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Kirsten Aner, Ute Karl (Hrsg.): Ältere und alte Menschen

Rezensiert von Prof. Dr. Walter Rehberg, Benjamin Moser, 23.04.2009

Cover Kirsten Aner, Ute Karl (Hrsg.): Ältere und alte Menschen ISBN 978-3-8340-0431-4

Kirsten Aner, Ute Karl (Hrsg.): Ältere und alte Menschen. Schneider Verlag Hohengehren (Baltmannsweiler) 2008. 290 Seiten. ISBN 978-3-8340-0431-4. 19,80 EUR. CH: 34,60 sFr.
Reihe: Basiswissen Soziale Arbeit - 6.

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Herausgeberinnen, AutorInnen und erste Einschätzung

Der sechste Band der von H.G. Homfeldt und J. Schulze-Krüdener im Schneider Verlag Hohengehren herausgegebenen Reihe zum Themenbereich „Lebensalter und Soziale Arbeit“ befasst sich mit älteren und alten Menschen. Dieser im Jahr 2008 erschienene Band wurde herausgegeben und verantwortet von Kirsten Aner, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialpädagogik und Soziologie der Lebensalter der Universität Kassel und von Ute Karl, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Sozial- und Organisationspädagogik der Universität Hildesheim. Die 18 Autorinnen und Autoren von insgesamt 19 Beiträgen und einer Einleitung repräsentieren vor allem die fachlichen Perspektiven von Sozialpädagogik, Sozialarbeit, Soziologie, Sozialpolitik und Psychologie.

Bevor die Beiträge im Einzelnen diskutiert werden, soll auf einige generelle Probleme des Bandes hingewiesen werden: Es zeigt sich leider beim Lesen, dass die Beiträge isolierte Texte darstellen, die kaum aufeinander Bezug nehmen; dieses Problem wurde auch nicht durch die offensichtlich nachträglich eingefügten Verweise auf andere Texte im selben Band gelöst, weil diese Verweise eher mechanisch erfolgen, und konzeptionell wenig sinnvoll sind. Die einzelnen Beiträge versuchen auf unterschiedliche Art und Weise thematische Bezüge zur Sozialen Arbeit herstellen. Dabei vermisst man als LeserIn oft eine erkennbare Systematik. So wirkt der ganze Band wie eine Art Aneinanderreihung von losgelösten Artikeln mit punktuellen und assoziativen Bezügen zu Profession und Disziplin der Sozialen Arbeit. Schliesslich ist noch darauf hinzuweisen, dass mehrere Beiträge ein relativ enges, ausschliesslich dem qualitativen Paradigma verpflichteten Verständnis empirischer Forschung erkennen lassen und dass einige jener Beiträge, die sich auf Zahlen berufen und mit diesen hantieren, die erforderliche Erfahrung und Sorgfalt im Umgang mit quantitativen Daten vermissen lassen.

Teil I Lebenslage älterer Menschen im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen

Peter Hammerschmidt: Sozialpolitik, Sozialrecht und Soziale Altenarbeit. Es handelt sich dabei um einen sehr informativen und systematisch gut aufgebauten Abriss über die Entwicklung und die Ausdifferenzierung des Systems sozialer Sicherheit älterer Menschen. Soziale Altenarbeit wird als Teil kommunaler Sozial(hilfe)politik diskutiert, für die der Autor einen Bedeutungszuwachs prognostiziert. Die Altersarmut wird demgemäss zunehmen, mit der Konsequenz, dass die Aufgaben der sozialen Altenhilfe im Sinne eines Pflegemanagements an Bedeutung gewinnen werden. Ein zweiter zentraler Diskurs richtet sich auf das Erfordernis, ehrenamtliche Kräfte zu gewinnen und einzubinden. Der Artikel überzeugt durch einen klaren Aufbau und einen klar eingegrenzten Themenfokus. Es gelingt, Soziale Altenarbeit im historischen Kontext sozialpolitischer Entwicklungen in Deutschland zu verorten und aktuelle Anforderungen an die soziale Altenhilfe herauszuarbeiten.

Felix Welti: Sozialrecht und Soziale Ungleichheit im Alter. Auch dieser Beitrag überzeugt durch die fokussierte Bearbeitung der Fragestellung und die Stringenz seiner Argumentation. Er befasst sich mit dem geltenden Sozialrecht und thematisiert aus einer verfassungsrechtlichen Perspektive soziale Ungleichheit im Alter. Prekär ist die Situation vor allem für Personen, die nicht in der Lage sind oder waren, eine zur gesetzlichen Rente ergänzende betriebliche oder private Altersvorsorge zu generieren. Diese Problematik wird verschärft durch die aktuelle Arbeitsmarktlage. Arbeitslosigkeit oder Arbeitsunfähigkeit führen dazu, dass keine weiteren Anwartschaften für Altersrenten erworben werden können. Daher plädiert der Autor für eine sozialpolitische und verfassungsrechtliche Diskussion über das Alterssicherungssystem, bei der mögliche Massnahmen gegen eine potenziell wachsende Altersarmut aufgegriffen werden. Leider ist die Argumentation teilweise sehr voraussetzungsreich. Im Rahmen eines Bandes, der mindestens tendenziell auf eine sozialwissenschaftlich orientierte Leserschaft ausgerichtet ist, wären Ausführungen zu fachlichen Begrifflichkeiten wie Eigentumsschutz, Vertrauensschutz oder Risikostrukturausgleich hilfreich gewesen.

