David Emmett, Graeme Nice: What You Need to Know About Cannabis. Understanding the Facts
Rezensiert von Dipl. Soz.päd. Annette Plobner, 27.06.2009

David Emmett, Graeme Nice: What You Need to Know About Cannabis. Understanding the Facts.
Jessica Kingsley Publishers
(London N1 9JB) 2008.
128 Seiten.
ISBN 978-1-84310-697-5.
Preis £12.99/US$19.95.
Thema
Kann Cannabis Schizophrenie auslösen? Macht Cannabis abhängig? Cannabis wird weltweit konsumiert, gleichzeitig lässt sich ein Mangel an relevantem Wissen über den Konsum und dessen Auswirkungen feststellen. Ein weiterer Beitrag die allgemeine Einseitigkeit vornehmlich die Gefahren von Cannabiskonsum in den Vordergrund zu stellen, entgegen zu treten. Die Autoren haben sich mit dieser Publikation vorgenommen dazu beizutragen, dass Wissenslücken geschlossen werden.
Autoren
Beide Autoren sind fachlich mit dem Thema Drogenkonsum befasst. Beide leben und arbeiten in Großbritannien. David Emmett hat eine 30 jährige berufliche Tätigkeit als Polizeibeamter hinter sich, während der er mit dem Hintergrund der Feldtätigkeit im Bereich Drogenmissbrauch Trainings und Fortbildungen für Lehrer, Pädagogen und Polizisten durchführte. An verschiedenen britischen Universitäten hält er zu dem Themenbereich Vorlesungen. Graeme Nice war über 20 Jahre in dem Bereich Substanzmissbrauch und durch Blut übertragene Krankheiten als Berater tätig, bevor er Teamkoordinator eines National Health Service im Bereich Drogenmissbrauch wurde. Er ist Lehrer und qualifiziert in Beratung und Gesundheitserziehung.
Entstehungshintergrund
Ausgangslage ist das enorme Informationsdefizit über den Gebrauch und die Folgen von Cannabiskonsum. Gleichzeitig wollen die Autoren ihre gemachten Erfahrungen mit CannabiskonsumentInnen weitergeben und Orientierung bieten zwischen den Haltungen Cannabis sei harmlos und der gegenteiligen Haltung, dass Cannabis ein „teuflisches Kraut“ sei und verantwortlich dafür gemacht wird viele gesellschaftliche Probleme zu verursachen. Sie haben den Anspruch Informationen zu geben auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse um dem Leser eine eigene Einschätzung der Gefahren zu ermöglichen.
Aufbau …
Das Buch ist englischsprachig und in acht übersichtlichen Kapiteln unterteilt. Es endet mit einer Zusammenfassung. Anhänge zu Möglichkeiten der Selbsthilfe, Behandlungsangebote und hilfreiche Organisationen schließen das Buch ab.
… und Inhalt
Das Kapitel 1 informiert detailliert über Cannabis als Pflanze und als Droge. Verschiedene Formen von Cannabis, szeneübliche Bezeichnungen und Gebrauchsformen werden vorgestellt. Die Beschreibungen werden unterlegt mit Fotos und Abbildungen.
Kapitel 2 stellt den Bezug zu Cannabis und Gesundheit her. Ein historischer Abriss über den medizinischen Gebrauch von Cannabis als Heil- und Nutzpflanze und die jeweilige kulturelle Verankerung in verschiedenen Ländern wird vorgestellt. Es folgt der medizinisch begründete Gebrauch im 21.Jh. Eine Liste von hilfreichen Effekten bei körperlichen Beschwerden/Krankheiten zeigt die möglichen positiven, erwünschten sowie die negativen Effekte von Cannabiskonsum auf. Differenziert wird dargestellt wie verschiedene Applikationsformen unterschiedliche Wirkungen auf den Körper aber auch auf die Stimmung haben können.
