wolfgang Wagner ist Professor für Professor für Politikwissenschaften an der Vrije Universiteit Amsterdam.

Zielgruppe

Das Buch richtet sich nicht an Praktiker. Auch wenn viele alltäglichen Erfahrungen menschlichen Verhaltens durch die Lektüre sinnvolle Erklärungsmöglichkeiten erhalten, richtet sich das Buch eindeutig an an Theorie Interessierte. Wer einen Überblick über Theorien der Sozialpsychologie und des Sozialkonstruktivismus erhalten möchte, findet in diesem Band Aufsätze aus den verschiedenen Forschungsrichtungen und Bewegungen, die zum Sozialkonstruktivismus beitragen und beigetragen haben.

Fazit

Wie menschliches Handeln durch sozial ausgehandelte Bedeutungen und Kodizes geprägt wird und wie wiederum die Bedeutungen in gesellschaftlichen Diskursen und Repräsentationen generiert werden, wird in diesem Band durch thematisch breit gefächerte Aufsätze von vielen Seiten beleuchtet. Sowohl für diejenigen, die aus theoretischem Interesse einen Überblick über das Forschungsspektrum des Sozialkonstruktivismus gewinnen wollen als auch für diejenigen, die für ihre praktische Arbeit mit Menschen im sozialen Kontext Hintergrundwissen erwerben wollen, bietet der Band durch die Vielseitigkeit der Beiträge anregende Lektüre. Die Sprache ist wissenschaftlich. 

Das Buch hat einen festen Einband und eine angenehme Größe. Rein äußerlich finde ich bei Büchern des Springerverlages den leichten Glanz der Seiten etwas störend, weil das Licht sich in vielen Positionen spiegelt.

Ein Inhaltsverzeichnis vorn und ein Stichwortverzeichnis hinten bieten Orientierung. Anmerkungen sind in Fußnoten, die ich persönlich Endnoten vorziehe. Auch dass die Literaturangaben jeweils dem Kapitel folgen und nicht für das gesamte Buch am Ende zusammengefasst sind, empfinde ich als Vorteil.

Rezension von
Dipl.-Psych. Gesche Keding
Leuphana College, Universität Lüneburg

Es gibt 23 Rezensionen von Gesche Keding.

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ISSN 2190-9245