Carola Merzenich-Hieker: [...] Kommunikations- und Verhaltenstraining [...]
Rezensiert von Dr. rer. soc. Wolfgang Widulle, 26.12.2008
Carola Merzenich-Hieker: Evaluation von Kommunikations- und Verhaltenstraining in Organisationen. Eine empirische Studie. Shaker Verlag (Aachen) 2008. 258 Seiten. ISBN 978-3-8265-1250-6. 49,00 EUR. CH: 99,00 sFr.
Thema
Kommunikations- und Gesprächstrainings sind ein mittlerweile fester Bestandteil der Aus- und Weiterbildung in allen Berufen, die Humandienstleistungen erbringen. Der Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft, die sich verändernden Unternehmensstrukturen, komplexere Aufgaben und erhöhte Selbststeuerung von Mitarbeitenden führten zu einem erheblichen Bedeutungszuwachs vom Kommunikation im Beruf. An diesen Veränderungen ist das Verständnis für soziale Kompetenzen im Beruf und das Bewusstsein für gute Kommunikation gewachsen und mittlerweile in Unternehmensleitbildern wie Stellenbeschreibungen eine Standardanforderung. Das Angebot an Kommunikations-, Führungs-, Team-, Konflikt- und anderen Trainings ist enorm gewachsen. Auch wenn gelegentlich Krisen ausgerufen werden (Voß 1994) - das Trainingsbusiness ist ein milliardenschweres Geschäft (Malmendier 2003). Um so erstaunlicher ist, wie spärlich die Literatur zur Untersuchung der Wirksamkeit von Trainings ist. Verhaltensorientierte Trainings sozial-kommunikativer Kompetenzen für Adressaten von Psychotherapie, psychosozialer Beratung und Sozialer Arbeit sind in ihrer Wirkung gut untersucht (Hinsch/Pfingsten 1998, Petermann 2006, 2008). Kommunikationstrainings in der beruflichen Aus- und Weiterbildung sind hingegen ungenügend erforscht. Selbst im Bereich von Beratungs- und psychotherapeutischen Ausbildungen wurde nur in wenigen Studien eine Evaluation der Auswirkungen von Ausbildungsprogrammen vorgenommen (Mc Leod 2004). Die Arbeit von Merzenich-Hieker ist eine dieser Ausnahmen.
Entstehungshintergrund
Das Buch ist eine als Dissertation eingereichte theoretische und empirische Forschungsarbeit. Sie beschreibt kognitions- und handlungspsychologische Grundlagen zu Lernprozessen in Kommunikationstrainings und konzipiert eine theoretisch fundierte, empirisch zuverlässige und praxistaugliche Form der Evaluation von Kommunikations- und Verhaltenstrainings. Mit dieser Konzeption wird die Wirksamkeit von fünf Kommunikations- und Verhaltenstrainings untersucht: Gegenstand sind zwei Führungskräftetrainings, ein Train-the-Trainer-, ein Verkaufs- und ein Kommunikations-/Kooperationstraining. Die Evaluationen ermitteln Trainingseffekte zu den Kompetenzen der Teilnehmer und klären Einflussfaktoren auf die Kompetenzentwicklung und Transferleistung.
Aufbau und Inhalt
- Das Kapitel 1 beschreibt den Rahmen beruflicher Weiterbildung und die Aufgabe von Evaluation bei Weiterbildungsmassnahmen.
- Kapitel 2 stellt wissenschaftstheoretische und anwendungsorientierte Überlegungen zur Evaluation im Bildungsbereich an. Probleme in Feldforschung und Auswertung werden aufgezeigt und Lösungsansätze diskutiert.
- Kapitel 3 beschreibt trainings- und evaluationsrelevante Objekttheorien aus dem Bereich der kognitiven Handlungstheorien: Mit den Modellen der Erwartungs-mal-Wert-Theorien (Schwarzer 1992), der Kontrollüberzeugung (Weiner 1971), der Selbstwirksamkeit (Bandura 1996), der metakognitiven Handlungskontrolle (Kuhl 1983) und der Theory of Planned Behavior (Ajzen 1988) werden Veränderungsprozesse und relevante Einflussfaktoren in Kommunikations- und Verhaltenstrainings beschrieben. Die Modelle werden in ein integratives Modell der Verhaltenssteuerung und –vorhersage zusammengeführt.
- Das Kapitel 4 beschreibt kurz den Stand der Forschung im Bereich von Trainingsmassnahmen.
- Das Kapitel 5 erläutert die für die fünf Evaluationen übergreifenden Fragestellungen, Erhebungsmethoden und Vorgehensweisen. Die Untersuchung arbeitet mit einem Pre-Posttest-Design, das multiperspektivisch angelegt ist (Fragebogen und Interviews mit Trainees und Vorgesetzten, Kontrollgruppendesign). Die Daten wurden quantitativ und qualitativ ausgewertet.
