Jean-Claude Kaufmann: Was sich liebt, das nervt sich
Rezensiert von Klaus Schmidt, 07.06.2008
Jean-Claude Kaufmann: Was sich liebt, das nervt sich. UVK Verlagsgesellschaft mbH (Konstanz) 2008. 280 Seiten. ISBN 978-3-89669-646-5. 19,90 EUR. CH: 35,90 sFr.
Thema
Sich in eine Paarbeziehung zu begeben, bedeutet in einen permanenten Kleinkrieg zu geraten. – Das ist die These des in Frankreich sehr renommierten Paarsoziologen Jean-Claude Kaufmann, vorgestellt in seinem Buch, das im Februar 2008 bei UVK unter dem Titel "Was sich liebt, das nervt sich" erschienen ist. Das Paar, so erfahren wir auf knapp 280 angenehm zu lesenden Seiten, ist neben vielem anderen auch eine Vereinigung von Widersprüchen, die unaufhörlich teils heftige Dissonanzen produzieren.
Zu zweit zu leben bedeutet mit Dissonanzen umgehen zu müssen. Dissonanzen aber verursachen emotionale Reaktionen, die der Franzose als "agacement" beschreiben kann, als Irritation, Widerstand, Widerwille, Gereiztheit, Ärger, die auch leicht in kleine Agressionen umschlagen können. Um das zu fassen gab Kaufmann seinem Buch den Titel: "Agacements. Les petites guerres du couple."
Zielgruppe
In jedem seiner Bücher skizziert Jean-Claude Kaufmann die Strukturen dessen, was unser privates Leben genannt wird. Wie oft geschieht dies bei ihm in einer Mischung aus empirischer Darstellung, Ausschnitten aus Interviews und theoretischer Analyse. Somit wendet sich auch dieses soziologische Buch buchstäblich an jeden, der sich persönlich-alltagsweltlich, sozialarbeiterisch oder wissenschaftlich mit dem Paar auseinanderzusetzen hat, besonders aber an alle, die als Familiensoziologen sich auch als Paarsoziologen verstehen. Da es nun in diesem Buch um die Frage geht, welche Rolle ehelicher oder partnerschaftlicher Streit spielt und wie er zu bewerten ist, wird dieses Buch für jeden Familientherapeuten und –Berater interessant. Doch nicht zuletzt: Für jede und jeden dürfte diese kleine Analyse der langen Geschichte endlosen Ärgers etwas bringen, der Lust hat, das Unhinterfragte des Alltags im Privatleben mit Jean-Claude Kaufmann zu hinterfragen.
Inhaltsüberblick
Jean-Claude Kaufmanns Buch ist nicht nur inhaltsreich, sondern auch gekennzeichnet durch eine ihm eigene, flüssige und pointierte Darstellung, die in diesem Fall hin und wieder von ironischen Selbstkundgebungen seiner Interviewpartner, den Leidtragenden konjugalen Ärgers, unterbrochen werden. So liest sich das Buch schnell aus und wir lernen welche überraschende, die Paarbeziehung strukturierende Bedeutung, Dissonanzen besitzen. In fünf Stichpunkten zusammengefasst:
- Dissonanzen sind ein sinnvolles und effektives Regulativ in der Paarbeziehung
- Sie verweisen auf die Entstehung einer Paar-Identität der Beteiligten
- und sind gleichzeitig Ausdruck des Gegenteils davon: nämlich einer Mikro-Kultur der Individuen
- Sie sind außerdem ein paradoxes Ergebnis der Aushandlung von Rollen und Funktionen im Paar
- und sie treten desto häufiger auf, je mehr Gestaltungsspielräume das Leben zu zweit eröffnet
Im Folgenden gehe ich auf ausgewählte Inhalte etwas ausführlicher ein.