Kapitel 3 stellt Bezüge zwischen Konsum und psychischer Verfassung her basierend auf Forschungsergebnissen von fünf verschiedenen internationalen Studien (Schweden, Großbritannien, Niederlande, Australien, Neuseeland). Die Frage, ob Cannabis Psychosen auslösen kann, ist hier leitend. Alle fünf Studien werden konzentriert dargestellt und kommen insgesamt zu ähnlichen Ergebnissen: zweifelsfrei kann festgestellt werden, dass Cannabis im Zusammenhang mit psychischen Störungen eine signifikante Rolle spielt, insbesondere bei den Menschen, die eine Prädisposition dafür mitbringen bzw. schon eine psychotische Episode erlebt haben. Ein Link am Ende des Kapitels weist auf weitere aktuelle Studien dazu hin.
Kapitel 4 beschäftigt sich mit dem problematischen Cannabiskonsum, auch wenn keine wie in dem vorherigen Kapitel beschriebenen psychischen Prädispositionen eine Rolle spielen. Beispiele aus der praktischen Arbeit der Autoren mit Cannabiskonsumenten werden geschildert um zu verdeutlichen wie Wege in einen problematischen Konsum der die Lebensqualität einschränkt, aussehen können. Problematischer Konsum wird definiert. Die Frage, ob Cannabis eine Einstiegsdroge ist wird basierend auf Forschungsergebnissen diskutiert. Drei grundlegende Faktoren werden identifiziert:
- Dem Gebrauch von sogenannten harten Drogen geht typischerweise eine „Cannabiskarriere“ voraus
- Je früher Cannabis konsumiert wird desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass später andere „härtere“ Drogen konsumiert werden
- Je intensiver der Cannabiskonsum in jüngeren Jahren war, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Person später andere, „härtere“ Drogen konsumiert.
Die drei Faktoren werden kritisch
diskutiert. Schwierige Lebensbedingungen und der Versuch über
Drogenkonsum Auswege zu suchen sowie die Verfügbarkeit im
Lebensraum der Menschen scheinen offensichtlich bei den genannten
Ergebnissen keine Rolle gespielt zu haben. Die meisten
HeroinkonsumentInnen haben zuvor Cannabis konsumiert, d.h. im
Umkehrschluss nicht, dass alle CannabiskonsumentInnen später
HeroinkonsumentInnen werden. Cannabis sowie andere psychoaktive
Stimulanzien (Alkohol, Nikotin, Opiate, Kokain) beeinflussen das
Belohnungssystem im Gehirn, welches Wohlbefinden auslöst. Dies
führt zum Wunsch nach Wiederholung und enthält das
Potential nach „härteren“ wirkungsvolleren Drogen zu
suchen. Allerdings kann jegliche psychoaktive Stimulanz kann den
Wunsch nach „mehr“ auslösen. Offensichtlich kann der
gewohnheitsmäßige Gebrauch von jeglichen Stimulanzien
neben Cannabis, zum Konsum von „effektiveren“ Drogen
führen.
Kann Cannabis abhängig machen? Die
gängigen interessengeleitenden Haltungen werden kurz umrissen.
Was ist evidenzbasiert? Die Annahme, Cannabiskonsum führt nicht
zu körperlicher Abhängigkeit, wird widerlegt. Die
Entzugserscheinungen bei regelmäßigen KonsumentInnen sind
in der Regel mild und individuell zu bewältigen. Eine Studie
(S.65) belegt, dass die Entzugssymptome in der Intensität mit
der von NikotingebraucherInnen vergleichbar sind. Manche benötigen
weiterführende professionelle Unterstützung, andere nicht.
Ein Online Selbsteinschätzungstest, der von
Beratungsorganisationen angeboten wird, wird vorgestellt. Je mehr
"ja" Antworten gegeben werden, desto größer ist
die Wahrscheinlichkeit einer Cannabisabhängigkeit gegeben. Die
Fragen zielen auf psychologische und physiologische Verbindungen
zwischen GebraucherInnen und die Droge und auf den Einfluß die
die Droge auf das Leben hat bzw. wie die Bewältigungsmöglichkeiten
sind ohne die Droge auszukommen. Eindeutig ist festzustellen, dass
die Mehrheit gewohnheitsmäßiger KonsumentInnen Mühe
haben diesen ohne professionelle Hilfe aufzugeben, ob es nun
Abhängigkeit oder Gewohnheit genannt wird.
