Projektgruppe ReduFix, Clemens Becker: ReduFix. Alternativen zu Fixierungsmaßnahmen[...]
Rezensiert von Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind, 30.11.2008
Projektgruppe ReduFix, Clemens Becker: ReduFix. Alternativen zu Fixierungsmaßnahmen oder: Mit Recht fixiert?
Vincentz Network
(Hannover) 2007.
107 Seiten.
ISBN 978-3-86630-018-7.
13,80 EUR.
Reihe: PowerBooks. Altenpflege-Bibliothek.
Thema
Fixierungen in der Regel in Gestalt von Fesselungen an Bett oder Stuhl stellen für Demenzkranke meist aus Gründen der Vermeidung einer Sturzgefährdung oder von Verhaltensauffälligkeiten (Weglaufgefährdung u. a.) einen massiven Eingriff in die Lebenswelt der Betroffenen dar, denn sie können sich diese Bewegungseinschränkenden Maßnahmen aufgrund ihres hirnpathologischen Abbauprozesses nicht mehr erklären. Sie spüren meist nur die Fesselung und wehren sich mit all ihren noch verbliebenen Kräften dagegen. Diese Fesselungen verursachen bei einem Teil der Demenzkranken einen kaum zu bewältigenden Überstress, der oft mit psychischen und physischen Dekompensationen bis hin zum Tod verbunden ist.
Bei ReduFix handelt es sich um ein Modellvorhaben zur "Reduktion von körpernahen Fixierung bei demenzkranken Menschen in Heimen", das in Altenpflegeeinrichtungen in Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen in den Jahren 2004 bis 2006 durchgeführt wurde. Das Ziel des Projektes bestand aus dem Ansinnen, die Anzahl fixierter Personen und deren Fixierungszeiten zu senken. Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und dem Forschungskolleg Geriatrie der Robert Bosch Stiftung gefördert.
Mitwirkende des Projektes
Die Projektgruppe bestand aus folgenden Personen: Clemens Becker (Projektleitung), Simone Branitzki, Doris Bredthauer, Virginia Guerra, Andreas Klein, Thomas Klie (Projektleitung), Petra Koczy und Ulrich Rißmann.
Aufbau und Inhalt
Die Inhalte dieser Publikation basieren auf dem Handbuch, das als Schulungsgrundlage für das Modellvorhaben erarbeitet wurde.
- Zu Beginn wird auf den Stand des Wissens über Bewegungseinschränkende Maßnahmen (BEM) eingegangen. BEM beschränken sich nicht nur auf körpernahe Fixierungen mittels Gurte oder Bänder, auch Geristühle mit festgestecktem Tisch, Bettgitter und auch verschlossene Türen zählen hierzu. Es wird angenommen, dass ca. 5 - 10 Prozent der Heimbewohner in Deutschland meist zum Schutz vor eventuellen Stürzen körpernah fixiert werden.
- Hieran anschließend werden die direkten Gefahren der BEM aufgeführt: Kontrollverlust, erhöhter Stress, Quetschungen, Nervenverletzungen, Ischämien und auch Todesfälle aufgrund von Herzversagen oder Ersticken. Indirekte Gefahren durch BEM entstehen durch medizinische Komplikationen wie Pneumonie, Dekubitus, Thrombosen und durch Muskelatrophie und Gleichgewichtsstörungen.
- Eingehend werden dann alternative Handlungsmöglichkeiten zur Vermeidung von BEM angeführt und erläutert: u. a. Umgebungsfaktoren baulicher und Milieubezogener Art, Verwendung von Mobilitätshilfen, u. a. technische Hilfsmittel wie Hüftprotektoren, "Anti-Rutsch"-Stuhlauflagen und Anti-Rutsch-Socken, Aufstehhilfen und der Einsatz elektronischer Hilfsmittel (z. B. Sensormatten, Alarmsysteme). Des Weiteren wird auch auf Geh- und Balancetraining, die Durchführung eines Risikomanagements und den Einsatz von Betten mit verstellbar niedriger Liegehöhe (ca. 30 cm) verwiesen.
- Der Entscheidungsprozess für eine
Fixierungsmaßnahme mit den dafür erforderlichen sechs Schritten wird
dargestellt:
- Analyse der Situation,
- Einschätzung der Alternativen,
- Maßnahmeplan zur Herbeiführung einer Entscheidung,
- Treffen der Entscheidung,
- Durchführung der Maßnahmen und
- Beobachtung und Evaluation.
