Heike Kruse: Zukunftsorientierte Personalentwicklung im Bereich der Behindertenhilfe
Rezensiert von Prof. Dr. Arnold Pracht, 19.03.2010

Heike Kruse: Zukunftsorientierte Personalentwicklung im Bereich der Behindertenhilfe. Von der Betreuung zur Teilhabe - der Mitarbeiter im Veränderungsprozess.
Lehmanns Media GmbH
(Berlin) 2008.
165 Seiten.
ISBN 978-3-86541-243-0.
17,00 EUR.
Reihe: Lüneburger Schriften zur Sozialarbeit und zum Sozialmanagement - Band 3.
Ausgangslage und Ziel
Derzeit ist bei den großen freien Trägern im Bereich Behindertenhilfe ein hoher Handlungsbedarf in Richtung auf konzeptionelle Veränderungen abzuleiten. Das Buch stellt sich nun der Aufgabe, einen geeigneten Ansatz der Personalentwicklung zu begründen, damit die Sozialwirtschaft angemessen dieser Herausforderung begegnen kann. Dabei wird der Anspruch formuliert, sehr praxisnah und prozessorientiert- auch unter Hinzuziehung von Handlungsempfehlungen und Tipps- Hilfestellungen zu geben. Die Autorin ist einschlägig bei einem Träger der Behinderten- und Altenhilfe an exponierter Stelle beschäftigt.
Inhalte
Nach der Einleitung, die auf die Brisanz des Themas eingeht und die Vorgehensweise erläutert, folgt das vermeintlich erste Kapitel. Hier geht es um die sozialarbeiterischen Konzepte der Behindertenhilfe im Wandel der letzten Jahrzehnte.
Betrachtet man die Realität in weiten Teilen der Behindertenhilfe, so kann man der Idee der Teilhabe, die hier als neuester Ansatz hervorgehoben wird, sogar einiges abgewinnen.
Schließlich eignet sich dieser Begriff sehr gut zur Überleitung ins nächste – dem vermeintlich zweiten - Kapitel. Hier werden die rechtlichen Grundlagen näher erörtert, wobei weitgehend das SGB IX im Vordergrund steht.
Sehr stark angelehnt an Wöhrle werden darauf aufbauend im Rahmen des dritten Kapitels die sozialpolitischen Veränderungen und ihre Auswirkungen auf die freien Träger der vergangenen Jahre bis zur Gegenwart repliziert. Darauf aufbauend wird nun – in einem zweiten Unterkapitel - in erster Linie Decker herangezogen, wenn es um die zukünftig zu erwartenden Entwicklungslinien geht.
Das Buch nähert sich nun im Rahmen des (vermeintlich) vierten Kapitels der Frage, was denn auf die Mitarbeiter im Bereich der Behindertenhilfe in naher Zukunft zukommen wird. (Expressis verbis nicht angesprochen, aber gemeint sind dabei wohl auch die Mitarbeiterinnen). Die Zielrichtung dieses Kapitels ist es, den Spannungsbogen hin zur Ableitung von Maßnahmen der Personalentwicklung aufzubauen.
Nun, endlich, im fünften Kapitel, widmet sich die Verfasserin des Themas „Personalentwicklung“. Dabei wurden auch die Bezüge zwischen Peronalentwicklung und Organisationsentwicklung hergestellt, sowie der Versuch unternommen, Personalentwicklung von Organisationsentwicklung abzugrenzen.
Das vermeintlich sechste Kapitel geht dann auf das Thema „Führung“ ein. Thematisch gipfelt dieses in der Forderung nach dem Prinzip „Führung mit Zielen.“
Im siebten Kapitel geht es dann um die Schritte zu einer integrierten Personalentwicklung. Hier spürt man, dass die Verfasserin in ihrem Element ist. Dies trifft im Übrigen auch auf das vermeintlich achte Kapitel zu, das dem Thema- „Maßnahmen zur Personalentwicklung“ – gewidmet ist. Hier werden insgesamt in aller Kürze zehn unterschiedliche Maßnahmenbündel vorgestellt.
Ebenso wie das Kapitel acht, hätte auch das neunte Kapitel weiter ausgebaut werden können. Zentrales Thema hier: Die Einführung eines Personalentwicklungssystems. Die besondere Stärke dieser Ausführungen liegen in ihrer Praxisnähe. Schließlich soll im vermeintlich zehnten Kapitel der Bezug der Personalentwicklung zur Behindertenhilfe – also einem wichtigen Anspruch dieses Buches – wieder hergestellt werden.
Dem abschließenden Nachwort wurde dann schließlich- wie im Übrigen auch der Einleitung- kein eigenes Kapitel gewidmet. Allerdings werden eindrucksvoll die einzelnen Aspekte des Buchs hier in aller Kürze rekapituliert.
