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Mathias Schwabe: Methoden der Hilfeplanung

Rezensiert von Prof. Dr. Maja Heiner, 05.11.2008

Mathias Schwabe: Methoden der Hilfeplanung. Zielentwicklung, Moderation und Aushandlung. Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen (IGfH) (Frankfurt am Main) 2008. 2. Auflage. 428 Seiten. ISBN 978-3-925146-59-6. 22,90 EUR.
Gelbe Schriftenreihe der IGFH.

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Thema

Das Buch trägt einen allzu bescheidenen Titel, der eher eine Praxisanleitung mit Beispielen und Arbeitsblättern vermuten lässt, die zudem nur Anwendbarkeit für die erzieherischen Hilfen beanspruchen. Diese Publikation ist aber alles andere als nur eine "Handreichung" – obwohl sie sehr praxisbezogen angelegt ist. Auf der Basis differenzierter theoretischer Überlegungen zur dialogischen Gestaltung des Hilfeplanprozesses und der motivationalen Grundlagen von menschlichen Entwicklungen entwickelt Mathias Schwabe eine grundlegende Theorie der Unterstützung von Selbststeuerungsprozessen. Er illustriert ihre Anwendbarkeit durch zahlreiche Beispiele, die teilweise seitenlange Dialogsequenzen enthalten. So wird deutlich, wie eine der zentralen Aufgaben in der Sozialen Arbeit bewältigt werden kann: die Unterstützung der Zielklärung und Zielrealisierung in langen Handlungsbögen. Mathias Schwabe fokussiert bewusst auf die Phase des Hilfeprozesses und der Interaktion Fachkraft KlientIn, nachdem die AdressatInnen sich entschieden haben, dass Unterstützung sinnvoll sein könnte und einen Antrag auf erzieherische Hilfen gestellt haben. Aufgrund dieser Fokussierung auf sozialpädagogische und kommunikative Prozesse blendet er z. B. rechtliche und verwaltungstechnische Aspekte aus (S. 21). Die institutionelle Einbettung dieser kommunikativen Prozesse bleibt aber präsent. Auf die notwendige organisationsbezogene Unterstützung der Fallarbeit z. B. durch Teamberatung und eine enge Abstimmung zwischen dem planenden staatlichen Kostenträger und dem durchführenden freien Träger wird mehrfach verwiesen (z. B. in Kap. 3.2 und Kap. 5)!

Entstehungshintergrund

Das Buch ist das  Produkt der Reflexion sehr umfassender eigener Erfahrungen mit der Hilfeplanung als Heim- und Erziehungsleiter in den 90er Jahren (7 Jahre, dabei Durchführung von 300 Hilfeplangespräche mit 30 verschiedenen Jugendämtern) ergänzt durch zahlreiche Fortbildungen zu diesem Thema nach dem Wechsel des Verfassers auf eine Professur an eine Fachhochschule. In diesen teilweise mehrjährigen Qualifizierungsangeboten arbeitete der Verfasser mit und an den Fällen der TeilnehmerInnen. Die Dialogbeispiele im Text stammen aus aufgezeichneten Rollenspielen und Fallschilderungen aus diesen Fortbildungen und aus protokollierten Erinnerungen des Autors aus seiner Zeit als Heimleiter. Diese verdichteten Fallstudien stellen Beispiele  dar, die zwischen Fallrekonstruktionen und Fallerfindungen anzusiedeln sind (S. 50). Damit besteht die Materialbasis aus simulierter und erinnerter Praxis, die eine so große Nähe zu tatsächlichen Praxisabläufen aufweist und so systematisch dokumentiert wurde, dass dieser Entwurf einer Theorie und Methode der Hilfeplanung als empirisch fundiert bezeichnet werden darf.   

