Kay Junge, Daniel Šuber et al. (Hrsg.): Erleben, Erleiden, Erfahren
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 12.12.2008

Kay Junge, Daniel Šuber, Gerold Gerber (Hrsg.): Erleben, Erleiden, Erfahren. Die Konstitution sozialen Sinns jenseits instrumenteller Vernunft. transcript (Bielefeld) 2008. 510 Seiten. ISBN 978-3-89942-829-2. 33,80 EUR.
Soziale Selbstbeschreibung des sozialen und ästhetischen Erlebens und der individuellen und kollektiven Erfahrung – aus soziologischer Sicht
Nun, die sozialen Kategorien "Erleben – Erleiden – Erfahren" werden unter philosophischer Betrachtung seit langem entfaltet. Aristoteles etwa sah im poiein und paschein, dem Tun und Erleiden, wichtige Kategorien seiner kinêsis: Während er das Erleidende (pathêtikon) als dasjenige bezeichnet, an dem eine Veränderung sich vollzieht, betrachtete er das Bewirkende (poiêtikon) als das, was die Veränderung hervorruft, jedoch ohne sich dabei selbst zu verändern. Gleichsam diese "Gegensätzlichkeit der Unbestimmtheit" ist es, was den philosophischen Diskurs zu diesen Aspekten so schwierig und gleichzeitig interessant macht. Ob dies der Grund dafür ist, dass in den Sozialwissenschaften (hier vor allem in der Soziologie und den Politischen Wissenschaften) die genannten Begriffe, die ja menschliches Tun und menschliche Existenz bestimmen, bisher eher nebensächlich wahrgenommen werden – das jedenfalls behaupten die Herausgeber eines interessanten Sammelbandes – soll erst einmal offen bleiben.
Herausgeber und Entstehungshintergrund
Kay Junge, Soziologe und die wissenschaftlichen Mitarbeiter Daniel Šuber und Gerold Gerber, bringen einen Sammelband zum 60. Geburtstag des Lehrstuhlinhabers für Makrosoziologie an der Universität Konstanz, Bernhard Giesen, heraus, zu dem sie eine Reihe namhafter Wissenschaftler zu den Frage zu Wort kommen lassen, wie die genannten Kategorien im wissenschaftstheoretischen Diskurs benannt, belegt und interpretiert werden, um sie, im Giesenschen Sinne "mit dem Unverfügbaren, der unvermeidbaren Kontingenz der Gegenwart oder der Unwiederbringlichkeit der eigenen Vergangenheit ins Verhältnis zu setzen". Weil es aber im konkreten menschlichen Handeln nicht selten anders als (von einem selbst und von anderen) erwartet und geplant kommt, ist die Diskussion darüber spannend und lohnenswert, "den Ereignischarakter der benannten Handlungskomplemente heraus zu präparieren, ihre performativen Aspekte und unwillkürlichen Artikulationsformen zu analysieren und ihre identitätskonstitutive Funktion näher zu bestimmen". Dafür gliedern die Herausgeber den Sammelband in vier Bereiche: Im ersten geht es um "Ideengeschichte und Ideologiekritik", im zweiten um die Spannweite von "Soziologie und Anthropologie", im dritten um "Ästhetik und Materialität" und im vierten Bereich um "Identität und Intention".
1. Ideengeschichte und Ideologiekritik
Der em. Soziologe an der University of Leeds, Zygmunt Bauman, öffnet mit seinem Diskurs "Eine Welt voller Erlebnisse" eine "neue Büchse der Pandora voller Zwickmühlen und Probleme(n)". Wir leben, so der Autor, in einer "pointilistischen" Zeit (Michel Maffesolis) oder einer "interpunktierten Zeit" (Nicole Aubert), gewissermaßen in einem "Ausnahmezustand" eines Konsumerismus, bei dem es nichts Neues gibt, dessen man sich sicher sein könnte und der uns zwingt, in Bewegung zu bleiben. Dabei lüftet er den sorgsam gespannten und kaum zu durchschauenden Schleier, dass "die Subjektivität des Konsumenten ( ) aus Kaufentscheidungen gemacht (ist)".
