Werner Wicki, Titus Bürgisser (Hrsg.): Praxishandbuch Gesunde Schule (Gesundheitsförderung)
Rezensiert von Christoph Meyer, 25.02.2010
Werner Wicki, Titus Bürgisser (Hrsg.): Praxishandbuch Gesunde Schule. Gesundheitsförderung verstehen, planen und umsetzen. Haupt Verlag (Bern Stuttgart Wien) 2008. 339 Seiten. ISBN 978-3-258-07236-4. 32,00 EUR.
Thema
Eine Schule ist dann eine gesunde Schule, wenn sie Gesundheitsförderung als Managementaufgabe versteht und sowohl die Gesundheit der Schülerinnen und Schüler in Blickfeld rückt als auch die der Lehrpersonen und des gesamten Schulpersonals.
Bildung und Gesundheit stehen in einer Wechselwirkung. Einerseits gilt Bildung als Determinante für Gesundheit andererseits bildet die Schule ein Setting um Gesundheit zu fördern. Dieses Handbuch zeigt unter einem Gesundheitspsychologischen Blickwinkel die Zusammenhänge zwischen Lernen und Gesundheit. Es will dazu anregen, über Gesundheitsförderung in der Schule und der eigenen Klasse nach zu denken und sie in der täglichen Arbeit zu verankern.
Entstehungshintergrund
„Die vorliegende Publikation ist entstanden als Gemeinschaftswerk von Autorinnen und Autoren, die sich in den letzten Jahren intensiv mit schulischer Gesundheitsförderung auseinandergesetzt haben. Sie sind Mitglieder des Praxis-Forschungsverbundes des Kompetenzzentrums Schulklima (ein Zusammenschluss von regionalen Fachstellen, pädagogischen Hochschulen und Bildungsverantwortlichen einiger Deutschschweizer Kantone). Obwohl die meisten Beiträge ihre Herkunft aus der schweizerischen Schullandschaft nicht verleugnen können, sind die Beiträge für Schulen in unterschiedlichen Bildungssystemen relevant. Die Entwicklung hierzulande hat die Entwicklung im deutschsprachigen Raum integriert und in einigen Teilen auch mit gestaltet und mitgeprägt.“ (Wicki, Bürgisser: 2009)
Aufbau …
Das Buch umfasst 339 Seiten und ist neben einer kurzen Einleitung in folgende sieben Kapitel gegliedert:
- Gesundheitspsychologische Modelle
- Wie gesund sind Lehrpersonen und SchülerInnen?
- Gesundheitsfördernde Schule: Modelle und Grundlagen
- Gesundheitsfördernde Schule: Was können wir als Schule tun?
- Unterricht gesundheitsförderlich gestalten: Was kann ich als Lehrperson tun?
- Krisen bewältigen
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
… und ausgewählte Inhalte
Das erste Kapitel erklärt zentrale Gesundheispsychologische Begriffe und Modelle, wie Selbstwirksamkeit Kohärenzgefühl Entwicklung Resilienz und setzt sie zu Gesundheit in Beziehung. Eine neue Erkenntnis für mich dabei war, dass in der Präventionsforschung von nicht Bildung und Wissen sondern persönliche Beziehungen nachhaltige Effekte nach sich zeihen; und dass Gesundheitspsychologische Konzepte nicht für alle Zielgruppen und Inhalte gleich aussagekräftig sind.
Im zweiten Kapitel wird auf die Frage wie gesund sind Lehrpersonen und Schülerinnen eingegangen. Eine neue Erkenntnis für mich dabei war, Wohlbefinden in 6 Dimensionen auf zu teilen und diese als Indikator für Gesundheit heran zu ziehen. Als zweites nehme ich mit: die ungleiche Verteilung der Gesundheitsprobleme. Viele Kinder haben keine Probleme und wenige haben viel Probleme, was eine Spezifizierung des Angebots nach sich zeiht. Weiter erschrecken die hohen Zahlen von gesundheitsbedingter Dienstunfähigkeit, Frühpensionierung und vorzeitigem Ruhestand bei Lehrpersonen.
Im dritten Kapitel wird auf Modelle und Grundlagen für gesundheitsfördernde Schulen eingegangen. Dabei speziell hervorheben möchte ich die konzeptuelle Einordnung von Gesundheitskompetenz.
Das vierte Kapitel beinhaltet Ansatzpunkte von gesamten Schulen zu Gunsten der Gesundheitsförderung. Dabei geht Seeger auf das Gesundheitsmanagement mittels der folgenden 7 Prinzipien ein.
- Gesundheitsförderung verankern: politisch, strategisch, konzeptionell
- Gesundheitsförderung sichern: Ressourcen Mandate Partizipation
- Gesundheitsthemen verbinden: Inhalte bündeln Synergien nutzen
- Gesundheit fördern: Schlüsselpersonen qualifizieren und stärken
- Gesundheitsförderung steuern: planen durchführen reflektieren verbessern
- Gesundheitsförderung umsetzen: Gesetze Erlasse Vorgaben
- Gesundheitskompetenzen verknüpfen: Bündnisse und Netzwerke
Die strukturelle Verankerung von Gesundheitsförderung in Schulen wird am Beispiel des Kantons Baselland illustriert und Sgier führt in die grundlegendsten Elemente des Projektmanagement ein. Im Unterkapitel Schulklima und Schulkultur postuliert Bürgisser das Schulklima als Teil eines umfassenden Schulqualitätskonzept und plädiert für dessen aktive Gestaltung zum Wohle der Lehrpersonen und SchülerInnen. Anhand des Modells von Creemers geht er auf den Zusammenhang zwischen Schulklima und -effektivität ein, anhand des Modells von Satow auf den Zusammenhang von Klima und Selbstwirksamkeit und anhand von Brägger & Posse auf den Zusammenhang Zwischen Schulklima und -kultur. Frey nennt Partizipation als Lösungsmöglichkeit disziplinarischer Probleme und Heinisch Pausenplatzgestaltung als konkrete Gesundheitsförderungsmassnahme.
