Thomas Trenczek: Inobhutnahme. Krisenintervention und Schutzgewährung [...]
Rezensiert von Prof. Dr. Ines Dernedde, 10.08.2009
Thomas Trenczek: Inobhutnahme. Krisenintervention und Schutzgewährung durch die Jugendhilfe §§ 8a, 42 SGB VIII. Richard Boorberg Verlag (Stuttgart) 2008. 2., völlig neu bearb. Auflage. 316 Seiten. ISBN 978-3-415-03931-5. 32,00 EUR. CH: 52,50 sFr.
Autor
Thomas Trenczek ist Sozialwissenschaftler und promovierter Rechtswissenschaftler und lehrt als Professor an der Fachhochschule Jena die Fächer Jugend- und Strafrecht sowie Mediation / Konfliktmanagement.
Entstehungshintergrund
Die Inobhutnahme ist eine Intervention im Bereich des Kindesschutzes, es geht vielfach um die Sicherung des Kindeswohls in eskalierenden Konflikten und akuten Gefährdungssituationen. Die Kinder sollen vor extremer Vernachlässigung, Misshandlung und Missbrauch geschützt werden. Das Manuskript zum Buch wurde im Mai 2008 abgeschlossen, zu einer Zeit, in der in den Medien immer wieder über Vernachlässigung, Misshandlung oder gar den Tod von Kindern berichtet wurde. Der Gesetzgeber reagierte mit dem „Gesetze zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls“: Die Familiengerichte sollen früher angerufen werden, damit ein größerer Druck auf Eltern ausgeübt wird, Hilfen anzunehmen. Zudem sollen die Familiengerichte ihre Entscheidungen in angemessenen Zeitabständen überprüfen. Gleichzeitig wurde das Verfahren in Kindschaftssachen verändert. Das Verfahren ist vorrangig und beschleunigt durchzuführen und die Kindeswohlgefährdung ist im Termin zu erörtern. Die Gesetzesänderung wurde kontrovers diskutiert und weitere Änderungen zum Kinderschutz sind im Gesetzgebungsverfahren. Vor diesem Hintergrund verdient ein Buch, dass sich dieses Themas annimmt, besondere Beachtung. Die Arbeitshilfe soll nach Trenczek mit einer interdisziplinären Perspektive und gleichzeitig der erforderlichen disziplinär-fachlichen Gründlichkeit eine Orientierung für die schwierige Arbeit im Alltag der Krisenintervention durch die Jugendhilfe geben (Trenczek, S. VIII). Die neuen Regelungen zum Kinder- und Jugendschutz aus dem Jahre 2008 wurden teilweise durch Ergänzungen der Druckfahnen berücksichtigt.
Aufbau …
Das Buch ist in vier Kapitel gegliedert: Zunächst werden sozialpädagogischen Grundlagen der Krisenintervention dargestellt, es folgt die Praxis der Inobhutnahme im Spiegel statistischer Daten und empirischer Untersuchungen. Im dritten Kapitel werden die rechtlichen Grundlagen der Inobhutnahme dargelegt. Den Hauptteil des Werkes bildet die sich anschließende Kommentierung der Bestimmungen für die Durchführung der Inobhutnahme. Ihr Anlass, Durchführung und Ende werden diskutiert, dazu begleitende Elternarbeit, freiheitsentziehende Maßnahmen und unmittelbarer Zwang. Den Abschluss bilden einige Anmerkungen zum Verfahrensrecht.
… und Inhalt
Trenczek beschreibt die Inobhutnahme als Krisenintervention. Die Krise sei eine Störung des funktionierenden Alltags und der gewohnten Routine und somit Belastung und ggf. Überforderung. Während früher die Bewältigung von Krisen stets ein immanenter Teil der Persönlichkeitsentwicklung angesehen wurde, kommt es heute in der sich schnell wandelnden Risikogesellschaft zu allgegenwärtigen Krisenerfahrungen. Reichen die Bewältigungsstrategien der Betroffenen nicht aus, komme es insbesondere bei Familien mit Mangelerfahrungen in Einkommen, Bildung und Sozialisation zu Überlastungen. Im weiteren Verlauf dieses Kapitels legt der Autor Krisensignale, Krisenverlauf und Krisenintervention dar. Nützliche Übersichten ergänzen den Text, so beispielsweise ein „Notfallset Inobhutnahme“, oder Auflistungen von Risikofaktoren oder Anhaltspunkten für Kindeswohlgefährdung.
