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Robert Bering, Luise Reddemann (Hrsg.): Schnittstellen von Medizin und Psychotraumatologie

Rezensiert von Prof. Dr. med. Gertraud Müller, 11.06.2008

Cover Robert Bering, Luise Reddemann (Hrsg.): Schnittstellen von Medizin und Psychotraumatologie ISBN 978-3-89334-475-8

Robert Bering, Luise Reddemann (Hrsg.): Schnittstellen von Medizin und Psychotraumatologie. Asanger Verlag (Kröning) 2008. 142 Seiten. ISBN 978-3-89334-475-8. 19,50 EUR.
Reihe: Jahrbuch Psychotraumatologie - 2007. Psychotraumatologie, Psychotherapie, Psychoanalyse - [Band 11].

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Thema

Seit Jahren nehmen Veröffentlichungen, die sich mit dem Thema "Psychotrauma" beschäftigen in erheblichem Maße zu, die Verwendung des Begriffs "Trauma" ist beinahe als inflationär zu bezeichnen. Daher haben es sich die HerausgeberInnen des Jahrbuches "Psychotraumatologie", Robert Bering und Luise Reddemann zur Aufgabe gemacht, wie sie im Editorial schreiben, "relevante Veröffentlichungen zur Integration der Psychotraumatologie in das zeitgenössische Medizinverständnis zusammenzutragen" und so einer breiteren LeserInnenschaft zugänglich zu machen. Die Schnittstelle zwischen Medizin und Psychotramatologie wird zweifach gesehen: Einmal suchen betroffene PatientInnen im Medizinsystem Heilung zum anderen kann die Störung mittelbar oder unmittelbar durch das Medizinsystem bedingt sein.

Aufbau

Das Buch enthält 10 Beiträge unterschiedlicher AutorInnen. Alle Kapitel enthalten eine deutsche und englische Zusammenfassung und viele am Ende ein Fazit für die Praxis und  Anregung für künftige Forschungsarbeit. Inhaltlich ist es in vier Themengebiete gegliedert:

  1. Neurobiologie und Psychopharmakologie der Posttraumatischen Belastungsstörung.
  2. Umgang mit Belastungsstörung in der hausärztliche Versorgung (Traumatisierung im Rahmen der medizinischen Versorgung im Allgemeinen und der Intensivmedizin im Besonderen, Sekundärprävention von Posttraumatischer Belastungsstörungen in der allgemeinmedizinischen Praxis).
  3. Die psychotraumatologische Ätiologie  in ausgewählte Problemstellungen der Allgemeinmedizin (Schmerzsyndrome, Schlafstörungen, vegetative Regulationsstörungen/Somatisierungsstörungen, Abhängigkeitserkrankungen).
  4. Begutachtung von Trauma und Traumafolgestörungen.

Zielgruppe

Primäre Zielgruppe dieses Jahresbandes sind sicherlich Allgemeinärzte und -ärztinnen, sowie InternistInnen. Darüber hinaus alle Berufsgruppen, die mit traumatisierten PatientInnen arbeiten; manche Kapitel wären für alle Professionellen, die im Gesundheitssystem arbeiten, lesenswert: Z. B. der Beitrag von O. und L. Reddemann, in dem es  auch um "strukturelle Gewalt" im medizinischen Versorgungssystem geht; hier sind z. B. auch Verwaltungsangestellte im Krankenhaus angesprochen.