Kapitel 5 stellt mögliche Hilfsmaßnahmen für CannabiskonsumentInnen vor, die an einem Punkt angelangt sind, an dem die Alltagsgestaltung und Lebensqualität durch den Konsum negativ beeinträchtigt sind. Drogenberatungsstellen, Entgiftungsmöglichkeiten, stationäre und ambulante Behandlung sowie Selbsthilfemöglichkeiten werden vorgestellt.
Das Kapitel 6 stellt detailliert die Methoden der Testung über den Nachweis von Cannabis im Blut vor. Unter welchen Bedingungen können die Polizei, die Armee, der Arbeitgeber, medizinische Hilfsangebote auf Cannabisnachweis im Blut testen?
Das Kapitel 7 befasst sich mit der globalen Cannabisindustrie. Weltweit ist es die am meisten konsumierte illegale Droge (United Nations- 2007 World Drug Report), S. 87. Internationale Zusammenhänge zwischen Anbau, Export und Import werden umrissen. Nationale Cannabisszenen werden beschrieben (UK, USA, Kanada, Neuseeland und Südafrika).
Die rechtliche Situation wird im Kapitel 8 beleuchtet. Kein Land dieser Welt kommt ohne rechtliche Restriktion bezogen auf Cannabiskonsum aus. Die Frage, warum Cannabis so viel juristische Aufmerksamkeit bekommt wird erörtert. Rechtliche Entwicklungslinien sowie aktuelle rechtliche Gegebenheiten werden bezogen auf verschiedene Nationen (UK, British Empire and Commonwealth countries, USA, umrissen. Informationen über verschiedene nationale rechtliche Bedingungen können unter angeführten links abgerufen werden.
Diskussion
Die Publikation bietet einen interessanten Überblick internationaler Perspektiven. Den Autoren ist es gelungen eine gute Einsicht auf das Thema zu geben. Positiv hervorzuheben ist das Anliegen basierend auf entsprechenden Forschungsergebnissen zu informieren um den LeserInnen zu einer eigenverantwortlichen Einschätzung und Haltung zu verhelfen. Das Vorhaben ist den Autoren gelungen. Deutlich wird, unter welchen Bedingungen Cannabis in vielerlei Hinsicht schädigen kann, aber auch pharmazeutisch Nutzen bringt bei Behandlungen von bestimmten Krankheiten. Der Konsum von Cannabis kann, genauso wie der Konsum von anderen psychoaktiven Substanzen vor allem wenn er zur Alltagsgestaltung genutzt wird, zur Abhängigkeit führen. Kaum Zweifel bestehen darin, dass der Konsum von Cannabis zu Psychosen führen kann, wenn es eine Prädisposition dazu gibt. Cannabiskonsum an sich führt im Sinne vom Ursache-Wirkungsprinzip nicht zu einer Psychose, die Hypothese einer eigenständigen „Cannabispsychose“ kann bei den angeführten Studien nicht nachgewiesen werden und deckt sich damit mit allen bekannten Studien zu dieser Fragestellung. Problematisch scheint die Unvorhersehbarkeit zu sein. Cannabisverbot aber auch die Legalisierung von Cannabis verhindert keine Probleme. Wie eine angemessene realitätsorientierte Drogenpolitik aussehen könnte wird nicht diskutiert. Die Gesetzeslagen in verschiedenen Ländern sind informativ dargestellt.
Fazit
Wer an einer internationalen Perspektive interessiert ist, ist gut beraten das Buch zu lesen. Links zu weiterführenden Studien und Veröffentlichungen runden die Publikation ab. Betroffene Ratsuchende (KonsumentInnen, Eltern) werden das Buch nicht allzu ansprechend finden. Praxisorientierte Wegweisungen für diese Zielgruppe kommen zu kurz. Vorstellungen von Studien erschweren die Lektüre. An der Stelle haben die Autoren sich zu viel vorgenommen. Fachlich Interessierte können sehr gute Hinweise und Zugänge dem internationalen Forschungsstand angemessenen Informationen auch weiterführender Art finden. Weiterführende Diskussionen und Gedankengänge bspw. zum konstruktiveren drogenpolitischen Umgang mit Cannabis haben die Autoren den LeserInnen überlassen.
Rezension von
Dipl. Soz.päd. Annette Plobner
Supervisorin DGSv
Psychodramaleiterin DFP
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