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Helmut Fend: Schule gestalten

Rezensiert von Dr. Stefan Anderssohn, 17.12.2008

Cover Helmut Fend: Schule gestalten ISBN 978-3-531-15597-5

Helmut Fend: Schule gestalten. Systemsteuerung, Schulentwicklung und Unterrichtsqualität. VS Verlag für Sozialwissenschaften (Wiesbaden) 2008. 395 Seiten. ISBN 978-3-531-15597-5. 24,90 EUR.

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Thema

Bildungsgipfel, PISA-Studien, Vergleichsarbeiten, Kompetenzorientierung und Standards – diese Begriffe markieren den unübersehbaren Umbruch, der zurzeit im deutschen Bildungswesen unter hoher öffentlicher Aufmerksamkeit vonstatten geht.

Dieser Wandel vollzieht sich auf allen Ebenen: Er dient als brisantes politisches Thema, bewegt die Schulen vor Ort und reicht bis hin zum Unterrichtsgeschehen im Klassenraum. Bei der Vielzahl an Einzelbefunden, Entwicklungen und Positionen ist das Bildungswesen mit seinen verschiedenen Ebenen immer schwerer zu überblicken. Schon von daher scheint Helmut Fends Veröffentlichung interessant: Will sie doch eine systematische Gesamtdarstellung der Perspektiven im Lichte empirischer Befunde, historischer Bedingungen und administrativer Konzepte vorlegen.

Entstehungshintergrund

Das vorliegende Buch "Schule gestalten" ist das dritte einer mehrbändig angelegten Reihe, in der sich Helmut Fend zuvor empirischen, theoretischen und historischen Perspektiven auf das Bildungswesen gewidmet hat. Die vorliegende Veröffentlichung bildet nach Aussagen des Autors die Summe der Bemühungen, das Bildungswesen und seine Gestaltungsmöglichkeiten als Ganzes in den Blick zu nehmen (Seite 11). Dementsprechend kann das Buch als eigenständige Veröffentlichung auch ohne Kenntnis der vorhergehenden Bände gelesen werden.     

Autor

Helmut Fend, Jahrgang 1940, ist Autor zahlreicher Fachpublikationen zur Psychologie, Pädagogik und Schultheorie- darunter eine viel beachtete empirische Studie zum deutschen Gesamtschulwesen. Fend war seit 1987 bis zu seiner Emeritierung Ordinarius für Pädagogische Psychologie an der Universität Zürich. Als ausgebildeter Volksschullehrer, als Leiter des nordrheinwestfälischen Landesinstituts für Schule und als Mitarbeiter der Konstanzer Fakultät für Erziehungswissenschaft hat er das Bildungswesen auf denjenigen Querschnittebenen selbst kennen gelernt, über die er auch in seinem Buch schreibt.  

Inhalt und Aufbau

  • Im ersten Kapitel: "Das Bildungswesen als 'Ganzes' – ein allgemeines Handlungsmodell" entwirft Fend den theoretischen Rahmen, der leitend für sein gesamtes Buch sein wird: die Mehrebenenstruktur und die Rolle der institutionellen, korporativen und operativen Akteure innerhalb des Handlungsmodells. Ausgehend von der Metapher der Partitur sieht Fend das Bildungssystem grundsätzlich durch das Zusammenspiel verschiedener Akteure auf unterschiedlichen Ebenen bestimmt. Je nach Reichweite dieser Ebenen unterscheidet der Autor Makro- (Bildungsadministration), Meso- (Schule im lokalen Umfeld) und Mikroebene (Unterricht), denen er verschiedene Funktionen und Regulierungsinstrumente zuteilt. Von zentraler Bedeutung ist auch der Begriff der "Rekontextualisierung": Damit beschreibt Fend kurz gesagt die Art und Weise, in der bildungspolitische, institutionale Vorgaben auf der je darunter liegenden Ebene mit Leben gefüllt werden. Das Ganze wird dann eingebettet in einen handlungstheoretischen Rahmen, das "Angebot-Nutzungs-Modell": Hier werden die verschiedenen gesellschaftlichen und institutionellen Rahmenbedingungen abgebildet, die auf die Unterrichtswirklichkeit Einfluss nehmen.