Die Suche nach dem sozialen Sinn setzt der an der Mailänder Universit‡ Cattolica del Sacro Cuore historische Soziologie und Religionssoziologie lehrende Arpad Szakolczai mit seinem Beitrag "Sinn aus Erfahrung" fort. Mit seiner Forderung nach der "Rückkehr zur Wirklichkeit" in der Sozio- und Psychogenese der Moderne nimmt er den proto-indoeuropäischen Diskurs auf, indem er nach der "Etymologie der Erfahrung" fragt: "Wörter reproduzieren Gegenstände oder Vorstellungen nicht als ein Stück Wirklichkeit mit angeheftetem Namensschildchen, vielmehr sind sie der Versuch, Erfahrungen einzufangen und zu re-präsentieren". Dabei nimmt er Gedanken aus der historischen und modernen Philosophie auf (Descartes, Kant, Eric Voegelin, Victor Turner, und eben auch von Bernd Giesen), um auf das Dilemma der Zwillingshypothese – dem Verschwinden von Ereignissen und das Lustprinzip – aufmerksam zu machen und dazu aufzurufen, "den Dingen auf den Grund zu gehen".
Daniel Šuber diskutiert die soziologiegeschichtliche Entwicklung zur Karriere des Lebensbegriffs in der modernen deutschen Soziologie. Die Last, die sich im modernen Wissenschaftsdenken durch die bereits in der antiken und historischen Philosophie grundgelegte Trennung von Wissenschaft und Leben hervor getan hat, bestimmt bis heute den soziologischen Diskurs und beginnt sich erst mühsam durch die "lebensphilosophisch inspirierten Anknüpfungen der Soziologie" zu wandeln. Der Einfluss aus den angelsächsischen Cultural Studies, insbesondere dem "cultural turn" Victor Turners (vgl. dazu auch die Rezension zu: Christian Berndt u.a., Kulturelle Geographien. Zur Beschäftigung mit Raum und Ort nach dem Cultural Turn), könnte, so der Autor, von der "Abschaffung des Menschen" im wissenschaftssoziologischen Diskurs zu einer "Wiederentdeckung" führen.
Der Dresdner Soziologe Karl-Siegbert Rehberg reflektiert Motive soziologischer Krisenbewältigung, indem er auf die Begriffe "Erlebnis" und "Erfahrung" rekurriert, gewissermaßen mit dem Ziel, "Selbstaufklärung durch Erfahrung (zu leisten, J.S.), die den Entgrenzungsgefahren des Erlebnishaften (zu) misstrauen gelernt hat". Sein Exkurs in das philosophische und soziologische Denken der Neuzeit, zwischen "Gemeinschaftsutopie und Enttäuschungsrealismus", um unter anderem bei der "antiutopische(n) Erfahrungsnähe" Arnold Gehlens anzukommen, mündet schließlich in der Hoffnung einer "säkularisierte(n) Utopie" bei den Sozialwissenschaften.
2. Soziologie und Anthropologie
Den zweiten Diskursbereich "Soziologie / Anthropologie" beginnt der an der Hebrew University in Jerusalem lehrende (em.) Shmuel N. Eisenstadt, indem er sich mit Martin Bubers dialogischem Moment auseinander setzt. Es geht um die "Konzeption sozialer und kultureller Kreativität" und letztlich um die uralte Frage nach der "Auslegung und Bestimmung der Position des Menschen in der Welt"; also darum, wie das menschliche Dilemma "Natur – menschliches Handeln – kulturelle Kreativität" wissenschaftstheoretisch erkannt und "bewältigt" werden kann. Sein Plädoyer: "Aufklärung über sowohl kreative wie destruktive Potentiale, die charismatischen Orientierungen innewohn(t)en".
Der als Juniorprofessor am Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien der Universität Erfurt tätige Stephan Moebius, greift, ganz aktuell, die vom französischen Ethnologen und Soziologen Marcel Mauss (1872-1950) entwickelte "Theorie der Praxis aus dem Geist der Gabe" auf und bringt sie in den wissenschaftstheoretischen Diskurs ein. Damit liefert er einen sozialtheoretischen Beitrag für eine Erklärung der Entstehung und Weiterentwicklung des sozialen Sinns "jenseits instrumenteller Vernunft". Die heute, in der "Zeit der Gier" verloren gegangene Balance zwischen Geben, Nehmen und Erwidern, die dem Gabe-Theorem Mauss’ zugrunde liegt, gilt es im globalen Hier und Heute aufzunehmen und "neue Formen des Sozialen und der moralischen Praxis jenseits des Utilitarismus auszuloten".
