Mechthild Seithe: Engaging. Möglichkeiten klientenzentrierter Beratung [...]
Rezensiert von Prof. Dr. Klaus Sander, 20.11.2008
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Mechthild Seithe: Engaging. Möglichkeiten klientenzentrierter Beratung in der sozialen Arbeit.
VS Verlag für Sozialwissenschaften
(Wiesbaden) 2008.
138 Seiten.
ISBN 978-3-531-15424-4.
14,90 EUR.
Reihe: Lehrbuch.
Thema
Der klientenzentrierte Beratungsansatz galt lange Zeit als eine "verkleinerte Form" der klientenzentrierten Therapie. Von daher stammen viele Anleihen und Übertragungsversuche. Für die Praxis in der sozialen Arbeit mit ihren spezifischen Bedingungen (nicht-motivierte Klienten, mangelnde Problemsicht, doppeltes Mandat der BeraterInnen, institutionelle Schwierigkeiten usw.) war diese bloße Übertragung nicht immer fruchtbar und häufig frustrierend. Inzwischen finden sich in den letzten Jahren zunehmend Publikationen, Praxisberichte und konzeptionelle Überlegungen zu einem veränderten Verständnis des Ansatzes, speziell für die Arbeits- und Problemfelder der sozialen Arbeit.
Entsprechend wichtig ist es, die Besonderheiten der Rolle des Klienten und der Berater/Innen in der sozialen Arbeit herauszustellen. Die fachlichen Herausforderungen und Anforderungen der sozialen Arbeit erfordern spezielle Konzeptionen des Beratungsprozesses, spezielle Haltungen, Vorgehensweisen und Orientierungen. Die Grundaussagen von Rogers (die Subjektrelevanz und die Möglichkeiten einer autonomen, achtenswerten Lebensgestaltung) bleiben erhalten, ja sind gerade heute so aktuell wie noch nie. Beispielgebend sind der Hinweis auf den Lebenswelt/Sozialraumbezug und die Konzepte des Empowerment. Aus diesen speziellen Voraussetzungen heraus entwickelt die Autorin eine Grundhaltung, ein Vorgehenskonzept im Rahmen konkreter sozialer Bedingungen und Situationen, die sie mit dem Begriff des "Engaging" kennzeichnet. Die Beratung in der sozialen Arbeit orientiert sich weniger an einem Berater/In, der/die sich darauf beschränkt - bei weitgehender persönlicher Abstinenz - Gefühle wiederzugeben und den Klienten passiv zu tolerieren, sondern auf einen "präsenten", die subjektive Lebenswelt wahrnehmenden und aktiv bemühten Berater. Die Autorin sagt: ""Engaging" beschreibt einen Handlungsansatz, der klientenzentrierte Kommunikation in der Sozialen Arbeit, konsequent und alltagsorientiert anwendet und damit auf allen Ebenen und Phasen und thematischen Handlungsangeboten Sozialer Arbeit bei der Klientel einen Prozess anstoßen kann, der im Wesentlichen darin besteht, dass die KlientInnen wieder damit beginnen, sich für ihr eigenes Leben zu engagieren, dass sie selber tätig werden, Verantwortung übernehmen und aktiv an einer Bewältigung und ggf. auch Veränderung ihrer Lebenswelt mitzuarbeiten" (S. 58).
Autorin
Mechthild Seithe ist Professorin für Theorie und Praxis der Beratung an der Fachhochschule Jena, Fachbereich Sozialwesen, und widmet sich auch der Ausbildung von Studierenden und Berufspraktikern.
Aufbau und Inhalt
Die Arbeit enthält vier Teile.
- Im ersten Teil wird eine Bestandsaufnahme des Wesens der Sozialen Arbeit gegeben und die Vereinbarkeit mit Grundkonzepten klientenzentrierter Beratung vorgenommen.
- Der zweite Teil skizziert eine Weiterentwicklung des Ansatzes wie er in der alltagsorientierten Beratung möglich ist. Hier spielt die Diskussion der Motivierungsproblematik, die Rolle der Konfrontation des Klienten durch Berater/In, die Methodenvielfalt und Offenheit und die Sach- und Handlungsorientierung in der Beratung der sozialen Arbeit eine vorgängige Rolle.
- Der dritte Teil des Buches bezieht sich auf die Ausbildung lernender Berater/Innen, im Wesentlichen in der Ausbildung von Sozialpädagogen und Sozialarbeitern. Hier werden didaktische und methodisch ausgefeilte Vorgehens- und Übungsmodelle eingebracht und diskutiert.
