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Berta Schrems: Verstehende Pflegediagnostik

Rezensiert von Prof. Dr. Michael Isfort, 22.06.2009

Cover Berta Schrems: Verstehende Pflegediagnostik ISBN 978-3-7089-0310-1

Berta Schrems: Verstehende Pflegediagnostik. Grundlagen zum angemessenen Pflegehandeln. Facultas Verlag (Wien) 2008. 2204 Seiten. ISBN 978-3-7089-0310-1. D: 24,20 EUR, A: 24,90 EUR, CH: 43,50 sFr.

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Hintergrund und Thema

Pflegediagnostik hat einen festen Platz in der wissenschaftlichen Diskussion um sprachlich einheitliche und fachbezogene Beschreibungen von menschlichen Reaktionen auf Krankheit oder aktuellen Ereignissen im Rahmen von Krankheit und ihren Auswirkungen auf die Alltagsfähigkeiten von Patienten in der Pflege. Unterschiedliche Formulierungskataloge und Klassifikationen werden dabei diskutiert, wie die NANDA-Diagnosen aus Nordamerika, internationale Klassifikationen (International Classification for Nursing Practice) aber auch deutschsprachige Entwicklungen, wie die European Nursing care Pathways. Es überwiegen in der Fachbuchlandschaft die Monografien, in denen einzelne Konzepte vorgestellt oder aber vergleichende Analysen vorgelegt werden. Dabei werden auch zahlreiche Versuche unternommen, die insgesamt „sperrig“ daher kommenden Konzepte zu vereinfachen und sie praxistauglich vorzustellen. Einer Reduktion der Komplexität folgt dabei leider nicht selten auch eine rezepthafte Anwendungsempfehlung. Berta Schrems widmet sich einer anderen Perspektive in der Diskussion. Sie reduziert nicht die Komplexität der Materie, sondern stellt sie in all der Umfänglichkeit dar. Schrems sucht nach den Antworten auf die Frage, wie Diagnostik gelingen kann, was sie beeinflusst, wie der Mensch Informationen aus seinem Vorverständnis, seiner Lebenswelt, seinen individuelle Verstehensprozessen in Abgleich mit externem Wissen bringen kann. Dabei greift sie Ansätze ihres ersten Buches (Der Prozess des Diagnostizierens) auf und erweitert diese. Anders als in ihrem vorherigen Buch, sind es hier nicht einzelne Pflegediagnosen, die thematisiert werden, sondern Schrems verknüpft hier die abstrakteren theoretischen Ansätze zu einem Modell, das vorgestellt wird.

Autorin

Berta Schrems studierte Soziologie an der Universität in Wien und arbeitete als Personal- und Organisationsentwicklerin. Sie war Professorin für Pflegewissenschaft an der Fachhochschule in Frankfurt am Main. Derzeit ist Schrems freiberuflich tätig als Professorin für Pflegewissenschaft in Lehre, Forschung und Beratung der Pflege sowie in den Bereichen der Personal- und Organisationsentwicklung im Gesundheitswesen.

Aufbau und Inhalt

Das Buch gliedert sich in fünf Abschnitte. In einem ersten Teil beschreibt Schrems das Modell der Verstehenden Pflegediagnostik. Dieses ist der Ausgangspunkt des Buches. Dabei nimmt sie zunächst die zentralen begrifflichen Grundlagen auf (Verstehen, Pflegediagnostik und Erkenntnis) auf und verdeutlicht die Bedeutung an Beispielen.

Im zweiten Teil werden die Perspektiven des subjektiven Erlebens verdeutlicht. Dabei werden sowohl philosophische als auch kognitionswissenschaftliche Erkenntnisse eingeflochten. Am Beispiel des „Schmerzes“ werden die unterschiedlichen Facetten verdeutlicht. Teil drei nimmt die Frage nach externen Wissensquellen und der externen Evidenz auf. Dabei werden Grenzen des wissenschaftlichen Wissens und auch unterschiedliche wissenschaftstheoretische Positionen hinsichtlich der Bedeutung für Verstehensprozesse beschrieben. Auch hier bleibt das Thema „Schmerz“ als Beispiel bestehen. Im vierten Teil werden dann die Vermittlungsprozesse der individuellen Erfahrungen und der externen Wissensquellen als Verstehensprozess verdeutlicht. Aushandlungen, die Bedeutung der Hermeneutik und die Verknüpfung mit einzelnen pflegetheoretischen und gesundheitsorientierten Konzepten werden diskutiert. Im fünften und abschließenden Teil wird der Bogen zurückgeführt. Es geht um die Frage der Bewertung und damit um die Zielerreichung im pflegerischen Handeln. Zentral wird hier ein Blick auf die Frage geworfen, was „Angemessenheit“ bedeutet, denn die Angemessenheit der erbrachten Leistungen, des abgeleiteten Handelns und der bereit gestellten Rahmenbedingungen sind in einem immer weiter ökonomisierten Handlungsfeld zu bedenken. Angemessenheit als Produkt einer erfolgreichen verstehenden und umfassend reflektierten Diagnostik ist das, was Schrems als professionelle Pflege betrachtet. Ethische Reflexion und Modelle von Fallbesprechungen bilden daher auch das abschließende Kapitel.