Karin Stiehr/Mone Spindler: Lebenslage im Alter. Die Absicht der Autorinnen ist interessant: Sie diskutieren die Lebenslage von älteren Menschen in Deutschland anhand von empirischen Daten. Dabei offenbart der Beitrag einige Schwächen. Nach einer kurzen Darstellung konzeptueller und empirischer Schwierigkeiten stellen die Autorinnen drei Sozialstrukturmerkmale vor, mit denen im Folgenden die Diskussion geführt wird. Dass die Dimensionen „Geschlecht“, „Alter“ und „Migrationshintergrund“ mit Sicherheit von hoher Bedeutsamkeit sind für einen empirischen Fokus auf die Lebenslage von älteren Menschen, ist kaum zu bestreiten. Die Wahl dieser Dimensionen wird jedoch nicht weiter begründet und hinterlässt den Eindruck einer willkürlichen und nicht weiter reflektierten Vorgehensweise. Auch die Wahl der Datenquellen (amtliche Statistiken und Alterssurvey 2002) wird nicht weiter diskutiert. Bei dem Anspruch, die Lebenslage älterer Menschen in Deutschland darzustellen, wäre eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Datenquellen sinnvoll gewesen. So kommt es zu Aussagen wie: „Die Häufigkeit von Kontakten älterer Menschen zu ihren Kindern steigt mit dem Alter an“. Dabei wird aus den Ausführungen nicht ersichtlich, ob hier dieselbe Kohorte über einen längeren Zeitraum verfolgt wurde oder aber verschiedene Kohorten zum selben Zeitpunkt miteinander verglichen wurden. Generell sind die Schlussfolgerungen nicht immer nachvollziehbar. So wird die Mitgliedschaft in ausgewählten Gruppen als Beleg für gelungene Integrationen der jeweiligen Personen gedeutet, ohne dass dieser Gedanke weiter ausgeführt oder begründet wird.

Dietrich Engels: Demographischer Wandel, Strukturwandel des Alters und Entwicklung des Unterstützungsbedarfs alter Menschen. So wie der Beitrag von Stiehr und Spindler vermag auch die Diskussion empirischer Daten von Dietrich Engels nicht zu überzeugen. Auch er verpasst es, sein Vorgehen und die Wahl der Datenquellen zu diskutieren. Dies wäre hier umso wichtiger gewesen, als sich der Autor in seinem Beitrag auf unterschiedliche Datenquellen aus unterschiedlichen Zeitperioden bezieht. Die vorgestellten Ergebnisse gehen kaum über schon oft diskutierte Entwicklungstendenzen hinaus. Zudem vermag er hinsichtlich Präzision und Nachvollziehbarkeit der Argumentation nicht zu überzeugen. Der Autor proklamiert in der Einleitung eine kreative und auf differenzierte Analysen statistischer Daten zurückgreifende Reaktionsweise auf die mit dem Strukturwandel einhergehenden Herausforderungen. Mit seinem Beitrag kommt er jedoch nicht über eine recht schematische Darstellung von Zukunftsszenarien hinaus, die hinsichtlich ihrer Aussagekraft unreflektiert bleibt.

Frank Schulz-Nieswandt: Alter und Lebenslauf. Ein Beitrag einer philosophischen Anthropologie in sozialpolitischer Absicht. Der Beitrag von Frank Schulz-Nieswandt wirkt wie ein Plädoyer für virtuose Unverständlichkeit von simplen Zusammenhängen. Durch die Einnahme von ontogenetischen, metatheoretischen, anthropologischen, philosophischen, theologischen, grundrechtstheoretischen, objekttheoretischen, strukturalistischen, transzendentalsubjektiven und anderen Perspektiven gelingt es ihm aufzuzeigen, dass Menschen soziale Wesen sind, die aufeinander angewiesen sind. Um zu dieser durchaus überraschenden Erkenntnis vorzudringen, muss man den Autor zur kopernikanischen Wende begleiten, bei der die theologische Eindeutigkeit verloren ging und die absolute kosmische Ordnung überwunden wurde. Dies ist nach Schulz-Nieswandt erforderlich, um zu verstehen, dass es eine eindeutige Wahrheit durch Letztbegründung nicht gibt. Schade eigentlich, mit seinem virtuos-unverständlichen Schreibstil hätte sich Frank Schulz-Nieswandt als herausragender Exponent empfohlen, um die letztbegründete und absolute Weltformel niederzuschreiben. Liest man diesen Beitrag nicht mit einem bestimmten Mass an Ironiebereitschaft, so bleibt nur Unmut übrig. Unmut über einen völlig unbrauchbaren Beitrag, der aufgrund von Schachtelsätzen und unnötiger intellektueller Prahlerei nur sehr schwer nachvollziehbar ist. Spätestens seit der kopernikanischen Wende sind solche Beiträge verzichtbar.