- Ausführlich werden im letzten Abschnitt die Rechtsfragen im Zusammenhang mit Fixierungsmaßnahmen vorgestellt und teils mit Gerichtsurteilen und Praxisbeispielen aus dem Heimbereich belegt und veranschaulicht.
Diskussion
Die vorliegende Schrift zeichnet sich durch eine Reihe von Faktoren aus, die eine starke Orientierung auf die Bedürfnisse der Zielgruppe erkennen lässt:
- allgemeinverständliche Ausführungen,
- übersichtlich gegliederte Zusammenfassungen und Kernaussagen (teils farblich hervorgehoben),
- Abbildungen und auch Fotos (Hilfsmittel).
Der Anspruch der Publikation, u. a. Handlungssicherheit im Umgang mit den rechtlichen Fragen in diesem Bereich im pflegerischen Alltag zu vermitteln (Klappentext), wird in ausreichendem Maße eingelöst. Folgende Aspekte einer Fixierung Demenzkranker im Heim sollten nach Einschätzung des Rezensenten darüber hinaus bei der Erfassung dieses Gegenstandsbereiches Berücksichtigung finden:
- Abbauprozess bei der Demenz vom Alzheimer-Typ: Im Stadium 7 der Reisbergskala FAST (Functional Assessment Staging) geht allmählich das Vermögen verloren, selbständig gehen zu können. Hierbei wird in den Heimen oft ein Widerspruch zwischen Wahrnehmung und Leistungsvermögen bei Demenzkranken beobachtet. Konkret bedeutet dies, dass Demenzkranke in diesem beginnenden Immobilitätsstadium der Ansicht sind, sie könnten noch gehen. Bei den Gehversuchen stürzen sie jedoch bereits beim ersten Versuch. Auf dieses Abbauphänomen sollten Pflegende gezielt hingewiesen werden, damit rechtzeitig Schritte in Richtung einer Sturzprophylaxe unternommen werden können.
- Stressreduktion durch sanfte oder versteckte Fixierungen (tief liegende Sessel oder Sitzkissen u. Ä.): Bewusst oder unbewusst werden in den Heimen tief liegende Sitzmöbel zur Ruhigstellung meist motorisch sehr unruhiger Demenzkranker verwendet. Meist geschieht dies nach längeren Wanderphasen der Demenzkranken, wenn sich abzeichnet, dass die Betroffenen sich kurz vor einem körperlichen Zusammenbruch befinden.
- Stressreduktion durch Ablenkungsutensilien: Demenzkranken im Geristuhl mit festgestecktem Tisch erhalten Beschäftigungsutensilien, die sie einerseits vom Zustand der Fixierung ablenken und die andererseits Möglichkeiten der Abfuhr der motorischen Unruhe bieten.
- Das Grundprinzip beim Einsatz von Fixierungsmaßnahmen bei Demenzkranken sollte aus der Handlungsempfehlung bestehen, dass Demenzkranke im Falle einer Fixierung diesen Zustand möglichst gar nicht wahrnehmen sollten. Denn aufgrund ihres Krankheitsbedingten niedrigen Stress- und Belastungsniveaus könnte das Erleben der Fixierung leicht zu extremen physischen und psychischen Überstressreaktionen führen, die es zu vermeiden gilt. Diese Sachverhalte sollten praxisnah in den Heimen erprobt und parallel hierzu juristisch eindeutig abgeklärt werden.
Fazit
Die vorliegende Publikation kann allen Pflegenden in den Heimen zur Lektüre empfohlen werden. Sie bietet erste Grundlagen und eignet sich daher auch als Schulungs- und Fortbildungsmaterial in den stationären Altenhilfeeinrichtungen.
Rezension von
Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind
Gerontologische Beratung Haan
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Zitiervorschlag
Sven Lind. Rezension vom 30.11.2008 zu:
Projektgruppe ReduFix, Clemens Becker: ReduFix. Alternativen zu Fixierungsmaßnahmen oder: Mit Recht fixiert? Vincentz Network
(Hannover) 2007.
ISBN 978-3-86630-018-7.
Reihe: PowerBooks. Altenpflege-Bibliothek.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/6247.php, Datum des Zugriffs 20.09.2024.
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