1. Der tägliche Ärger – Mechanismen einer unbekannten Bedingung der Alltagsexistenz
Ärger, das ist Kaufmanns Ausgangspunkt, ist eine alltägliche Erscheinung gegenüber vielen Objekten, die eng mit der Funktionsweise des menschlichen Bewusstseins zusammenhängt. Der Einzelne wird sich für autonom gegenüber den meisten Handlungsoptionen und der Objektwelt halten. In Wirklichkeit hängt er eng von den Dingen ab, die ihn umgeben, und reagiert auf sie mit unter der Bewusstseinschwelle liegenden Schemata. Um seinen Alltag reibungslos bewältigen zu können, ist er auf die Übereinstimmung von Schemata und Objekten (die jeweils spezifische Routinehandlungen auslösen) angewiesen. Der Alltag wird mit Hilfe von "unzähligen Mikrobezügen" gestaltet. Kaufmann hat dies in einem bisher noch nicht übersetzten Buch (Ego. Pour une sociologie de l"individu, 2001) ausführlich dargelegt. Ist nun ein Objekt verstellt (eine Tasse) oder funktioniert es nicht wie erwartet (ein Gerät) ergibt sich daraus automatisch ein "Konflikt zwischen beiden Speichermodalitäten" (19). Dieser Konflikt erzeugt eine Dissonanz, die teils sofort als Ärger zum Ausdruck kommt (wenn die Tasse verschwunden bleibt, das Gerät nicht in Gang zu bringen ist und Alternativen fehlen). Je heftiger die empfundene Dissonanz, umso dringender wird der Einzelne Kohärenz herstellen wollen. – Er kann das Schema dem Objekt anpassen, das Objekt seinem Schema anzupassen versuchen – oder aber die Dissonanz und damit den Konflikt einfach vorläufig bei Seite lassen, indem er sich anderen Objekten zuwendet.
Hier beginnt dann die Leidensgeschichte jeder Paarbeziehung: Die Schemata, die jeder Einzelne im Hinblick auf "seine" Objekte entwirft (den Beziehungspartner eingeschlossen), werden regelmäßig bei vielen Gelegenheiten durch den anderen entwertet. Von der richtigen Behandlung von Zahnpasta-Tuben, über Wasserverbrauch, das Telefonieren und den Umgang mit Wäsche bis zu Tischmanieren und Wohnungseinrichtung – alles kann Gegenstand von heftig empfundenen Dissonanzen werden.
Die Beziehungspartner machen gerne persönliche Besonderheit und Selbstgefühl an den überwiegend ganz nebensächlichen Auffassungen, wie eine Sache zu geschehen hat, fest. Man könnte hier von einer Mikro-Kultur der Individuen sprechen, wie es Kaufmann tut. Diese haben die Individuen vor ihrer Zeit in der Paarbeziehung entwickelt; sie bilden eine wichtige identitäre Orientierung. Aus diesem Grund setzt die Mikro-Kultur einer vereinnahmenden Überformung einigen Widerstand entgegen – und so bleibt es häufig bei ewigen Ärgernissen wegen der gleichen Gegenstände und Geschichten im Paar. – Das Resultat: "Der Beziehungspartner bleibt immer ein Fremder, völlig verschieden, obwohl an der Schaffung der Einheit täglich gearbeitet wird" (102).
2. Koordinationsschwierigkeiten und Identitätsprobleme
Wir sehen mit Kaufmann: Die Irritation, die leicht zu Ärger werden kann, ist im Alltag unvermeidbar. Wenn sie im Paar besonders häufig zu beobachten ist, dann durch die Notwendigkeit, unausgesetzt zwei unterschiedliche Kulturen zu koordinieren. Dies aber ist eine noch recht neue Erscheinung der Geschichte des privaten Lebens. Erst seit dem identitäre Bezugspunkte für den Einzelnen zunehmend verschwimmen, eröffnen sich für ihn umfassende Möglichkeiten und die Notwendigkeit der Gestaltung. Es hat im Paar gewiss immer Anlass für Ärger gegeben, sagt Kaufmann, aber der gesellschaftliche Wandel führt dahin, dass die Ursachen dafür immer mehr zunehmen. Gleichzeitig damit wächst aber auch die Fähigkeit, mit den täglichen Irritationen umzugehen. Hinsichtlich der kleinen Paarkonflikte befinden wir uns immer noch in einer Aufwärtsspirale. Nicht zuletzt aber die Psychologisierung des täglichen Lebens und die von vielen Älteren belächelte Praxis der Introspektion, befähigt das Paar mit dem nicht unerheblichen Druck, der von den Dissonanzen ausgeht, umzugehen.