Diskussion
Bereits abgeleitet aus der Gliederungssystematik kann eine gewisse „Zerfletterung“ vermutet werden. So wie hier geschehen, ist dieses Buch tatsächlich viel zu breit angelegt. Inhaltlich wird es kaum einmal dem gerecht, was die jeweilige Kapitelüberschrift verspricht. Ferner findet der Leser in diesem Buch keine „Mitte“. Der Einleitung wurde kein Gliederungspunkt gewidmet, so dass die Arbeit so richtig wohl erst mit dem darauf folgenden Kapitel beginnt. Im Rahmen der Ausführungen zu den Konzepten der Behindertenhilfe muss konstatiert werden,
- dass sich viele Angaben zu den dort genannten Zeiträumen mit der einschlägigen Literatur widersprechen,
- dass die dargestellten und diskutierten Konzepte hätten intensiver mit Literatur untermauert werden müssen und
- dass viele „Kernkonzepte“, wie z.B. das des Empowerment, der Lebensweltorientierung oder der Inklusion gar nicht erwähnt wurden.
Dem (vermeintlich) dritten Kapitel, wo es um die Einschätzung der Situation und der Zukunft der freien Träger geht, kommt insgesamt ein etwas einseitiger „düsterer“ Duktus zu, denn ihm fehlt eine breite Literarturbasis, um realitätsnahe Szenarien ableiten zu können. Nicht zuletzt auch wegen einer eklatanten Quellenarmut bleiben die Ausführungen in den ersten fünf Kapitel insgesamt stark im Prosaischen verhaftet. Im Rahmen der Definitionen zum Thema „Personalentwicklung“ wäre ein Quellenbezug zu den Koryphäen der entsprechenden Wissenschaftszweige, wie z.B. der der Personalwirtschaft (als Teilgebiet der BWL), der Arbeits- und Berufspädagogik sowie der Arbeits- und Organisationspsychologie sehr wünschenswert gewesen. Immerhin wurde mit Karlheinz Sonntag ein Vertreter der Arbeitswissenschaft herangezogen, der sich in ganz spezifischer Weise mit Personalentwicklung beschäftig. Sich tatsächlich fundiert mit den einschlägigen Wissenschaftszweigen auseinander zu setzen, hätte das Problem der Abgrenzung zwischen Personalentwicklung und Organisationsentwicklung erleichtert. Die hier im Rahmen des Kapitels zur Personalentwicklung vorgenommenen Abgrenzungsversuche können objektiv kaum nachvollzogen werden. Bei all den Definitionsversuchen im Rahmen dieses Buches wird zudem nicht klar, welche Position die Verfasserin vertritt. Im vermeintlichen Kapitel acht werden lateral einige gute Ansätze zur Personalentwicklung vorgeschlagen und diskutiert. Hier wäre eine Strukturierung, beispielsweise geordnet nach Lernorten, sehr hilfreich gewesen. Diese Gliederung wurde sogar von der Verfasserin selbst im letzten Unterpunkt („9.11 [Anm.: richtig wäre hier 8.11] Förder- und Qualifizierungsmaßnahmen im Überblick“) dieses Kapitels vorgeschlagen. Dass dann kurz vor Schluss noch der Bogen zum Thema Behindertenhilfe geschlagen wird, macht deutlich, dass dies leider in den vorhergehenden Ausführungen, sozusagen implizit, nicht gelungen ist
Fazit
Man kann das Buch, ohne Entscheidendes verpasst zu haben, getrost erst ab dem Kapitel sieben beginnen zu lesen. Alles andere eignet man sich besser in einschlägiger Literatur an. Das gilt sowohl für die Themen der Sozialen Arbeit (Konzepte für Menschen mit Behinderung) als auch für die Themen, die mit Sozialpolitik, Sozialwirtschaft, Personalmanagement und Personalentwicklung zu tun haben. Im Rahmen der Kapitel sieben und folgende wird zwar auch ein gewisses Theoriedefizit deutlich, aber die Praxisnähe tröstet hier über so manches hinweg. Schade, dass man den Eindruck hat, dass ausgerechnet hier die Verfasserin sich wohl selbst zum Kürzen angemahnt haben muss. Das Buch kann allen Praktikern in der Sozialwirtschaft empfohlen werden, unabhängig davon, ob sie nun in der Behindertenhilfe oder in anderen Feldern tätig sind. Es sollte aber auch dann unbedingt durch die Lektüre einschlägiger Literatur zum Thema Personalmanagement, insbesondere „Personalentwicklung“ sowie zum Thema „Organisationsentwicklung“ ergänzt werden.
Rezension von
Prof. Dr. Arnold Pracht
Hochschule Esslingen
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