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Elke Driller, Saskia Alich et al. (Hrsg.): Die INA-Studie

Rezensiert von Prof. Dr. Arnold Pracht, 13.09.2008

Cover Elke Driller, Saskia Alich et al. (Hrsg.): Die INA-Studie ISBN 978-3-7841-1800-0

Elke Driller, Saskia Alich, Ute Karbach, Holger Pfaff, Frank Schulz-Nieswandt (Hrsg.): Die INA-Studie. Inanspruchnahme, soziales Netzwerk und Alter am Beispiel von Angeboten der Behindertenhilfe. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2008. 172 Seiten. ISBN 978-3-7841-1800-0. 20,80 EUR.

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Ausgangslage und Ziel

Das Buch ist Ausfluss eines gleichnamigen Projektes. Leider wurde bei der Wahl des Titels das zentrale Anliegen verwässert: Es soll nicht die Problematik der Inanspruchnahme sozialer Netzwerke von älteren Menschen vorne anstehen, (was dann "zufällig" am Beispiel der Behindertenhilfe etwa erläutert würde,) sondern es steht der älter werdende Mensch mit Behinderung im Zentrum der Abhandlungen. Dementsprechend wäre ein Titel, wie z.B. - "Der älter werdende Mensch mit Behinderung: Seine Netzwerke und die Inanspruchnahme Sozialer Dienste" – treffender gewesen. Sich mit diesem Problem zu beschäftigen, ist besonders für uns in der Bundesrepublik Deutschland wichtig. In der Fachwelt wird schon seit geraumer Zeit vermutet, dass ein hoher spezifischer Bedarf vorliege, auf den wir bisher viel zu zögerlich reagiert hätten. Das Buch will diesen Bedarf ermitteln. Dabei wird der Frage nachgegangen, wie denn die Angebote gestaltet werden müssen, um den Anforderungen zu genügen, beispielsweise auch aus der Sicht der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Einrichtungen, der Angehörigen, aber insbesondere der Menschen mit Behinderung selbst. Anzumerken ist, dass dabei nicht von einer "Dienstleistungswüste" ausgegangen wird, sondern davon, dass schon ein gewisses professionell, ehrenamtlich und jeweils privat organisiertes Netzwerk vorhanden ist. Dieses gilt  es ggf. noch enger und nachhaltiger zu knüpfen sowie zu ergänzen.

Das Buch will in erster Linie so etwas wie einen "Datenkranz" für die Gestaltung von sozialen Netzwerken für älter werdende Menschen mit Behinderung bilden.

Mit diesem Thema haben sich in einer beispielhaften Kooperation der Brüsseler Kreis, das Zentrum für Versorgungsforschung und das Seminar für Sozialpolitik der Universität zu Köln beschäftigt. Bei dem Brüsseler Kreis handelt es sich um eine gemeinschaftliche Initiative von neun großen Einrichtungen der Diakonie und der Caritas, die wichtige Zukunftsthemen im Bereich des Sozialen, der Pflege und der Gesundheit angehen soll. Hierbei wird auch der für die  Einrichtungen der freien Träger so wichtige strategische Aspekt dieses Projektes – mit Blick auf die Herausforderungen für die Unternehmensführungen – deutlich.

Inhalte und Kritik

Zu Beginn (Kap.2) wird in diesem Buch ein sehr breiter Raum der Gestaltung und des Ablaufs der INA-Studie gewidmet. Hier wurden in sechs Einrichtungen drei relevante Zielgruppen befragt: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Angehörigen und die Nutzer und Nutzerinnen mit Behinderung der jeweiligen Einrichtungen. Zu Beginn werden die Konzepte für die Befragung vorgestellt. Diese sollten in einer ersten Phase die Voraussetzungen bilden für die Auswahl bzw. die Kombination der bereits zur Verfügung stehenden Befragungsinstrumente. Diese, wiederum, wurden in den endgültigen Fragebögen jeweils fragmentarisch zu Themengruppen zusammengefasst. Eine Ausnahme bildete hierbei die Konstruktion des Befragungsinstrumentariums für die Menschen mit Behinderung. Hier floss sehr viel eigene Entwicklungsarbeit aus der Mitte der Kölner Forschungsgruppe ein. Die jeweiligen Rückläufe waren allesamt erfreulich hoch. Kritisch anzumerken ist bis hierher zweierlei:

  1. Die methodische und methodologische Diskussion ist ausführlich, konzentriert sich jedoch ausschließlich auf das Problem des Designs der  Fragebögen. Warum etwa welche Frage aus welchem wissenschaftlichen Interesse heraus gestellt wird, bleibt das Geheimnis der Forschergruppe.
  2. Die Erhebung lehnt sich stark an das Modell etwa der Markt- oder Meinungsforschung an. Es wird scheinbar voraussetzungs- und theorielos gefragt. Das Ganze erhält dadurch den Charakter einer explorativen Studie.

