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Ulf Liedke, Frank Oehmichen (Hrsg.): Sterben. Natürlicher Prozess und professionelle Herausforderung

Rezensiert von Prof. Dr. Margret Flieder, 21.09.2009

Cover Ulf Liedke, Frank Oehmichen (Hrsg.): Sterben. Natürlicher Prozess und professionelle Herausforderung ISBN 978-3-374-02618-0

Ulf Liedke, Frank Oehmichen (Hrsg.): Sterben. Natürlicher Prozess und professionelle Herausforderung. Evangelische Verlagsanstalt (Leipzig) 2008. 272 Seiten. ISBN 978-3-374-02618-0. 24,00 EUR.
Akzente der Entwicklung sozialer Arbeit in Gesellschaft und Kirche ; Bd. 12.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.

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Entstehungshintergrund

Der Titel des Buches ist programmatisch: Die vielfältigen Perspektiven der Beiträge zeigen auf, dass Sterben ein höchst individueller Prozess ist – der gleichwohl professionelle Aufmerksamkeit, profundes Fachwissen und sensible BegleiterInnen benötigt. Die damit verbundenen beruflichen Herausforderungen richten sich vor allem an die begleitenden Berufsgruppen des Sozial- und Gesundheitswesens und der Seelsorge.

Es ist ein Buch mit regionalen Bezügen, repräsentiert durch namhafte Autorinnen aus dem Kontext der Evangelischen Kirche in Sachsen und der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit in Dresden.

Autoren

Der Band wird von Ulf Liedke und Frank Oehmichen herausgegeben.

Ulf Liedke ist Professor für Theologische Ethik und Diakoniewissenschaften an der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit in Dresden.

Frank Oehmichen ist Professor für Sozialmedizin und Ethik an der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit in Dresden und Chefarzt der Bavaria-Klinik für Langzeitbeatmung und Beatmungsentwöhnung in Kreischa.

Die AutorInnen der einzelnen Kapitel sind ausgewiesene Fach-ExpertInnen für ihr Thema, ein großer Teil von ihnen lehrt bzw. arbeitet in Sachsen. Angaben zu den AutorInnen befinden sich am Schluss des Bandes.

Aufbau und Inhalt

Der Band enthält 17 Kapitel.

Im Geleitwort von Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens Jochen Bohl wird auf die ethischen, politischen und ökonomischen Dimensionen des Sterbens und des Umgangs mit Sterbenden hingewiesen.

Die Herausgeber Ulf Liedke und Frank Oehmichen geben in ihrem Vorwort Einblicke in die Vielfalt des Themas Sterben und Sterbebegleitung. Ihr zentrales Anliegen richtet sich darauf, zu einer Diskussion neuartiger Fragen anzuregen.

Der erste Beitrag von Frank Oehmichen Wann beginnt das Sterben? macht aufmerksam auf den schwer zu bestimmenden Zeitpunkt dieser letzten Lebensphase. Gleichwohl handelt es sich um eine bedeutsame Entscheidung, die Oehmichen als Ergebnis eines gemeinsamen Abwägungsprozesses versteht, denn sie markiert die ärztlich verantwortete Entscheidung der Behandlung von kurativ nach palliativ.

Das zweite Kapitel von Reimer Gronemeyer und Andres Heller zu Sterben und Tod in Europa thematisiert zunächst die allgemeine Entwicklung des Modells der Palliativversorgung. Nachfolgend wird die Versorgung Hochbetagter als die zentrale soziale Herausforderung eines zusammen wachsenden Europas betrachtet. Ziel des Beitrags ist eine kritisch-reflektierende Betrachtung normierender bzw. egalisierender Elemente des Umgangs mit Sterbenden.

Mit dem dritten Kapitel Sterbekultur im Krankenhaus gibt Rainer Prönneke Einblicke in strukturelle Elemente des Sterbens im Krankenhaus. Er plädiert für ein Konzept zur Integration von Hospizidee und Palliativmedizin im Krankenhaus, das vor allem der Bereitstellung würdevoller und geeigneter Räume für Sterbende und ihre Angehörigen eine zentrale Rolle zuweist.

Der Titel des vierten Kapitels Chancen einer perimortalen Kultur durch die Implementierung von Palliativbetreuung im Pflegeheim von Frank Kittelberger macht aufmerksam auf notwendige Innovationen in der stationären Altenpflege. Frank Kittelberger thematisiert die Leitkategorie Menschenwürde für den Sterbeort Pflegeheim. Sein Anliegen richtet sich vor allem auf eine zu entwickelnde Palliativkompetenz in der stationären Altenpflege.