Teil II Herausforderung für die Soziale Altenarbeit

1 Lebenslagen, Lebensbewältigung und Lernarrangements

Meinolf Peters: Beratung älterer Menschen und ihrer pflegenden Angehörigen. Eindeutig positiv ist an diesem Beitrag hervorzuheben, dass der Autor eine Fallskizze heranzieht, um damit die komplexe Realität der Beratung pflegender Angehöriger zu illustrieren. Dabei wird deutlich, dass sich einfache Interventionen und Hilfestellungen verbieten und dass Beratende bei solchen Problemlagen vermutlich nicht selten an ihre professionellen Grenzen stossen werden. Der Fokus des Artikels auf Beratung und Unterstützung pflegender Angehöriger ist auch deswegen verdienstvoll, weil die grosse Mehrzahl pflegebedürftiger Personen eben von ihren Angehörigen betreut wird und weil höchst unklar ist, ob angesichts sich wandelnder Familienstrukturen auch künftig mit einer solchen Unterstützungsbereitschaft durch Angehörige zu rechnen ist; umso wichtiger ist deswegen die Begleitung und Entlastung von pflegenden Angehörigen. Weniger gelungen erscheinen im Beitrag von Meinolf Peters die empirische Herleitung des in der Gesamtgesellschaft gegebenen Beratungsbedarfs sowie seine konzeptionellen Überlegungen zu den Grundlagen psychosozialer Beratung im Alter: Peters zitiert epidemiologische Untersuchungen, die davon ausgehen, dass bei einem Drittel der Personen ab 70 Jahren eine „subdiagnostische psychische Symptomatik“ vorliegt und schliesst daraus ohne weitere Diskussion des Konzeptes „subdiagnostische psychische Symptomatik“ auf einen Beratungsbedarf in genau derselben Grössenordnung. Schematisch bleibt auch seine Abgrenzung der von ihm geforderten psychosozialen von bloss sozialer Beratung, weil man auch in der sozialen Beratung nicht davon ausgehen kann, dass „der Ratsuchende (.) vornehmlich als Hilfeempfänger gesehen (wird), dem Objektstatus zugeschrieben wird.“ Als recht typisch für den gesamten Band erscheinen die Schlussfolgerungen des Autors in ihrer hilflosen Allgemeinheit: „Das Alter ist heute eine Lebensphase, die oftmals mehr als die Hälfte des bisherigen Erwachsenenlebens umfasst. Verjüngungsprozesse einerseits und eine immer längere Lebenserwartung andererseits führen zu einer fortschreitenden Ausweitung und Ausdifferenzierung. Gefordert sind deshalb integrative Konzepte einerseits, um der Diversifizierung der Angebote entgegen zu wirken, andererseits aber auch differenzierte Angebote, die der Unterschiedlichkeit älterer Menschen Rechnung tragen.“

Ulrich Otto: Soziale Arbeit im Kontext von Unterstützung, Netzwerken und Pflege. Der Autor weist einleitend darauf hin, dass die Soziale Arbeit sich im Kontext der Pflege von älteren Angehörigen noch nicht ausreichend positioniert habe und schliesst daran mit Bezug auf die WHO-Klassifikationen der ICIDH und der ICF die Skizze eines Modells des Pflegebedürftigkeitsprozesses an. Ein solches Modell auszuarbeiten wäre höchst sinnvoll, was aber wegen der vermutlich von den Herausgeberinnen geforderten Kürze der Beiträge nicht geleistet werden konnte. Otto fordert einen Fokus auf das soziale Netzwerk, wenn es um die Analyse von Unterstützungspotentialen im Umfeld von Pflegebedürftigen und geht und die Planung von Hilfeprozessen geht. Er hebt hervor, dass sich Soziale Arbeit den Leitideen von Lebenslauf und Lebensqualität verpflichtet fühlen und die Maximen der Koproduktion und des Erhalts von Autonomie der pflegebedürftigen Menschen zu eigen machen sollte. Otto schliesst mit einem Fazit, das noch sinnvoller als ordnende Fragestellung am Beginn seines Beitrags gestanden hätte: „Wie können künftig im Zusammenwirken informeller und formeller Instanzen Unterstützungssettings geschaffen, flankiert und abgesichert werden, die sowohl für die Hilfebedürftigen wie für die Unterstützungspersonen der Selbstbestimmung und Autonomie sowie dem Erhalt von Wohlbefinden und Gesundheit möglichst nachhaltig zuträglich sind?“ Der Beitrag von Ulrich Otto skizziert eine ganze Reihe von sehr relevanten und spannenden Themenstellungen und hätte von einer stärkeren inneren Fokussierung und / oder von einer stärkeren Ausrichtung an einer klaren konzeptionellen Strukturierung des Bandes durch die Herausgeberinnen noch deutlich profitiert.

Roland Schmidt: Soziale Arbeit in der Langzeitpflege. Nach einer sehr nützlichen Klärung der einschlägigen deutschen und englischen Terminologie (Langzeitpflege, soziale Betreuung, Teilhabe, Long-Term-Care, Nursing) stellt der Autor fest, dass Soziale Arbeit für die Träger der Langzeitpflege eine Option darstellt, die aufgegriffen werden kann oder nicht. Empirisch lässt sich feststellen, dass Soziale Arbeit in ambulanten Diensten eher selten, in stationären Einrichtungen dagegen häufiger vertreten ist. Der professionelle Mehrwert des Einsatzes Sozialer Arbeit in der Langzeitpflege kann einerseits durch Leistungen an und mit pflegebedürftigen Personen selbst und andererseits durch Arbeit an den Umwelt- und Koordinationsbedingungen von Diensten und Einrichtungen entstehen. Der Autor diskutiert anschliessend vor dem konzeptionellen Hintergrund der differenziellen Gerontologie und der International Classification of Impairments, Disabilities and Handicaps (ICIDH) die epidemiologisch wichtigsten Formen von Pflegebedürftigkeit bei älteren Menschen. Er weist darauf hin, dass hohes Alter nicht automatisch mit Pflegebedürftigkeit einher geht und dass Alterungsprozesse etwa durch körperliches oder kognitives Training beeinflussbar sind. Physische, psychische und soziale Interventionen sollten vor allem darauf gerichtet sein, das Wohlbefinden von pflegebedürftigen Personen zu stärken. Abschliessend stellt der Autor fest, dass die Soziale Arbeit im Pflegekontext nicht nur nach fachlichen, sondern auch nach wirtschaftlichen Kriterien danach beurteilt wird, ob ein gewünschter Effekt eintritt: „Ihre Erforderlichkeit basiert zentral auf der Kompetenz, Versorgungsprozesse so zu organisieren und mit den koproduzierenden Klienten und ihren Bezugspersonen abzustimmen, dass sich eine (erweiterte) Wirkung im Hinblick auf ‚Leben mit Beeinträchtigungen‘ einstellen kann.“