Wenn man also fragt, warum tun sich die Individuen das Paar überhaupt noch an, so kann man einfach sagen, weil sie sich es leisten können. Es gilt aber auch genauso; dass sie es sich leisten müssen. Bei allem Vergnügen, das Kaufmann seinen Lesern bereitet, übersehen wir als deutsche Leser gern den ernsthaften Hintergrund, vor dem sich die Ereignisse abspielen. Kaufmann, wie auch andere Vertreter der französischen Paarsoziologie, ist davon überzeugt, dass Paarbeziehung (und Familie) das einzige Modell des privaten Lebens darstellt. Andere Lebensformen sind seines Erachtens Improvisationen, die im Hinblick auf jenes Modell entworfen werden und die alle längst nicht zu den Effekten führen, die eine Paarbeziehung hat (vgl. sein Buch "Singlefrau und Märchenprinz"). In Frankreich wird gern in der Dualität privates Leben – öffentliches Leben gedacht. Auf das öffentliche Leben aber hat man es sich angewöhnt, sehr kritisch zu sehen. Individualisierung wird dort auf einem überwiegend anderen Niveau diskutiert als hierzulande. Immer wieder ist von dem Preis die Rede, der für die neue individuelle Freiheit bezahlt werden muss (vgl. Alain Ehrenberg: Das erschöpfte Selbst).
Vor diesem Hintergrund sieht das soziologische Frankreich das Paar als die Antwort auf die Schwierigkeiten unserer Zeit. Es ist vor allem eine identitäre Arbeit, die im Paar geleistet wird und durch die das Individuum für den Alltag im öffentlichen Bereich des Lebens gestärkt wird. – Unter dem Schlüsselwort der Identität werden von Jean-Claude Kaufmann, Franç�ois de Singly und anderen alle diejenigen Erscheinungen und Tätigkeiten zusammengefasst, die eine Integration des Einzelnen auf der privaten Ebene ermöglichen. - Die Freiheit "sich selbst zu erfinden", ein Privileg des Alleinlebens, wird zu dem Preis, den das Individuum zu zahlen hat, sobald es sich in eine dauerhafte Paarbeziehung begibt. Die Entlastung jedoch, die damit einhergeht, bleibt den Individuen in den meisten Fällen kaum verborgen. J.- Cl. Kaufmann spricht hier von einem "confort conjugal", von konjugalen (also durch die Paarbeziehung ermöglichten) Erleichterungen oder Bestärkungen eines schwierigen Alltags in einer aggressiven und destabilisierenden Gesellschaft. Diese Erleichterungen finden auf verschiedenen Ebenen statt, von der die wichtigste die identitäre Ebene ist.