- Der vierte Teil und – im Zusammenhang mit dem Thema des Buches wohl auch wichtigste Teil - betrifft die Aneignung des Konzeptes "Engaging". Anhand vieler Rollenbeispiele, Fallbeispiele und sprachlicher Äußerungen werden Vorgaben gemacht und Lösungen diskutiert, die weit in die konkrete Gesprächsführung hineingehen und den Ansatz des "Engaging" deutlich machen sollen. Die Beispiele beziehen sich auf wenig motivierte Klienten, Klienten ohne Problemeinsicht, misstrauische und ängstliche Klienten und generell Klienten, die eine unangemessene Motivation für Beratung mitbringen. Auf der Seite der Berater/Innen werden Situationen aufgezeigt, in der Konfrontation im Rahmen empathischer Umgangsformen demonstriert wird und allgemein eine Verbindung mit anderen methodischen Ansätzen erläutert wird. Abschließend wird auch die Bedeutung von "Engaging" als Basismethode im Kontext sachbezogener Beratungs- und Handlungsphasen gewürdigt.
Diskussion
Das Konzept "Engaging" wurde oben wörtlich zitiert. Für mich stellt "Engaging" einen treffenden Zielanspruch dar, eine wichtige Grundhaltung, aus der sich auch methodische Vorgehensweisen ableiten lassen. Dennoch scheint mir die Breite dieses Begriffes zu groß als dass man konkret operationalisierbare Vorgehensweisen und Prozesse daraus ableiten und damit einüben kann. Umfasst der Begriff doch nach obiger Definition Haltungsmerkmale des Beraters, Vorgehensmerkmale, Persönlichkeitsmerkmale des Klienten und auch situative und institutionelle Merkmale der sozialen Arbeit und ihrer Einrichtungen! Nach meiner Meinung erbringt die Forderung nach "Engaging" erst einmal die Notwendigkeit, sich mit veränderten Konzeptionen in der Beratung von Klienten der Sozialarbeit zu beschäftigen, sofern man auf dem Rogers-Konzept aufbaut. Der Begriff des "Engaging" liegt aber doch nicht außerhalb der Rogers’schen Beziehungsdefinitionen wenn ich es richtig verstanden habe! Der Begriff lässt sich doch mühelos von dem Rogers’schen Begriff der Authentizität ableiten, wenn auch mit einer spezifischen Gewichtung: Kongruenz/Authentizität als Oberbegriff umfasst ja Merkmale wie Selbstkongruenz (Klarheit mit sich), kommunikative Kongruenz (Klarheit in der Selbstdarstellung der Berater nach außen und dem Klienten gegenüber), Selbstrepräsentanz (klar sein, erkennbar sein), Auseinandersetzungsfähigkeit in der Beziehung (Konfrontation) und Fähigkeiten einer unmittelbaren Aktivierung des Klienten aus der beraterischen Beziehung heraus. Aus einem so gearteten Kongruenzbegriff lassen sich gut die in der Sozialarbeit erforderlichen Haltungsmerkmale und Vorgehensweisen des "Engaging" ableiten. "Engaging" ist also nichts Neues wenn man es auf Haltung und Beziehung begrenzt.
Was bietet also die Neuschöpfung eines Begriffes wie "Engaging" ? Einmal stellt er auch eine Beziehung her zu neueren aus der Erziehung und systemischen Pädagogik kommenden Vorgehensweisen und Haltungen her, z.B. "Elternpräsenz, Präsenz der Erzieher, Beraters". Der Begriff könnte also am Anfang einer paradigmatischen Wende zu einer neuen Sicht des aktiven, präsenten Beraters/Erziehers und Elternteils stehen. Dabei wäre es gut, das "Engaging" nicht feldabgegrenzt der Sozialarbeit zuzuordnen (wenngleich dort oft am meisten erforderlich), sondern ihn offen zu halten für schwierige Beratungsbereiche unterschiedlicher Fachgebiete, die von den klassischen Anwendungsbereichen abweichen.
Zielgruppen
Berufspraktiker der Sozialen Arbeit, Berater im Sozialfeld, Auszubildende, die den Rogers-Ansatz in einer erweiterten Form handlungsrelevant praktizieren möchten.
Fazit
Die Einführung des Begriffs "Engaging" in dem Buch von Mechthild Seithe sorgt auf Grund der noch bestehenden Unschärfe nicht unbedingt für mehr theoretische Klärung, gibt aber Anregungen für die konkrete Beratungsarbeit mit schwierigen, unmotivierten und ungewöhnlichen Klienten.
Die angeführten Übungen und Fallgespräche stellen für den Auszubildenden ein sehr gutes Material dar, sich mit den obigen Problematiken vertieft zu beschäftigen.
Rezension von
Prof. Dr. Klaus Sander
(emeritiert) Fachhochschule Düsseldorf, FB Sozial- und Kulturwissenschaften, Psychologie, insb. Klinische Psychologie und Psychologie der Beratung
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