Elke Olbermann: Kultursensible Altenhilfe. Die Autorin geht in ihrem Beitrag der Frage nach, inwiefern die soziale Altenhilfe den spezifischen und sehr heterogenen Lebenslagen älterer MigrantInnen bisher gerecht werden konnte und welchen Herausforderungen sich eine kultursensible Altenhilfe stellen müsste. Olbermann stellt fest, dass sich zwar soziale Dienste spätestens seit Ende der achtziger Jahre der Tatsache öffnen, dass ein grösserer Teil der in den fünfziger und sechziger Jahren angeworbenen ArbeitsmigrantInnen nicht in ihre Herkunftsländer zurückkehren, dass aber von einer umfassenden und systematisch kultursensiblen Versorgung noch nicht ausgegangen werden könnte. Eine umfassend kultursensible Altenhilfe begegnet besonderen Herausforderungen, wie der Fixierung des sozialen Fachpersonals auf die Sprachproblematik und einem Unverständnis für die spezifische Lebenssituation der MigrantInnen zwischen zwei Kulturen. Ein Tätigkeitsfeld für die Soziale Arbeit sieht die Autorin in der Begleitung von interkulturellen Lernprozessen in sozialen Netzwerken älterer MigrantInnen. Beratungsformen und Beratungssettings sollten den Lebenswelten älterer MigrantInnen angepasst sein. Bei Pflegebedürftigkeit wäre zu berücksichtigen, dass ältere MigrantInnen noch stärker auf das Unterstützungspotenzial ihrer Familie setzen. Abschliessend fordert Olbermann, nicht nur die individuelle Situation der älteren MigrantInnen in den Blick zu nehmen, sondern auch die Erfordernis einer gesamtgesellschaftlichen Integrationspolitik. Dieser Beitrag ist einer der besten des Sammelbandes, weil er – offensichtlich basierend auf eigenen Forschungserfahrungen der Autorin – konkrete und fundierte Hinweise für die Praxis gibt.

Wolfgang Schröer/Cornelia Schweppe: Alte Migrantinnen und Migranten – Vom Kulturträger zum transnationalen Akteur? In ihrem Beitrag wollen Schröer und Schweppe eine Perspektive aufzeigen, in der ältere MigrantInnen nicht allein als Träger des Merkmals „fremde Kultur“, sondern als Akteure sozialer Unterstützung in den Vordergrund rücken. Sie leiten ihren Artikel mit einem Hinweis auf den „cultural lag“ ein, der ein Hinterherhinken von gesellschaftlichen Strukturen und Normierungen gegenüber der pluralisierten Lebenswirklichkeit älterer Menschen postuliert: ältere Menschen lassen sich schon längst nicht mehr auf das Altenbild von Abhängigkeit und Nichtstun festlegen. Abgesehen davon, dass dieser „cultural lag“ wohl inzwischen überwunden sein dürfte – siehe die Diskussion um die „Potenziale des Alters“ durch Kirsten Aner im selben Band – bleiben Schröer und Schweppe einen Bezug dieser These zu den älteren MigrantInnen schuldig. Interessant ist hingegen ihre Frage, ob ein Hin- und Herpendeln von älteren MigrantInnen zwischen Herkunfts- und Aufnahmeland unbedingt als negativ gesehen werden muss und ob dies nicht vielmehr auch als konstruktiver und positiver Lösungsweg gesehen werden kann. Die Autorin und der Autor plädieren dafür, diese Transmigration als befriedigenden Lebensentwurf zu sehen, ohne allzu euphorisch belastende Nebenwirkungen aus dem Blick zu verlieren. Ausgehend von diesem interessanten Gedanken verlieren sich Schröer und Schweppe leider zum Schluss ihres Beitrags in sehr allgemeinen Hinweisen zu Agency-Theorien und sozialer Unterstützungsforschung, ohne dass klar würde, was dies mit älteren MigrantInnen zu tun haben soll.