Die gesamte französische Paarsoziologie geht in ihren Überlegungen von einem Text aus: Das ist Peter Bergers und Hansfried Kellners "Die Ehe und die Konstruktion der Wirklichkeit in der Ehe" von 1960. In diesem kurzen Aufsatz wird ein sehr radikaler identitärer Wandel der Individuen durch die Paarbeziehung (die 1960 fast immer die Gestalt der Ehe hatte) verfochten. Kaufmann, aber auch andere, wie der nicht weniger bedeutende Fran�ois de Singly, denken in ihren Büchern die für sie sehr plausible Vorlage Bergers und Kellners ausführlich weiter. Auf diese Weise ist Paarforschung in Frankreich eine Forschung zu Identität in Paarbeziehungen. Die Irritationen, die das Paar pausenlos erlebt, können so auch als Begleiterscheinung der Entwicklung einer Paaridentität betrachtet werden. Tatsächlich nimmt der Ärger in Paaren auch im Lauf der Jahre immer mehr ab. Die tägliche Arbeit der Vereinheitlichung, auf die auch jedes "agacement" hinausläuft, wird zunehmend effektiver. – Es versteht sich von selbst, dass man aus einem soziologischen Standpunkt das Verschwinden einer eher geglaubten als vorhandenen Originalität der Individuen zugunsten einer Identität des Paares nicht ernsthaft wird bedauern können. – Zum Trost sei gesagt: Es bleiben immer noch genügend Eigenheiten übrig, auch wenn die Freiheit sich selbst zu erfinden, zwischenzeitlich verschwunden ist.
Weitere Thesen in der Reihenfolge der Kapitel
Eines der interessantesten Kapitel dieses Buches behandelt die geschlechtstypische Sozialisation in
der Paarbeziehung. Trotz Gleichberechtigung kristallisiert sich im
häuslichen Alltag relativ rasch eine Arbeitsteilung heraus, die prinzipiell die
typischen Geschlechter-Funktionen früherer Generationen spiegelt. Auch wenn die
Beteiligten anfangs ehrlich an einer "gerechten" Aufteilung der Aufgaben
interessiert sind, mittels des kulturellen Gedächtnisses geraten sie wieder in
traditionelles Fahrwasser, wenn auch der Mechanismus ein ganz anderer ist.
Paradox dabei: Die Paarbeziehung führt zwar zu einer eigentlich ungerechten Aufteilung
von Rollen in "Hauptdarsteller" und "Nebendarsteller" in der Organisation und Bewältigung des
Haushaltes – aber erst die zeitweilige Außerkraftsetzung dieser Rollen
führt zu Konflikten. Um Dissonanzen zu vermeiden, müsste der Nebendarsteller
"die dominierende Methode akzeptieren und sich verkneifen, seine Meinung zu
sagen, wenn er nicht eine Lawine von Ärger lostreten will. Er hat jedoch das
Bedürfnis nach individueller Selbstbestätigung, und außerdem wird sein Rückzug
erschwert durch häufige punktuelle Umkehrungen" (59).
Diese erst im Paar sich verfestigenden, geschlechtstypischen
Differenzierungen führen nach Kaufmann
zu grundsätzlich unterschiedlichen Auffassungen über den Umgang mit Zeit und
Ressourcen. Dies vertieft die Kluft zwischen den Beziehungspartnern, die bereits
durch die unterschiedlichen Mikro-Kulturen vorhanden war. Eine Koordination
gemeinsamen Handelns wird unter solchen Voraussetzungen grundsätzlich
problematisch.
Den Mechanismen, die zu schweren Irritationen führen, geht Kaufmann gleichfalls nach. Einerseits haben wir es hier mit der für den anderen ärgerlich durchschaubaren Fiktion einer kohärenten Identität des Partners zu tun: Der andere greift eben auf unterschiedliche Modelle von Identität zurück, die mal fusionell mal fissionell (betont individuell) sind und von außen gesehen sehr widersprüchlich erscheinen. Andererseits sind Anlässe der Irritationen für die Akteure äußerst schwer auszumachen. Rationale Argumentationen sind es oft nicht, die zur Klärung führen. Dazu sind menschliches Handeln und kognitive Mechanismen zu wenig rationalen Prinzipien unterworfen.
