Regina Hunter: Scheidungsbewältigung im Kindes- und Jugendalter
Rezensiert von RA Claus-Rudolf Löffler, 10.06.2003

Regina Hunter: Scheidungsbewältigung im Kindes- und Jugendalter. Theorien und Resultate einer Befragung von jungen Frauen. Carl-Auer Verlag GmbH (Heidelberg) 2002. 217 Seiten. ISBN 978-3-89670-309-5. 24,00 EUR.
Einführung in das Thema
Das Auseinanderbrechen einer Ehe führt nicht nur zu Konflikten auf der Paarebene, sondern auch zu einer drastischen Veränderung der Lebenssituation der in der Familie betroffenen Kinder. Kinder müssen diese Veränderung bewältigen. Wie kann ein Kind in dieser Situation optimal unterstützt werden?
Hier setzt die Autorin an. Sie hat sechs junge Frauen im Alter von 21 Jahren ausgewählt und über ihre Bewältigungsgeschichte befragt. Das Buch enthält diese Ergebnisse und gibt einen Überblick über die gestellten Fragen und eine Zusammenfassung der Antworten. Sie fast die neue Erkenntnisse zum Thema "Scheidung" und "Bewältigungsforschung" zusammen und fordert eine Veränderung in der therapeutischen Behandlung aus den Erkenntnisse einer neueren, so genannten systemischen Theorie. Die wesentliche These dabei ist, dass der Einfluss des Systems, d. h. der Familie, auf ein einzelnes und behandlungsbedürftiges, aber nicht länger als krank definiertes, Individuum dadurch Bedeutung beigemessen wird, das die gesamte Familie mit einbezogen und behandelt wird. Diese von der Informatik und der technischen Wissenschaft kommende Systemtheorie kann nach ihrer Auffassung die herkömmliche Behandlungsmethodik ergänzen und verbessern.
Angaben zur Autorin
Die Autorin ist nach einer Ausbildung in integrierter Paar-Familientherapie, Gesprächspsychotherapie, klinischer Hypnose und Supervision seit 10 Jahren in eigener Praxis in Schaffhausen/Schweiz als Psychotherapeutin tätig.
Hintergrund für die Entstehung des Buches
Das Werk beruht teilweise auf der Dissertation "Positive Scheidungsbewältigung im Kindes- und Jugendalter" der Autorin und enthält deshalb in einigen Teilen sehr wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit veröffentlichten Publikationen in der Fachwelt (Kapitel 4 - 5). Die Kapitel 2- 3, Kapitel 6.5 - 6.7 sind auch praktisch genug, dass ein nicht fachkundiger Anwendungsleser, sie verstehen und Nutzen daraus ziehen kann.
Aufbau und Inhalte
Das Buch ist in 8 Kapitel gegliedert. Im Folgenden gehe ich auf die aus meiner Sicht interessantesten Teile des Buchs ein.
Im Kapitel 2 "Die Scheidungsbewältigung in der Praxis" geht es um die Darstellung der Befragung der sechs Frauen im Alter von 21 Jahren einschließlich der Frageliste und der Resultate.
Im Kapitel 3 "Die Scheidung" macht die Autorin zunächst Angaben zur Statistik. Sie beschäftigt sich dann mit Modellen der Entstehung der Scheidung. Interessant sind die Ausführungen zum Ablauf der Scheidung (Kapitel 3.6, Phase vor der Scheidung), wo die Autorin darstellt, dass viele Paare sich nicht darüber im klaren sind, dass die Scheidung nicht mit dem Vollzug der rechtlichen Scheidung aufhört, sondern dass aufgrund der Verworrenheit der Familienbeziehung der Prozess der Scheidung lange vor der Trennung selbst begonnen hat und über Jahre hinaus dauert.
Es folgt die Darstellung der Arten von Scheidungen z. B. "Scheidung, bei dem ein Elternteil einfach verschwindet", "überraschende Scheidung", "gewalttätige Scheidung", "späte Scheidung", "Lass uns die Kinder heraushalten-Scheidung". Je nach dem welche Scheidungsart die Eltern wählen, ist die Belastungssituation für die Kinder natürlich stärker oder schwächer.
