Reinhold Hedtke, Birgit Weber (Hrsg.): Wörterbuch ökonomische Bildung
Rezensiert von Prof. Dr. Michael Buestrich, 23.11.2008
Reinhold Hedtke, Birgit Weber (Hrsg.): Wörterbuch ökonomische Bildung. Wochenschau Verlag (Frankfurt am Main) 2008. 368 Seiten. ISBN 978-3-89974-370-8. 19,80 EUR.
"Mehr Wirtschaft(swissenschaft) in Schule, Hochschule und Ausbildung" – die ambivalente Aktualität einer alten Forderung
Die Forderung nach verstärkter "ökonomischer Bildung" an Schulen und Universitäten wird seit Jahren insbesondere von Wirtschaftslobbyisten vorgebracht. Sie trägt sich dabei als scheinbar neutrale, bildungspolitisch gut begründete Klage über das "mangelnde Verständnis wirtschaftlicher Zusammenhänge" in der Gesellschaft insgesamt vor. Gegen eine entsprechende Abhilfe durch die Erklärung dieser Zusammenhänge wäre, auch außerhalb der genannten Bildungseinrichtungen, wenig einzuwenden. Wenn es denn tatsächlich nur darum ginge, sich und einem interessierten, weil praktisch unmittelbar betroffenen Publikum etwa Gründe, Verlauf und mögliche Auswirkungen der gegenwärtigen Finanzkrise zu erläutern.
Diesbezügliche Erklärungsversuche der Wirtschaftspresse und der Wirtschaftswissenschaft nehmen sich allerdings eher kläglich aus: Moralische Betrachtungen allzumenschlicher und deshalb irgendwie auch nachvollziehbarer bzw. entschuldbarer Motive ("Gier") der bis gestern noch für ihre Erfolge gefeierten und politisch ins Recht gesetzten Protagonisten einer "international agierenden Bankerelite" sind gepaart mit der schlichten ex-post-"Analyse", dass "es schließlich nicht dauerhaft so weitergehen konnte" (was, warum und warum jetzt, wo "es" doch offenbar jahrelang gut ging?). Derartige Schilderungen belegen dabei eher die Erklärungsnöte der Disziplin und sind damit wenig geeignet, das beklagte Defizit in Bezug auf das "Verständnis wirtschaftlicher Zusammenhänge" zu beheben – im Gegenteil.
So verwundert es auch nicht, dass aktuell vielfach nicht Ökonomen, sondern vorläufig Psychologen und Psychotherapeuten ("Angst und Panik"), dicht gefolgt von Theologen und Sozialethikern ("Vertrauen, Glaube und Hoffnung") die Deutungshoheit in Bezug auf die Krisengründe und –auswirkungen übernommen haben. Erst bei der Darstellung und Deutung des angesprochenen Grundmotivs der angeblich allgegenwärtigen "Gier" tritt die Wirtschaftswissenschaft dann wieder in Erscheinung und zwar in Gestalt des Berufsstandes der "Neuroökonomen" – also von Vertretern der Disziplin, die von ihrer Provenienz her auch eher am Rande des Faches anzusiedeln sind.
Die originäre Wirtschaftswissenschaft muss sich dagegen grundsätzliche Kritik gefallen lassen: "Man hatte auf ein "mea culpa" der Wirtschaftswissenschaften gehofft. Denn es ist ja nun so, dass ein Großteil ihres Fachs die Katastrophe, die sich anbahnte, nicht vorhergesehen hat. War es unmöglich, sie vorherzusehen? Quatsch. Sie war absolut vorhersehbar. Und wichtiger ist noch, dass eine Wirtschaftswissenschaft, die nicht in der Lage ist, Dinge vorherzusehen, eine völlig nichtige Wissenschaft ist. "Science for what?"" (Corriere della Sera; zit. nach Süddeutsche Zeitung vom 17.10.2008).
Zweifel sind in Anbetracht einer offenbar weitgehenden Ahnungslosigkeit demnach schon bezüglich der theoretischen Fähigkeiten dieser Wissenschaft angebracht. Zweifelhaft ist die Forderung nach "mehr ökonomischer Bildung" aber auch wegen des damit latent transportierten parteilichen Wunsches nach einem besseren Verständnis für die Bedürfnisse und Ansprüche der Wirtschaft. Eine Sicht der Dinge, die vor allem von wirtschaftsnahen Institutionen - etwa der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" – seit Jahren mit großem publizistischem Aufwand propagiert wird. Sie wirbt damit für ein Anliegen, dem man sich schon deshalb nicht mehr verschließen können solle, "weil die Wirtschaft sämtliche Lebensbereiche immer mehr beherrscht". Kritisch will man diesen Umstand dabei nicht betrachten, sondern eher als Aufforderung, sich dem praktisch Unvermeidlichen nun auch theoretisch zu fügen.
Dieser Anspruch vollzieht sich dann, wenig überraschend, auch in der Form einer gezielten Einflussnahme, z. B. im Rahmen der Durchführung entsprechender Lehrerfortbildungen, in denen diese "i. d. R. von Fachreferenten aus der Wirtschaft mit den Grundzügen der Marktwirtschaft vertraut gemacht" werden sollen: "Vielleicht zu vertraut, denn Lehrer, die an solchen Fortbildungen teilgenommen haben, klagen, es handele sich dabei um Werbeveranstaltungen der Industrie und des Handels." ("Angebot und Nachfragen – Firmen und Verbände fordern, dass Schulen sich öffnen und öfter ein eigenständiges Fach "Wirtschaft" einrichten sollen"; Süddeutsche Zeitung vom 16.10.2008).