Ute Karl: Bildsamkeit und Bildungsprozesse im Alter. Die Autorin scheitert in diesem Beitrag grandios mit ihrem Anspruch, zunächst eine allgemeine Diskussion des Bildungsbegriffes im gerontologischen Kontext zu führen, anschliessend auf den Begriff der Bildsamkeit zu fokussieren und das Alles schliesslich auf die Soziale Arbeit zu beziehen. Karls Diskussion des Bildungsbegriffes im gerontologischen Kontext ist eine relative beliebige Aneinanderreihung unterschiedlicher Verständnisse von Bildung, ohne deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede wirklich triftig darzulegen oder zu begründen, warum sie jeweils ausgewählt wurden oder warum sie überhaupt wichtig sind. Völlig unklar bleibt anschliessend auch, warum der Begriff der Bildsamkeit wichtig ist und was sich die Autorin konkret darunter vorstellt: „Bildsamkeit meint (…) die Erziehbarkeit, Selbstbestimmungsfähigkeit, Fähigkeit zu Veränderung und Selbstreflexion der Zu-Erziehenden in Auseinandersetzung mit der Umwelt.“ Also worum soll es jetzt gehen: Sollen die Zöglinge, pardon die Zu-Erziehenden, möglichst fügsam die ihnen eingetrichterte Bildung aufnehmen? Oder sollen sie doch – vermutlich auf Anweisung – endlich ihre Fähigkeit zur Selbstbestimmung, Veränderung und Auseinandersetzung mit der Umwelt unter Beweis stellen? Aber vielleicht hilft uns eine weitere Definition der Autorin: „Ein zeitgemässes Verständnis von Bildsamkeit müsste beide Aspekte – den Übergang von der Unbestimmtheit zur Bestimmtheit und die Ermöglichung von Unbestimmtheit – in ihrem dialektischen Verhältnis berücksichtigen, denn gerade darin liegt die Bildungsherausforderung.“ Nach so viel dialektischer Klärung entlässt uns die Autorin mit hilfreichen und klaren Hinweisen in die (sozial-)pädagogische Praxis; diese müsse nämlich „nicht nur an Erfahrungswissen anknüpfen und dieses wertschätzen, sondern auch die Möglichkeiten anbieten, dieses zu hinterfragen und bisherige Erfahrungen neu zu bewerten. (…) Bildsamkeit verweist die Professionellen auf die Notwendigkeit, sensibel die Möglichkeiten und Grenzen wahrzunehmen, die die alten Menschen haben.“ Nun wissen die BildungspraktikerInnen auch genau, wozu sie bildungstheoretische Überlegungen benötigen…

Franz Kolland: Lernbedürfnisse, Lernarrangements und Effekte des Lernens im Alter. Franz Kolland untersucht in seinem Beitrag Zielsetzungen, unterschiedliche Formen und die Effekte des Lernens im Alter. Zu den Lerninteressen älterer Menschen zitiert der Autor Ergebnisse aus quantitativen empirischen Untersuchungen, wobei die Darstellung relativ schematisch bleibt und die Daten nicht eingehender diskutiert werden. Ebenfalls mit den Ergebnissen eigener und anderer empirischer Untersuchungen begründet Kolland die Schlussfolgerung, dass ältere Menschen anders, nämlich vor allem selbstbestimmten und in informellen Settings lernen wollen. Trotzdem plädiert er für eine gewisse Formalisierung des Lernens auch von älteren Menschen und gibt Beispiele für passende Lernformate. Bildung kann Gedächtnisverluste verringern oder rückgängig machen und so vor Demenz schützen. Bildung ermöglicht weiters eine Chance zur Sozialisation und sozialer Bindung auch und gerade für ältere Menschen. Abschliessend weist Kolland darauf hin, dass der Anspruch an lebenslange Bildung nicht an Individuen formuliert werden kann, sondern auch eine Verpflichtung für Gesellschaft und Politik sei, förderliche Rahmenbedingungen zu gestalten.

2 Zivilgesellschaftliches Engagement

Fred Karl: Generationen, ihr politisches Interesse und ihr Engagement. Anknüpfend an Ergebnisse des European Social Surveys (ESS) und des Freiwilligensurveys befasst sich dieser Beitrag mit dem politischen Interesse und Engagement von Menschen im Generationenvergleich. Wie schon im Beitrag von Stiehr und Spindler wird bei der Diskussion von statistischen Sekundärdaten nicht differenziert zwischen Kohorten- und Langzeitvergleichen. So kann etwa aus den Daten des statistischen Bundesamt nicht geschlossen werden, dass die Wahlbeteiligungen mit dem Alter stetig zunehmen; die Daten spiegeln einzig Unterschiede zwischen einzelnen Kohorten. Auch die Darstellungsweise der Tabellen ist nicht immer glücklich gewählt. In Tabelle 4a. überlappen sich die Kategorien der Altersgruppen (Kategorie der 46- bis 65jährigen; Kategorie der 60- bis 69jährigen). Weil für beide Kategorien unterschiedliche Engagementquoten ermittelt wurden, verleitet dies den Autor zur unpräzisen Aussage, dass die Quoten für die „jungen Alten“ um die 60 zwischen den beiden Werten beider Alterskategorien lägen – eine Schlussfolgerung, die aus der Tabelle nicht gezogen werden kann. Zudem bleibt öfters unklar, welche Aspekte der Tabellen diskutiert werden und welche im Text unerwähnt bleiben. So wird in der gleichen Tabelle auf die hohe Bereitschaft der 60jährigen im Jahr 2004 eingegangen. Dass die Werte für das Jahr 1999 deutlich niedriger ausgefallen sind wird zwar erwähnt, aber nicht weiter diskutiert. Nebst diesen Mängeln im Umgang mit statistischen Daten zeigen sich weitere analytische Defizite. Zentrale Begrifflichkeiten, wie „politisches Interesse“ werden konzeptionell nicht erläutert. Offen bleibt, in welcher Art und Weise das politische Interesse für das soziale Engagement bedeutsam ist. So überrascht es auch nicht, dass die Diskussion der Konsequenzen für die Soziale Altenarbeit mit einem Haltungspostulat endet. Demnach, so die Konklusion des Autors, müssen die Akteure lernen, sich in die Handlungsvoraussetzungen und Perspektiven der Beteiligten hineinzuversetzen. Ein solcher Appell ist einerseits inhaltlich trivial und andererseits despektierlich gegenüber jenen professionellen Akteuren, die konkrete Handlungsverantwortung im gegebenen Arbeitsfeld übernehmen.

