Karl-Heinz Menzen: Grundlagen der Kunsttherapie
Rezensiert von Prof. Dr. Lisa Niederreiter, 27.04.2009

Karl-Heinz Menzen: Grundlagen der Kunsttherapie. UTB (Stuttgart) 2009. 3. überarbeitete und erweiterte Auflage. 331 Seiten. ISBN 978-3-8252-2196-6. D: 26,90 EUR, A: 27,70 EUR, CH: 47,00 sFr.
Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-8252-4610-5 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.
Thema
Die Kunsttherapie als relativ junge Disziplin innerhalb des Kanons an Therapieverfahren hat sich historisch gesehen aus heterogenen theoretischen Ansätzen und praktischen Anwendungsfeldern heraus entwickelt und unterschiedlichste Konzepte und Methoden hervorgebracht.
Karl-Heinz Menzen, einer der grossen Kenner des Feldes, macht sich in dieser beinahe als Lehrbuch zu bezeichnenden kunsttherapeutischen Publikationen zur Aufgabe, sämtliche Richtungen der künstlerischen Therapien in umfassender Weise darzustellen und zu ordnen, sowie die Gesamtheit ihrer Methodiken, Anwendungsfelder und Zielgruppen mit Praxisbeispielen versehen aufzuzeigen und vorzustellen. Zusätzlich bietet der Band einen aktualisierten Einblick in das immer noch wenig geschützte, heterogene Berufsbild des Kunsttherapeuten, den bildungs- und standesrechtlichen Voraussetzungen für Ausübung und Leistungseinforderung.
Trotz dieses umfassenden Vorhabens möchte der Autor die Faszination für dieses Verfahren angesiedelt zwischen Kunst/Ästhetik und Therapie und seine überaus breiten und vielfältigen Einsatzmöglichkeiten in jedem Lebensalter mit Einzelnen und in der Gruppe herausheben.
Aufbau und Inhalt
Das Buch ist in vier unterschiedlich umfangreiche Teile gegliedert.
- Teil I gibt eine kurze Begriffsbestimmung und einen Überblick über die sechs wichtigsten, zwischen Pädagogik, Psychotherapie und Rehabilitation anzusiedelnden kunttherapeutischen Ansätze. Hier wird bereits die Problematik des Fachs sichtbar, dessen Systematisierung sich teils von Handlungsfeldern, teils von psychologischen Schulen teils von Theoriebildungen beispielsweise aus der Ästhetik heraus ableitet.
- Teil II zu den Methoden der Kunsttherapie verdeutlicht dies. Die Bandbreite bewegt sich hier von der Sinneskompensation incl. aktueller neurologischer Forschungsergebnisse, über die Kompensation von Entwicklungsmängeln bis hin zu kunstpädagogischen, gestaltungstherapeutischen und tiefenpsychologischen Zugängen. Dabei legt der Autor wert darauf, jede der dargestellten Methoden in ihrer fachwissenschaftlichen Begründung differenziert herzuleiten, das dazugehörige Basiswissen mittels Tabellen und Abbildungen, beispielsweise zur Sinneskompensation bei Schädel-Hirn-Trauma zu ergänzen und praxisorientiert zu erklären. Das sechste Unterkapitel dieses zweiten Teils bilden schließlich Weiterentwicklungen kunsttherapeutischer Methoden unter Einbeziehung neuerer Ansätze aus der Kognitionspsychologie, Systemtheorie u.a., sowie Überlegungen zum Eigenständigen der künstlerischen Therapien und Kriterien ihrer Wirksamkeit.
- Teil III des Bandes ist der Praxis gewidmet, wobei in der Systematik des Methodenteils nun anhand von Bild-, Fall- und Projektbeispielen Ausgestaltung, Ablauf und Einsatzmöglichkeit der einzelnen Methoden teilweise sehr verkürzt beschrieben und erläutert werden. So finden sich hier Fallvignetten aus dem psychotherapeutischen Kontext, beispielsweise von einem narzisstisch gestörten Jungen, aber auch Übungen zur Gestaltwahrnehmung für desorientierte Menschen und Wandmalereien von Jugendlichen im Rahmen der Identitätsarbeit. Der besonderen Bedeutung des ästhetischen Materials kommt hinsichtlich der unterschiedlichen Zielgruppen eine prominente Rolle zu, hierzu werden auch praktische Tips gegeben.
- Teil IV beschäftigt sich mit dem Berufsbild des Kunsttherapeuten, den Ausbildungsmöglichkeiten, dem Profil in einzelnen Tätigkeitsfeldern und den aktuellsten Abrechnungsmöglichkeiten im Rahmen des Gesundheits- und Sozialwesens.
Zielgruppen
Dieses Buch ist zweifelsfrei ein Fundus für Studierende der Kunsttherapie und praktisch tätige Kunsttherapeuten, da es beinahe als Nachschlagewerk funktionierend, über interdisziplinär notwendige (wissenschaftliche) Grundlagen künstlerisch-therapeutischen Handelns aus der Psychologie, Pädagogik, Medizin…Auskunft gibt, sowie anwendungsorientiert und handlungsfeldbezogen beinahe sämtliche in der Praxis vorstellbaren und praktizierten Methoden variantenreich versammelt. Aufgrund der notgedrungen vorliegenden Komprimiertheit der einzelnen Methoden und ihrer Hintergründe ist der Band für eine fachfremde Leserschaft oder für einen systematischen Einblick in die Disziplin eher nicht geeignet.
Fazit
Karl-Heinz Menzen verschafft uns mit dieser Publikation, auch bzgl. ihrer Historie einen kenntnisreichen Überblick und Einblick in die Gesamtheit kunsttherapeutischer Ansätze, ihrer Methoden und Interventionsformen bzgl. beinahe aller nur vorstellbaren Störungen in den Institutionen klinisch-therapeutischen, rehabilitativen, psychotherapeutischen und pädagogischen Handelns. Dazu liefert er uns in absolut verdichteter, historische Entwicklungen berücksichtigender Form wissenschaftliche Grundlagen aus den angrenzenden Disziplinen, um ein theoriegeleitetes methodisches Handeln anzulegen und vielfältig zu illustrieren.
Nachteil dieses breit gefächerten Grundlagenwerks mit seinem Anspruch auf Vollständigkeit in Theorie und Praxis ist seine Zersplitterung in die einzelnen Ansätze, die mit detaillierten, sehr speziellen Wissensbausteinen (z.B. kindliche Zeichenentwicklung) ausgestattet sind und gleichzeitig sehr komplexe Diskurse (z.B. Trend der mentalen Repräsentanz) anschneiden. Alles muss überaus bündig abgehandelt werden, ein Praxisbeispiel steht so in der Nachbarschaft eines großen Theoriegebäudes. Eine Systematisierung auf den unterschiedlichen Ebenen kommt hierbei zu kurz . Die verdichteten Abhandlungen bergen die Gefahr, Tragweite und Bedeutung beispielsweise psychoanalytischer versus systemtheoretischer Begründungen für das eigenen kunsttherapeutische Denken und Handeln nicht genügend ausloten und ermessen zu können.
Den Versuch einer alle Ansätze vereinigenden Theoriebildung, die wichtige Orientierung schaffen könnte, kann dieser Band nicht leisten. Dies könnte ein bedeutsames Ziel für die Weiterentwicklung der Kunsttherapie als Disziplin sein.
Rezension von
Prof. Dr. Lisa Niederreiter
Kunst- und Sonderpädagigin, Kunsttherapeutin, Künstlerin
Professorin an der Hochschule Darmstadt, Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und Soziale Arbeit
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