Denise Kempen: Aufklärung von Gleich zu Gleich
Rezensiert von Prof. Dr. Ute Antonia Lammel, 27.04.2009
Denise Kempen: Aufklärung von Gleich zu Gleich. Peer-education in der Suchtprävention. Tectum-Verlag (Marburg) 2007. 278 Seiten. ISBN 978-3-8288-9475-4. D: 24,90 EUR, A: 24,90 EUR, CH: 43,70 sFr.
Thema
Im frühen bis späten Jugendalter ist die Übermittlung präventiver Botschaften durch Gleichaltrige, mit ähnlichem Erfahrungshintergrund und Status, wirksam. Erste Ansätze dieser Art von Suchtprävention entwickelten sich seit Mitte der 1990er Jahre in der Techno- und Partyszene. Die Aufklärung über Partydrogen wurde durch Szenekenner in den Feierkulturen der nächtlichen Welten verbreitet und fand gute Resonanz. (Lammel, 2003) Schon Ende der 1980er Jahre brachten derartige Projekte in der HIV-/ Aidsprävention sehr gute Ergebnisse.
Außerhalb des Partysettings konnten sich Peer-to-Peer-Suchtpräventionsprojekte in Deutschland bislang nicht etablieren. Derartige Projekte gelten als aufwendig, der Zielgruppenzugang und die Gewinnung von Peers als schwierig. Die wenigen existierenden Ansätze sind bisher kaum auf ihre Wirksamkeit hin evaluiert. Das Buch von Denise Kempen ist somit ein wertvoller Beitrag zur Information über die Peer-to-Peer-Education und gewährt, über die Vorstellung eines konkreten Projektes, Einblicke in Konzeption, Umsetzung und Möglichkeiten der Evaluation.
Autorin
Denise Kempen gehörte zum Forschungsteam in einen Kooperationsprojekt zwischen der Drogenhilfe und der Universität Köln. Sie präsentiert in ihrem Buch Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung des Suchtvorbeugungsprojektes an.sprech.bar, dass in den Jahren 2005 und 2006 durchgeführt wurde.
Der Peer-to-Peer Ansatz: Begrifflichkeiten
Der Begriff Peer Group ist aus dem Amerikanischen übernommen und in seiner Bedeutung in der Fachwelt strittig. Meist ins Deutsche übersetzt mit „Gleichaltrigengruppe“ wird allein die Gleichaltrigkeit als Kriterium betont. Nach Hornby (2000) sind Peers ein mehr oder weniger organisierter Zusammenschluss von Personen, die sich gegenseitig beeinflussen und etwa gleichen Status und gleiches Alter haben. Um die Qualität der Peer-Beziehungen in Ansätzen zu bestimmen, wählt die Autorin einen soziologischen Zugang. Im Rückgriff auf die Theorie von Charles H. Cooley (1864- 1929) wird die Sozialisationsfunktion von Primärbeziehungen beschrieben. Primärgruppen fungieren als wichtige soziale Kontrollinstanzen, beeinflussen das Handeln und Denken der Menschen und erfüllen grundlegende Bedürfnisse nach Geborgenheit, Zuneigung und Anerkennung. Die Peer Group stellt, ähnlich der Familie, einen Erfahrungsraum zur Verfügung, in dem der Mensch seine Identität entwickelt.
Peer-to-Peer-Programme: Ansätze und Ziele
Peer-Involvement, Peer-Counseling, Peer-Education, Peer-Mediation und Peer-Projekte werden grob skizziert und Unterscheidungskriterien heraus gearbeitet. Peer-Educations-Projekte sind bisher bekannt aus den Bereichen: HIV/-Aidsprävention, Sexualkunde und –prävention, Prävention von Essstörungen und der Suchtprävention.
Auf der Basis des Empowerment-Ansatzes (Herriger 1997) ergeben sich folgende Ziele der Peer-Education: Vermittlung von Wissen und Kenntnissen, Stärkung individueller Kompetenzen und sozial-kommunikativer Fähigkeiten. Die Autorin stellt die Ressourcenorientierung des Empowerment mit den Zielen „Bemächtigung und Partizipation“ der jungen Menschen als wesentliche Elemente der Peer-Education in den Vordergrund. Von diesem Grundgedanken ausgehend werden Setting, Zielpersonen, Ablaufphasen des Angebotes und Kriterien für die Auswahl der Peer-Educatoren erläutert.
Problembereiche
Als Problembereiche bisheriger Peer-Educations-Projekte identifiziert Denise Kempen insbesondere, dass der Empowerment Gedanke bisher wenig realisiert wird und es an der „ernstgemeinten Beteiligung“ der Jugendlichen selbst fehlt. Instrumentalisierung, Mangel an Partizipation, wenig sorgfältige Auswahl der Peers und Rollenkonflikte werden als die Hauptschwierigkeiten der Projekte heraus gestellt.
