Manfred Neuffer: Case Management. Soziale Arbeit mit Einzelnen und Familien
Rezensiert von Dipl.Soz.-Arb. Meinolf Westerkamp, 15.04.2003

Manfred Neuffer: Case Management. Soziale Arbeit mit Einzelnen und Familien. Juventa Verlag (Weinheim) 2002. 255 Seiten. ISBN 978-3-7799-0733-6. 14,50 EUR. CH: 26,20 sFr.
Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-7799-1962-9 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.
Thema
Fallorientierte Soziale Arbeit hat einen hohen Stellenwert in der praktischen Arbeit. U.a. in den Allgemeinen Sozialdiensten der Kommunen und vergleichbaren Einrichtungen bestimmt sie einen großen Teil des sozialarbeiterischen Alltags. Trotz dieser Bedeutung fand eine konzeptionelle Weiterentwicklung der sozialen Einzelhilfe als klassische Methode der Sozialarbeit nicht statt. Nach der starken Kritik der Sozialen Einzelhilfe als klassische Methode der Sozialarbeit im Deutschland der 70-er Jahre, der anschließenden therapeutischen Welle, die die Sozialarbeit überschwemmte und wieder verebbte, gab es keine konzeptionelle Weiterentwicklung. In den USA wurde dagegen aus dem Social Case Work heraus das Case Management entwickelt, das die zunehmend spezialisierten sozialen Dienstleistungen wieder im Sinne des Klienten koordinieren soll. Obwohl in Deutschland eine ähnliche Entwicklung stattfand, hat das Case Management bisher viel zu wenig Eingang in den Bereich der fallorientierten Arbeit gefunden. Das mag daran liegen, dass Verbindungen zwischen diesem Konzept und dem bisher praktizierten Arbeiten in solchen Diensten nur unzureichend wahrgenommen wurden.
Diesem Sachverhalt trägt das Buch Rechnung, indem der Case Management Ansatz als Grundgerüst für die fallorientierte Arbeit herangezogen und durch weitere Interventionstechniken und methodische Ansätze ergänzt den Sozialarbeitenden einen breiten Handlungsspektrum zur Verfügung stellt.
Autor
Manfred Neuffer war Sozialarbeiter und ist Professor am Fachbereich Sozialpädagogik der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg und leitet dort das Zentrum für Praxisentwicklung. Seine Praxisschwerpunkte sind Erziehungs- und Familienhilfen in Sozialen Diensten, seine Lehrgebiete systemische Beratung, Case Management, Mediation und Soziale Netzwerkarbeit.
Aufbau und Inhalt
Unterstützung Einzelner und Familien wird im Case Management besonders unter dem Aspekt der eigenen Beteiligung gesehen, aber auch ihre eigene Mitverantwortung zur Veränderung ihrer Situation spielt eine wichtige Rolle, sollen so doch die Klienten wieder selbst bemächtigt werden, ihre Situation in die eigene Hand zu nehmen (Empowerment). Gleichzeitig sind Effektivität und Effizienz in der Sozialen Arbeit immer stärker in den Mittelpunkt gerückt und man benötigt deshalb klar dokumentierte Vorgehensweisen, die eine solche Überprüfung auch zulassen. Das Case Management bietet auch dafür einen entsprechenden Rahmen, die der Autor mit konkreten Inhalten füllt.
Nach dem Prinzip „Von der Praxis zur Theorie“ steht am Anfang ein Fallbeispiel aus der Jugendhilfe, um die Komplexität der zur Diskussion stehenden sozialen Fallsituationen deutlich zu machen. Daraus werden Leitideen und Anforderungen für eine fallorientierte Soziale Arbeit entwickelt, „die zwar manchmal nicht neu sind, aber neu und mit Nachdruck“ (S. 20) formuliert die Professionalität der Sozialen Arbeit befördern. Das sind u.a.:
- In Sozialen Problemen, in Krisen und Konflikten ist systemisches Handeln gefordert, das Neuffer bereits bei Alice Salomon entdeckt und das sich in Schlagworten wie „Person in der Umwelt“ und „Fall im Feld“ ausdrückt.