- Kapitel 6 beschreibt die Evaluationsstudien und deren Ergebnisse, in Kapitel 7 werden die Ergebnisse zusammengefasst und kritisch diskutiert: Zur Kompetenzsteigerung der Teilnehmer werden zwei Trainings als signifikant kompetenzsteigernd beurteilt, bei den weiteren drei Trainings sind nur fragliche oder keine sicher durch das Training verursachten Kompetenzfortschritte der Teilnehmer erkennbar. Die Autorin weist jedoch darauf hin, dass Trainingseffekte immer auch vom Evaluationsdesign und der Zusammensetzung der Teilnehmergruppe abhängen. Als Einflussfaktoren auf die Kompetenzentwicklung und Transferleistung der Teilnehmer nennt die Autorin keine alle fünf Studien übergreifenden Faktoren. Starke Korrelationen liessen sich aber in einzelnen Studien nachweisen zwischen Berufserfahrung und Verhalten, sowie zwischen Einstellungen, Selbstwirksamkeitskonzept und Verhalten. Zu den Transferleistungen aus den Trainings ermittelte die Autorin hochsignifikante Korrelationen mit internen Kontrollüberzeugungen. Trainees, die also hohe interne Kontrollüberzeugungen aufwiesen, sahen sich auch besser in der Lage, das Gelernte in den Berufsalltag umzusetzen. Weiter sind, was kaum überraschen kann, "handlungsorientierte" Trainees, die die Umsetzung neuen Handelns nach dem Training gegen aufgabenirrelevante Kognitionen, konkurrierende Motivationstendenzen und negative Emotionen schützen, erfolgreicher als "lageorientierte" Trainees, die übermässig auf das Abwägen von Alternativen fixiert sind, Handlungsschritte nicht hinreichend reflektieren oder exzessiv um Misserfolgs- oder Erfolgserlebnisse kreisen. Ein Hindernis für Transfer und Kompetenzsteigerung sieht die Autorin im Fehlen anwendungsbezogener Arbeitssituationen am Arbeitsplatz: Teilnehmer, die in ihrer beruflichen Praxis wenig oder keine Anwendungsmöglichkeiten vorfanden, beurteilten die Seminare negativer und erzielten geringeren Trainingserfolg. Die qualitative Inhaltsanalyse von Interviews und offenen Fragen in den Evaluationsfragebögen wird in einem Kategoriensystem zusammengefasst, es finden sich leider keine Ankerbeispiele, dichte Beschreibungen oder weitergehende Interpretation der qualitativen Daten.
- Das Kapitel 8 reflektiert in metaevaluativer Absicht die Möglichkeiten und Grenzen der Evaluation von Kommunikationstrainings in Organisationen. Dabei wird das Spannungsfeld von Validität und Praxistauglichkeit diskutiert und es werden Empfehlungen für die Evaluation von Kommunikationstrai-nings aus Sicht der Autorin gegeben.
Diskussion
Die Studie stellt eine der wenigen empirischen Untersuchungen zur Wirksamkeit von Kommunikationstrainings im beruflichen Kontext dar. Sie fokussiert in der Methodologie auf die Selbsteinschätzungen der Trainees, Fremdeinschätzungen durch Vorgesetzte und den Vergleich mit Kontrollgruppen. Diese in Fragebögen und Interviews ermittelten Daten werden in einem aufwändigen quantitativen Design ausgewertet, die Ergebnisse sind differenziert und heterogen und zeigen die Schwierigkeit, einfache Erfolgsfaktoren für Kommunikationstrainings zu finden: Kompetenzzuwachs von Trainees ist von vielen personalen, organisationalen und lernumgebungsbezogenen Faktoren abhängig. Das Forschungskompetenz erfordernde Evaluationsdesign lässt Zweifel aufkommen, ob die vorgeschlagene Methodik eine für Unternehmen praktikable Form der Evaluation darstellt, eine praxisnähere Adaption der Evaluationsmethodik wird nicht erstellt. Die Evaluation scheint sich so eher für wissenschaftliche als für unternehmensbezogene Evaluationsprojekte zu eignen. Die Bewertungen und Analysen lassen weiter leider kaum Rückschlüsse auf die didaktische Anlage der Lernumgebungen zu, was das Ziel der Evaluation, "systematische Informationen für notwendige, weiterführende Trainingsentscheidungen zu sammeln" – der Anspruch an Evaluation - mindestens im Buch, verunmöglicht: Es werden keine Aussagen oder Schlussfolgerungen über die in den Trainings verwendete oder zu optimierende (eher heterogen scheinende) Trainingsdidaktik gemacht.
Fazit
Die Arbeit der Autorin stellt eine anspruchsvolle Forschungsarbeit dar, geeignet für Wis-senschaftler und Evaluationsbeauftragte im Bereich beruflicher Trainings sozial-kommunikativer Kompetenzen. Sie kann als Grundlage für weitere Forschungsarbeiten zur Evaluation von Kommunikationstrainings dienen. Für Trainer gibt sie Hinweise zum Lernen sozial-kommunikativer Kompetenzen und zur intrapersonalen Dy-namik von Teilnehmenden: die Ausführungen zu Kontrollüberzeugungen, Selbstwirk-samkeit und Handlungskontrolle lohnen die Lektüre, die einem mit einem vertieften Verständnis von Trainees gedankt wird. Zu einer wirksamen Didaktik von Kommunika-tionstrainings finden sich leider kaum Anregungen oder Schlussfolgerungen, der Fokus lag auf personalen und arbeitsfeldbezogenen Bedingungen der Wirksamkeit, die Emp-fehlungen und Schlussfolgerungen für die Arbeit beziehen sich eher auf Prinzipien und Desiderata für Evaluationsinstrumente. Dass die Arbeit dieses Ziel nicht verfolgte, ist ihr nicht vorzuwerfen. Wie sich die Rahmenbedingungen und die didaktischen Settings auf die Wirksamkeit von Kommunikationstrainings auswirken, bleibt aber auch nach der Lektüre dieser anregenden und anspruchsvollen Arbeit leider eine offene Frage. Hier scheint – auch zwölf Jahre nach Erscheinen des Buches – noch viel Forschung nötig.
Rezension von
Dr. rer. soc. Wolfgang Widulle
Hochschule für Soziale Arbeit FHNW, Olten/Schweiz
Institut Beratung, Coaching und Sozialmanagement
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