Holger Mühlbauer (Hrsg.): Betreutes Wohnen für ältere Menschen
Rezensiert von Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind, 22.06.2009
Holger Mühlbauer (Hrsg.): Betreutes Wohnen für ältere Menschen. Dienstleistungsanforderungen nach DIN 77800.
Beuth Verlag
(Berlin, Wien, Zürich) 2008.
2., erweiterte Auflage.
34 Seiten.
ISBN 978-3-410-16793-8.
9,80 EUR.
Reihe: Beuth-Pocket.
Thema
Betreutes Wohnen für Senioren ist in Deutschland noch ein recht neues Angebot im Bereich Wohnen, vergleicht man es mit den Verhältnissen in anderen Ländern. Während zum Beispiel in England, den Niederlanden und in den USA Formen eines betreuten Wohnens bereits in der 50er und 60er Jahren etabliert wurden, entwickelte sich das Betreute Wohnen in Deutschland flächendeckend erst zu Beginn der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts. Betreutes Wohnen kann in Deutschland als „Nachfolgekonzept“ des klassischen Altenheimes für rüstige und nur teilweise hilfebedürftige Senioren aufgefasst werden, das spätestens nach Einführung der Pflegeversicherung keine Existenzberechtigung auch hinsichtlich öffentlicher Förderung mehr besaß.
Von der Versorgungslogik her betrachtet, handelt es sich beim Betreuten Wohnen für ältere Menschen um eine so genannte „Zwischenwohnform“ – zwischen Privathaushalt und Heimbereich. Betreutes Wohnen oder auch Wohnen mit Service beschränkt sich somit nicht nur auf altengerechte Wohnungen, meist werden noch unterschiedliche Dienste wie Notrufanlage, hauswirtschaftliche Dienstleistungen wie Reinigung und Wäschedienst, aber auch verschiedene Mahlzeitenangebote offeriert, die teils einzeln abgerechnet werden oder aber mit einer monatlichen Pauschale abgegolten werden. Auch Pflegeleistungen von ambulanten oder stationären Anbietern werden in der Mehrzahl der Einrichtungen in unterschiedlicher Leistungsdichte angeboten. Für die Geselligkeit und die Kontaktpflege stehen in den meisten Einrichtungen des Betreuten Wohnens Gemeinschaftsräume zur Verfügung. Zwischenzeitlich sind bereits über 200.000 Wohneinheiten des Betreuten Wohnens in unterschiedlicher Versorgungsstruktur (eigenständige Einrichtungen, heimgebundene Einrichtungen u. a.) geschaffen worden, so dass fast schon von einer flächendeckenden Angebotsstruktur gesprochen werden kann [1].
Unberücksichtigt blieb jedoch bei dieser Entwicklung die Klärung der rechtlichen Zuordnung dieses Wohn- und Betreuungsangebotes. Die entscheidende Frage, ob auch hier das Heimgesetz als ein genuines Schutzrecht Geltung besitzt oder nicht, konnte bundeseinheitlich nicht geklärt werden. In diesem rechtlich unzureichend geschützten Bereich wurden verschiedene Formen der Standardisierung und Qualitätssicherung von Seiten der Verbände und auch der Sozialministerien entwickelt (u. a. so genannte „Qualitätssiegel“), damit die interessierten Senioren zumindest einen Orientierungsrahmen für die Einschätzung der verschiedenen Angebote besitzen. Die vorliegende Veröffentlichung enthält den Beitrag des Deutschen Instituts für Normierung (DIN), der sich als „einheitliches Instrument zur freiwilligen Qualitätssicherung auf dem Markt des Betreuten Wohnens“ versteht.
Inhalt
Der schmale Band enthält die Dienstleistungsanforderungen DIN 77800, die erst vor wenigen Jahren von einer Arbeitsgruppe festgelegt wurden. Diese Anforderungen sind wiederum unterschieden in Pflichtanforderungen mit einem Muss-Charakter und in Anforderungen, die Empfehlungscharakter besitzen.
