Albrecht Boeckh: Methodenintegrative Supervision
Rezensiert von Peter Schröder, 22.07.2008
Albrecht Boeckh: Methodenintegrative Supervision. Ein Leitfaden für Ausbildung und Praxis.
Klett-Cotta Verlag
(Stuttgart) 2008.
285 Seiten.
ISBN 978-3-608-89063-1.
26,00 EUR.
Reihe: Leben lernen - 210.
Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-608-89213-0 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.
Thema
Es ist schon beinahe eine Überraschung, wenn mal wieder ein Lehrbuch zur Supervision erscheint, so sehr dreht sich in der Beratungsszene inzwischen alles um Coaching. Das hat unterschiedlichste Gründe: Coaching ist "chicer" als Supervision, die Klientel kommt aus den Führungsstäben. Damit verbunden ist die Hoffnung, dass sich diese Tatsache auch in den Honorarbeträgen abbildet. Mit dem Satz: "Ich bin Coach" kann man das Gefieder weiter spreizen als mit dem Satz: "Ich arbeite als Supervisor". Und schließlich: die Mittel für Supervision werden in den Institutionen auf das Notwendigste beschränkt, beim Coaching hingegen steigt die Nachfrage. Das alles sind äußere Gründe. Es könnte aber auch sein, dass es Gründe für die Okkupation des Feldes durch das Format Coaching gibt, die in der Konzeption von Supervision selbst liegen. Mein Eindruck ist, dass es Supervisoren schwer fällt, das eigene Terrain selbstbewusst zu behaupten. Allzu schnell delegieren sie Themen und Aufgaben an ein anderes Format.
Autor und Entstehungshintergrund
Boeckh ist seit 1994 Kursleiter einer Supervisionsausbildung in Tübingen. Auf diesem Hintergrund ist auch das Lehrbuch entstanden, das sich auch als "Leitfaden für Ausbildung" versteht. Das lässt einen soliden Überblick über das Feld erwarten und eine begründete Auseinandersetzungen mit Nachbardisziplinen und Methoden, zumal der Ansatz ausdrücklich "methodenintegrativ" genannt wird.
Aufgaben der Supervision und Grundlagen aus der humanistischen Psychologie
Drei Aufgaben von Supervision nennt der Autor in der Einleitung:
- Bearbeitung von Anliegen in der Fallarbeit,
- Verbesserung der Zusammenarbeit und
- Entlastung bzw. Unterstützung der Supervisanden.
Unterschiedliche Methoden sind erforderlich, weil Supervision verschiedene Aufgaben hat und weil Supervisanden aus Kontexten mit unterschiedlichen Methodendominanzen kommen. Gleichwohl lassen sich Methoden nicht entsprechend der Zahl der Supervisanden einfach addieren: Es gibt einander ergänzende und einander widersprechende methodische Ansätze. Die von Boeckh gewählten Methoden wohnen allesamt unter dem Dach der humanistischen Psychologie:
- Rogers" Klientenzentrierte Gesprächstherapie,
- gestalttherapeutische Methoden,
- Greenberg"s Emotion Focused Therapy,
- systemisches Arbeiten,
- Elemente der Balintgruppenarbeit und des Psychodramas sowie
- Transaktionsanalyse.
Vor und über allen Methoden stehe allerdings, so betont Boeckh ausdrücklich, eine empathische, akzeptierende und authentische Beziehung.
Aufbau
Der Band ist in vier Kapitel gegliedert:
I. Grundlagen der Supervision
Boeckh beginnt mit der Darstellung unterschiedlicher Formen und Arbeitsfelder der Supervision und der Abgrenzung zu anderen Formaten von Beratung (Therapie, Selbsterfahrung etc.), dann wird der Rahmen beschrieben, in dem Supervision stattfindet: Kontakt - Kontrakt - externe/interne Supervision - Verstrickungen etc. Die nächsten Themen folgen dem idealen Ablauf einer Supervision-Sitzung: Ankommen, Anliegen, Evaluation der Ergebnisse der letzten Sitzung, Themenwahl, Fragestellung usw.