- Soziale Arbeit erfolgt ressourcenorientiert und findet auf mehreren Ebenen statt; eine so verstandene soziale Arbeit soll die Menschen befähigen, auf ihr Leben wieder selbst Einfluß zu gewinnen (Empowerment).
- Die Beteiligung von Klienten ist dabei unerläßlich (z.B. bei der Hilfeplanung) und die damit verbundene stärkere Rechtsstellung zu berücksichtigen.
- Die Plan- und Überprüfbarkeit Sozialer Arbeit anhand von Qualitätsstandards, die durch gesetzliche Bestimmungen gefordert aber auch immer mehr von Klienten gesehen wird, spielt eine größer werdende Rolle.
- Berufsethische Grundsätze Sozialer Arbeit, ob auf nationaler oder internationaler Basis formuliert, gewinnen vermehrt an Bedeutung.
Alle diese Leitlinien spielen bei der fallorientierten Sozialarbeit eine Rolle und bedingen sich gegenseitig.
Nach einem kurzen Exkurs über die Entwicklung des Case Management aus der Sozialen Einzelhilfe werden die aktuellen Rahmenbedingungen in Deutschland beschrieben und Einsatzbereiche für das Case Management benannt, die von der Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Familien, über die Arbeit mit Erwachsenen in verschiedenen Belastungssituationen, über soziale Arbeit im Arbeitsleben und im Gesundheitsbereich bis zur Arbeit mit älteren Menschen liegen können.
In allen diesen Einsatzbereichen wirkt der Case Manager für seine KlientenInnen in unterschiedlichen Rollen als Anwalt, Berater, Mediator, Krisenmanager, Netzwerker und Coach.
Wie können nun diese unterschiedlichen Aufgaben, Rollen und Funktionen in einer Person verwirklicht werden? Damit beschäftigt sich das 4. Kapitel, in dem der Ablauf des Case Managements in seinen einzelnen Phasen beschrieben wird. Hier geht der Autor sehr in Einzelheiten:
- Was soll in der Klärungsphase im Einzelnen wie geschehen? Praktische Anforderungen an die Fallaufnahme (das Intake) und die Kontaktaufnahme werden beschrieben und Ziele und Aufgaben des Erstgesprächs diskutiert.
- Das Assessment, die Analyse und Einschätzung der Situation durch systematisches Erfassen von Problemen und Ressourcen werden einerseits an einem Fall beschrieben, andererseits wird das Konzept der „Systemischen Denkfigur“ (Geiser in Fortentwicklung von Staub-Bernasconi) herangezogen, um dieses Vorgehen zu optimieren.
- Die Folgephase „Hilfebedarf und Entwurf der Unterstützungsleistungen“ verlangt vom Case Manager vor allem, Ziele zu definieren und zu operationalisieren. Dies ist nicht nur deshalb schwierig, weil die Sicht des Klienten im Vordergrund stehen muss, sondern auch deshalb, will alle im sozialen Bereich Tätigen in der Komplexität der Situationen Schwierigkeiten damit haben. Deshalb verwendet der Autor sehr viel Aufmerksamkeit auf die Frage: Warum sind Ziele eigentlich wichtig, warum müssen sie in einer bestimmten Weise formuliert werden und welche Kriterien lassen sich dafür benennen. Grundsatz-, Rahmen- und Handlungsziele werden voneinander unterschieden und auf den eingebrachten praktischen Fall umgesetzt.
- Daraus folgen dann Überlegungen zur Entwicklung des konkreten Hilfebedarfs, der einzelnen Hilfen und der Frage, in welchem Rahmen der weitere Hilfeablauf zu planen ist. Kollegiale Beratung, Helferkonferenz und Fachkonferenz sind dafür hilfreich einzusetzende Instrumente.