Inhalt

Da das Buch aus in sich abgeschlossenen Beiträgen verschiedenster AutorInnen besteht, verwundert es nicht, dass die Kapitel sehr unterschiedlich sind: Einmal haben sie erheblichen theoretischen Tiefgang – so ist es eine Freude sich von K. und R. Mostetter bei ihren Betrachtungen zur "Körper-in-seiner-Umwelt-Dialektik" zu den Gedankengebäuden von T.v. Uexküll und G. Hegel entführen zu lassen oder mit viel Konzentration die Verknüpfung der unterschiedlichen neurobiologischen Stränge (Anatomie, Transmitter, Hormone und ihre wechselseitigen Beziehungen) mit der Zeitachse des posttraumatischen Prozesses im Kapitel "Neurobiologie der Posttraumatischen Belastungsstörung im Vierebenenmodell" von R. Bering, G. Fische und F. F. Johansen nachzuvollziehen. Andere Kapitel wiederum sind sehr konkret, mit illustrierenden Fallbeispielen, wie der Beitrag von C. Pross, der Kriterien zur Unterscheidung fingierter von tatsächlichen posttraumatischen Belastungsstörungen an die Hand gibt oder das klare, wohlbegründete Vorgehen bei der Sekundärprävention der Störung in der allgemeinmedizinischen Praxis, wie es von R. Bering, C. Schedlich, G. Zurek, G. Fischer beschrieben wird.

Diskussion

Das Buch macht deutlich, wie häufig man, oft im Deckmantel von Komorbiditäten versteckt, den Spuren traumabedingten Leidens in der Allgemeinmedizin begegnet und wie man dieses nach bestem, empirisch untermauerten Wissen, lindern kann. Dabei verstehen es die AutorInnen, auch mittels Schemazeichungen, sehr komplexe Zusammenhänge verstehbar zu machen und so ist der Jahresband für jede/n, der /die mit dem Thema befasst ist, eine sehr lohnenswerte Lektüre, die Lust auf mehr Informationen zu diesem Thema macht.

Dass die Artikel in sich abgeschlossene Einheiten sind, hat den Vorteil, dass sie unabhängig voneinander lesbar sind, den Nachteil, dass es zu Wiederholungen kommt. Das Kapitel "Potenziell traumatogene Faktoren in der Intensivmedizin" von D. Bürgin hält nicht ganz, was die Überschrift verspricht – mindestens die Hälfte des Beitrages ist ein (sehr interessanter!) Exkurs zum (psychoanalytischen) Traumabegriff. Auch der Titel des Jahrbuches "Schnittstellen von Medizin und Psychotraumatologie" bereitete der Rezensentin beinahe körperliche Schmerzen: Geht man von einer biopsychosozialen Medizin aus, so ist die Psychotraumatologie Bestandteil der Medizin (und klinischen Psychologie) – Schnittstellen kann es dann allenfalls mit der Allgemeinmedizin geben. Die Titelgebung  ist besonders auch deshalb unverständlich, weil die AutorInnen es in bewundernswerter Weise geschafft haben, komplexe Zusammenhänge eben nicht vereinfacht sondern als ein kunstvolles mehrdimensionales Geflecht aus neurobiolgischen, philosophischen, prozesshaften (Diagnostik zu einem Zeitpunkt greift zu kurz) biographisch-individuellen usw. usw. Strängen zu fertigen. Dieses gekonnte Flechtwerk hätte eine sorgfältigere redaktionelle Überarbeitung –es finden sich viele Flüchtigkeitsfehler, fehlende oder unsinnige Querverweise- verdient.

Fazit

Das "Jahrbuch Psychotraumatologie 2007, Schnittstellen von Medizin und Psychotraumatologie", gibt einen guten Einblick in die aktuellen, insbesondere für die Allgemein- und Innere Medizin relevanten Themenbereiche der modernen Psychotraumatolgie. Es ist praxisrelevant, verzichtet aber nicht auf eine tiefgründige Darstellung des theoretischen Hintergrundes und versteht es, komplexe Verknüpfungen unterschiedlichster Wissenschaftsbereiche verständlich darzustellen. Daher ist die Lektüre allen am Thema interessierten Berufsgruppen sehr zu empfehlen.

Rezension von
Prof. Dr. med. Gertraud Müller
Internistin, Psychotherapie; KIP-Therapeutin; Emerita, ehemals Fachbereich Sozialwesen der Evangelischen Fachhochschule Nürnberg
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Es gibt 14 Rezensionen von Gertraud Müller.

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ISSN 2190-9245