Nachdem Kaufmann auch das typische Schwiegermutterproblem beleuchtet hat, die Abgründe gegenseitigen Rachenehmens und Quälens, werden schließlich die Taktiken des Rückzugs und der Versöhnung besprochen. – Wie kann Paarbeziehung überhaupt funktionieren? Nun, wenn der resistente Bestand an Mikro-Kultur für die Ärgernisse verantwortlich war, dann ist es die Paaridentität, jene Identität, die jeder Beziehungspartner in Bezug auf den anderen entwickelt, die das Paar wieder zusammenführt und im Laufe seiner Existenz immer enger zusammenbringt. Die Akteure sind in der Lage, die Perspektive eines Wir einzunehmen, wie sie auch in der Lage sind, die Dissonanz, die der andere erzeugt, aus dem Blickwinkel ihrer Liebe zu ihm zu sehen. "Aus der autistischen Sackgasse entkommen" (213) kann das Individuum mittels der gleichen identitären Plastizität, durch die es in sie immer wieder gerät. – Doch dies ist das Thema eines anderen Buches.
Was zu erforschen bleibt
Nicht berücksichtigt werden bei Kaufmann in diesem, wie in den meisten anderen seiner Bücher auch, diejenigen, die sozial sich in einer unvorteilhaften Lebenssituation befinden. Das ist auch seinen Erhebungsmethoden geschuldet: Seine Interviewpartner hat er über Zeitungsannoncen gefunden, in denen er an der Forschung interessierte dazu einlud, mit ihm via E-Mail in Kontakt zu treten und ihm Berichte über den eigenen Ärger im Paaralltag zu schildern.
Besonderheiten: ein kulturspezifischer Wissenschaftsstil
Der Stil von Kaufmanns Darstellung ist weniger ein individuelles als ein kulturelles Phänomen. Der französische Wissenschaftsstil (von dem sich Bourdieu entschieden distanzieren wollte) ist durch Eleganz der Sprache geprägt, welche in Deutschland bekanntlich keine größere Rolle spielt. Eine breitere Öffentlichkeit wird von vorneherein für die eigenen Darstellungen vorausgesetzt. Da muss es nicht verwundern, wenn soziologische Werke aus Frankreich sich oft durch eine gut verständliche und plastische Sprache auszeichnen. – Es besteht aber gerade aus diesem Umstand heraus auch immer die Möglichkeit des Missverstehens für uns: Was da von Kaufmann scheinbar so leicht hingesagt wird, hat oft einen viel größeren Tiefgang als wir als Deutsche zunächst vermuten (vgl. dazu die Untersuchungen zu Wissenschaftsstilen von Johann Galtung oder Richard Münch u.a.).
Gedanken zur Übersetzung
Anke Beck folgt in ihrer Übersetzung der Freude Kaufmanns an der alltagssprachlichen Ausdrucksweise. – Wer selbst alltagssprachliche Übersetzungen aus dem Französischen versucht, weiß: es geht eigentlich nicht. Bei aller Achtung für die heikle Arbeit der Übersetzerin kann man dennoch zum Eindruck gelangen, dass diese Übersetzung die natürliche Distanz zwischen zwei einander fremden Kulturen nicht überbrücken kann. Jean-Claude Kaufmanns Botschaften scheinen in der Originalsprache so mühelos formuliert und eine wörtliche Übersetzung ins Deutsche nahe liegend. 1.) Doch was die Franzosen bei einem recht alten Wort wie "agacer" assoziieren, ist etwas anderes, wie wenn wir das neudeutsche Verb "nerven" hören, dass anders als "agacer" eine reichlich beschränkte Verbreitung besitzt und dessen zu erwartende Lebensdauer vielleicht sehr gering bleibt. 2.) Die Übersetzung (oder Ersetzung) wichtiger zentraler Ausdrücke oder Schlüsselbegriffe durch eine deutsche Entsprechung ist ebenfalls problematisch. Eine "aventure conjugale" ist kein "Abenteuer der Beziehung". "Conjugal", dieses Wort, das in der französischen Soziologie kein Substantiv kennt, ist nicht "beziehungsmäßig". – Wir assoziieren mit (dem alltagssprachlichen Ausdruck) „Beziehung“ wohl eher ein Bild von Zweisamkeit, dass etwas mit der Distanz des Individuum zum anderen zu tun hat, wogegen der französische (soziologische) Begriff der „relation conjugal“ seinen Bedeutungsschwerpunkt ganz woanders hat. – Genauso ist "Confort" nicht "Komfort" – ein "confort conjugal" folglich nicht die "Bequemlichkeit der Beziehung" und wenn Kaufmann schreibt, die Aufgabe des Paares bestehe auch darin, ein "instrument de réconfort" zu sein (und zwar gegen die destabilisierende Wirkung belastender Lebensbedingungen), dann liegt die Übersetzung mit "Instrument des Trostes" ganz sicher etwas neben dem, was der Soziologe Kaufmann mit seiner Formulierung meint.