II. Organisation - Team - Konflikt
Das zweite Kapitel verlässt den engen Rahmen der dyadischen Supervisionsbeziehung und wendet sich Mehrpersonensettings zu. Dem Kapitel insgesamt, vor allem aber dem Abschnitt über Organisation kommt es zugute, dass Boeckh von Haus aus Soziologe ist. Er macht vor allem die Verbindungsstelle zwischen Person und Organisation deutlich, indem er die soziologische Rollentheorie für die supervisorische Arbeit nutzbar macht. Gruppe und Team sowie die Bedingungen ihrer Entwicklung sind ebenso Grundthemen der Supervision wie der Umgang mit Konflikten.
III. Im Zentrum steht die Beziehung
Wie schon andere integrative Supervisionsmodelle stellt auch Boeckh die Beziehung in den Mittelpunkt (was anders auch kaum zu denken wäre!). Und wie schon andere greift auch Boeckh dabei auf die Philosophie Martin Bubers zurück, der die Ich-Du-Beziehung von der Ich-Es-Beziehung unterscheidet und den Dialog als Wesensmerkmal des Menschen beschreibt. Dass das Selbst "a priori intersubjektiv" ist (S. 111), zeigen auch die Ergebnisse der Neuropsychologie: im Kontakt mit anderen werden Spiegelneuronen aktiviert, die Empathie ermöglichen. Genau an dieser zentralen Stelle sieht Boeckh auch die Notwendigkeit von Supervision begründet: "So begründet sich die Notwendigkeit von Supervision aus der 'Verstrickung' mit dem Klienten, die im Kontakt mit diesem notwendig entsteht. Grundlage dafür ist die dialogische Struktur des Selbst, das nicht nur das Ich, sondern immer auch den anderen impliziert, mit dem man im Kontakt ist." (S. 117).
Es folgt ein kurzer Abschnitt zum Verhältnis von Supervision und Psychotherapie, der wichtig ist zur notwenigen Abgrenzung und zur Sensibilisierung für die Frage, wann statt Supervision möglicherweise Therapie indiziert ist. Historisch halbwahr ist allerdings seine Darstellung, die Supervision habe sich aus der Kontrollanalyse der Psychotherapeuten heraus entwickelt. Das ist nur eine Quelle dessen, was wir heute unter Supervision verstehen. Die andere ist die professionelle Reflexion sozialer Arbeit, wie sie vor allem im Casework zuhause war. Boeckhs Sichtweise hat allerdings deutliche Auswirkungen auf sein Konzept von Supervision.
IV. Spezielle Methoden aus psychotherapeutischen Verfahren und ihre Integration in die Supervision
Den Anspruch, den der Titel "Methodenintegrative Supervision" erhebt, löst Boeckh im vierten Kapitel ein. Als erstes referiert er psychoanalytische Konzepte und Methoden, vor allem das Konzept von Übertragung und Gegenübertragung, das die Basis der Balint-Gruppen-Arbeit bildet. Danach referiert er einen systemischen Ansatz in der Supervision, dann die gestalttherapeutischen Methoden und die "Emotion Focused Therapy Greenbergs. Psychodrama und Transaktionsanalyse ergänzen das Methodenspektrum des Bandes, das der Autor noch einmal in einem abschließenden Abschnitt unter der Überschrift "Methodenvielfalt und Methodenintegration in der Supervision" reflektiert.
Diskussion
Zunächst: Boeckh hat ein gutes, solides und praxisrelevantes Lehrbuch vorgelegt, das in Form und Inhalt der Darstellung klar und übersichtlich ist. Die Methoden sind eben nicht, wie in manchen anderen "integrativen" Entwürfen, mehr oder weniger zufällig zusammengewürfelt, sondern in einen kohärenten Zusammenhang gebracht. Zudem handelt es sich um ein Methodenspektrum, das das Fach der Supervision seit langem begleitet und sich bewährt hat. Und gerade auf dem Hintergrund übernommener psychotherapeutischer Methoden finde ich die immer wiederkehrende Feststellung wichtig, dass Supervision keine Therapie der Therapeuten darstellt. Das Buch umfasst 280 Seiten und ist damit ein umfangreiches Lehrbuch. Und trotzdem hätte ich mir manche Aspekte ausführlicher dargestellt gewünscht. Aber die Möglichkeiten dafür sind notwendigerweise begrenzt - eine Möglichkeit, die manche anderen Lehrbücher nutzen ist die, am Ende eines Abschnittes Literatur zur Weiterarbeit zu nennen. Das wäre jedenfalls für AusbildungskandidatInnen hilfreicher als ein Gesamtliteraturverzeichnis am Ende des Bandes.
