Suche nach Titel, AutorIn, RezensentIn, Verlag, ISBN/EAN, Schlagwort
socialnet Logo

Bernd-Peter Lange: Medienwettbewerb, Konzentration und Gesellschaft

Rezensiert von Arnold Schmieder, 02.03.2009

Cover Bernd-Peter Lange: Medienwettbewerb, Konzentration und Gesellschaft ISBN 978-3-531-15115-1

Bernd-Peter Lange: Medienwettbewerb, Konzentration und Gesellschaft. Interdisziplinäre Analyse von Medienpluralität in regionaler und internationaler Perspektive. VS Verlag für Sozialwissenschaften (Wiesbaden) 2008. 345 Seiten. ISBN 978-3-531-15115-1. 34,90 EUR.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.

Kaufen beim socialnet Buchversand

Thema

Der Autor leiht nicht nur an, sondern legt, wie es der Untertitel des Werkes verspricht, eine interdisziplinäre Analyse vor, in der fachspezifische Forschungsergebnisse dargelegt, kritisch reflektiert und in ihrer Aussage- wie Erkenntnisreichweite miteinander verknüpft werden. Der Verfasser, Bernd-Peter Lange, ist emeritierter Professor für Wirtschaftstheorie mit den Schwerpunkten Sozio-Ökonomie, Medientechnologie und Medienrecht; überdies hat er lange Jahre das Europäische Medieninstitut in Düsseldorf geleitet, das als Frühwarnsystem die Medienentwicklung in Europa beobachtete und evaluierte. So kommt aus sehr berufenem Munde, was hier aus soziologischer, wirtschaftswissenschaftlicher, juristischer, historischer, politik- und kommunikationswissenschaftlicher Perspektive unterbreitet wird. Der Blick für die gesellschaftlichen Folgen von Medienpluralität und Medienwettbewerb, schließlich der Medienkonzentration im internationalen Maßstab wird geschärft, was insgesamt medienpolitische Anschlussdiskussion gerade in einer Umbruchzeit weltweiter Digitalisierung eröffnet und – weil von großer Dringlichkeit – abnötigt.

Inhalt

Macht und Herrschaft werden auch und wesentlich medial vermittelt, so der Tenor, und insofern liegt in toto eine „sozialwissenschaftliche Analyse“ vor, eine hier sehr detaillierte Analyse „gesellschaftlicher Evolution durch spezifische Medien, ihrer Technik, ihrer Organisation, ihrer Finanzierung, ihrer Inhalte und ihrer individuellen und gesellschaftlichen Wirkungen.“ (S. 10) Nun mag man über den Begriff „gesellschaftlicher Evolution“ stolpern und einen verengten theoriegeleiteten Zugang befürchten, was jedoch nicht der Fall ist. In allen behandelten Aspekten wird deutlich, dass es um das Basisproblem der „Konfrontation von realer Entwicklung und Wertehorizont“ (S. 72) geht. Darin scheint die Intention des Verfassers auf, die er mit einem – seinen Worten nach ein wenig zu pathetischen – Zitat von Mattusek dokumentiert: „die nachfolgenden Generationen ‚vor den Verstrahlungen einer vulgarisierten Gesellschaft zu schützen‘“, ist sein Ziel. (S. 11) Eben nicht das Geschäft der großen Verdummung für den Zweck der Durchsetzung von Macht und Herrschaft sollen die Medien betreiben, was Adorno vormals in seiner Kritik der Kulturindustrie so geißelte, sondern sie sollen daran mitwirken, Intoleranz, Dogmatismus, Un-Recht, Ausbeutung, Unfreiheit, nationale Borniertheit und nicht zuletzt alle Formen von Gewaltförmigkeit ‚abzurüsten‘. Und so zitiert der Autor, diese Forderung auf die Medien beziehend, abschließend Victor Hugo, es müsse um „alle Abrüstung mit Ausnahme der Abrüstung des Geistes“ gehen. (S. 316) Zwischen diesen beiden Zitaten ist, so scheint es, der theoriegeleitete Impetus, um es vorsichtig zu formulieren, dieser dankenswert wissenschaftlich sachlichen Analyse medialer Verquickung von Technik und Herrschaft, medialem Transport von Macht durch Steuerung und interessierte Aufbereitung der Inhalte angesiedelt.

