Ernst Engelke, Stefan Borrmann et al.: Theorien der sozialen Arbeit
Rezensiert von Prof. Dr. Peter Erath, 10.08.2009
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Ernst Engelke, Stefan Borrmann, Christian Spatscheck: Theorien der sozialen Arbeit. Eine Einführung. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2009. 5., überarbeitete und erweiterte Auflage. 527 Seiten. ISBN 978-3-7841-1824-6. 26,50 EUR. CH: 44,90 sFr.
Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-7841-3072-9 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.
Thema
Die Autoren stellen Theorien der Sozialen Arbeit aus Geschichte und Gegenwart vor, die sich „im Großen und Ganzen“ aus dem sich aus der Definition der „International Federation of Social Workers (IFSW) (siehe: http://www.ifsw.org/ ) ergebenden Gegenstandsbereich der Sozialen Arbeit, nämlich „soziale Probleme und ihre Lösungen“ (S.18), ergeben. Dabei wird der vorliegenden Auswahl der in drei Epochen eingeteilten insgesamt 27 Theorien (beginnend mit der Theorie von Thomas von Aquin („Gott und den Nächsten lieben“) bis hin zu Dewe/Otto („Wissen und Können relativieren“) ein sehr breiter Wissenschaftsbegriff unterlegt: „Wissenschaftlich nennen wir in einem weiten Verständnis das gezielte, systematische, reflektierte und kritische Bemühen um Erkenntnisgewinnung, das über das alltägliche Bemühen um Wissen hinausgeht.“ (S.17) Anhand eines siebenteiligen Leitfadens (mit den Abschnitten: historischer Kontext, biografischer Kontext, Forschungsgegenstand/-interesse, Wissenschaftsverständnis, Theorie, Bedeutung für die Soziale Arbeit, Literaturempfehlungen) wird so jede der ausgewählten Theorien ausführlich vorgestellt. Dabei sollen nach der Intention der Autoren insbesondere die verschiedenen Theorievertreter/innen „möglichst original zu Wort kommen“ (S. 29). Die kritische Würdigung und Bewertung der einzelnen Theorien bleibt den Leser/innen überlassen.
Autoren
Prof. Dr. Ernst Engelke war von 1980 – 2007 Professor für Soziale Arbeit an der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt. Er gilt als der zur Zeit bedeutendste Autor im Bereich der Theorie- und Wissenschaftsdebatte der Sozialen Arbeit in Deutschland. Dr. Stefan Borrmann ist seit 2005 wissenschaftlicher Referent in der Institutsleitung des Deutschen Jugendinstituts. Dr. Christian Spatschek war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Buchs Lehrbeauftragter an der Alice –Salomon Fachhochschule Berlin, inzwischen ist er Professor an der Hochschule Bremen.
Entstehungshintergrund
Das vorliegende Buch ist die 4.überarbeitete und erweiterte Auflage des erstmalig 1998 erschienenen gleichnamigen Buches von Ernst Engelke. Aufgrund von Anregungen und Kritiken wurden für diese Ausgabe zwei Theorien heraus- und fünf neue aufgenommen. „Somit umfasst unsere Zusammenstellung nun 27 Theorien, die in drei Teilen mit je neun Theorien vorgestellt werden.“ (S.9)
Aufbau und Inhalt
Der Aufbau des Buches gliedert sich im wesentlichen in vier Hauptteile,