Einen Kritikpunkt habe ich schon anklingen lassen: Man kann Boeckh keineswegs vorwerfen, dass er das Fach Supervision grob verkürzt darstellt im Gegenteil: die Weite des Feldes wird gut präsentiert. Dennoch aber legt er sehr deutlich einen Schwerpunkt auf die Arbeit in der Fallsupervision in helfenden und beratenden Berufen: der Berater/die Beraterin steht (gerade in der Balintarbeit) mit dem Thema Übertragung und Gegenübertragung im Fokus. Supervision dient so der Professionalisierung solcher Beziehungen, und die Beziehung Berater - Klient ist das genuine Thema supervisorischer Arbeit. Das ist richtig - und längst nicht alles. Da würde gewiss auch Boeckh zustimmen, denn er nennt weitere Aspekte: Organisation, Rolle und anderes. Dennoch habe ich den Eindruck, dass er anderen Formaten zu viele Themen überlässt: das Arbeiten an individuellen Bewältigungsstrategien den Therapeuten, den Organisationsaspekt den Organisationsberatern und -entwicklern, das Thema Rolle und Potentialentwicklung den Coaches. So sagt er z.B., das Thema der eigenen beruflichen Entwicklung sei kein klassisches Supervisionsthema, sondern ein Coachingthema. (s. 225) ein solcher Rückzug tut, glaube ich, der Supervision nicht gut, weil der "Heimatboden" der Supervision durch solche Themaabtretungen immer knapper wird. Es liegt in der Logik einer solchen Entwicklung, dass Supervision sich in das Reservat zurückzieht, das ihr Therapie, Mediation, Coaching, Organisationsberatung etc. übriglassen.
Wolfgang Weigand, langjähriger Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Supervision, hat bereits 2004 darauf bestanden: "Supervision bleibt die Grundprofession und erweitert und differenziert sich über die anderen Disziplinen zu spezifischen professionellen Beratungsleistungen (Coaching, Moderation, Mediation, Projektbegleitung, Teamentwicklung, Organisationsentwicklung etc.)" (DGSv aktuell 2/2008 S. 20) Es gibt jetzt, vier Jahre später, keinen Grund für das Fach, ein geringeres Selbstbewusstsein an den Tag zu legen. Eine Supervisionsausbildung ist nicht zufällig in den weitaus meisten Fällen erheblich umfangreicher als eine Ausbildung zum Coach - eben weil Supervision eine umfassendere Perspektive einnimmt. Es wäre gut, wenn auch AusbildungskandidatInnen das nicht aus den Augen verlieren würden!
Fazit
Ein gelungenes und empfehlenswertes Buch - sowohl für Ausbildungsteilnehmer als auch für Ausbilder. Und darüber hinaus empfehle ich den Band auch gestandenen Praktikern: Es macht Spaß, sich auseinanderzusetzen und wieder einmal neue Perspektiven gezeigt zu bekommen!
Rezension von
Peter Schröder
Pfarrer i.R.
(Lehr-)Supervisor, Coach (DGSv)
Seniorcoach (DGfC) Systemischer Berater (SySt®)
Heilpraktiker für Psychotherapie (VFP)
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Zitiervorschlag
Peter Schröder. Rezension vom 22.07.2008 zu:
Albrecht Boeckh: Methodenintegrative Supervision. Ein Leitfaden für Ausbildung und Praxis. Klett-Cotta Verlag
(Stuttgart) 2008.
ISBN 978-3-608-89063-1.
Reihe: Leben lernen - 210.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/6312.php, Datum des Zugriffs 07.12.2024.
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