Im zweiten Teil kommt Trenczek nach Auswertungen von statistischem Material zu der Erkenntnis, dass in Deutschland nicht überall ein bedarfsgerechtes Angebot an Inobhutnahmestellen vorhanden ist, ja nicht einmal die genaue Zahl sei bekannt. Die Einrichtungen befänden sich überwiegend in freier Trägerschaft. Trenczek kritisiert Personalausstattung und fachliche Qualifizierung der Mitarbeiter. Die Einrichtungen seinen fast ausschließlich mit Erzieherinnen besetzt oder es werden „extrem viele“ studentische Hilfskräfte eingesetzt. Er stellt unzureichende Teamarbeit, kollegiale Beratung und ungenügende Supervision fest. Zudem würden aus Kostengründen Inobhutnahmen oft vorschnell beendet. Besonders schwer wiege in diesem Zusammenhang die mangelhafte Dokumentation von Beratungsgesprächen sowie des gesamten Betreuungsalltags.
Im dritten Teil folgen rechtliche Darlegungen und Bewertungen. Gemessen wird die Güte Sozialer Arbeit nach Trenczek weniger an ihren Ergebnissen, sondern in aller erster Linie an der Einhaltung des normativ vorgeschriebenen Verfahrens bei der Entscheidung über die notwendige Intervention (S. 65). „Sozialpädagogisches Handeln und normatives Denken ist in der Jugendhilfe … untrennbar miteinander Verknüpft“ (S. 63). Die einzelnen Tatbestandsmerkmale der Kindeswohlgefährdung werden beschrieben. In einer Übersicht werden Beispiele für Kindeswohlgefährdung zusammengestellt. Jedoch werde nach Trenczek eine Gesetzesänderung allein die Situation von Kindern und Jugendlichen jedoch nicht verbessern können. Maßgeblich sei dagegen das Verhalten der verantwortlichen Personen. Statt einer Ausweitung des kontrollierenden und eingreifenden Präventionsstaates empfehle sich ein mehr auf Kompetenzförderung, Partizipation und Teilhabe angelegter Ansatz. Auch die Haftung der Mitarbeiter der Jugendhilfe wird behandelt. Zum Abschluss dieses Teils werden gerichtliche Maßnahmen beschrieben und die unterschiedlichen Funktionen von Jugendamt und Gericht.
Der letzte Teil reicht vom Umgang mit Gefährdungsmeldungen über Prüfung der Inobhutnahme, Kontaktaufnahme mit der Familie bis zur Durchführung und Beendigung von Inobhutnahmen. Besonders nützlich erscheinen mir hier Übersichten über den Umgang mit Gefährdungsmeldungen und zum chronologischen Ablauf und des Verfahrens der Inobhutnahme.
Diskussion
Das Buch nimmt Stellung zu einem wichtigen Thema im Bereich des Kinderschutzes und geht weit über eine „Anleitung“ zur Inobhutnahme hinaus. Der Autor leistet einen Beitrag zu einem immer wieder diskutierten Rechtsgebiet und begründet seine Meinung ausführlich. Das Buch kann dazu dienen, die eigene Meinung zu überdenken. Bei einigen Lesern wird es auch auf Widerspruch stoßen. Die dezidierten Meinungsäußerungen zwingen zum Nachdenken und der inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Themengebiet Inobhutnahme.
Fazit
Die Arbeitshilfe ist eine Bereicherung für Mitarbeiter, die im Kinder- und Jugendschutz tätig sind, sie ist zudem ein Diskussionsbeitrag in der aktuellen Debatte über die gesetzliche Ausrichtung des Kinderschutzes. Das Buch gibt viele Anregungen, eigene Positionen zu bedenken und zu begründen. Auch Studenten der Sozialen Arbeit sei das Buch empfohlen. Sie können sich mit seiner Hilfe in die Thematik so einarbeiten, dass sie in der Praxis bestehen können.
Rezension von
Prof. Dr. Ines Dernedde
Alice-Salomon-Hochschule
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Zitiervorschlag
Ines Dernedde. Rezension vom 10.08.2009 zu:
Thomas Trenczek: Inobhutnahme. Krisenintervention und Schutzgewährung durch die Jugendhilfe §§ 8a, 42 SGB VIII. Richard Boorberg Verlag
(Stuttgart) 2008. 2., völlig neu bearb. Auflage.
ISBN 978-3-415-03931-5.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/6681.php, Datum des Zugriffs 10.10.2024.
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