Aufbau und Inhalt

Das Buch beginnt mit einer Einführung zu den Zielen des Buches. Dabei wird ein Modell des Hilfeplanprozesses in vier Phasen entwickelt und die vorliegende Darstellung in diesen Ablauf eingeordnet. In siebzehn Thesen zur Hilfeplanung werden vorab die Grundgedanken als Buch zu zentralen Themen wie Planbarkeit  und Unplanbarkeit der Hilfen, Partizipation, kommunikativer Prozess und bürokratische Verfahren, Ziele der Adressaten und Ziele der Fachkräfte, Kooperation der Fachkräfte, etc. darstellt. Damit ist vorweg quasi die geistige Landkarte skizziert, an Hand derer die Leserin oder der Leser nun durch das materialreiche Buch des Autors streifen und es auch als "Steinbruch" (S. 45) nutzen können. LeserInnen können sich dabei das für sie Passende herauszugreifen, da viele Kapitel nach diesem 4. Kapitel auch für sich alleine verständlich sind.

Das zweite Kapitel widmet sich dem Thema "Nachdenken über Ziele". In diesem Kapitel wird zwischen Wünschen, Ideen und Absichten unterschieden und Zielformulierungen als "Willenserklärungen" verstanden, die bei entsprechenden Ressourcen, sowie klugem und nachhaltigem Einsatz der Mittel zur Zielerreichung führen können (S. 57). Der Ziel-Begriff wird in diesem Buch auf längerfristig angelegte Handlungsbögen bezogen, die durch situationsübergreifende Handlungskriterien und umfassende Ziele gekennzeichnet sind. Situationsbezogene, kurzfristige Ziele, die nicht in einem solchen Kontext stehen und werden insofern ausgeklammert (S: 58).

Ziele werden in einen umfassenden "Motivkontext" eingebettet, also mit übergeordneten Wünschen und Hoffnungen in Beziehung gesetzt (S. 61). Diese Einbettung erlaubt es Mathias Schwabe Ziel-Mittelkaskaden zu erfassen, die z. B. vom deklarierten Ziel der Mutter "Der Junge soll einen Beruf erlernen" auf zahlreiche andere, dahinter stehende Motive verweist, z. B.  "Der Junge soll zeigen, dass bei uns alles normal läuft" bis zu: Indem mein Junge "normal" und "erfolgreich" ist, zeigt er, "dass ich eine gute Mutter bin". Oder "Er erlaubt mir so, mich mehr um meine Dinge zu kümmern (S. 60 ff.). Diese Erkundung der Ziele hinter den Zielen, dieses Aufspüren der vielen Motive und Anliegen, die mit einem normativen, scheinbar gar nicht subjektiven und identitätsbezogenen Ziel wie "regelmäßiger Schulbesuch" verbunden sind, tragen zur "Aufladung" banaler, alltagsnaher Ziele bei. Werden sie bewusst und dürfen sie benannt werden, so lässt sich eine Person häufig davon abbringen, das ursprüngliche, aber z. B. kaum erreichbare Ziel zu verfolgen, weil ihr klar wird, dass das höherrangige Ziel mit anderen Mitteln erreicht werden kann (S. 64). In einem sehr detaillierten Fallbeispiel wird dann konkret vermittelt, welche Ambivalenzen angesichts der vielen Ziele zu Konflikten und Missverständnissen zwischen mehreren Beteiligten führen können und welche subjektiven Voraussetzungen bei der Hilfeplanung gegeben sein müssen, damit aus dem ersten Handlungsimpuls ein reflektiertes und erklärtes Ziel wird, das auf innere Voraussetzungen der Person bezogen ist, wird im Kap. 2.4 dargestellt.

Das dritte Kapitel dient der Abklärung des institutionellen Kontextes und verdeutlicht die damit gegebenen Spannungen von institutionellem Hilfekonzept, Hilfeformen und individuellem Hilfeplan, illustriert an vier Fallbeispielen.