Peer-Education aus entwicklungspsychologischer Perspektive
Ausgehend von den Entwicklungsaufgaben, insbesondere der Identitätsentwicklung, arbeitet die Autorin die diesbezügliche Rolle und Funktion der Peer-Group heraus und begründet damit den entwicklungspsychologischen Nutzen der Peer-Education.
Peer-Education in der Suchtprävention
Der Drogenkonsum im Jugendalter ist „normal“ und dennoch „problematisch“, mit Blick auf die Bewältigung der Entwicklungsaufgaben des Jugendalters meist funktional. Kempen trägt epidemiologische Daten (BzgA) zusammen und skizziert empirische Befunde von Suchtpräventionsprogrammen nach dem Peer-Education-Ansatz. Das EU Projekt „euro net“ findet dabei besonders Beachtung.
Das Projekt an.sprech.bar
Diese Kapitel beschreibt die Konzeption, Zielsetzung und Kriterien der Evaluation. Gegenstand der Evaluation waren die Peers und die User. Das Forschungsinteresse galt vor allem den „Erfolgskriterien“: Zugang zur Zielgruppe, Qualität und Beschaffenheit des Zugangs, Effektivität und Effizienz.
Empirische Untersuchung
In diesem Kapitel sind Forschungsanliegen, der qualitative Forschungsansatz und das Erhebungsinstrumente präzise und theoriegeleitet beschrieben.
Befunde
Die Ergebnisse der Untersuchung werden anhand der beiden Interviews heraus gearbeitet und mit Interview-Zitaten belegt. Es konnten Hinweise auf die Kompetenz der Peers und auch auf einen guten Peer-to-Peer Kontakt gefunden werden. Als bedeutsam für das Gelingen des Zugangs zur Zielgruppe gelten die Gesprächsatmosphäre und die wertschätzende Neutralität der Gesprächspartner. „Eigene Konsumerfahrungen“ der Peer-Educatoren und ihr offener Umgang damit, im Sinne einer geteilten Erfahrungswelt, werden als besonders wichtig für den guten Kontakt von Peer-to-Peer betont . Es finden sich Hinweise darauf, dass Konsumenten einerseits das Peer-Gespräch zur Reflexion ihrer Konsummuster nutzen, andererseits Informationen zu weiterführenden Hilfen bezüglich ihres Drogenkonsums suchen.
Fazit
Die in dem vorliegenden Buch dargelegten empirischen Befunde sind aufgrund der minimalen Fallzahl der Interviews wenig aussagekräftig, auch der Follow-up- Ansatz wurde mit nur einem zweiten Folge-Interview begrenzt genutzt. Nach kritischer Reflexion der Autorin selbst kann daher nicht „vom Einzelfall auf den Typus“ geschlossen werden. Dennoch liegt der Verdienst dieser Arbeit darin, dass der Peer-to-Peer-Ansatz theoretisch fundiert dargestellt und weitreichend soziologisch und entwicklungspsychologisch begründet wird. Die skizzierten Peer-Programme sind aufschlussreich und für die Praxis möglicher Projekte anregend. Das Projekt an.sprech.bar dient als gutes Beispiel für die gelungene Kooperation zwischen Wissenschaft und Praxis. Eine aufmerksame Beschäftigung mit der gründlichen, ausführlichen Datenanalyse bringt zahlreiche Hinweise für den Aufbau von Peer-Schulungen und die Qualität von Peer-to-Peer-Gesprächen. Denise Kempen liefert damit einen wissenschaftlichen Beitrag zur Fundierung und Umsetzung der Peer-to-Peer-Education in der Suchtprävention in Deutschland. Das Buch ist praxisrelevant und regt die Weiterentwicklung und Etablierung der Aufklärung von Gleich zu Gleich an. Es ist aufgrund seiner anschaulichen Gestaltung für Praktiker, wissenschaftlich Interessiert und Studierende gleichermaßen geeignet.
Rezension von
Prof. Dr. Ute Antonia Lammel
Professorin & Leitung des Masterstudiengang, Schwerpunkt "Klinisch-therapeutische Soziale Arbeit" Aachen
Mailformular
Es gibt 1 Rezension von Ute Antonia Lammel.
Zitiervorschlag
Ute Antonia Lammel. Rezension vom 27.04.2009 zu:
Denise Kempen: Aufklärung von Gleich zu Gleich. Peer-education in der Suchtprävention. Tectum-Verlag
(Marburg) 2007.
ISBN 978-3-8288-9475-4.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/6454.php, Datum des Zugriffs 16.09.2024.
Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt.
Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns.
Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen
für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.