Dieses nahezu kompendiöse Werk gibt zunächst Einblick in die geschichtliche Perspektive der Medienentwicklung, aus der erhellt, warum Medienkompetenz, und zwar eine kritische, in einer so genannten Wissensgesellschaft unverzichtbar ist. Daran schließen demokratietheoretische Überlegungen an, die nicht nur der inneren Logik von Medienwettbewerb und Medienkonzentration kontrastiert werden, sondern worin auch die Problematik aus verfassungsrechtlicher Verankerung aufgeworfen wird, womit die Medien als ‚Vierte Gewalt‘ thematisiert werden. Einem Überblick über empirische Befunde von der Mediennutzung bis zu den gesellschaftlichen Auswirkungen von Finanzierungsformen im dualen Rundfunksystem folgen aspektisch Zugänge, die von der Technikgeneseforschung über wirtschafts- und kommunikationswissenschaftliche, medienpolitische und juristische wie auch politikwissenschaftliche Erörterungen bis zu soziologischen und makrotheoretischen Erklärungsansätzen reichen. Gerade in den letzten Kapiteln wir der Widerspruch zwischen Aufgabe, Anspruch und Wirklichkeit deutlich, den es zu überwinden gilt. Stachel im Fleisch der tatsächlichen, wettbewerbsideologisch legitimierten Wirklichkeit der Medien und ihrer Konzentration ist ihre verfasste demokratische Funktion. So formuliert Lange: „Für Marktwirtschaften in demokratischen und rechtsstaatlichen Verfassungen ist die Wahrnehmung kultureller Standards und die Bändigung verfestigter wirtschaftlicher Macht eine wesentliche und immer wieder neu zu lösende Aufgabe. Hierbei spielen unabhängige und kritische Medien eine unersetzliche Rolle: Sie tragen zur offenen kulturellen und gesellschaftlichen Kommunikation bei und setzen Politik unter ständigen Rechtfertigungsdruck.“ (S. 11) Dazu aber müssten die Medien frei sein, dürften selbst weder einer Einfluss nehmenden Macht ausgeliefert sein noch selbst – auf Grund publizistischer und wirtschaftlicher Konzentration – Macht ausüben. Heute aber zeichne sich überdeutlich ab, dass sich der mediale Wettbewerb „als Kampf um die Deutungshoheit von gesellschaftlichen Prozessen darstellt und dass er als Interessenwahrnehmung einseitiger publizistischer Macht von Konzernherren interpretiert werden muss, der in machen Aspekten verfassungsrechtlich unakzeptabel und gesellschaftspolitisch gefährlich ist.“ (S. 315) „Gesellschaft und Politik müssen an grundsätzlichen Korrekturen arbeiten“, fordert der Autor, ein „gesellschaftlicher Kampf gegen einseitige und ideologische Interessenpositionen“, ein Kampf, der nur mit, über und „durch gut informierte und gesellschaftspolitisch engagierte Bürger“ zu gewinnen ist (ebd.) – just den Bürger, den es durch die und dank der Medien, die so sind, wie sie sind, eigentlich nicht geben kann. Wenn er im Hinblick auf gesellschaftspolitische Perspektiven im Widerstreit fragt: „Förderung der Bildung und der Wissensgesellschaft an Stelle der entpolitisierten Spaß- und Spiele-Gesellschaft?“ (ebd.), dann drängt sich ganz am Rande die amüsierte Frage auf, was Adorno dazu gesagt haben würde, gefolgt von der allerdings bangen Frage, was aus den derzeitigen, insbesondere geistes- und sozialwissenschaftlichen, modularisierten Studiengängen überhaupt an Reflexions- und Kritikfähigkeit heraus kommen mag. Allerdings macht das vorliegende Werk Hoffnung: Es nährt nicht ein bewusstloses Wissen, sondern macht über breite Kenntnisvermittlung und kritische Argumentation eine fundierte Meinungsbildung möglich.

Fazit

Gescheiterte Aufklärung?, Massenpresse als Ideologiefabrik, Der missachtete Leser, Medienindustrie und Demokratie, Technokratie und Kommunikation, Manipulation der Meinungsbildung – so einige Buchtitel aus den 70er Jahren, die hier stellvertretend das damalige kritische Meinungsklima umreißen. Sicherlich mussten einige der dort vertretenen Position revidiert werden, insbesondere solche, mit denen die Manipulationsmacht der Medien dämonisiert wurde und die mit Befunden über die ‚Schweigespirale‘ zu relativieren waren; andere, welche die Kommerzialisierung der Medien als Gefahr für den demokratischen Prozess anprangerten und oftmals als Unkenrufe abgetan wurden, haben sich nicht nur bestätigt, sondern haben sich prekärer als erwartet bewahrheitet. Diese Diskussion um und über Mediengewalt ist in der Folgezeit nicht abgebrochen, doch hat sich der Schwerpunkt auf politische Heilungsversuche verlagert, die zumeist als Werkeln am Symptom erscheinen. Um sich dessen bewusst zu werden und um erneut darüber nachzudenken, ob und wie Medien (auch und wesentlich) zu Instrumenten demokratischer Willensbildung werden können, um sich argumentativ ‚aufzurüsten‘, dazu sei das Werk von Bernd-Peter Lange empfohlen.

Rezension von
Arnold Schmieder
Mailformular

Es gibt 131 Rezensionen von Arnold Schmieder.

Besprochenes Werk kaufen
Sie fördern den Rezensionsdienst, wenn Sie diesen Titel – in Deutschland versandkostenfrei – über den socialnet Buchversand bestellen.


Zitiervorschlag
Arnold Schmieder. Rezension vom 02.03.2009 zu: Bernd-Peter Lange: Medienwettbewerb, Konzentration und Gesellschaft. Interdisziplinäre Analyse von Medienpluralität in regionaler und internationaler Perspektive. VS Verlag für Sozialwissenschaften (Wiesbaden) 2008. ISBN 978-3-531-15115-1. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/6701.php, Datum des Zugriffs 13.09.2024.


Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.


socialnet Rezensionen durch Spenden unterstützen
Sie finden diese und andere Rezensionen für Ihre Arbeit hilfreich? Dann helfen Sie uns bitte mit einer Spende, die socialnet Rezensionen weiter auszubauen: Spenden Sie steuerlich absetzbar an unseren Partner Förderverein Fachinformation Sozialwesen e.V. mit dem Stichwort Rezensionen!

Zur Rezensionsübersicht