Christian Jakob, Friedrich Schorb: Soziale Säuberung
Rezensiert von Dipl. Politologe Christian Schröder, 02.11.2009
Christian Jakob, Friedrich Schorb: Soziale Säuberung. Wie New Orleans nach der Flut seine Unterschicht vertrieb. Unrast Verlag (Münster) 2008. 227 Seiten. ISBN 978-3-89771-484-7. 16,80 EUR.
Autoren
Friedrich Schorb ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen. Der Soziologe hat zahlreiche Beiträge zu den Themen Gesundheits- und Sozialpolitik veröffentlicht. Christian Jakob ist Redakteur der taz in Bremen mit den Schwerpunkten Innen- und Sozialpolitik und in der Flüchtlingsbewegung aktiv.
Thema und Inhalt
Im Sommer 2005 verwüstete der Hurrikan „Katrina“ die Jazzmetropole New Orleans an der Golfküste der USA. Der Sturm und die darauffolgende Flut infolge des Einbruchs der Deiche richtete die schwersten Zerstörungen an, die je ein Wirbelsturm verursacht hat: über 1.800 Menschen starben, der Sachschaden wird auf 125 Milliarden Euro geschätzt. Dreiviertel der Bewohner wurden evakuiert oder flüchteten aus der Stadt. Die Flutkatastrophe traf vor allem die arme und schwarze Bevölkerung. Denn ihre Wohnviertel lagen mehrheitlich unter dem Meeresspiegel und wurden als erstes überschwemmt. So geschah es schon mehrfach bei Deichbrüchen, etwa 1927 und 1965. Hier zeige sich die soziale Dimension der Naturkatastrophe. „Katrina hatte verheerende Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von Wohnraum in New Orleans.“ (27) Die Mieten explodierten, Boden- und Immobilien-Spekulation boomten wie selten zuvor und günstiger Wohnraum wurde extrem knapp. Im Frühjahr 2008 lebten erst 270.000 Menschen wieder in New Orleans. Über 180.000 wollten oder konnten nicht dorthin zurückkehren. „Trotzdem herrscht Wohnungsnot.“ (27)
Zur sozialen Katastrophe wurden die Spätfolgen von „Katrina“ allerdings erst dadurch, dass die städtischen weißen Eliten in der Flutkatastrophe die Chance sahen, unliebsame innerstädtische Sozialquartiere (Public Housing Projects) abreißen zu lassen und deren BewohnerInnen zu vertreiben. Unter dem Deckmantel des Wiederaufbaus habe sich in New Orleans ein Prozess im Zeitraffer vollzogen, der in den USA seit etwa 30 Jahren stattfindet. Die Autoren beschreiben die Beseitigung von Armutsquartieren in den USA als einen zentralen Bestandteil der repressiv gewendeten US-Sozialpolitik.
Bürgermeister Ray Nagin versprach nach der Flutkatastrophe, New Orleans solle neuer und schöner werden. Tatsächlich sei es aber weißer und wohlhabender geworden, so die Kritik von Friedrich Schorb und Christian Jakob, die im Frühjahr 2007 vertriebene MieterInnen, AktivistInnen, BürgerrechtlerInnen, WissenschaftlerInnen, Verantwortliche aus Behörden und Manager von Immobilienfirmen interviewt haben. Der zuständige Stadtrat nutzte die Gelegenheit und ließ die vier größten städtischen Sozialwohnungsgebieten abriegeln und schließen. 20.000 zumeist schwarze SozialmieterInnen durften nicht in ihre weitgehend unbeschädigten Wohnungen zurückkehren. Zwar wehrten sich die MieterInnen mit Sammelklagen gegen ihre Vertreibung. Doch die Stadtverwaltung ließ einen Teil der Quartiere schnellstmöglich abreißen.
Anstelle der mietpreisgünstigen Public Housing Projects ließ die Administration Mixed-Income-Quartiere errichten. In diesen hochsubventionierten Mustersiedlungen in privatwirtschaftlicher Hand mit geringerer Bebauung sollen, so die Idee, wenige ärmere EinwohnerInnen zwischen Mittelständischen und Reicheren leben. Allerdings entstand so nur ein Bruchteil der früheren Sozialwohnungen. Eine rigide Hausordnung in diesen Quartieren diene der sozialen Kontrolle der armen Bevölkerung. Diese Mixed-income-Politik folge einer paternalistischen Theorie von Armutsbekämpfung, die seit der konservativen Wende der USA deren Sozialpolitik prägt, so die beiden Verfasser. Sozialbauviertel gelten in den USA als Brutstätte von Kriminalität und Gewalt. „Die Identifikation der Sozialbauten mit Arbeitsscheu, Kriminalität und Promiskuität ist den USA ‚Common Sense‘. Und das nicht erst seit Katrina.“ (142) „Katrina“ war ein Katalysator für den sozialen Kehraus durch die politischen Eliten am Mississippi – sein Auslöser war der Sturm nicht.
Fazit
„Soziale Säuberung“ ist ein Sachbuch. Dadurch können Christian Jakob und Friedrich Schorb mehr zuspitzen als in einer wissenschaftlichen Arbeit. Sie berichten breit über die allgemeinen Tendenzen der US-amerikanischen Sozialstaatsentwicklung. Hier und da würde man jedoch gern noch mehr über die konkreten Politik- und Machtverhältnisse in New Orleans erfahren. Durch seinen abwechslungsreichen Stil, zahlreiche Interviewauszüge und Schwarzweiß-Fotos wird das Buch aufgelockert und zu einem kurzweiligen Lesevergnügen.
Rezension von
Dipl. Politologe Christian Schröder
Evangelische Sozialberatung Bottrop (ESB)
Website
Es gibt 17 Rezensionen von Christian Schröder.
Zitiervorschlag
Christian Schröder. Rezension vom 02.11.2009 zu:
Christian Jakob, Friedrich Schorb: Soziale Säuberung. Wie New Orleans nach der Flut seine Unterschicht vertrieb. Unrast Verlag
(Münster) 2008.
ISBN 978-3-89771-484-7.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/6847.php, Datum des Zugriffs 25.01.2025.
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