Kirsten Aner: Bürgerengagement Älterer aus sozialpolitischer und biographischer Sicht. Geboten wird hier ein guter Abriss über den Paradigmenwechsel in der Diskussion über die gesellschaftliche Rolle der Alten und ihren Potenzialen für ehrenamtliches Engagement (vom versorgenden zum aktivierenden Staat). Das zuvor geltende Leitprinzip der „Hilfe zur Selbsthilfe“ wurde vom Gedanken einer aktiven Rolle von älteren Menschen im Gemeinwesen abgelöst. Im zweiten Teil beschreibt die Autorin, dass die zivilgesellschaftlichen Potenziale von älteren Menschen Ergebnis eines lebenslangen multidimensionalen Prozesses sind. Die Darstellung dieses multidimensionalen Prozesses gelingt nur teilweise. So hält die Autorin fest, dass zivilgesellschaftliche Aktivitäten generell Konstruktionsleistungen von Subjekten sind, die nicht sozialpolitisch zugewiesen werden können. Was man sich unter sozialpolitischer Zuweisung vorzustellen hat, wird nicht weiter erörtert. Ebenso wird nicht geklärt, was unter sozialpolitisch motivierter Konstruktion zu verstehen ist, wie es in der Einleitung erwähnt wird. Der Einbezug empirischer Daten für das bürgerschaftliche Engagement ist sicherlich ein Gewinn. Leider verleitet dies die Autorin dazu, ihre methodologischen Präferenzen zu verabsolutieren. Aussagen, wie „Umfrageergebnisse sind schneller produziert“ oder „gewählte Items können sich allenfalls annähern“ sind vage oder unverständlich und der Argumentationsabsicht des Beitrages wenig zuträglich. Damit verpasst es die Autorin, unterschiedliche empirische Perspektiven, die sich aus quantitativen und qualitativen Untersuchungsdesigns ergeben, gewinnbringend zu diskutieren.

Franz Bettmer: Faire Kooperation als Grundlage bürgerschaftlichen Engagements. In diesem Beitrag werden Potenziale von bürgerschaftlichem Engagement sinnvoll in Bezug gebracht zu den Kooperationsmöglichkeiten zwischen freiwillig Engagierten und gesellschaftlichen Organisationen. Dabei wird auf die Schwierigkeit eingegangen, dass weder die Motivation der Bürger noch die Organisationsentwicklung der sozialen Dienste und Einrichtungen zielgerichtet beeinflusst werden können, so dass sie auf einander abgestimmt sind. Dass für die Diskussion der Kooperationserfordernisse am Gerechtigkeitskonzept des „fairen Systems der Kooperation“ von John Rawls angesetzt wird, leuchtet indes nicht ein. Dieses weite rechtsphilosophische Ausholen führt dazu, dass in der Diskussion über förderliche Kooperationsbedingungen in Organisationszusammenhängen, vor allem auf Probleme und Schwierigkeiten eingegangen wird. Gerade den professionellen Akteuren, die in sozialen Organisationen über eine verbesserte Einbindung von freiwillig Engagierten nachdenken, muss dieser Beitrag wie ein Negativkatalog vorkommen, bei dem auf alle möglichen Fehler und Probleme hingewiesen wird. In der Konsequenz schliesst auch dieser Beitrag mit Handlungsmaximen, die den professionellen Akteuren in den entsprechenden Handlungsfeldern platt erscheinen müssen.

Gisela Notz: Engagement(-politik) für ältere Menschen aus Genderperspektive. Der Beitrag beleuchtet die Auswirkungen des Strukturwandels des Alters, der einerseits neue Handlungs- und Gestaltungsspielräume ermöglicht , andererseits aber auch neue Gestaltungsanforderungen und Risiken mit sich bringt. Dabei fokussiert die Autorin vor allem die Situation von „aktiven Alten“, die ohne gravierende und kontinuierliche gesundheitliche Beeinträchtigungen leben können. Sie stehen vor der Herausforderung, ihrem Leben einen Sinn zu geben. Aktivität spielt hierfür eine wichtige Rolle, so die Autorin. Dabei ist gerade die gewählte Perspektive auf die Rolle der Frauen beim ehrenamtlichen Engagement gewinnbringend für die thematischen Auseinandersetzungen. Bei der Aktivierung von Ehrenamt werden vor allem soziale, gesundheitliche und kulturelle Versorgungsbereiche angesprochen, die traditionell Frauen zugesprochen werden. Der Beitrag lässt an mehreren Stellen Quellenangaben offen („aus einigen Studien geht hervor“, „aus zahlreichen Gesprächen“, „Im Zusammenhang mit einem Forschungsprojekt“…). Bei der Diskussion von Kooperationserfordernissen fällt die Argumentation hinter die Erkenntnisse des Beitrages von Bettmer zurück. Hier hätte sich ein thematischer Bezug gelohnt. In den Schlussfolgerungen fordert Notz Weiterbildungsangebote für Ehrenamtliche mit dem Ziel, Drehpunktpersonen herauszubilden. Die Stärkung von Subjektstrukturen muss gleichzeitig mit gesellschaftlichen Strukturanpassungen einhergehen. Diese sieht sie etwa im Ausbau sozialer Dienste und von qualifizierter professioneller Pflege. Sie erwähnt im ersten Teil, dass viele ältere Menschen wertvolle Ressourcen mitbringen. Die Schlussfolgerungen setzen indes zu sehr an einer Förder- und Strukturveränderungsperspektive an, die den „aktiven Alten“, auf die sich der Artikel ja zentral bezieht, zum bedürftigen und partiell hilfslosen Gesellschaftsmitglied macht. Dies war bestimmt so nicht beabsichtigt.