Im fünften Kapitel werden konkrete Umsetzungsbeispiele für Lehrpersonen gezeigt wie:
- Lebenskompetenz und Ressourcenförderung
- Kooperation und Wettbewerb
- Bewegungsförderung
- Ergonomie und
- Ernährungsbildung
Das sechste Kapitel geht auf die Bewältigung von Krisen ein und setzt dabei Schwerpunkte bei der Früherfassung und der Prävention sexueller Übergriffe.
Zielgruppen
Das Buch ist für Lehrpersonen, Schulleitungen und im Setting Schule tätigen Fachpersonen konzipiert.
Sollte aber auch für Behörden und Bildungs- sowie GesundheitspolitikerInnen, die im Setting Schule intervenieren wollen Pflichtlektüre sein.
Diskusion
Als Gesundheitsfachperson in einer Schulverwaltung der grössten Schweizer Stadt, die den Schulen oft Gesundheitsförderungsprojekte „verkaufen“ muss, spricht mir der folgende Satz völlig aus dem Herzen. „Es macht den Anschein, dass wir Schulen mit den Anforderungen und dem Aktivismus rund um das Thema Gesundheit überfordern. Nüchtern müssen auch Gesundheitsexpertinnen und –experten feststellen: Interventionen, die nicht wirksam sind, sind vor allem eines: Ungesund für die Lehrpersonen und den Schülerinnen und Schülern bringen sie gar nichts. Es bleibt die Frage, wie Schulen die Gesundheitsförderung wirksam wahrnehmen können ohne sich zu überfordern.“ Diese Aussage zeugt von einer Sorgfalt im Umgang mit Schulen, die mich freut und von einer langen praktischen Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Schulen und kritischen Reflexionsfähigkeit der eigenen Arbeit zeugt.
Es gefällt mir als Fachmann, dass alle relevanten Begriffe der Gesundheitsförderung knapp erklärt und die Bezüge untereinander hergestellt werden. Als Psychologie gefällt mir natürlich der Gesundheitspsychologische Blickwinkel.
Wicki und Bürgisser bleiben die Antwort auf die von ihnen gestellte Frage (wie Schulen die Gesundheitsförderung wirksam wahrnehmen können ohne sich zu überfordern) natürlich nicht schuldig und zeigen die verschiedenen Handlungsfelder für Lehrpersonen Schulleitungen und Behörden. Leider sind sie noch zu wenig konkret und für die eiligen Leserinnen und Leser zu prägnant herausgearbeitet sondern verstecken sich zwischen vielen Grundlagenbegriffen und bestehen oft noch zu stark auf der Reflexion des eigenen pädagogischen Handelns und der Verankerung von Gesundheitsförderung in Schulentwicklungsprozessen. Schön wäre es, zu den formulierten Qualitätskriterien auch alltagstaugliche Hilfsmittel zu deren Umsetzung anbieten zu können.
Für eilige Schulleiterinnen und -leiter kann ich die beiden Seiten 81-83 empfehlen.
Für Lehrpersonen (Kap. 5) hätte ich mir mehr zusammenfassende Fazits mit konkreten Empfehlungen von Lehrmitteln oder Umsetzungsbeispielen gewünscht, wie sie z.B. nach Kooperation und Wettbewerb S. 241/2 oder zu bewegtem Lernen S. 267 vorhanden sind.
Fazit
Hohe Relevanz für Schulleitende Fachpersonen und Entscheidungsträger, die an der Schnittstelle zwischen Bildungs- und Gesundheitssystem arbeiten. Guter State of the art Bericht zu Gesundheitsförderung in der Schule. Kompliment für die Veranschaulichung der Komplexität. Ich habe neue Erkenntnisse gewonnen.
Für eilige Lehrpersonen noch zu weit von ihrem konkreten Unterrichtsalltag entfernt, um als Praxishandbuch zu gelten. Als Reflexionshilfe, Gesundheit nicht nur im Unterricht, sondern als Schule umfassend an zu gehen ist dieses Handbuch sehr empfehlenswert. Und aus Erfahrung ist es sehr wünschenswert, dass sich Schulleitende und Lehrpersonen die Zeit für diese Herangehensweise nehmen.
Rezension von
Christoph Meyer
lic.phil. MPH
Website
Es gibt 4 Rezensionen von Christoph Meyer.
Zitiervorschlag
Christoph Meyer. Rezension vom 25.02.2010 zu:
Werner Wicki, Titus Bürgisser (Hrsg.): Praxishandbuch Gesunde Schule. Gesundheitsförderung verstehen, planen und umsetzen. Haupt Verlag
(Bern Stuttgart Wien) 2008.
ISBN 978-3-258-07236-4.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/6595.php, Datum des Zugriffs 09.12.2024.
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