Der Soziologe an der Universität Kassel, Johannes Weiß stellt eine soziologische Grenzbetrachtung darüber an, wie die Funktionszuschreibung – "Der Gegenstand der Soziologie ist die Gesellschaft oder das Gesellschaftliche" – verstanden werden kann, wenn es darum geht, "was jenseits der Grenzen der Gesellschaft und damit auch der Soziologie liegt". Sein Reflexionsgegenstand ist "Freundschaft in Einsamkeit". Im Zusammenspiel von Einsamkeit und Gemeinschaft, letztlich von Individualität und Kollektivität, entsteht in der Auseinandersetzung mit dem sozialen Phänomen "Freundschaft" die Aufforderung, dass "die Soziologie ihren Gegenstand nur dann angemessen begreift, wenn sie ihn … als dasjenige gegenläufige Zusammenspiel von Vergesellschaftet- und Nicht-Vergesellschaftet-Sein" versteht.
Der Politologe und Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen, Claus Leggewie, schreibt eine "Kleine Soziologie wissenschaftlicher Kollegenschaft". Mit der Metapher "Brüder im Geiste" deckt er die im Wissenschaftsbetrieb vorfindbare "Unschärferelation zwischen Kollegialität und Freundschaft" auf; natürlich nicht als Beckmesserei oder Denunziantenum verstanden, sondern in wissen(schafts)soziologischer Hinsicht. Diesem Phänomen, so Leggewie, werde nämlich bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Sein Plädoyer: Interdisziplinarität, Interaktivität und Internationalisierung des wissenschaftlichen Diskurses, auch und vor allem mit den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien, als Ziel für eine kollektive Wissenskommunikation, die auf den "wechselseitigen und uneigennützigen Austausch von Wissen (beruht), der zugleich egoistische Motive zulässt".
Der Kasseler Soziologe Heinz Bude geht mit seinem Kurzbeitrag auf die "Evidenz der Phänomene" ein, indem er danach fragt, ob der unwidersprochen akzeptierte Schluss, wissenschaftliches Denken beginne mit der kritischen Infragestellung dessen, was man zu sehen glaubt und zu sagen meint, nicht ein erkenntnistheoretischer Fehlschluss sei. Nicht dagegen, aber ergänzend reflektierend, gibt er zu bedenken: Die Momente der Erfahrung bringen zum Ausdruck, "etwas über die menschliche Wirklichkeit an den Tag zu bringen".
Michael Schmid, Soziologe am Institut für Soziologie und Gesellschaftspolitik der Universität der Bundeswehr in München, berichtet über die Ergebnisse eines Forschungsprogramms zu "Rationalität, Emotion und Solidarität", wie es vom amerikanischen Soziologen Randall Collins entwickelt wurde. Mit Verweis auf die Probleme der Implementierung dieser faszinierenden Theorien menschlichen Denkens und Handelns, korrigiert Schmid Collins Auffassungen, indem er dazu aufruft, nicht "zwischen Mikro- und Makroanalysen einen ontologischen Keil zu schlagen, der seine völlig berechtigte Forderung nach einer grundständigen Mikrofundierung aller soziologischen Erklärungsargumente unnötigerweise unterhöhlt".
3. Ästhetik und Materialität
Der dritte Bereich "Ästhetik / Materialität" wird eingeleitet von Jeffrey C. Alexander, Soziologe an der Yale University in New Haven, Connecticut (USA). Er setzt sich mit den "materiellen Grundlagen von ’Gefühls-Bewusstsein’" auseinander, indem er von einem "ikonischen Bewusstsein" spricht, das sich dann zeige, "wenn eine ästhetisch verarbeitete Materialität auf soziale Werte verweist". Mit seiner "Theorie des ikonischen Bewusstseins" will er einen resoluten Gegenpol zum Materialismus setzen, der sowohl das moderne Denken bis in die tiefsten Niederungen, wie auch das Alltagsdenken infiltriere.