Das vierte Kapitel zur Zielfindung und Zielformulierung stellt in vieler Hinsicht das Herzstück des Buches dar. Mehrere theoretische und methodische Ansatzpunkte dienen der Gliederung des umfangreichen Materials und werden in einem "Zielentwicklungssystem" aufeinanderbezogen. Die vier Dimensionen des Zielentwicklungssystems umfassen

  1. die Beobachtung und Reflexion der eigenen Praxis und ihre Systematisierung mittels wissenschaftlicher Theorien,
  2. darauf aufbauen die Entwicklung einer Gesprächsführungsmethode,
  3. ein Dokumentationssystem zur Zusammenfassung der Gesprächsinhalte, der damit erarbeiteten Ziele und der um sie gruppierten Aufgaben.
  4. Dieses System wird von Haltungen getragen, die u. a. in Konzepten ihren Niederschlag finden (S. 143).

Für die inhaltliche Füllung dieser sich ergänzenden Dimensionen des Zielentwicklungssystems seines Rahmenmodells  hat Mathias Schwabe fünf weitere Systeme entwickelt, die er etwas verwirrend auch als "Zielentwicklungssysteme" bezeichnet. 

Das erste Zielentwicklungssystem (Kap. 4.2.) beruht auf einem Dreiebenenmodell, das eine Stufenfolge von Aufgaben für Fachkraft und KlientIn vorsieht:

  1. emotionale Betroffenheit anregen,
  2. Entwicklungsaufgabe(n) formulieren und
  3. Handlungsaufgaben planen.

Dieses Modell der drei Ebenen wird in diesem Buch am ausführlichsten dargestellt (60 Seiten) und bildet die Grundlage auch für Ziele, die mit Hilfe anderer Zielentwicklungssysteme erarbeitet werden.

Das zweite Zielentwicklungssystem (Kap. 4.3) dient der Wahrnehmung der sozialen Implikation von Zielformulierungen, um von Er/ Sie-Zielen zu Ich/ Wir-Zielen, also zu Eigenzielen zu gelangen.

Das dritte Zielentwicklungssystem dient der Konkretisierung und Operationalisierung der Ziele (SMART).

Das vierte Zielentwicklungssystem erlaubt einen mehrperspektivischen Abgleich der Ziele, die ergebnis- und prozessbezogen operationalisiert werden (nach H. v. Spiegel).

Und das fünfte Zielentwicklungssystem stellte eine Überarbeitung eines Fragenkataloges zur Strukturierung des gesamten Fallbearbeitungsprozesses dar (nach Adler). Die Systeme ergänzen sich, haben ihre spezifischen Stärken und Schwächen und finden bei unterschiedlichen Typen von MitarbeiterInnen mehr oder weniger Anklang (S. 146 ff.).

Nicht ganz klar ist bei diesen Systemen das Verhältnis der einzelnen Teile zueinander. Einige beziehen sich auf den gesamten Interventionsverlauf ("Interventionsmodell") und sollten immer bedacht bzw. angesprochen werden (drei Persönlichkeitsebenen/ drei Zielebenen). Andere wie das System zur Operationalisierung der Ziele sind als Verfahren Teilelemente des Interventionsmodells und könnten wohl auch durch andere  Verfahren ersetzt werden. 

Das Konzept der drei Zielebenen wurde vom Autor selbst entwickelt und stellt eine genuin sozialpädagogische Motivationstheorie dar. Drei Persönlichkeitsebenen müssen im Zielfindungsprozess angesprochen werden, damit eine Person "ein Ziel entwickeln kann, das sie nachhaltig bewegt": Das Dreiebenenmodell der Zielentwicklung sieht folgende Stufenfolge vor:

  1. emotionale Betroffenheit anregen,
  2. Entwicklungsaufgabe(n) formulieren und
  3. Handlungsaufgaben planen.