In den folgenden drei umfangreichen Kapiteln werden die Themen von der Makro- bis zur Mikroebene nacheinander entfaltet:

  • Dementsprechend geht es im Kapitel "Educational Governance als institutionelle Ordnungspolitik" um grundlegende Fragen des bildungspolitischen Masterplans. Dabei spielen zunächst die historisch gewachsenen Bildungstheorien eine Rolle, wobei zeitgemäße Bildungsinhalte im Spannungsfeld zwischen Tradition und gesellschaftlichem "Nutzwert", zwischen Inhalt und Kompetenz zu entwickeln sind.  So widmet Fend dem seit den PISA-Studien ins Gespräch gekommenen Kompetenz-Begriff und den Bildungsstandards eine ausführliche und kritische Erörterung. Neben der Lehrplanarbeit spielt aber auch Bildungsverwaltung und Politik eine zentrale Rolle – hier geht Fend unter anderem dem neoliberalen Marktparadigma im Bildungswesen nach sowie der Bedeutung empirischer Befunde für die administrative Ebene. Abschließend analysiert der Autor Konfigurationen des Bildungssystems verschiedener Länder und entwirft eine bildungspolitische Leitlinie für eine optimale Konfiguration des deutschen Schulwesens.
  • Um die konkrete Gestaltung von Schule vor Ort geht es in Kapitel 3, "Die Mesoebene: Schulen als korporative Akteure im lokalen Umfeld – Schulentwicklung als schulpädagogisches Programm". Im Anschluss an die Darstellung akteurstheoretischer, institutioneller Rahmenbedingungen bezieht sich Fend auf Ergebnisse seiner empirischen Studie zur "Qualität im Bildungswesen" (1998). Er beschreibt zunächst umfänglich, welche Kriterien aus den Bereichen Schulleitung, Kooperation, Schulleben, Umgang mit Schülern usw. zwischen so genannten belasteten und guten Schulen differenzieren. Konsequenterweise beruft der Autor sich dann auf ein Modell, um funktionale "Entwicklungsniveaus" von Schulen zu beschreiben. Um dann nach den ausschlaggebenden Bedingungen für gelingende Schulen zu fragen. Unter "Tools" subsumiert Fend Verfahren und Hilfsmittel zur aktiven Schulentwicklung und Qualitätssicherung, die er abschließend systematisiert und in Relation zu einem Entwicklungsweg von Schulkultur setzt.
  • In der Unterrichtswirklichkeit und bei deren "operativen Akteuren" angekommen ist nun Kapitel 4: "Die Mikroebene der 'Menschenbildung' im Bildungswesen". Zentral ist  hier die Frage, welche übergeordneten Vorgaben auf welche Weise im schulischen Bildungsprozess "rekontextualisiert" werden. Das müssen nicht nur Lehrpläne sein. Fend zeichnet anhand eines Ganges durch die Geschichte der Schulpädagogik (wiederum von der gesellschaftlichen Makro- zur Mikroebene) nach, dass erstens Wissen über die Schüler in den pädagogischen Prozess einfloss, lange bevor es wissenschaftlich kultiviert wurde. Zweitens wirken gesellschaftliche Vorstellungen von außerhalb der Schule in den Bildungsprozess hinein und finden ihren Niederschlag dort als "sekundäre Rekontextualisierungen". Ein weiterer Schwerpunkt ist die empirische Erforschung bzw. Beschreibung erfolgreichen Lehrerhandelns und guten Unterrichts, wozu Fend unterschiedliche Studien und Merkmalskataloge heranzieht. Seine "Grammatik" stellt abschließend den Versuch dar, wesentliche Tiefenstrukturen in modernen Bildungssystemen allgemeingültig zu beschreiben: Es sind die Inhaltssteuerung, das Prüfungswesen und die Qualitätssicherung, die hier grammatisch analysiert werden.
  • Mit dem "Ausblick: Entwicklungslinien im 21. Jahrhundert" im fünften Kapitel schließt sich der Kreis gewissermaßen, insofern Fend über die verschiedenen Akteursebenen quasi ein perspektivisches Resümee zieht. Hier geht es wieder mehr um Leitlinien oder Visionen, die einesteils fest in der geistesgeschichtlichen europäischen Tradition gründen, dabei jedoch den Inhalt des Buches mit einem gewissen Schuss Spekulation in die Zukunft erweitern.