Der Soziologe der Universität Konstanz, Andreas Reckwitz, stellt "Elemente einer Soziologie des Ästhetischen" vor. Damit rüttelt er an vielen Festungen soziologischer Theoriebildung, wird doch die Auseinandersetzung mit dem Ästhetischen in der Soziologie vielfach als riskant betrachtet. Dabei setzt er sich in seiner Argumentation für eine "Ästhetisierung der Praxistheorie" ein, denn "jede Praktik (ist) auch und zugleich immer als eine spezifische Form des Erlebens, des sinnlichen Wahrnehmens und der affektiven Verhaftetheit/Gestimmtheit zu rekonstruieren".
Der Konstanzer Literaturwissenschaftler Albrecht Koschorke reflektiert in seinem Beitrag über "Nicht-Sinn und die Konstitution des Sozialen". Mit Bernd Giesens Satz – "Wir verstehen unter Kultur … jenen sinnstiftenden Horizont, der im Augenblick des Handelns für Ego und Alter ’vorausgesetzt’ wird, und der damit die Unterwelt des Absurden latent hält" – kommt er zu der interessanten Aussage, dass "Sinn", nicht "Einsinnigkeit" sondern "soziale Streuung" ist und "nicht einfach Medium von Integration, sondern in gleichem Maß von Auflösung und Zerstreuung" bestimmt wird.
Der Gießener Literaturwissenschaftler Günter Oesterle argumentiert bei seiner Auseinandersetzung mit den bei Walter Benjamin und Roland Barthes vorfindbarem Denken von den Rändern her. Mit der in der Bildwissenschaft sich mittlerweile etablierten "iconic turn", der die Eigenständigkeit von Bildern betont, zeigt er die vielfältigen Varianten von unvorhergesehenen Ereignissen und unberechenbarem Punctum auf.
Aleida Assmann (übrigens die einzige Frau in dem hier vorgestellten soziologischem Kolloquium), Professorin für Anglistik und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität Konstanz, setzt sich mit "Sammeln, Sammlungen, Sammler" auseinander. Sie bleibt damit voll in der Thematik, denn "eine wichtige psychologische Wurzel des Sammeln liegt in dem Wunsch nach Selbstvergewisserung im zeitlichen Wandel".
4. Identität und Intention
Den vierten Bereich "Identität / Intention" leitet der Ägyptologe der Universität Heidelberg, Jan Assmann, damit ein, dass er nach "Sakralkönigtum und Gemeinschaftskunst" fragt. Weil das Politische des Alten Orients im europäischen Gedächtnis einen schlechten Ruf habe, sei es lohnenswert, sich der politischen Praktiken jener Zeit zu erinnern; etwa um sich des Prinzips der Gerechtigkeit als "rettende Instanz" zu versichern, die in erster Linie die Aufgabe hatte, "die Schwachen vor der Unterdrückung durch die Starken und die Armen vor der Ausbeutung durch die Reichen zu schützen"; freilich auch die "altorientalische Einheit des Politischen und des Sakralen, von Herrschaft und Heil" zu berücksichtigen und auf heutige Fundamentalismen zu schauen, die beanspruchen, sich als "religiöse Instanzen mit politischer Gewalt" auszustatten und zu verbünden.
Der Politikwissenschaftler der Universität Konstanz, Wolfgang Seibel, zeigt auf, wie "Übergangsidentitäten und Täterbiographien" am Ende der Nazi-Diktatur bei Verwaltungseliten sich dargestellt haben und wirksam waren. Am Beispiel der Täterbiographie und der Nachkriegskarriere des Celler Oberbürgermeisters und Mitglieds der CDU, Kurt Blanke, macht er deutlich, wie Identitäten zwischen Normalität und Unterwerfungsgesten, zwischen bürgerlicher Existenzwahrung und Unterstützung, entstehen.
