Jürgen Link, Hartmut Neuenhoff: ´Normalität´ im Diskursnetz soziologischer Grundbegriffe
Rezensiert von Prof. Dr. Gregor Husi, 24.09.2009

Jürgen Link, Hartmut Neuenhoff: ´Normalität´ im Diskursnetz soziologischer Grundbegriffe. Synchron (Heidelberg) 2003. 300 Seiten. ISBN 978-3-935025-27-0.
Thema
Der angezeigte Sammelband erschien als dritter Band der Reihe «Diskursivitäten – Literatur, Kultur, Medien», die von Klaus-Michael Bogdal, Alexander Honold und Rolf Parr herausgegeben wird und sich dem Paradigma der Diskurstheorie in einem weiten Sinne verschrieben hat. Zugleich zählt er zu den drei Bänden, die unter dem Titel «Grundlagen des Normalismus» versammelt wurden. Der sog. Normalismus wird in den von namhaften Autorinnen und Autoren, darunter zum Beispiel Cornelia Bohn, Alois Hahn, Ulrich Oevermann, Karl-Siegbert Rehberg oder Johannes Weiß, verfassten Beiträgen zu unterschiedlichen (meist) soziologischen Standpunkten in Beziehung gesetzt, um das theoretische Potenzial dieses Konzepts auszuloten.
Herausgeber
Jürgen Link war bis 2005 Professor am Institut für Sprach- und Literaturwissenschaft an der Universität Dortmund; Thomas Loer ist Privatdozent an der TU Dortmund; Hartmut Neuendorff ist emeritierter Professor für Soziologie an der TU Dortmund.
Aufbau und Inhalt
Die Herausgeber weisen in ihrer Einleitung gleich zu Beginn richtig darauf hin, dass das Thema der Normalität schon von den soziologischen Klassikern überliefert ist. Geläufig sind in der Soziologie Nachbarbegriffe wie Norm, Normativität, Routine, Ritual, Habitus, Muster, Rahmen, Erwartungshorizont usw. Klärungsbedürftig ist für die Herausgeber vor allem das Verhältnis von Normalität und Gewohnheit, Habitus, Alltag. Ihr enges Begriffsverständnis von ‹Normalität› «im Sinne eines spezifisch modernen, europäisch-nordamerikanischen Dispositivs, als dessen historisches Apriori die Verdatung der Gesellschaft, im Sinne der Erfassung und Verbreitung von Massendaten, bestimmt wird» (S. 8), akzentuiert besonders die Differenz von Normalem und Norm, von Normalität und Normativität. «Die orientierende und legitimierende Funktion des ‹Normalismus› als der Gesamtheit von Diskursen, Verfahren und Institutionen, durch die in modernen Gesellschaften allgemeine und systemspezifische ‹Normalitäten› hergestellt werden, bezieht sich vorrangig auf die Verfahren der rekursiven Selbststeuerung der Systeme» (S. 9). Die Normalitäten gründen systemspezifisch darauf, dass relevante massenhafte, von Menschen hervorgebrachte Ereignisse verdatet werden. Das normalistische Orientierungswissen besteht aus statistisch aufbereitetem Wissen über Durchschnittswerte, Verteilungen von Ereignissen, Abweichungsmasse und Extremwerte. Grenzen der Normalität werden willkürlich gezogen. Auf diese Weise werden Erwartungen kollektiviert. Diese modernen, an statistischen Daten orientierten Normalitäten überlagern sich mit überlieferten vormodernen Normalitäten im Sinne von Gewohnheiten, Üblichkeiten sowie mit Normativitäten.
Auf die Einleitung zur Publikation folgen insgesamt elf Beiträge, die in die beiden Teile «Das Normale, Normalitäten, Normen» und «Zum Verhältnis von Handeln und Struktur» gegliedert sind. Hier werden Bourdieu, Elias, Foucault, Goffman, Luhmann u.a.m. als Referenzautoren herangezogen. Eine Dialektik wird sichtbar beim Gedanken, dass das Anormale, indem es als solches ausgegrenzt wird, gleichsam normalisiert und darüber hinaus als normale Abweichung wieder in die Normalität zurückgeführt wird. Deutlich werden auch die theoretischen Verbindungen zum «normalen» soziologischen Diskurs über Erwartungen, Regeln, Regelmässigkeiten und Institutionen.
Zielgruppen
Die Buchbeiträge, die meistens in einem soziologischen Jargon verfasst sind, richten sich aufgrund ihrer disziplinären Ausrichtung vor allem an eine soziologische Leserschaft.
Fazit
Das Paradigma des Normalismus ist mittlerweile gut eingeführt und wird durch die Publikation aus unterschiedlichen soziologischen Perspektiven gewinnbringend und zuweilen auch kritisch beleuchtet.
Rezension von
Prof. Dr. Gregor Husi
Professor an der Hochschule Luzern (Schweiz). Ko-Autor von „Der Geist des Demokratismus – Modernisierung als Verwirklichung von Freiheit, Gleichheit und Sicherheit“. Aktuelle Publikation (zusammen mit Simone Villiger): „Sozialarbeit, Sozialpädagogik, Soziokulturelle Animation“ (http://interact.hslu.ch)
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Es gibt 41 Rezensionen von Gregor Husi.
Zitiervorschlag
Gregor Husi. Rezension vom 24.09.2009 zu:
Jürgen Link, Hartmut Neuenhoff: ´Normalität´ im Diskursnetz soziologischer Grundbegriffe. Synchron
(Heidelberg) 2003.
ISBN 978-3-935025-27-0.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/6393.php, Datum des Zugriffs 31.05.2023.
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