Aus Abwehr von Schuldgefühlen schildert die Autorin in Kapitel 3.8 (Die Scheidung aus der Perspektive eines Kindes), dass die Kinder oft lange über die anstehende Scheidung im Ungewissen gelassen werden, was deren Ängste und Unsicherheiten verstärkt und das Vertrauen in die Eltern weiter erschüttert. Die Autorin betont, dass die Eltern den Kindern ihrem Alter entsprechende und konkrete Informationen geben sollten, die im Verlauf des Heranwachsens dann um weitere Einzelheiten ergänzt werden. Dort wo die Eltern die aufkommenden Fragen der Kinder beantworteten und sich ehrlich und nicht kontrolliert verhielten, fühlten sich die Scheidungskinder in der Beziehung zu ihren Eltern trotz der belastenden Situation sicher. Häufig aber sind die Kinder mit ihren Gefühlen allein, weil es für die Eltern zu schmerzhaft ist, die Erkenntnis zuzulassen, dass den Kinder die Trennung weh tut.Auch die Einfühlung in die eigenen Gefühle durch die Eltern und Unterstützung bei der Trauerarbeit wäre notwendig. Bauer stellte fest, dass in den seltensten Fällen die Eltern die Probleme ihrer Kinder in Verbindung mit der Ehekrise und Scheidung sehen, ganz besonders dann nicht, wenn diese länger zurückliegen. Ebenso vermeiden es die Kinder selbst, den Eltern Gespräche oder Schmerzen zuzumuten, weil sie spüren, dass ihre Eltern damit noch zusätzlich belastet würden. Für die Kinder bewirkt eine Scheidung meistens die Gefühle von Verlassenheit, Einsamkeit, Schuld und Angst.
In Kapitel 4 fasst die Autorin die wissenschaftlichen Erkenntnisse und Theorien in der Literatur und Praxis zum Thema "Traumatisierung und Scheidung" zusammen.
In Kapitel 5 befasst sich die Autorin mit "Fragen der Bewältigung". Sie gibt eine Zusammenfassung der verschieden entwickelten Modelle, die im psychischen Bereich entwickelt wurden und eingesetzt werden.
Das Kapitel 6 beschäftigt sich mit der "konkreten Bewältigung in der Scheidungssituation". Hier wird die Autorin wieder praktischer. Sie stellt verschiedene Verfahren vor, die angewandt wurden, um Kindern zu helfen. Sie benennt stabilisierende Faktoren. Es erfolgt die Umkehr dessen, was in Kapitel 1 als nicht erfüllte Bedürfnisse der Kinder dargestellt wurde.
Hilfreiche Personen kommen oftmals nicht aus der Elternschaft, weil die Eltern sich gerade nicht um die Bedürfnisse ihrer Kinder kümmern, sondern aus dem Umfeld, sei es Großeltern, sei es der neue Partner, sei es auch der Soziale Dienst oder aus dem weiteren Umfeld Vereine, Kirche usw. Die Autorin stellt die in der Literatur und Praxis entwickelten Lösungsvorschläge vor. In der Praxis hat sich auch die Teilnahme an "Scheidungsgruppen" bewährt, wo Kinder über die gemachten Erfahrungen sprechen. Die Autorin zitiert auch Ratschläge aus der Literatur für die Eltern und für die Kinder.
Die Autorin stellt in Kapitel 7 "Methodik" den Nutzen zweier neu aus der Wissenschaftstheorie herrührenden Methoden darzustellen. Es handelt sich um die Systemtheorie und die Chaostheorie.
Neu an diesem Ansatz ist, wie die Autorin darstellt, dass nicht der Einzelne nur im Blickfeld steht, sondern dass die Familie als System in die Betrachtung aufgenommen wird. Die Autorin führt die Herkunft der Systemtheorie aus den Naturwissenschaften her. Die Systemtheorie bietet Verständnis für das Funktionieren von Familien nicht als liniare Anleitung, sondern versucht grundlegende Strukturen und Modelle festzulegen, zu denen klassische Regelkreisläufe gehören. Das Ordnungsprinzip hoch komplexer Systeme ist nicht Ordnung, sondern die Kombination von Unordnung. Ähnliche Ansätze weist die Chaostheorie auf, die ebenfalls auch in der Unordnung Ordnungsgesichtspunkte feststellt. Die Autorin stellt dann die Forschung zur Chaostheorie dar.