Teil III Perspektiven der sozialpädagogischen Alter(n)sforschung

Kirsten Aner: Potenziale des Alters. Ein gerontologisches Konstrukt aus sozialpädagogischer Perspektive. Die Autorin leitet ihren Beitrag mit Referenzen auf derzeit oder ehemals dominierende gerontologisch-theoretische Perspektiven ein. Dies ist nützlich und sinnvoll, wäre aber besser noch in einem einleitenden Überblick zum vorliegenden Sammelband platziert worden. Die Hinweise auf den doch recht umfangreichen Fundus der empirischen psyscho- und sozialgerontologischen Forschung geraten zu kurz, auch wenn Aner versucht, ihre Ausführungen auf das dominante Paradigma der Potenziale des Alters zu fokussieren. Immerhin konzediert die Autorin in ihrem Beitrag ja durchaus, dass die Ergebnisse anderer Disziplinen mit einem „sozialpädagogischen Blick“ sinnvoll zu interpretieren wären; genau davon hätte man sich mehr in diesem Band gewünscht. Sinnvoll erscheinen hingegen die Vorschläge von Aner, sozialpädagogische Alternsforschung solle einerseits die NutzerInnen Sozialer Altenarbeit in den Blick nehmen und zum Beispiel fragen: „Welche Potenziale und welches Interesse an der Nutzung haben sie? Welche Handlungsspielräume für die Nutzung bestehen, welche Begrenzungen finden sich in ihrer Biografie und/oder in aktuellen gesellschaftlichen Strukturen?“ Andererseits sollte gemäss Aner die Interaktion zwischen AkteurInnen und NutzerInnen Sozialer Altenarbeit in den Blick genommen werden, auch dies eine nützliche komplementäre Perspektive zur soziologischen und psychologischen empirischen gerontologischen Forschung. Insgesamt zielt der Beitrag von Aner aber eindeutig auf ein akademisches Zielpublikum und wäre daher in einem wissenschaftlichen Journal besser aufgehoben gewesen.

Ute Karl/Wolfgang Schröer: Sozialpädagogische Theoriebildung und Alter(n)sforschung – aktuelle Perspektiven. Karl und Schröer verfolgen in ihrem Beitrag den Anspruch, aktuelle sozialpädagogische Konzepte aus gerontologischer Perspektive zu betrachten und stellen dabei die Kategorie der Lebensbewältigung in den Mittelpunkt. Zunächst beleuchten sie dabei den Ansatz der Lebensweltorientierung aus einer biografieorientierten und insbesondere aus dem Blickwinkel des Ansatzes der sozialen Netzwerkarbeit: Eine an der Stärkung von sozialen Netzwerken älterer Menschen orientierte Soziale Arbeit sollte einschlägige Erkenntnisse aus gerontologischen Untersuchungen aufnehmen. Als weiteren Anknüpfungspunkt schlagen Karl und Schröer die am Konzept der Lebenslage orientierten gerontologischen Untersuchungen vor. Dabei fordern sie, im Lebenslagekonzept die Handlungsmächtigkeit der Akteure stärker zu berücksichtigen und verwenden dafür den Begriff agency. Konkrete und auch operationalisierbare Hinweise darauf, wie „die Komplexität von Lebenslagen sowohl in sozialpädagogischer Forschung als auch in der Praxis Sozialer Arbeit zu berücksichtigen“ wäre, ohne „die Lebenslage (.) auf ein Set von Kategorien (Migration, Gesundheit, Wohnumfeld, Geschlecht, Einkommen, Bildung, Region, etc.) zu verkürzen“, bleiben die Autorin und der Autor schuldig. Ebenfalls nebulös bleibt ihr Vorhaben, das Konzept der Gouvernementalität auf die Soziale Arbeit anzuwenden. Im abschliessenden Versuch, in wenigen Absätzen die verschiedenen Theoriestränge zusammenzuführen, gehen sowohl der Bezug zur Sozialen Altenarbeit, als auch zur Alter(n)sforschung praktisch völlig verloren.