- In einem ersten Teil („Zur Einführung“) werden wichtige Beweggründe und Kriterien für die Auswahl und Darstellung der verschiedenen Theorien vorgestellt und diskutiert. Demnach gehören wissenschaftliche Theorien der Sozialen Arbeit „genauso zum Selbstverständnis und zur Grundlage professionellen Handelns von SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen wie die Reflexion der eigenen Praxis anhand dieser Theorien.“ (S.11) Darüber hinaus können Theorien nach Ansicht der Autoren auch dazu dienen „Ist-Situationen (zu) erklären und Soll-Vorstellungen möglich (zu) machen sowie ein Verständnis für historische Prozesse und Zusammenhänge (zu) schaffen.“ (S.17) Weil aber solche Theorien als „Lebensprodukte“ (S.21) oftmals auf der Basis persönlicher Erlebnisse und Erfahrungen entstanden sind, wollen die Autoren sich nicht nur an den „bei Theoriedarstellungen üblichen Kategorien“ orientieren, sondern „im Rahmen des hier Möglichen auch den historischen und den biographischen Kontext skizzieren, in dem die Theorien entstanden sind.“ (S.21) Auf diese Weise entsteht schließlich ein siebenteiliger Leitfaden (s.o.), anhand dessen die einzelnen Theoretiker/innen und ihre jeweiligen Theorien vorgestellt werden
- Im zweiten Teil („Teil I: Vom Armutsideal bis zur Gemeinschaftserziehung. Frühe Theorien und Programme der Sozialen Arbeit“) weisen die Autoren zunächst einleitend darauf hin, dass ihrer Ansicht nach die Wurzeln der Sozialen Arbeit bis in das hohe Mittelalter (Mitte des 12. bis Mitte des 14. Jahrhunderts) zurückreichen, auch wenn die verschiedenen Theoretiker ihre Theorien nicht als „Theorien der Sozialen Arbeit verstanden haben“ (S.34) mögen: Insbesondere um seitens der Profession Soziale Arbeit „eine engstirnige Fixierung auf Tagesfragen (zu) verhindern und das Selbstbewusstsein der Profession (zu) stärken“ (ebd.), werden von ihnen neun Theorien zur Darstellung ausgewählt: Thomas von Aquin, Jan Luis Vives, Jean Jacques Rousseau, Adam Smith, Johann Heinrich Pestalozzi, Thomas Robert Malthus, Johann Hinrich Wichern, Otto von Bismarck, Paul Natorp.
- Der dritte Teil („Teil II: Vom Kampf für Frieden und soziale Gerechtigkeit bis zum persönlichen Fürsorgen. Theorien der Sozialen Arbeit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“) beginnt mit einer Einführung der Leserschaft in den „Verlauf der wirtschaftlich-politischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge“; zugleich soll „damit der historische Kontext der (AutorInnen von) Theorien Sozialer Arbeit im Zeitraum von der Gründung des Deutschen Reiches 1870/71 bis 1945 in großen Zügen skizziert werden.“ (S.167). Anschließend werden die Theorien von Jane Addams, Christian Japser Klumker, Alfred Adler, Alice Salomon, Gertrud Bäumer, Ilse von Arlt, Herman Nohl, Hans Muthesius und Hans Scherpner vorgestellt. Diesen Theorien ist nach Ansicht der Autoren gemeinsam, dass sie den Gegenstand der Sozialen Arbeit insgesamt noch eher erfahrungsorientiert, einseitig und ausschnitthaft (S.329) zu erfassen suchen.
- Erst die Theorien des vierten Teils („Teil III: Von der Unterstützung von Menschen in ihrer sozialen Umwelt bis zum Relationieren von Wissen und Können: Theorien der Sozialen Arbeit ab der Mitte des 20. Jahrhunderts“) versuchen nach Ansicht der Autoren genuine „Theorien der Sozialen Arbeit“ zunächst vor allem aus einer pädagogischen Perspektive, später auch aus der Perspektive anderer Fachdisziplinen heraus zu entwickeln. Auch dieser Teil beginnt mit einer kurzen sozial- und wirtschaftspolitischen Einführung in die Jahre 1945 – 2000, um dann die Theorien von Germain/Gitterman, Klaus Mollenhauer, Marianne Hege, Lutz Rössner, Karam Khella, Hans Thiersch, Silvia Staub-Bernasconi, Lothar Böhnisch und Dewe/Otto vorzustellen.