- Die eigentliche Hilfeplanung erfolgt in der Hilfekonferenz. Hier wird besonders die Problematik beleuchtet, in der die „fallverantwortliche Fachkraft“ (ein schreckliches Wortungetüm) den verabredeten Hilfebedarf verteidigt, die Leitungspersonen der Hilfekonferenz aber eher auf wirtschaftliche Aspekte achten und finanzielle Vorgaben durchsetzen wollen. Wer soll an der Hilfekonferenz teilnehmen, wer nicht, wie verläuft die Kommunikation mit beteiligten KlientenInnen, wenn Fachleute miteinander verhandeln und wie kann schließlich ein konkreter Hilfeplan aussehen? – Das sind die Fragen, auf die hier eine erste Antwort gegeben und für die eine erste Checkliste beigegeben ist.
- In der Phase des Controlling ist von besonderer Bedeutung, dass hier eine zentrale Information an alle und von allen Beteiligten über Veränderungen im Hilfeprozess und die vereinbarten Maßnahmen sichergestellt wird. Neuffer benutzt den Begriff des Controlling (Steuerung) statt des (sonst üblichen) Begriffs Monitoring (Kontrolle), weil im Controllingprozess der Fallverlauf entsprechend der vereinbarten Zielvorgabe gesteuert und geregelt wird, weshalb das besondere Augenmerk auf den Prozess der Hilfestellung und auf die Rahmenbedingungen gerichtet sein muss.
- Der qualifizierte Abschluß des Case Managements drückt sich darin aus, dass das Beenden der Unterstützung und Maßnahmen bewusst zu gestalten ist, dass der gesamte Hilfeverlauf anhand der Ziele zu reflektieren und auszuwerten ist und dass weiterführende Maßnahmen, sofern notwendig (Reassessment), eingeleitet werden.
- Dieses Bilanzieren der Erfolge im Hilfeverlauf soll im Rahmen einer Abschlußkonferenz erfolgen, in deren Mittelpunkt die Frage steht, inwieweit sich die Situation der KlientInnen verändert hat. Nicht die Hilfe selbst sondern die Aus- und Bewertung stehen dabei im Vordergrund.
- Eine professionelle Evaluation dagegen, bei der die Erfolge nach Effektivitäts- und Effizienzkriterien bewertet werden, sollte nicht in der Abschlußkonferenz, sondern eher im Rahmen einer abschließenden Helferkonferenz oder einer kollegialen Beratung erfolgen. Schließlich ergeben sich hieraus wichtige Daten für die weitere Arbeit des Case Managers, der Helfer und deren Institutionen.
- Ein solches Verfahren lässt sich sinnvoll nur mit einer gut untermauernden Dokumentation durchführen. Der Aufwand kann nur durch ein EDV-gestütztes Dokumentationsverfahren in Grenzen gehalten werden, auch wenn damit „zusätzliche Arbeit“ entsteht. Entsprechende Dokumente sind als Entwurf beigegeben das Datenstammblatt, das Intake-Protokoll (für die Ersterfassung), die Problem- und Ressourceneinschätzung (Assessment), das Beratungsprotokoll (für intensivere Beratungen), das Hilfekonferenz Protokoll, den Hilfeplan 1 (Analyse-Ermittlung-Entscheidung) und Hilfeplan 2 ( (Vertrag-Kontrakt), den Verlaufsbericht/Fortschreibung des Hilfeplans, das Verlaufskonferenz Protokoll, das Abschlusskonferenz Protokoll. Die Vorgaben sind so gehalten, dass sie als Vorschlag sowohl inhaltlich wie auch formaler Art als Grundlage für jeweilige Entwicklungen im eigenen Arbeitsbereich genommen werden können.
- Dieser Rahmen, der eine schnelle Übersicht über den Verlauf des Verfahrens ermöglicht, kann durch weitere Dokumente wie Genogramm, Soziogramm, Öko-Map u.a. vervollständigt werden. Auf dieser Grundlage ist eine Evaluation in verschiedenen Formen möglich, die nur dann – wie von vielen Sozialarbeitenden gemutmasst – mißbräuchlich eingesetzt wird, wenn sie bloßen betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten gerecht werden will. Ansonsten dient sie der Aus- und Bewertung der fachlichen Weiterentwicklung, der Qualitätsentwicklung in den Institutionen, der beruflichen Profilierung und der sozialpolitischen Auseinandersetzung um Ressourcen. Dokumentation und Evaluation kosten also Zeit, die aber nicht als – falsch verstandende – „Verwaltungsarbeit“ angesehen werden sollte, sondern die als inhaltliche Arbeit des Case Managers verstanden werden und deshalb einen positiven Stellenwert bekommen muss.
