Jens Sambale, Volker Eick et al. (Hrsg.): Das Elend der Universitäten. Neoliberalisierung [...]
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 08.10.2008
Jens Sambale, Volker Eick, Heike Walkenhorst (Hrsg.): Das Elend der Universitäten. Neoliberalisierung deutscher Hochschulpolitik. Verlag Westfälisches Dampfboot (Münster) 2008. 237 Seiten. ISBN 978-3-89691-734-8. 24,90 EUR.
Vom "Ende der professoralen Herrlichkeit" zu "Leuchttürmen einer neoliberalen Profitwirtschaft"
Nein, die Rede ist hier nicht von einer privat-orientierten oder konzern-gesteuerten Wirtschafts-Maximierungs-Strategie, sondern von einer kritischen Situationsanalyse in der deutschen Hochschullandschaft. Dabei geht es nicht um die allseits bekannte Kapitalismuskritik marxistischen Stils, auch nicht um ein "L’art-pour-l’art"–Lamento, schon gar nicht um Beckmesserei; vielmehr wird eine kritische Nachfrage danach gestellt, "was eigentlich mit der Freiheit der Wissenschaft passiert, wenn die WissenschaftlerInnen nicht mehr in erster Linie neues Wissen akkumulieren wollen, sondern die Akkumulation von Drittmitteln im Vordergrund steht".
Herausgeber und Inhalt
Die Politikwissenschaftler der TU Berlin, Jens Sambale (Jg. 1966), Volker Eick (1963) und Heike Walk (1966) als Herausgeber, beklagen das "Elend der Universitäten" in mehrfacher Hinsicht. Zum einen verweisen sie mit den gesammelten Beiträgen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern von deutschen Hochschulen auf die ihrer Meinung nach zweifelhafte Entwicklung hin zu dem Bestreben, mit einem enormen Konkurrenzwettbewerb "Exzellenz-Universitäten" zu produzieren, bei dem die wissenschaftsimmanente "Neugier und Kreativität der Forschenden, die in eigener Verantwortung vor der wissenschaftlichen ’Gemeinschaft’ handeln", zu verkümmern drohe, "wenn die Wissensakkumulation in Konkurrenz zur Kapitalakkumulation gerät". Zum anderen beklagen sie, dass mit Hochschulmodellen, wie etwa einer "Stiftungs-Universität", die Selbstverwaltungsorgane abgebaut und weniger zu Leitungs-, als zu entscheidungslosen Beratungseinrichtungen degradiert werden. Zum Dritten zeigen sie auf, dass der Produktionsfaktor von Studierenden und deren Abschlüssen im Sinne eines "karriereorientierten Schnelldurchlaufs" den Betroffenen "kaum noch Zeit für eine Selbstreflexion (gibt), die einerseits Selbstzweifel zulässt und andererseits ein Verständnis für die Welt der Philosophie entwickelt"; von Studien- und Schwerpunktwechsel oder Auslandssemester ganz zu schweigen. Viertens wird kritisch beleuchtet, dass das neue hochschulpolitische Leitbild eines "effizienten Bildungskonzerns" zu einer Ökonomisierung der Universitäten führt, die von den Studierenden und Lehrenden mehr und mehr als "Sachzwang" aufgefasst wird, bei der die Freiheit der Wissenschaft auf der Strecke bleibt, wie auch zu "mimetischer Anpassung" verleitet und bei der Berufung und Besetzung von Wissenschaftsstellen kritische Positionen eher ablehnt.
So ist ein "Leidens" – Bericht entstanden von jungen und altgedienten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich mit der "Universität, (die) sich selbst kannibalisierte, um der Politik genehm zu sein", nicht abfinden wollen; die gleichzeitig beklagen, dass in den letzten Jahrzehnten "eine ganze Generation Studierender und Forschender ohne einen analytisch fundierten Globalisierungsbegriff durchs Studium und dann in den Beruf gegangen" sind. Die Herausgeber geben sich dabei weder als "Kinder von Marx und Coca Cola", noch als Verfechter des "Produktivitätsfetischismus des alten Marxismus", auch nicht eines "autoritären fordistischen Wohlfahrtsstaat(s)" zu erkennen. Vielmehr beklagen sie die "Geschichtslosigkeit der Protagonisten dieser Ökonomisierungsstrategien", die das bundesdeutsche Hochschulwesen einschneidend verändern (wollen).