Lilo Dorschky macht Anmerkungen zur Sozialen Arbeit in der Sterbebegleitung. Sie geht der Frage nach, welche professionsspezifischen Beiträge der Sozialen Arbeit in Kooperation mit anderen Berufsgruppen in der Sterbebegleitung platziert werden können und arbeitet für die Soziale Arbeit wesentliche Elemente wie Reflexions- und Unterscheidungsfähigkeit anhand von Fallbeispielen heraus.

Die Vorbereitung von Ehrenamtlichen auf die Begleitung Sterbender ist Gegenstand des Kapitels von Uta Booth. Zwar liegen keine einheitlichen Richtlinien für diese Kurse vor, gleichwohl liegen von der BAG Hospiz Qualitätsanforderungen vor. Uta Booth erläutert zentral bedeutsame Anforderung an Kursleitungen (z.B. hospizlich-palliatives Fachwissen, Gender-Bezug, didaktische Erfahrungen) und an Teilnehmende von Kursen für Ehrenamtliche (Selbsterfahrung, Reflexionsfähigkeit, Aneignung neuer Kenntnisse). Anschließend gibt sie exemplarisch Einblicke in die Vorbereitungskurse nach dem Celler Modell, dem Würzburger Modell und dem Alpha-Modell.

Harald Christa beschreibt ausgewählte Grundlagen von Qualitätsmanagement in der Sterbebegleitung. Er sieht ein gezieltes QM als unterstützenden Beitrag für eine humane und wirtschaftliche Sterbebegleitung. Nach einer Klärung des Kundenbegriffs für diesen Kontext erläutert er Dimensionen der Prozess-, Struktur- und Ergebnisqualität, geht exemplarisch ein auf komplexere Verfahren der Qualitätsentwicklung wie TQM und EFQM für den Anwendungsort Hospiz.

Patientenverfügungen in der notariellen Praxis sind Gegenstand des Kapitels von Joachim Püls. Er erläutert rechtspraktische Aspekte bei der Errichtung von Patientenverfügungen wie Geltungsdauer und Formgebot und spezifiziert beispielhaft häufig vorkommende Fallkonstellationen.

Andrea Kreisch widmet sich begleitungsbezogenen Aspekten beim Sterben von Kindern und Jugendlichen. Als erstes nennt sie zentrale Bedürfnisse des betroffenen Kindes wie Schmerzfreiheit und größtmögliches körperliches Wohlbefinden, Wertschätzung und Nähe zu den geliebten Menschen. Anschließend geht sie ein auf die Bedürfnisse der Eltern und Geschwister. Dem großen Bedürfnis nach Information und Kommunikation räumt sie zugunsten einer gelingenden Bewältigung des Sterbens einen zentralen Stellenwert ein.

Im Mittelpunkt des Beitrags von Ilse Karsch steht die Frage: Verwaiste Eltern – was ist das eigentlich? Ilse Karsch schildert Erleben, Betroffenheit und Trauer der Eltern, die ein Kind verloren haben. Darüber hinaus macht sie aufmerksam auf Wege aus der Trauer, die u.a. durch regionale Selbsthilfegruppen angeleitet und begleitet werden können.

Barbara Schubert schreibt ein Kapitel Für Regina. Ihr Kapitel ist ein fachliches und ein persönliches, es erzählt von Verzweiflung, Zuneigung, Hoffnung und schwerer Krankheit. Und von einem Tod, der viel zu früh kam und dennoch eine Erlösung war.

Mit Sterben in Pflegeheimen befasst sich der Beitrag von Hans-Christoph Postler. Er schildert anhand eines idealtypischen Verlaufs die letzten Wochen in einem Pflegeheim, nimmt dabei Bezug auf pflegebezogene, medizinische und seelsorgerliche Aspekte. Ein einrichtungsbezogenes Konzept mit biografischer Arbeit und Gelegenheiten zur gemeinsamen Erinnerung sieht er als notwendige gemeinsame Aufgabe der beteiligten Berufsgruppen an.

Mit seinem Kapitel zu Sterbebegleitung und Trauerarbeit mit Menschen mit einer geistigen Behinderung lenkt Harald Wachsmuth den Blick auf eine spezielle Zielgruppe, die in zahlreichen Veröffentlichungen keine Berücksichtigung findet, gleichwohl sie von zahlreichen Verlusterfahrungen besonders betroffen ist. Harald Wachsmuth beschreibt Möglichkeiten zur Anwendung bindungstheoretischer Erkenntnisse und seelsorgerlicher Zuwendung für einen gelingenden Bewältigungsprozess.