Die Autorin stellt nun im Folgenden dar, wie sich die lineare Betrachtungsweise anhand von Fragen zur Beleuchtung der Situation in einen Familien-Test-System (Fast) umsetzen lässt. "Fast" würde die Möglichkeit gegeben, bildlich und visualisiert die Anwesenden und unterstützenden Personen in einer Scheidungssituation darzustellen. Die Versuchspersonen wurden darum gebeten, mittels Holzfiguren auf einem Brett ihre Familie vor und nach der Scheidungs darzustellen. Die Situation der Familie sollte dann nach der Scheidung zu einem Zeitpunkt, zu dem angenommen wird, dass sich die Familie bereits wieder rekonstruiert hatte, gezeigt werden. Die jungen Frauen sollten sich dabei im Kreis der unterstützenden Personen zeigen. Nach einer Aufstellung der Familie zum Zeitpunkt der Befragung stellten die Frauen schließlich noch die von ihr selbst in Zukunft zu gründende Familie auf. Die Autorin gibt an, dass das Fast (Familien-Test-System) mit den von ihr beschriebenen Fragestellungen aufgenommen wurde, jedoch aufgrund der Materialfülle nicht ausgewertet wurde. Die Aufzeichnungen sollen Gegenstand einer weiteren Arbeit sein.
In Kapitel 8 "Diskussion" fasst die Autorin noch einmal die wesentlichen Ergebnisse zusammen.
Diskussion
Die Autorin legt die Einbeziehung der ganzheitlichen Aspekte aus der systemischen Theorie nahe, die die Arbeit in den Konfliktsituationen verändern soll und die Verantwortung für die Eltern in Bezug auf die Kinder erhöht. Es wird deutlich, dass die Autorin es "für zukünftige Konfliktsituationen" der Betroffene für wichtig hält, dass diese sich des "Regelkreislaufes" bewusst sind, in dem sie sich befinden und wo für sie Klippen sind aufgrund der noch bestehenden Bewältigungssituation.
Schade ist, dass das Buch eigentlich an der Stelle endet, wo es interessant wird, nämlich wie weit der systemische Ansatz zu anderen Aussagen in dem Ablauf der Bewältigung oder in der Therapie kommt als andere Ansätze. Angesprochen wird das Familien-Test-System (FAST). Wie sich aus einigen Gesprächen ergibt, scheint dort die Bewältigung zwar im Bewusstsein der Frauen als "erfolgreich" angesehen zu werden. Der Leser könnte aber vermuten, dass bei einem systemischen Test sich herausstellen würde, dass eigentlich die Konfliktbewältigung - was die Vergangenheit angeht - noch nicht in allen Punkten hinsichtlich der Vergangenheitsfamilie abgeschlossen ist und dass vor allen Dingen die "aufgestellte Zukunftsfamilie" bei einigen der Betroffenen noch den Keim der eigenen Traumatisierung enthält, die die Autorin ja in Kapitel 5 umfangreich dargestellt hat und deren einzelne Gefahren aufgezeigt wurden. Ich denke, dass die Autorin aufgerufen ist, hier ein "Folgewerk" zu schreiben, um insoweit noch aus dem erfassten Material die ausgewerteten Ergebnisse aus Sicht der systemischen Theorie bzw. nach dem Familien-Test-System darzustellen und herauszuarbeiten, welches "Mehr an Information" diese Sichtweise zeigt im Vergleich zu der "herkömmlichen linearen Betrachtungsweise" und welche anderen Therapieansätze (erfolgreich) verfolgt wurden. Insoweit bleibt offen, was die systemische Theorie an konkreten Folgerungen an den aufgeworfenen Beispielfällen anders sehen würde oder anderes herausfindet, als die konventionelle Diagnose und Bewältigungstheorie.
Eine Abgrenzung und/oder Auseinandersetzung mit der ebenfalls "systemischen Therapie" nennenden "populistischen" Familienaufstellung nach Bert Hellinger "Ordnung der Liebe" mit dem entdeckten "wissenden Feld" findet nicht statt.
Fazit
Wer von Thema betroffen ist, wird für seinen eigenen Umgang mit dem Problem oder der eigenen Arbeit Anregungen gewinnen , wie er in der Situation handeln soll.
Rezension von
RA Claus-Rudolf Löffler
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Familien-, Steuer- und Erbrecht, Mediator, Leiter einer Übungsgruppe in Hannover
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