Als Schlüsselqualifikationen im Case Management benennt Neuffer die systemische Beratung, die Krisenhilfe und Krisenintervention, die Mediation und die Netzwerkarbeit als Ressourcenarbeit, die jeweils kurz beschrieben werden. Unter der Überschrift Kompetenzen und Vorgehensweisen in der Fallarbeit wird eine „Auswahl an Handwerkszeug für den Case Manager“ (S. 162) vorgestellt. So empfiehlt und beschreibt Neuffer zur Visualisierung von Systemen Verfahren des Genogramms, des Soziogramms und der Öko-Map (jeweils mit Beispielen), systemisches Fragen wird in den verschiedenen Variationen angesprochen, Kompetenzdialog und Moderation, Hausbesuch und Netzwerkonferenz werden als Vorgehensweisen dargestellt.
Am Schluß des Buches entwickelt Neuffer in groben Zügen eine Handlungstheorie für das Case Management, in der die Basis wissenschaftlichen und beruflichen Handelns aufgezeigt wird. Gegenstand und Aufgabe der Sozialen Arbeit, Soziale Arbeit als Disziplin, die Systemtheorie als metatheoretischer Rahmen und als handlungstheoretischer Rahmen werden kurz referiert, um damit erste Überlegungen für einen handlungstheoretischen Rahmen für das Case Management und für fachliche Standards zu entwickeln.
Zielgruppe
Das Buch – als Lehrbuch konzipiert – richtet sich in erster Linie an Studierende und Praktiker. Studierende erhalten einen Überblick über das Verfahren des Case Management und seine Einbindung in die Hilfeplanung im Rahmen des KJHG und damit gleichzeitig einen Einblick in einen zentralen Aufgabenbereich der Sozialen Arbeit. Für Kollegen und Kolleginnen in der Praxis dürfte besonders interessant sein, dass Neuffer das relativ neue Konzept des Case Managements im Lichte längst bekannter Begriffe und Kenntnisse diskutiert und deutlich macht, welche anderen Verfahren, Vorgehensweisen, Methoden in dieses Konzept eingebaut und zur Optimierung des jeweiligen eigenen Vorgehens herangezogen werden können. Speziell die beigegebenen Checklisten und Vorgaben für eine EDV-gestützte Dokumentation können von den Kollegen und Kolleginnen vor Ort – auch in kleinen Einrichtungen -ohne großen Kostenaufwand für Software eine akzeptable Hilfe sein, die zur Weiterentwicklung anregen. Für eher theoretisch Interessierte bieten vor allem die beiden letzten Kapitel einige interessante Anregungen.
Fazit
Mir ist z.Zt. kein anderes deutschsprachiges Buch bekannt, dass so konkret wie der vorliegende Text das Konzept des Case Management auf die Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Familien bezieht. Die Darstellung der Entwicklung des Case Managements im Rahmen der Gesamtentwicklung der Sozialen Arbeit macht deutlich, dass es sich kaum um grundsätzlich Neues handelt, gegenüber dem man zunächst einmal Abwehr entwickelt, sondern dass hier ein Konzept zur Verfügung steht, das von jedem und jeder SozialarbeiterIn mit bereits erprobten und bekannten Versatzstücken inhaltlich optimiert zur Verbesserung der eigenen Arbeit beitragen kann, wie Neuffer das in diesem Buch auf dem Hintergrund seiner Erfahrungen im Rahmen von Fort-, Weiter- und grundständiger Ausbildung von SozialarbeiterInnen vorgestellt hat. Insofern macht das Buch Mut, ein neues Handlungskonzept auszuprobieren, das den derzeit an die Soziale Arbeit gestellten Forderungen entspricht.
Rezension von
Dipl.Soz.-Arb. Meinolf Westerkamp
Fachhochschule Dortmund, Fachbereich Sozialarbeit
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