- Für den Berliner Politikwissenschaftler Bodo Zeuner (Jg. 1942) gerät die Frage, ob die Freie Universität Berlin vor dem Börsengang stehe, zu seiner Abschiedsvorlesung nach einer fast 30jährigen Tätigkeit an der FU. Seine kritische Analyse über die Ökonomisierung der FU beruht dabei auf der Vermutung, "dass die FU sich bei ihren eigenen Umstrukturierungen so verhält, als wolle sie sich demnächst kapitalprivatisieren, als wäre der Börsengang, wie bei der Deutschen Bahn AG, ihr oberstes Entwicklungsziel". Seinem dezidierten Widerspruch, dass es zum "Modell der unternehmerischen Universität" keine Alternative gäbe und seinem energischer Widerstand gegen die "Tina"–Mentalität an deutschen Hochschulen (orientiert an Margaret Thatchers "There is no alternative") untermauert er mit dem Abschiedswunsch von der FU Berlin, dass den an den Hochschulen Studierenden und Lehrenden "die Idee der Solidarität gegen das menschenfeindliche und gesellschaftszerstörende Konkurrenzprinzip" aufgehen möge, theoretisch und praktisch.
- Auch die Darmstädter Gesellschafts- und Geschichtswissenschaftlerin Heidrun Abromeit (1943) will sich mit dem Tina nicht abfinden. Mit ihrem eher pessimistischen Beitrag über "Gesellschaften ohne Alternativen" fragt sie danach, was eigentlich die Politikwissenschaft dazu beitrage, am kapitalistischen Optimismus zu rütteln und die "Zukunftsunfähigkeit kapitalistischer Demokratien" auszusprechen. Ihre These beruht dabei nicht auf einer marxistisch orientierten Exegese; vielmehr zeigt sie in ihrer Argumentation auf, dass "das kapitalistische System seine eigenen Reproduktionsbedingungen zerstört und dass die demokratischen Staaten nicht in der Lage sind, es daran zu hindern". Es sei die Falle der kapitalistischen Wettbewerbsordnung, die globalgesellschaftlich zum Ruin führe. Und sie sieht nirgendwo ein rettendes Ufer!
- Ebenso der bis 2004 als Professor für Politische Ökonomie lehrende Elmar Altvater (1938) nimmt in seiner Abschiedsvorlesung vom 20. 1. 2006 die Misere vom "Wettlauf der Besessenen" im Kapitalismus auf, indem er danach fragt: "Was heißt und zu welchem Ende betreiben wir Kapitalismuskritik?". Seine Antwort ist so einfach wie schwer zu verwirklichen: "Weil wir die Welt verändern müssen, wenn wir wollen, dass sie bleibt". Das aber ist auch auf die Hochschulentwicklung anzuwenden.
- Der Münsteraner Soziologe und Verleger des Verlags "Westfälisches Dampfboot", Günter Thien (1947), wirft in einem Interview den skeptischen Blick zurück in das Uni-System der 70er Jahre, mit durchaus optimistischen Betrachtungen der Veränderungen, um einen kritischen Vergleich mit der derzeitigen Hochschulentwicklung anzustellen. Dabei geht er in differenzierter Weise sowohl mit der Einschätzung um, dass die an den Universitäten Tätigen Globalisierung und Neoliberalisierung verschlafen, als auch mit der Position, dass sie sich für diese Entwicklung entschieden hätten. Seine eher ernüchternde Vermutung, dass die Zukunft der Universitäten sich eher am "Buisiness as usual" orientieren würde als an einem revolutionären Aufbruch, klingt pragmatisch, immerhin gewürzt mit dem Gramscischen Paradigma, dass ein kritischer Mensch sich bestimmen lassen müsse von einem Skeptizismus des Verstandes und einem Optimismus des Herzens.
- Der Marburger Politikwissenschaftler Frank Deppe (1941) nutzte 2006 seine Abschiedsvorlesung ebenfalls dazu, über die "Krise und Erneuerung marxistischer Theorie" zu reflektieren. Obwohl sich auch sein Optimismus bezüglich der Zukunft des Marxismus in Grenzen hält, erhofft er sich doch, dass die Repräsentanten der Abendroth-Schule an den Universitäten (wieder) mehr Gehör fänden; aber "ohne großen gesellschaftlichen und politischen Druck von außen (wird) die gegenwärtige Machtkonstellation an den Universitäten nicht zu ändern sein".
- Die Soziologin an der Fachhochschule Köln, Maria Mies (1931) reflektierte ebenfalls bei ihrer Abschiedsvorlesung am 2. Januar 1993 in einem 2007/08 fertiggestellten Postscipt gewissermaßen ihr Forschungswerk: "Frauenbewegung, Sozialpolitik und Verantwortung fürs Leben". Die Erfahrungen und Erinnerungen über die Aktivitäten, etwa in Köln ein Frauenhaus für misshandelte Frauen einzurichten, sind durchaus übertragbar und beispielhaft für Initiativen auch heute: "Wir haben da angefangen, wo wir waren". Die virulenten Themen, die das "Elend der Universitäten" beeinflussen und bestimmen, wie etwa "Globalisierung, Liberalisierung, Privatisierung" waren es zu ihrer Emeritierung – und sind es in gesteigertem Maße heute. Gegen MAI (Multilateral Agreement on Investment) und gegen TINA (There is no Alternative), das kann eine Alternative sein, um "der Komplizenschaft (der Universitäten) mit dem Kapital" zu entgehen.