Zielgruppe

Gemäß der inhaltlichen Thematik eignet sich das Buch für Akteurinnen und Akteure auf allen Ebenen des Bildungswesens: Bildungspolitiker/innen, Personen in Schulaufsichtbehörden, Mitglieder von Schulleitungs- und Schulentwicklungsteams, Referendar/innen, Fortbildner/innen in der Lehrerbildung und interessierte Lehrkräfte. Darüber hinaus Lehrende und Studierende der Erziehungswissenschaft, Sozialwissenschaft und Politikwissenschaft oder aus dem Bildungsmanagement. 

Aber auch für Interessierte außerhalb der Schule ist das Buch aufgrund seines klaren und gut lesbaren Stils zu empfehlen. 

Diskussion

Wenn es im Buch um das Thema "Schule gestalten" geht, dann sollte darauf hingewiesen werden, dass es sich um die Theorie der Schule mit dem Schwerpunkt auf dem allgemeinbildenden Zweig handelt. Dementsprechend wenig erfährt man über Frühpädagogik, Sonderpädagogik oder Hochschulen. 

Mit den Ebenen und dem akteurstheoretischen Handlungsmodell liefert Fend eine griffige Systematik, um die vielfältigen Details in einen überschaubaren Zusammenhang zu bringen. Sicherlich führt dies hin und wieder zu Vereinfachungen.

Auch wenn Fend sich auf Modelle (wie das Angebots-Nutzungs-Modell) bezieht, denen Fachkollegen ein stark simplifizierendes Verständnis der Lehrer-Schüler-Interaktion vorwerfen, so bleibt sein Blick darauf nicht fokussiert. Vielmehr vermag der Autor Theorie und Empirie miteinander zu verschränken, ohne theoretische Perspektiven der letzteren dienstbar zu machen. Hinzu kommt ein ausgeprägtes historisches Bewusstsein bei den schulpädagogischen Fragestellungen, so dass die Theorie bei Fend eine im besten Sinne kritische Funktion behält.

Was die drängenden, von den unterschiedlichen Studien aufgedeckten, aktuellen Brennpunkte der Bildungsdiskussion angeht – Stichwort: Risikogruppen, Studiengebühren usw. -  erfahren wir nichts. Mit den Analysen zur Makroebene ist das Buch aber dennoch unter allgemeinem bildungspolitischem Gesichtspunkt sehr interessant. So dürfte Fends akteurtheoretischer Mehrebenenansatz einen programmatischen Rahmen für Forschungsansätze im (bildungs-)ökonomischen und sozialwissenschaftlichen Bereich sowie für die Systemsteuerung abgeben. 

Auch für die Schulentwicklungsarbeit enthält das Buch interessantes Grundlagenwissen bereit: Hervorzuheben sind hier meines Erachtens die empirischen Befunden zu Aspekten von guten und belasteten Schulen oder die Beschreibung nach Entwicklungstypen, die in eine grundlegende Qualitätstheorie von Schule münden. Gleiches wäre von der Ebene der operativen Akteure, der Ebene des Unterrichtsgeschehens, zu sagen: Neben der historischen Analyse bietet Fend Merkmalskataloge für guten Unterricht und empirische Befunde zum Lehrerhandeln. Das schließt ungewohnte Perspektiven mit ein: Das Rekurrieren auf die Persönlichkeit der Lehrkraft ist in der gegenwärtigen Diskussion um guten Unterricht beispielsweise eher die Ausnahme. 

Fazit

Helmut Fend eröffnet mit seinem Buch eine aktuelle Gesamtschau des deutschen Schulwesens, die sich auf empirische Forschungsergebnisse, fundierte Analysen und langjährige fachliche Erfahrung stützt. Systematisiert durch ein griffiges theoretisches Rahmenmodell bietet es eine Fundgrube an Grundlagenwissen zur Systemsteuerung, Schul- und Unterrichtsentwicklung.

Rezension von
Dr. Stefan Anderssohn
Sonderschullehrer an einer Internatsschule für Körperbehinderte. In der Aus- und Fortbildung tätig.
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Es gibt 47 Rezensionen von Stefan Anderssohn.

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Zitiervorschlag
Stefan Anderssohn. Rezension vom 17.12.2008 zu: Helmut Fend: Schule gestalten. Systemsteuerung, Schulentwicklung und Unterrichtsqualität. VS Verlag für Sozialwissenschaften (Wiesbaden) 2008. ISBN 978-3-531-15597-5. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/6879.php, Datum des Zugriffs 16.09.2024.


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