Didaktisch helfen die zahlreichen Abbildungen bei der Vorstellung der Konzepte und Gedanken. In grauen Kästen hinterlegt sind Merksätze, Einschübe oder auch Kernaussagen. Hilfreich gewesen wären sicherlich weiterführende Literaturempfehlungen, die zur Vertiefung des unglaublich facettenreichen Wissens von Schrems und der zahlreichen Themen dienlich sind.

Zielgruppen

Auch dieses Werk zum Thema Pflegediagnostik von Berta Schrems richtet sich eher an Studierende der pflegewissenschaftlichen Studiengänge, Pflegelehrende und Pflegewissenschaftler, die sich mit dem Thema der Pflegediagnosen auseinander setzen wollen, denn an Pflegepraktiker. Das Buch führt die Überlegungen aus dem Vorgängerbuch weiter aus, sortiert sie neu und rückt ein allgemeines Modell verstehender Diagnostik in den Mittelpunkt des Denkens. Die Kenntnis des Vorgängerbuchs ist aber nicht notwendig, um ihren Ausführungen folgen zu können. Studierende werden in dem Buch viele wissenschaftstheoretische Ansätze und Aussagen finden. Die Stärke liegt darin, dass die ausgewählten Facetten klug miteinander verbunden dargestellt werden. So wird bei Schrems aus einem begrifflichen und abstrakten Nebeneinander vieler Theorien und Konzepte ein inhaltliches Miteinander und zum Glück kein Durcheinander. Dass die zahlreichen Konzepte, Theorien und Positionen nur angerissen werden können, ist dabei zu verschmerzen und kann nicht in „nur“ einem Buch nicht anders gelöst werden.

Das Buch wird den praktisch Pflegenden nicht die Unterstützung bieten können, die dort im Alltag gebraucht wird. Ihnen sei nicht abgeraten es zu lesen, doch lassen sich die vielen theoretischen Gedanken kaum ohne Hilfe oder Begleitung erschließen und einordnen. Für die Diskussion in Seminaren im Studium aber ist das Buch prima zu verwenden. Es wird all denen hilfreich sein, die konzentriert darüber nachdenken möchten, wie Menschen zu Beschreibungen, Einschätzungen und Bewertungen kommen. Das Buch regt also zum Nachdenken und Verstehen über das Verstehen an.

Fazit

Schrems ist Krankenschwester und promovierte Soziologin und das merkt man. Intelligent, mit einer Liebe zum komplexen und theoretischen Denken ausgestattet und dennoch nicht praxisfern in Sprache und Beispielen gelingt es ihr, auch schwierige Themen zu vermitteln. Sie ist eine gute Lehrerin und schult mit ihrem Buch das Denken. Sich darauf einzulassen, macht Spaß. Aber es ist ein Buch, das Zeit braucht. Nicht nur die Gedanken von Schrems mussten sicherlich über viele Jahre reifen, bis sie ihre Gedanken in dem Buch in dieser Form formulieren konnte. Sicherlich braucht auch der Leser Zeit. Er sollte sich also nicht beeilen es durchzulesen, sondern sich Zeit für das Verstehen geben. Schließlich ist Verstehen auch das zentrale Konzept des Buches selbst.

Rezension von
Prof. Dr. Michael Isfort
Dipl. Pflegewiss.
Katholische Hochschule (KatHO) NRW, Köln

Es gibt 27 Rezensionen von Michael Isfort.

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Zitiervorschlag
Michael Isfort. Rezension vom 22.06.2009 zu: Berta Schrems: Verstehende Pflegediagnostik. Grundlagen zum angemessenen Pflegehandeln. Facultas Verlag (Wien) 2008. ISBN 978-3-7089-0310-1. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/6791.php, Datum des Zugriffs 11.09.2024.


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