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Malte Hölzel: Arbeitslosigkeit und Lebenskunst

Rezensiert von Prof. Dr. Thomas Münch, 23.02.2011

Cover Malte Hölzel: Arbeitslosigkeit und Lebenskunst ISBN 978-3-8288-9551-5

Malte Hölzel: Arbeitslosigkeit und Lebenskunst. Ein Beratungsansatz zur Identitätskonstruktion jenseits der Normalbiografie. Tectum-Verlag (Marburg) 2008. 106 Seiten. ISBN 978-3-8288-9551-5. D: 24,90 EUR, A: 24,90 EUR, CH: 43,70 sFr.
Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum-Verlag - Reihe Sozialwissenschaften - Band 9.

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Thema

Wer tagtäglich mit dem Elend der Exklusionsmaschine Hartz IV konfrontiert ist, wird allein den Titel dieser kleinen Publikation schon als Leseanreiz wahrnehmen: „Endlich ein Ratgeber der mir in der Arbeit mit Erwerbslosen neuen Sinn geben wird“ - so oder ähnlich könnte der Stoßseufzer einer geplagten Sozialarbeiterin lauten, die in einer Maßnahme zur Betreuung von Langzeitarbeitslosen befristet beschäftigt ist. Denn der Markt an Ratgebern und Handreichungen, die nicht nur eine geschmeidige Anpassung an die bundesdeutsche Wirklichkeit der Hartz-Gesetzgebung wie z.B. Profiling, Case Management oder andere Sozialtechniken anbieten, ist überraschend klein. Das Buch verspricht im Titel einen neuen Beratungsansatz für die Arbeit mit Erwerbslosen, es kann ihn aber nur in Ansätzen verwirklichen.

Entstehungshintergrund

Malte Hölzels Publikation liegt eine Diplomarbeit zu Grunde.

Aufbau und Inhalt

Der Autor spannt einen weiten Bogen von der Arbeitslosigkeit und ihren Folgeproblemen für Alltag und Identität, über faktenreiche Interviews mit „Lebenskünstlern“ bis hin zum Entwurf einen salutogenetischen Ansatzes in der Beratung von Arbeitslosen. Um dann noch ganz stiefmütterlich zum Ende einige launige Ausführungen zur „Politischen Dimension der Arbeitslosenproblematik“ zu liefern.

Und so wird dieses Büchlein ein wunderlicher Text! Wunderlich, weil sich hier präzise und analytische Einsichten in die Lebenswelt und Identitätsprobleme von Erwerbslosen mit waghalsigen Konstruktionen von Identitätsarbeit und kritikwürdigen Politikanalysen im Kontext der bundesdeutschen Massenarbeitslosigkeit abwechseln.

Wer als Ziel seines „salutogenetischen Beratungsansatzes“ die Hervorbringung immer neuer und „den Gegebenheiten angepasstere Identitätsentwürfe“ (101) definiert, muss sich schon befragen lassen, warum er gerade hier die Kopplungsfähigkeit eben dieser Identitätsentwürfe zum „Arbeitskraftunternehmer“ (Bröckling) – eine der Prämissen des aktivierenden Sozialstaates – übersieht. Doch dann verwundert wiederum eine dieser Kopplungsfähigkeit genau entgegengesetzte Position, indem der Autor Erwerbslosen „ein Leben jenseits der durch eine gesicherte Arbeitsanstellung definierten Normalbiografie“ (99) vorschlägt. Und hier ist Malte Hölzel dann ganz nahe bei Wolfgang Engler, dessen 2005 erschienenes „Bürger, ohne Arbeit. Für eine radikale Neugestaltung der Gesellschaft“ (vgl. die Rezension) er interessanterweise nicht erwähnt.

Der Text mäandriert zwischen „kreativen Schreibtraining“, Mandalas nach C.G. Jung und Mind-Mapping als Bestandteile der salutogenetischen Arbeitslosenberatung; zwischen Kierkegaard und seiner „Krankheit zum Tode“ – inklusive solch schöner Formulierungen wie „Mein Interpretationsansatz in bezug auf dieses Theorem Kierkegaards ist, dass die Gründung des Selbst in der Transzendenz Gottes der Gründung des Selbst im freien Spiel des Vermögen Kants entspricht“ (78) – und zwischen interessanten Einsichten in die Identitätsprobleme in Folge der Arbeitslosigkeit.

Es wäre nun ein Einfaches, seine Perspektive der Doppelstrategie - „eine Tätigkeit zum Broterwerb und nebenbei eine identitätsstiftende Beschäftigung“ (89) - die er den Erwerbslosen empfiehlt, als zynisch zu bezeichnen. Sie ist allemal menschenfreundlicher, als die Empfehlungen der Hartz-Kommission und ihre tagtägliche Umsetzung! Und ob die „Doppelstrategie“, angesichts eines sich weiter prekarisierenden bundesdeutschen Arbeitsmarktes, unrealistischer als Hartz I bis IV ist, kann auch bezweifelt werden.

Diskussion

Was Malte Hölzels Text fehlt, ist der Blick über den individuellen Tellerrand hinaus auf die sozialen und politischen Ursachen und Zusammenhänge der Massenarbeitslosigkeit. Und das unsichere, mäandrierende seiner Überlegungen kann mit diesem sozial- und politikwissenschaftlichen Blickverlust erklärt werden.

Doch seien wir bescheiden: Wir wissen nicht, ob wir in einer Gesellschaft leben, der „die Arbeit ausgeht“ (Hannah Arendt), oder ob wir „nur“ in einer Gesellschaft leben, die einen zunehmenden Teil ihrer Beschäftigten prekarisiert, exkludiert und damit in Unsicherheit setzt – wie es so präzise Robert Castel beschreibt.

Und da wir es nicht wissen und vielleicht sogar nicht wissen können, sollten wir für jede Überlegung dankbar sein, die über die Denkverbote der TINA-Ideologie und der vorgeblichen Sachzwänge hinausdenkt.

Fazit

Aus den genannten Gründen kann dieser kleine Band der gefälligen Lektüre nur empfohlen werden; weil er das Denken bewegt!

Rezension von
Prof. Dr. Thomas Münch
Hochschule Düsseldorf, Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften
Fach Verwaltung und Organisation

Es gibt 15 Rezensionen von Thomas Münch.

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Zitiervorschlag
Thomas Münch. Rezension vom 23.02.2011 zu: Malte Hölzel: Arbeitslosigkeit und Lebenskunst. Ein Beratungsansatz zur Identitätskonstruktion jenseits der Normalbiografie. Tectum-Verlag (Marburg) 2008. ISBN 978-3-8288-9551-5. Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum-Verlag - Reihe Sozialwissenschaften - Band 9. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/6796.php, Datum des Zugriffs 14.12.2024.


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