Folgende Kategorien an Anforderungen an dieses Dienstleistungsangebot wurden festgelegt:
- Transparenz des Leistungsangebotes: Hierbei wird in schriftliche und mündliche Informationen unterschieden. In schriftlicher Form sollten u. a. folgende Informationen vorliegen: Hausordnung, Leistungskatalog und Preisliste der Grund- und Wahlleistungen, Verträge (Miet- /Kaufvertrag, Betreuungsvertrag). Des Weiteren sollten schriftliche Informationen zur Wohnung, zu den verschiedenen Leistungsangeboten und zu den Kosten und zur Finanzierung vorliegen. Parallel zu diesen Unterlagen sollten diese Sachverhalte den Bewohnern auch mündlich vermittelt werden.
- Anforderungen an die Dienstleistungen: Folgende Dienstleistungsangebote sollten im Betreuten Wohnen u. a. vorgehalten werden: Haustechnischer Service, Notrufsicherung, Betreuungsleistungen, Wahlleistungen und weiterführende Betreuungsleistungen wie hauswirtschaftliche Hilfen, Pflegeleistungen, haustechnische Dienste, Hol- und Bringdienste.
- Anforderungen an das Wohnangebot: Hierbei sind folgende Faktoren angeführt: Standort und Wohnumfeld, Ausstattung der Wohnungen, und Gemeinschaftseinrichtungen.
- Anforderungen an die Vertragsgestaltung: Hierbei werden Form und inhaltliche Gestaltung der verschiedenen Vertragsverhältnisse (u. a. Miet- und Betreuungsvertrag) bezüglich Transparenz, Leistungsbeschreibung und Entgelte aufgelistet.
- Anforderungen an die qualitätssichernden Maßnahmen: Hier werden die verschiedenen Erhebungs- und Fragebogen angeführt, die zur Überprüfung und Sicherung der Leistungsqualität im Betreuten Wohnen erforderlich sind. Hierbei sind auch die Aspekte des Beschwerdemanagement eingeschlossen.
Zum Abschluss werden kurze Informationen zur Zertifizierung für Anbieter der Wohnform Betreutes Wohnen nach DIN 77800 angeführt.
Diskussion
Positiv kann hier vermerkt werden, dass die vorliegenden Anforderungen an das Wohn- und Dienstleistungsangebot Betreutes Wohnen alle wesentlichen Bereiche abdeckt. Mit dieser DIN 77800 sind solide und angemessene Rahmen- und Orientierungswerte für das Wohnen und die Betreuung bereits gebrechlicher Senioren geschaffen worden. Sozialpolitisch bedenklich ist jedoch der Sachverhalt, dass diese Qualitätsanforderungen für die Wohnanlagen in Deutschland nur ein freiwilliges Angebot darstellen. Das heißt zugleich, sie sind nicht verpflichtend. Kein Anbieter des Leistungsangebotes Betreutes Wohnen muss sich danach richten. Konkret heißt das auch, es gibt im Betreuten Wohnen keine Schutzbestimmungen wie z. B. das Heimgesetz mit all seinen obligatorischen Standards. Angesichts der Tatsache, dass bereits viele Bewohner des Betreuten Wohnens im Laufe der Jahre pflegebedürftig und auch mittelschwer demenziell erkrankt sind, handelt es sich hier um unverantwortliche Verhältnisse (vgl. die Rezension Saup).
Fazit
Es bleibt zu hoffen, dass dieses strukturell-funktionelle Defizit einer Rechtlosigkeit baldigst beseitigt werden wird. Denn ohne einen Schutzrahmen kann man Senioren den Einzug ins Betreute Wohnen nicht empfehlen.
[1] Sven Lind: Betreutes Wohnen im Alter. In: http://freenet-homepage.de/Sven.Lind/Betreutes_Wohnen_im_Alter.pdf
Rezension von
Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind
Gerontologische Beratung Haan
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Zitiervorschlag
Sven Lind. Rezension vom 22.06.2009 zu:
Holger Mühlbauer (Hrsg.): Betreutes Wohnen für ältere Menschen. Dienstleistungsanforderungen nach DIN 77800. Beuth Verlag
(Berlin, Wien, Zürich) 2008. 2., erweiterte Auflage.
ISBN 978-3-410-16793-8.
Reihe: Beuth-Pocket.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/6827.php, Datum des Zugriffs 16.09.2024.
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