- Heinz Steinert (1942), der bis 2007 als Soziologe an der J.W.Goethe-Universität in Frankfurt/M. lehrte und forschte, beklagt sich darüber, dass ihm und den Soziologen im allgemeinen bisher keine Angebote von Pharmafirmen (wie etwa den Medizinern) vorgelegt worden wären, um gegen großzügige Forschungsgelder Medikamententests durchzuführen und Gutachten zu erstellen. Seine durchaus sarkastisch, wenn auch nicht resignativ aufzufassende Betrachtung des Soziologen, dass "unser Problem nicht Warenförmigkeit des Produkts (ist), sondern der Mangel an Marktfähigkeit". Dabei ist für dem Autor klar, dass "die Widerständigkeit der Theorie", der "kritischen Theorie" vor allem, gegen die Verlockungen der Kulturindustrie in den Universitäten ihren Platz hat und dort, wo er verloren zu gehen droht oder bereits verloren gegangen ist, wieder gefunden werden muss.
- Der Bremer Sozialarbeitswissenschaftler Rudolf Bauer (1939) äußert sich in einem kurzen Interview darüber, dass "der Misserfolg viele Väter und Mütter" hat. Dabei zeichnet er ein zorniges Bild darüber, dass sich Forschung und Lehre an den Universitäten immer mehr auseinander entwickele und von der vielberufenen Einheit der wissenschaftlichen Aufgaben keine Rede mehr sein könne.
- Die Berliner Sozialisationsforscherin Astrid Albrecht-Heide (1938) hadert damit, dass sich "die TU Berlin … als Dienstleister für die Wirtschaft" verstehe und mehr und mehr zu einem "neoliberalen Tatort" werde. Dagegen zu protestieren, zu argumentieren und nicht zuletzt "Frei(zu)-Lachen", damit der Mensch und die Welt nicht verloren gehen, das ist ihr Anliegen.
- Der emeritierte Soziologe der Universität Münster, Hans-Jürgen Krysmanski (1935) nimmt sich ebenfalls die wissenschaftliche Entwicklung seines Fachs vor, indem er beklagt, dass das Studieren wie das Forschen in der Soziologie "unter dem Diktat der Nützlichkeit" stehe. Dabei zieht er seinen Spannungsbogen von der "Soziologie 1968", bis hin zum Heute, zum "Widerstand gegen Anpassungsdruck". Dazu aber bedarf es – heute mehr denn je? – des genuiun soziologischen Blicks auf Macht und Herrschaft, in den Universitäten und in der Gesellschaft.
- Die Innsbrucker Politikwissenschaftlerin Claus von Werlhof (1943) setzt sich in ihrem Pamphlet zur "neoliberalen Bildungsoffensive" mit dem Dienstleistungsabkommen GATS der Welthandelsorganisation WTO auseinander. Es gilt Widerstand zu leisten gegen die Zu-Mutungen, dass Bildung – in Schulen und Hochschulen – gemessen wird "am Computer als Denkmaschine…, an unserer Gehorsamsfähigkeit und am Geld".
- Der Leiter der Zentraleinrichtung Kooperation an der TU Berlin, Wolfgang Neef (1943) legt den Finger in die Wunde, dass das eigentliche Innovationsmittel "Reform" in der universitären Entwicklung "verkommen (ist) zu organisatorisch-betriebswirtschaftlichen Maßnahmen der Kostenreduzierung auf allen Ebenen". Wenn er auch nicht die deutschen Universitäten als Wendebereiter gegen "die kapitalistisch-neoliberale Denke und ihre Methoden" sieht, so bleibt für ihn die Hoffnung, dass "Ökonomisierungs-Wahnsinn und Existenz-Heuchelei" auf den Müllhaufen der universitären und gesellschaftlichen Geschichte landen.
Fazit
Die Streitschrift "Das Elend der Universitäten" ist "linkslastig" – na und? Die diskutierten Zu- und Missstände, die sich in den Hochschulen und anderen Bildungseinrichtungen zeigen, sind real existent. Inwieweit sich daraus "exzellente" Entwicklungen ablesen lassen oder doch eher Trends zur "mimetischen Anpassung" ergeben, ist eine berechtigte Frage, die bei der deutlichen "Neoliberalisierung deutscher Hochschulpolitik" sichtbar, erlebbar und erleidbar werden. "Linke" Wissenschaftler, im Ruhestand wie in Amt und Funktion, melden sich in dem Sammelband als Mahner und Ankläger zu Wort. Das ist gut so!
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 08.10.2008 zu:
Jens Sambale, Volker Eick, Heike Walkenhorst (Hrsg.): Das Elend der Universitäten. Neoliberalisierung deutscher Hochschulpolitik. Verlag Westfälisches Dampfboot
(Münster) 2008.
ISBN 978-3-89691-734-8.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/6833.php, Datum des Zugriffs 12.09.2024.
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