Helmut Dubiel, Soziologe der Universität Gießen, bedauert in seinem Beitrag "Das postnationale Syndrom", dass es "keinen globalen Konsens über Legitimität und Dringlichkeit und Form nötiger Interventionen gibt". Die soziologische Zugangsweise zu der Problematik sollte, wie der Autor es mit Lutz Wingert formuliert, darin bestehen, ein friedliches und gerechtes Zusammenleben der Menschen, Völker und Nationen untereinander dadurch zu ermöglichen, von einem "minimalistischen Universalismus der Menschenrechte" auszugehen; oder, mit Dubiels Schlusssatz formuliert: "So nie wieder miteinander umzugehen".
Der Soziologe an der Universität Trier, Alois Hahn, diskutiert anhand der Weberschen Herrschaftssoziologie und weiterer Theorien eine der wichtigsten sozialen Differenzierungsformen: "Zentrum und Peripherie". In der Form der entstehenden Subsysteme entwickeln sich Unterschiede, aber auch Präferenzen, die im soziologischen Diskurs zu beachten sind.
Klaus Eder, Professor für Vergleichende Strukturanalyse an der Berliner Humboldt-Universität, setzt sich, am Beispiel Europa, mit "kollektiven Identitäten als Netzwerke" auseinander. Er provoziert erst einmal mit der Frage, ob denn kollektive soziale Formen und Gruppierungen, wie etwa die EU, im Gegensatz zu Individuen, Identitäten benötigten. Kann nicht sogar ein konstruiertes "Wir-Gefühl" ideologisch und weltanschaulich leicht missbraucht und beeinflusst werden? Geht man freilich mit einer evolutionstheoretischen Perspektive an die Frage heran, wird deutlich, dass kollektive Identitäten einen Sinn ergeben, freilich nicht als geschlossene, unveränderbare Systeme, sondern als narrative Ordnungen und Erzählungen, also veränderbare, sich verändernde Prozesse: "Kollektive Identitäten sind weder Anfang noch Ende von sozialen Beziehungen. Sie emergieren mit den sozialen Beziehungen und liefern Momente von Stabilität im Fluss sich dauernd verändernder sozialer Beziehungen".
Der Bamberger Soziologe Richard Münch denkt über eine "Politik in einer entgrenzten Welt" nach. In der Moderne, die von der Globalisierung gekennzeichnet ist, bilden die Dialektiken, etwa von intendierten und unintendierten Konsequenzen eines absichtsvollen Handelns, von Wissen und Nichtwissen, von Problemlösung und Problemerzeugung, von Befreiung und Gefangennahme, letztlich also von Gleichheit und Ungleichheit, die globale Wirklichkeit ab. Die negativen Wirkungen der globalen, dialektischen Verhältnisse ließen sich nicht aufheben: vielmehr müsse es darum gehen, dass die Politik unablässig daran arbeitet, die von ihr selbst erzeugten unerwünschten Konsequenzen guter Absichten abzumildern.
Wolfgang Ludwig Schneider, Soziologe an der Universität Osnabrück, zeigt zum Schluss des Sammelbandes Aspekte von "Planungs- und Steuerungsoptimismus als Auslöser für die Evolution ungeplanter Strukturen", am Beispiel der zentralwirtschaftlichen Planung der DDR, auf. Das Fazit seiner Analysen, das nicht nur als historisches Beispiel für die "materielle Gewalt" der Planwirtschaft in der DDR gilt, sondern auch anwendbar ist auf jede Form von planungsoptimistischer Steuerungsheuristik, eben auch nicht nur bei staatlicher Planung, sondern auch bei anderen Organisationsformen, dass zentralistische Planung "Selbstüberlastung mit Enttäuschungserlebnissen" schaffe.
Fazit
Der Sammelband, der sich in differenzierter und disziplinübergreifender Form mit der "Konstitution sozialen Sinns jenseits instrumenteller Vernunft" auseinander setzt, nimmt die philosophischen und sozialwissenschaftlichen Begriffe des Erlebens, des Erleidens und der Erfahrung als Grundlage, um "die konstitutive Rolle sozialen, aber auch ästhetischen Erlebens, individueller und kollektiver Erfahrung sowie die darauf aufbauenden Formen individueller wie vor allem auch sozialer Selbstbeschreibung" zu diskutieren. Das ist gelungen! Es faszinieren vor allem die vielfältigen Zugangsweisen der Autorin und der Autoren, die den Diskussionsband zu einem wichtigen Baustein wissenschaftlichen Denkens und Forschens machen.
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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