Drei Persönlichkeitsebenen werden dabei nacheinander angesprochen: kognitive, emotionale und aktionale ("Herz, Hirn und Hand"). Gegenüber AdressatInnen kann die Fachkraft dieses Modell z. B. so einführen: "Wir fangen jetzt mit einer neuen Aufgabe an: Wir wollen zusammen Ziele formulieren. Gute Ziele sind solche, die Ihr Tun ansprechen, Ihren Kopf und Ihre Hände. Oder um es anders zu sagen: Die Ziele sollen so formuliert sein, dass Sie dabei etwas Wichtiges fühlen, etwas Interessantes denken und Sie auch etwas Konkretes tun können, um das Ziel zu erreichen. Wenn eine dieser drei Ebenen fehlt, droht das Ziel unfruchtbar zu bleiben. Es steht dann irgendwo auf dem Papier oder es ist irgendwo in Ihrem Gehirn abgespeichert, aber es bewegt nichts in Ihrem Leben und Sie werden es rasch wieder vergessen. Wenn die drei Ebenen dagegen auf eine für Sie stimmige Weise zusammen kommen, wird das Ziel wie ein Motor sein, der Ihnen Kraft gibt und Sie nach vorne zieht. Das ist genau der Prozess, zu dem ich Sie einladen möchte." (S. 148 ff.)

Dieser Zielfindungsprozess, der mit der emotionalen Verankerung der Zielperspektive im Gespräch mit den Adressaten beginnt, wird von Mathias Schwabe wiederum sehr anschaulich an Fallbeispielen mit ausführlichen, teilweise über mehrere Seiten sich erstreckenden Dialogen dargestellt. Grundlage der Gesprächsführung, die der Bewusstmachung emotionaler Impulse und Blockaden dient, ist neben einer Haltung der empathischen Wertschätzung und der strukturierenden, teilweise auch konfrontierenden Verantwortung für den Ablauf des Klärungsprozesses, die Bereitschaft der Fachkraft die Verantwortung für das Ergebnis immer wieder an die KlientInnen zurück zu geben. 

Nach der emotionalen Verankerung des Zieles geht es auf der zweiten Ebene um die Formulierung eines Zieles, das als Entwicklungsaufgabe einen mittleren Konkretisierungsgrad und Schwierigkeitsgrad aufweisen soll. Pro Person, Familie oder Hilfesystemen werden zwei bis drei Entwicklungsaufgaben benannt, die zwei oder drei konkrete Handlungsprojekte nach sich ziehen. Die Arbeit auf dieser zweiten Ebene wird mit zwei Fragen eröffnet: "Wenn Sie einen Beitrag leisten wollen für … [emotionales Ziel]… was würde sich dann für Sie als Aufgabe stellen und welche Fähigkeit müssten Sie dann einsetzen oder entwickeln?" Diese Frage wird im Gespräch mit den KlientInnen zunächst bewusst in Formulierungen wie "könnte", "sollte", "hätte" (aber in der Ich-Form) gefasst, um hypothetische Aktionsräume zu erkunden. Die KlientInnen sollen sich nicht zu früh festlegen, um einen  Pseudokonsens zu vermeiden. Die zweite Frage: " Was könnten andere dafür tun, dass Sie Ihrem Ziel näher kommen?" ergänzt diese Perspektive und erschließt externe Ressourcen. Bei massiven Konflikten zwischen den Beteiligten und skeptischen Reaktionen kann auch die Fachkraft von sich aus Entwicklungsaufgaben vorschlagen. Sie muss dann aber besonders darauf achten, in welchem Ausmaß diese konsensfähig sind. Entwicklungsaufgaben können so formuliert sein, dass sie neu zu erwerbende Kompetenzen benennen, die Nutzung schon vorhandener Möglichkeiten deutlich machen oder der Klärung von Unklarem oder Strittigem dienen (S. 221). Der Möglichkeit, dass eine Klientin keine Ziele benennen kann oder will, z. B. weil sie nicht freiwillig zu diesen Gesprächen kommt (Kap. 4.2.1 und 4.2.2) wird mehrfach Rechung getragen.