Der Hintergrund dieser Schwierigkeiten, zeigt die interkulturelle Forschung, bildet vor allem der Umstand, dass hinter Begriffen sich kulturspezifische Konzepte verbergen. Bei einer wörtlichen Übersetzung in eine andere Sprache werden wichtige Bedeutungsinhalte nicht mit transportiert. Assoziative Netzwerke, die beim Gebrauch der Wörter aktiviert werden, variieren zwischen den Sprachen einfach aufgrund des engen Zusammenhangs von Kommunikation und Kultur. – Eine manchmal weniger reflektierte Übersetzung vergrößert die Distanz zwischen der ursprünglichen Aussage und dem was wir verstehen sehr beträchtlich.
Und so kann es vorkommen, dass man immer wieder und letztlich übersetzungsbedingt ein bisschen befremdet ist, von der Redeweise der Interviewpartner, wie den Reflexionen des Soziologen.
Anke Beck hat sich für die leichte Lesbarkeit entschieden. Das scheint den Leserkreis zunächst zu öffnen, aber verschließt diesem Leserkreis auch wieder teilweise den Zugang zu den Gedanken des Autors. Die Distanz, die zu einem fremdsprachigen Werk verringert werden sollte, wird oft nur scheinbar überbrückt. So ist es bei der Lektüre dieses sehr ergiebigen Buches für den Leser sehr wichtig, reserviert gegenüber den eigenen Verstehensmöglichkeiten zu bleiben und Spielräume für Missverständnisse in Kauf zu nehmen. Wenn man sich nicht das Original daneben legen kann, bewährt sich das auch bei manchen Übersetzungen der Bücher Goffmans.
Kaufmanns Stil ist für eine wissenschaftliche Arbeit äußerst knapp. Es ist seine Art die Darstellung zu pointieren (oder sogar manchmal überpointieren?), wenn er Sachverhalte durch wenige oder nur ein Wort darstellt. Schwierig für uns nachzuvollziehen wird das dann, wenn in der Übersetzung ein deutsches Synonym für das französische Wort nicht gefunden werden konnte und an dessen Stelle nun etwas anderes steht.
Fazit
Ungeachtet der Schwierigkeiten von Übersetzungen aus einer Kultur in die andere bleibt der Übersetzerin ein großes Verdienst: Sie macht den Kaufmannschen Anteil an diesen wichtigen Forschungszweig zur Soziologie des Paares und der Familie auch einem deutschen Leserkreis zugänglich. Dass diese Ansätze, mit Hilfe derer sich Aussagen zur Zukunft von Familie und Paarbeziehung treffen lassen, hierzulande immer noch wenig rezipiert werden, liegt eben nicht nur an einem durch quantitative Analysen bestimmten Mainstream, sondern auch an den anscheinend sehr bedeutenden sprachlichen Hürden, über die uns diese Übersetzung hinweghilft.
Rezension von
Klaus Schmidt
M.A., Erziehungswissenschaftler
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Es gibt 4 Rezensionen von Klaus Schmidt.
Zitiervorschlag
Klaus Schmidt. Rezension vom 07.06.2008 zu:
Jean-Claude Kaufmann: Was sich liebt, das nervt sich. UVK Verlagsgesellschaft mbH
(Konstanz) 2008.
ISBN 978-3-89669-646-5.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/6233.php, Datum des Zugriffs 12.10.2024.
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