Ökonomische Bildung
Gegenüber diesem leicht durchschaubaren, letztlich auf bloße Affirmation verengten Interesse an der Vermittlung ökonomischer Begrifflichkeiten umfasst ökonomische Bildung der Sache nach mehr. So definiert sie etwa das Institut für Ökonomische Bildung der Universität Oldenburg (www.ioeb.de) umfassender als "[…] die Gesamtheit aller erzieherischen Bemühungen in allgemein bildenden Schulen, Kinder und Jugendliche mit solchen Kenntnissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Verhaltensbereitschaften und Einstellungen auszustatten, die sie befähigen, sich mit den ökonomischen Bedingungen ihrer Existenz und deren sozialen, politischen, rechtlichen, technischen, ökologischen und ethischen Dimensionen auf privater, betrieblicher, volkswirtschaftlicher und weltwirtschaftlicher Ebene auseinander zu setzen. Ziel soll sein, sie zur Bewältigung und Gestaltung gegenwärtiger und zukünftiger Lebenssituationen zu befähigen."
Zur Unterstützung dieser Zwecksetzung will das vorliegende Wörterbuch die für die Wirtschaftsdidaktik zentralen Begriffe sammeln und zusammenstellen. Eine derartige systematisierende Zusammenstellung sei vor allem deshalb nötig, weil der Wissensbestand der Wirtschaftsdidaktik oft angrenzenden Wissenschaftsbereichen (vor allem den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, zusätzlich auch der Psychologie, der Philosophie etc.) entnommen sei.
Herausgeber/Autoren
Die Herausgeber und Mitautoren Birgit Weber und Reinhold Hedtke lehren an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld "Didaktik der Sozialwissenschaften" sowie "Wirtschaftssoziologie". Das von ihnen verantwortete Wörterbuch enthält insgesamt 250 Stichwortbeiträge von knapp 60 weiteren in- und ausländischen Hochschulautorinnen und –autoren. Damit spiegele das Werk nach Angaben der Herausgeber "inhaltlich und personell im Wesentlichen den Stand der Wirtschaftsdidaktik, wie er in der fachdidaktischen Literatur der letzten zwanzig Jahren zum Ausdruck kommt" (S. 22) wider.
Intention und Aufbau
Nach Aussage der Herausgeber soll sich das Werk von anderen, originär wirtschaftswissenschaftlich angelegten (vgl. z. B. Woll, Artur (Hrsg.) (2008): Wirtschaftslexikon, München) insbesondere durch die den Einzeleinträgen zugrundeliegende Systematik sowie die Präsentation der Begriffe aus einer dezidiert wirtschaftsdidaktischen Perspektive unterscheiden. Zu diesem Zweck ist dem üblichen alphabetischen Verzeichnis zusätzlich ein Verzeichnis vorangestellt, das in sechs Kapiteln mit entsprechenden Unterkapiteln die Einzeleinträge systematisch einordnet.
- Grundlagen, Konzeptionen und Fächer ökonomischer Bildung,
- Bildungsfelder, Rollen und Sozialisation,
- Ziele, Werte, Kompetenzen,
- Planung und Evaluation,
- Denkschemata und
- Inhaltsfelder.
In den Artikeln werden - einem Wörterbuch
angemessen – die jeweiligen Begrifflichkeiten in knapper Form (1-4
Seiten) präsentiert, wobei jedem systematischen Kapitel zumeist ein
einschlägiges Stichwort vorangestellt ist. Die einzelnen Beiträge variieren
dabei nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ – je nach Autor
– zum Teil recht deutlich. Unterschiede im theoretischen Niveau wirken
sich dabei auch auf die Verständlichkeit aus. So liest man überwiegend Beiträge, die den
Begriff der Sache kurz, prägnant und zugleich vollständig auf den Punkt
bringen, während sich einige längere Texte zum Teil eher in fachlich vielleicht
nicht uninteressanten, für ein Lexikon aber eher unwichtigen Details und
Nebensächlichkeiten verlieren. Dem besonderen Anspruch gemäß gehen sämtliche
Autoren mehr oder weniger intensiv auf die wirtschaftsdidaktischen Aspekte
(Bedeutung/Relevanz des Themas, Art und Weise der Vermittlung, Einordnung in
den didaktischen Kontext etc.) des jeweils erläuterten Begriffs ein. Jeder
Stichwortbeitrag schließt mit dem Hinweis auf weiterführende Literatur ab. Das Wörterbuch liefert einen aktuellen und zugleich
umfassenden Überblick über Inhalte und Begrifflichkeiten und damit den Stand
der Disziplin. Das systematische Verzeichnis erlaubt dem Leser in Kombination mit
dem alphabetischen Verzeichnis einen schnellen Zugriff auf diese
Wissensbestände. Das verfolgte Konzept, die im weitesten Sinne
wirtschaftswissenschaftlichen Inhalte mit wirtschaftsdidaktischen
Gesichtspunkten zu verbinden, macht es als
Nachschlagewerk insbesondere für Lehrende an Schulen und Hochschulen
interessant und nützlich. Rezension von
Es gibt 35 Rezensionen von Michael Buestrich.
Fazit
Prof. Dr. Michael Buestrich
Evangelische Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum
Website
Zitiervorschlag
Michael Buestrich. Rezension vom 23.11.2008 zu:
Reinhold Hedtke, Birgit Weber (Hrsg.): Wörterbuch ökonomische Bildung. Wochenschau Verlag
(Frankfurt am Main) 2008.
ISBN 978-3-89974-370-8.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/6706.php, Datum des Zugriffs 06.10.2024.
Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt.
Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns.
Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen
für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.