Wolfgang Geilhufe liefert einen Exkurs zu Offenheit für spirituelle Erfahrung. Als Seelsorger im Osten Deutschlands begegnet er sowohl gläubigen Christen als auch überzeugten Atheisten. Sein Beitrag ermutigt zu Offenheit für unterschiedliche spirituelle Bedürfnisse in der Sterbebegleitung und für ein vorurteilsloses Ernstnehmen unterschiedlicher Weltanschauungen.

Sterberituale in der Pflege sind Gegenstand des Kapitels von Renate Tewes. Rituale im Sterbeprozess können dann eine heilsame und entlastende Wirkung entfalten, wenn Pflegende sich zuvor aktiv diese Bedeutung angeeignet haben und sie vermitteln können. Hierzu braucht es auch von institutioneller Seite Zeit und Raum, damit Sterbende in den Genuß sinngebender Rituale kommen können.

Harald Wagner stellt in seinem Beitrag die Frage Wozu Grabmale? Das Grabmal als Ort des Gedenkens und des kulturellen Gedächtnisses spiegelt das gesellschaftliche Verhältnis zu Fragen von Sinnfindung und Sinnverlust wider. Für Hinterbliebene sind Grabmale hilfreich für Erinnerung und Abschied, für Glaubensbezüge stehen sie für ein übergreifendes In-Beziehung-Sein.

In seiner abschließenden Betrachtung beschreibt Ulf Liedke theologische Überlegungen zum Prozess des Sterbens und zur Identität Sterbender mit der Überschrift „Mach es mit meinem Ende gut“. Die radikalen Herausforderungen an die Identität eines Menschen im Sterbeprozess stellen für alle Beteiligten größte Hürden dar. Der christliche Glaube bietet in der Begegnung mit dem Evangelium die Hoffnung auf Verwandlung und Teilhabe, die Chance für Kraftquellen und für Bewältigung.

Zielgruppe

Dieser Band eignet sich besonders für LeserInnen mit einschlägigen Vorkenntnissen und beruflichem Interesse an der aktuellen Diskussion um Sterben in Institutionen. Der Band ermöglicht fachliche Anregungen und Anknüpfungspunkte für Sozialwissenschaften, Management und Ökonomie, für Pflege und Gesundheitswissenschaften sowie für Theologie. Die Texte des Bandes können im Rahmen berufsbezogener Kompetenzentwicklung bzw. für Fort- und Weiterbildungen Anwendung finden. Einzelne Beiträge eignen sich auch für ein Schulungsprogramm mit Ehrenamtlichen.

Diskussion

Das Thema Sterben ist in diesem Band ausgesprochen breit aufgefächert – mit allen damit verbundenen Chancen und Risiken. Die Beiträge setzen zum Teil ein hohes Niveau an Vorkenntnissen voraus (z.B. die Beiträge von Gronemeyer/Heller, von Christa oder von Liedke), andere Texte wiederum sind sehr persönlich geschrieben und vermitteln große individuelle Betroffenheit (z.B. die Beiträge von Karsch und Schubert), ungeachtet aller fachbezogenen Vorkenntnisse.

Insofern kann der Band als Nachschlagewerk für Bibliotheken bzw. für Institutionen empfohlen werden, zu denen unterschiedliche Berufsgruppen Zugang haben.

Der Band enthält kleine formale Ungenauigkeiten: So ist die Reihenfolge der Ankündigungen im Vorwort nicht deckungsgleich mit der faktischen Reihenfolge der Beiträge im Band.

Fazit

Der Band ist für LeserInnen mit Vorkenntnissen interessant geschrieben und gut lesbar. Er gibt einen guten Überblick über die enorme thematische Breite des Themas und ermöglicht fachkundigen BegleiterInnen Einblicke in aktuelle Diskussionslinien. Wegen der Kürze der Beiträge kann eine intensivere Auseinandersetzung in diesem Band nur angedeutet werden, was die gute Qualität jedoch kaum schmälert.

Rezension von
Prof. Dr. Margret Flieder
Evangelische Hochschule Darmstadt
Fachbereich Pflege- und Gesundheitswissenschaften
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Es gibt 37 Rezensionen von Margret Flieder.

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ISSN 2190-9245