Auf der dritten Ebene werden dann schließlich konkrete Handlungsschritte entwickelt (Kap. 4.2.3). Hierzu werden die weiteren "Zielentwicklungssysteme" dargestellt, z. B. ein Verfahren zur Operationalisierung von Zielen und zur Strukturierung und Dokumentation der Fallbearbeitung. Auch dies geschieht wieder mit Bezug auf die durchgängig genutzten Fallbeispiele auf sehr anschauliche Weise.

Dieses Dreiebenenmodell von "Herz" (Betroffenheit anregen), "Hirn" (Entwicklungsaufgaben formulieren) und "Hand" (Handlungsaufgaben planen) entspricht der neueren psychologischen Motivationstheorie und der Erweiterung des sogenannten Rubikonmodell, das nicht zuletzt auf der Grundlage neurowissenschaftlicher Erkenntnisse von zwei klar unterscheidbaren Handlungsphasen ausgeht: der Phase des Abwägens vor dem Handlungsentschluss (also vor dem Entschluss den Rubikon zu überqueren!) und der Aufrechterhaltung der gefassten Absicht, in der volitionalen Motivationsphase danach. In dieser Phase muss sich die Person zur Aufrechterhaltung ihres Entschlusses und zur Ausführung der geplanten Aktivitäten, vor allem gegen konkurrierende Ziele, verwirrende oder verlockende Informationen über Alternativen abschirmen. In dieser Phase ist auch wie bei M. Schwabe die konkrete Handlungsplanung mit ihren operationalisierten Handlungszielen angesiedelt. Vor Überschreiten des Rubikon dagegen, wäre eine solche Konkretisierung unangemessen. Hier gilt es, wie der Verfasser in zahlreichen Fallbeispielen darlegt, sich überhaupt mit Zielen zu identifizieren, Skepsis, Resignation oder auch illusionäre Selbstüberschätzung zu überwinden und sich ambivalenter Gefühle bewusst zu werden. Auf der Basis neurowissenschaftlicher Erkenntnisse sind dafür Methoden und Verfahren entwickelt worden, die auch außerhalb von therapeutischen settings und trainings eingesetzt werden. Sie können die zahlreichen Vorschläge zur Erkundung unbewusster und verleugneter Motive und zur Entwicklung identätsstiftender Ziele von Schwabe ergänzen (z. B. Storch/ Krause 2007: zur Theoretischen Fundierung vgl. auch Kuhl 2006).

Abgerundet wird diese stark auf kommunikative, emotional fundierte Prozesse zwischen KlientInnen und Fachkraft fokussierende Darstellung des Hilfeplanprozesses bei Schwabe durch das fünfte Kapitel zur Moderation im Hilfeplangespräch. Hier wird der institutionelle Rahmen mit seinen Auswirkungen auf die Beteiligten thematisiert. Ein Kapitel über konflikthafte Aushandlungsprozesse verdeutlicht zum Abschluss, dass das Grundprinzip der Koproduktion nicht nur "Vermitteln" und "Verhandeln" sondern auch "Durchsetzen" als Strategie erforderlich machen kann. Angesichts der seltenen Erfahrungen von wechselseitiger Anerkennung im Anderssein die KlientInnen bisher erleben konnte, stellt eine partizipative Hilfeplanung für sie eine völlig neue Herausforderung dar. Statt der bekannten Alternative "Durchsetzung" oder "Unterwerfung" werden von ihnen nun völlig neue Verhaltensmuster verlangt. Insofern bedeutet Hilfeplanung mehr als nur die Auswahl geeigneter Hilfeformen, Dieses Kapitel macht nochmals sehr anschaulich deutlich, dass Partizipation bei der Entwicklung neuer Lebensperspektiven eine basale Form der "Bildung des Subjektes" darstellt (S. 411).

Das Buch schließt mit einer Übersicht über die Fälle und Szenen, die zusammen mit zahlreichen Materialien (Checklisten, Raster, Kopiervorlagen) Auf der CD zu diesem Buch zu finden sind.