Zielgruppe
Dieses Buch kann insbesondere Studienanfänger/innen im Fachgebiet der Sozialen Arbeit dabei helfen, sich rasch einen groben Überblick über Biografie, Kontext und Position ausgewählter Theoretiker/innen der Sozialen Arbeit zu verschaffen.
Diskussion
Zweifellos hat sich Ernst Engelke 1998 mit der Erstauflage seines - jetzt in vierter Auflage in Ko-Autorenschaft vorliegenden - Buches außergewöhnlich große Verdienste um die Befreiung der Sozialen Arbeit von der Dominanz bezugswissenschaftlicher Theorien und Konzepte (siehe Vorwort zur ersten Auflage, S.7) erworben. Wichtige Theoretiker/innen, die sich historisch oder aktuell mit (Teil-) Aspekten des Gegenstandsbereichs der Sozialen Arbeit befasst haben oder dabei waren, eigenständige Theorien der Sozialen Arbeit zu entwickeln, kenntnisreich vorzustellen und grob zu charakterisieren, war damals für die Autonomiebildung der Disziplin und Profession von großer Bedeutung. So wichtig sogar, dass es das interessierte Fachpublikum weitgehend vorzog, über nicht unerhebliche systematische und logische Mängel in der Darstellung hinweg zu sehen.
Heute jedoch, angesichts der Vollakademisierung der Sozialen Arbeit im Rahmen von berufs- und wissenschaftsorientierten Masterstudiengängen müssen höhere Ansprüche an die Theoriediskussion gestellt werden. Eine Präsentation von Theorien, die oftmals den Charakter des Zufälligen hat (Warum kommt man immer auf genau 9 Vertreter/innen in den jeweiligen Perioden? Warum Bismarck und nicht Marx, Böhnisch und nicht Wendt, etc.) und in der nicht erkennbar wird, wieso keiner der heute für die Theoriebildung so enorm wichtigen Vertreter einer (an Luhmann orientierten) systemtheoretischen Sozialen Arbeit, wie z.B. Baecker, Bommes/Scherr, Hosemann, Kleve, etc. vorgestellt wird, mag dieses Buch den Studierenden helfen, das Werk ausgewählter Theoretiker kennen zu lernen, nicht aber einen profunden Überblick über historische und aktuelle Tendenzen im Bereich der Theoriebildung der Sozialen Arbeit zu gewinnen. Hier hätte man sich gewünscht, dass die Autoren noch deutlicher aufgezeigt hätten, dass Theoriebildung heute dynamisch, prozesshaft und netzwerkorientiert verläuft. Dies führt z.B. dazu, dass sich die sich auf diese Weise herausbildenden Theorien (wie z.B. die „lebensweltorientierte Soziale Arbeit“) nicht mehr eindeutig einzelnen Theoretikern zuweisen lassen. Und dass die Autoren – zumindest bei den neueren Theorien - den Aspekt der Anwendbarkeit stärker in den Mittelpunkt gerückt hätten. Immerhin wird heute von jeder guten Theorie erwartet, dass sie empirisch überprüfbar und damit praktisch relevant ist.
Fazit
Alles in allem ein Buch, das wichtige Dienste als Nachschlagewerk leisten kann. Außerdem sollte es den Studierenden zur Lektüre empfohlen werden, die nach einer ersten, überblicksartigen Einführung in historisch bzw. zeitgenössisch relevante Theorien der Sozialen Arbeit suchen.
Rezension von
Prof. Dr. Peter Erath
Professor für Theorien der Sozialen Arbeit, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, Fakultät für Soziale Arbeit.
Es gibt 7 Rezensionen von Peter Erath.
Zitiervorschlag
Peter Erath. Rezension vom 10.08.2009 zu:
Ernst Engelke, Stefan Borrmann, Christian Spatscheck: Theorien der sozialen Arbeit. Eine Einführung. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb
(Freiburg) 2009. 5., überarbeitete und erweiterte Auflage.
ISBN 978-3-7841-1824-6.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/6633.php, Datum des Zugriffs 19.01.2025.
Urheberrecht
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