Fred Karl: Interdisziplinarität und Internationalisierung in der Befassung mit Altern und Alter. Der Autor fragt sich zurecht, ob allein schon dadurch, dass Alter(n) sehr facettenreich ist und sich demgemäss viele verschiedene Disziplinen damit beschäftigen, das weite Feld der Gerontologie interdisziplinär ausgerichtet ist und ein Austausch zwischen und eine Integration der verschiedenen Perspektiven tatsächlich erfolgt. Er kommt denn nach der Analyse von ausgewählten Beispielen auch zum Schluss, dass sich etwa die beiden disziplinären Karawanen der Alterssoziologie und der Alterspsychologie wohl zur Kenntnis nehmen würden, im Übrigen aber eher unbeeindruckt und unbehelligt voneinander weiterziehen würden. Typisch ist nach Fred Karl in der Gerontologie statt einer Interdisziplinarität eher eine Querdisziplinarität, bei der die Initiative zur Forschung von einer führenden Disziplin kommt, nach der sich die anderen Disziplinen ausrichten. Es stellt sich allerdings wirklich die Frage, ob es sich bei der Gerontologie überhaupt um eine eigene Disziplin handeln kann und soll, oder ob man mit den Arbeiten der verschiedenen Teildisziplinen nicht ohnehin besser fährt. Fred Karl verweist auf Beispiele internationaler Forschungskooperationen in empirischen gerontologischen Grossprojekten, wobei unklar bleibt, was dies mit der Frage der interdisziplinären Ausrichtung der Gerontologie zu tun hat. Schliesslich plädiert der Autor für eine transdisziplinäre Haltung als Forschungsprinzip, wobei er gemäss der von ihm eingeführten Klassifikation dabei das zu untersuchende Problem den Stimulus für eine Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Planung und Politik bilden soll. Dem ist beizupflichten, wobei klar ist, dass diese Art von Kooperation quer zu den im herkömmlichen Wissenschaftsbetrieb herrschenden Strukturen liegt: Beim Einwerben von Drittmitteln, bei Veröffentlichungen in Fachjournalen und bei karriererelevanten Überlegungen und Entscheidungen wird man im Zweifelsfall und zur Sicherheit besser die disziplinäre Perspektive einnehmen. Es wäre für den Beitrag von Fred Karl nützlich gewesen, wenn er sich stärker an einem aktuellen Verständnis von Transdisziplinarität orientiert hätte, und weniger an einem Poster aus dem Jahr 1981 bzw. eine Veröffentlichung von Mittelstrass et al. Von 1992.

Diskussion

Die Herausgeberinnen postulieren in ihrer Einleitung, dass die Soziale Arbeit nur unzureichend auf die demografische Alterung vorbereitet sei, weil sowohl Sozialarbeit als auch Sozialpädagogik ihren Theorie- und Handlungsfokus bislang vor allem auf jüngere Altersgruppen ausrichteten. Dabei ist die Tatsache unbestritten, dass der demografische Wandel Auswirkungen auf die Handlungsfelder der Sozialen Arbeit hat. Die Auseinandersetzung mit der Heterogenität des Alters und mit Konsequenzen für die Soziale Altenarbeit ist mit Sicherheit ein wichtiger und bisher nicht ausreichend beleuchteter Themenfokus. Leider scheinen sich aber weder Herausgeberinnen noch AutorInnen eingehend Gedanken darüber gemacht zu haben, worin denn nun genau das Erkenntnis- und Handlungsdefizit einer Sozialen Arbeit mit älteren Menschen besteht und wer denn genau zur Zielgruppe des vorliegenden Bandes zu rechnen ist: SozialarbeiterInnen mit mehr oder weniger Erfahrung in der offenen Altenarbeit? Studierende der Sozialen Arbeit? Fach- und Führungskräfte bei den öffentlichen und freigemeinnützigen Trägern der Altenarbeit? Einschlägig forschende und lehrende Personen im akademischen Bereich? Eine klarere Ausrichtung auf nur eine dieser oder aber eine andere Zielgruppe hätte dem Band gut getan, weil dann die zum besseren Verständnis nützlichen Vorkenntnisse und die Verwertungsinteressen der Lesenden wesentlich eindeutiger gewesen wären. So bleibt leider unklar, welche Leserschaft der Band ansprechen soll. Die Beiträge sind in Stil, Qualität und in Bezug auf ihre Ausgangslage viel zu unterschiedlich.

Die Herausgeberinnen versuchen die Struktur des Bandes an einem Verständnis Sozialer Arbeit nach Böhnisch zu orientieren; demnach sollte Soziale Altenarbeit dort ansetzen, wo individuelle Ressourcen älterer Menschen nicht ausreichen, um ihre soziale Integration und biografische Handlungsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Der Aufbau des Bandes in einen ersten Teil zu den Lebenslagen älterer Menschen, einen zweiten über die Herausforderungen für die Soziale Altenarbeit und einen dritten über Perspektiven sozialpädagogischer Alter(n)sforschung macht gerontologischen Sinn, wobei der konzeptionelle Bezug des Bandes bzw. seiner einzelnen Beiträge zur „Sozialen Arbeit als gesellschaftliche Reaktion auf die Bewältigungstatsache“ weitgehend offen bleibt. Möglicherweise ist dieses Problem aber auch der geringen Spezifität des Konzeptes von Böhnisch geschuldet.

Fazit

Als Fazit ist festzuhalten, dass nur einige Beiträge des Bandes den Aufwand der Lektüre lohnen. Wer sich als ProfessionelleR im Bereich der Sozialen Arbeit mit dem aktuellen Diskurs der deutschsprachigen Psycho- und Soziogerontologie vertraut machen will, wird dies effizienter direkt bei deren VertrerInnen etwa der Berliner, Heidelberger oder Dortmunder gerontologischen Schule tun.

Rezension von
Prof. Dr. Walter Rehberg

Benjamin Moser
Master of Social Work (M.S.W.), Dipl. in Sozialer Arbeit FH

Es gibt 1 Rezension von Walter Rehberg.
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Zitiervorschlag
Walter Rehberg, Benjamin Moser. Rezension vom 23.04.2009 zu: Kirsten Aner, Ute Karl (Hrsg.): Ältere und alte Menschen. Schneider Verlag Hohengehren (Baltmannsweiler) 2008. ISBN 978-3-8340-0431-4. Reihe: Basiswissen Soziale Arbeit - 6. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/6727.php, Datum des Zugriffs 13.01.2025.


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