Diskussion

Am Ende angelangt, versteht man, warum der Autor empfiehlt, das Buch und die CD wie einen "Steinbruch" zu nutzen. Neben einer systematischen Darstellung von Prinzipien und schrittweise Vorgehensweisen enthält das Buch so reichhaltiges Anschauungsmaterial über Interaktionsprozesse, die (wie jedes Handeln) polyvalent und polytel sind, sich also auf mehrere Ziele und Bedeutungshorizonte beziehen. So illustrieren die Fallschilderungen und Dialoge oftmals zusätzlich andere Aussagen, als die Aussagen an der Stelle im Buch, an der sie aufgeführt werden. Insofern ist die Lektüre ein realitätsnahes Training für die Bewältigung der Komplexität und Interdependenz sozialer Prozesse!

Fazit

Es ist Mathias Schwabe gelungen, mit diesem Buch einen grundlegenden Beitrag zur theoretisch und empirisch fundierten, agogisch-handlungstheoretisch ausgerichteten  Reflexion methodischen Handelns in der Sozialen Arbeit vorzulegen. Durch seinen originär sozialpädagogisch/ sozialarbeiterischen Zugang wird deutlich, dass Hilfeplanung und Zielfindung in der Sozialen Arbeit andere Fähigkeiten verlangen als die therapeutische Gesprächsführung und kommunikativ unterstützte Selbstklärung, die mit "communication skills" zu bewältigen wäre, die bereits in mehreren Methoden- und Beratungslehrbüchern vermittelt werden – bestenfalls ergänzt um Case-Management Ablauf-Systematiken, mit Planungs- und Dokumentationsformularen. Mit seinem methodischen Ansatz einer Hilfeplanung bei der Modelle, Methoden und Verfahren immer mit der Reflexion in der eigenen Haltung verbunden werden, ist Mathias Schwabe in der Lage, kognitive, emotionale und aktionale Aspekten zu einem schlüssigen Gesamtkonzept der Hilfeplanung zusammenzuführen.

Die Hilfeplanung in den Jugendämtern dürfte heute in der Praxis deutlich anders aussehen und die grundlegend anderen motivationalen Anforderungen vor und nach Überschreiten des Rubikon sträflich missachten. Nicht zuletzt deswegen ist zu hoffen, dass das Buch von M. Schwabe viele Leser findet. Nicht nur in der Praxis sondern auch in der Wissenschaft, z. B. als Anregung, um die Nachhaltigkeit dieser Art der Hilfeplanung empirisch zu untersuchen, die bei einer nur outcome-bezogenen Wirkungsforschung kaum eine Chance hätte, berücksichtigt zu werden. Auch für die Ausbildung stelllt es eine Bereicherung dar. Vielleicht erscheint es ja in leicht überarbeiteter Form demnächst als "alternatives" Lehrbuch für Entdeckungslustige, die neben einer Ergänzung der jetzigen Fassung durch eine systematische motivations- und theoretische Einführung insbes. die Fülle der Gesprächsprotokolle schätzen dürften, um für sich zu klären, was es heißt, KlientInnen zu motivieren, ihr Leben in die Hand zu nehmen.

Literatur

Kuhl, J. (2006): Individuelle Unterschiede in der Selbststeuerung. In: Heckhausen, J. / Heckhausen, H. (Hrsg.): Motivation und Handeln, 3. Aufl. Heidelberg, S. 303-330

Storch, M. / Krause, F. (2007): Selbstmanagement - ressourcenorientiert. Grundlagen und Trainingsmanual für die Arbeit mit dem Zürcher Ressourcen Modell, ZRM. Verlag Hans Huber (Bern, Göttingen, Toronto, Seattle) 4., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage.

Rezension von
Prof. Dr. Maja Heiner
Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Tübingen

Es gibt 4 Rezensionen von Maja Heiner.

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ISSN 2190-9245