Die Ergebnisse dieser INA-Studie werden darauf folgend im dritten Kapitel in Kombination mit entsprechenden vorliegenden Rohdaten oder bestehenden Theorien dargestellt und diskutiert. Die erste auf diese Weise bearbeitete Ausführung des dritten Kapitels beschäftigt sich mit dem Thema "Demographie". Hier werden zunächst die Eckdaten aus den einschlägigen Quellen kurz umrissen. Danach erfolgt die Darstellung und Diskussion der eigenen, in der INA-Studie ermittelten, Daten. Das heißt, dass mit dieser strikten Trennung der Ausführungen zu den Sekundärdaten und derer zu den selbst erhobenen, die Chance einer ineinander verwobenen Datenstruktur, beispielsweise auch mittels Hochrechnungen und Extrapolationen, vertan wurde. Das Kapitel 3.2 liest sich damit wie ein sogenannter "Antwortfragebogen". Wirklich interessant ist dann das sehr kurz gehaltene Unterkapitel "Zusammenfassung und Diskussion".

Bei den anderen beiden Rubriken  "soziales Netzwerk" (Kap. 4) und "Inanspruchnahme" (Kap. 5) erfolgt zwar die grundsätzliche Vorgehensweise anlog zum Thema "Demographie" (Kap.3), jedoch sind die jeweiligen einleitenden Ausführungen dann etwas stärker theoriegeleitet. Hier sei dann die Frage erlaubt, warum diese Theorien, vielleicht noch etwas vertieft dargestellt, nicht Grundlage für die Erstellung der Erhebungsinstrumentarien selbst gebildet haben?
In der Folge nehmen dann auch jeweils die Darstellungen und Diskussionen einzelner quantifizierter Ergebnisse aus der Erhebung leider wieder einen sehr breiten Raum ein. Auch hier gilt analog, dass die jeweiligen kurz gefassten Ausführungen im Unterkapitel "Zusammenfassung und Diskussion" positiv hervorzuheben sind.

Sehr interessant und lesenswert sind schließlich die Ausführungen zur letzten Rubrik des Buchs (Kap 6): "Strategische Schlussfolgerungen." Nun endlich wurden in der Diskussion sich befindliche neuere Entwicklungen in den Institutionen der Behindertenhilfe und sozialpolitische Konzepte aber auch ethische Aspekte aufgegriffen. Was hier nur noch vermisst wird, sind die grundlegenden Konzepte der Sozialen Arbeit mit Menschen mit Behinderung, wie z.B. die  des Inklusionsansatzes. Diese Theorieorientierung, die hier erst im Schlusskapitel des Buchs zu erfahren ist, wurde zu Beginn  schmerzlich vermisst. Sie hätte diese in weiten Teilen nahezu kontextfreie explorativ erscheinende Studie aufwerten können. Man müsste dieses Forschungsdesign damit quasi vom Kopf auf die Füße stellen.

Fazit

Das Lesen dieses Buchs kann in erster Linie der Zielgruppe des Managements in Unternehmen Sozialer Dienste empfohlen werden. Die Ergebnisse der Studie und die in diesem Buch diskutierten Empfehlungen können helfen, bedarfsgerecht Angebote für älter werdende Menschen mit Behinderung zu konzipieren.  Die Herleitung der Erhebungsinstrumente nimmt einen sehr breiten Raum ein, ebenso wie die Darstellung der Ergebnisse im Einzelnen. Vieles davon wäre aber besser in einem Anhang aufgeführt worden. Die Zielgruppe der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wird sich insbesondere an dem etwas eigenwilligen, nahezu theoriefreien, Forschungsdesign stoßen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob die Begeisterung an den Tabellenwerken und am Ausreizen der grafischen Möglichkeiten moderner Software der Verfasser und der Verfasserinnen von dieser Zielgruppe geteilt werden kann. Dennoch erfolgt die Diskussion der Ergebnisse dann schließlich stark theoriegeleitet, so dass man sich fragt, warum diese Theorien nicht schon für die Konzeption der Erhebung a priori herangezogen wurden.

Resümierend  kann das Buch damit eher für Praktiker empfohlen werden. Diese bedürfen allerdings in hohem Maße der Kompetenz des selektiven Lesens.

Rezension von
Prof. Dr. Arnold Pracht
Hochschule Esslingen
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Es gibt 6 Rezensionen von Arnold Pracht.

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ISSN 2190-9245