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Felicitas Hillmann, Michael Windzio (Hrsg.): Migration und städtischer Raum

Rezensiert von Dr. Sandra Landhäußer, 11.11.2009

Cover Felicitas Hillmann, Michael Windzio (Hrsg.): Migration und städtischer Raum ISBN 978-3-940755-17-9

Felicitas Hillmann, Michael Windzio (Hrsg.): Migration und städtischer Raum. Chancen und Risiken der Segregation und Integration. Budrich Academic Press GmbH (Opladen, Berlin, Toronto) 2008. 334 Seiten. ISBN 978-3-940755-17-9. D: 36,00 EUR, A: 30,80 EUR, CH: 49,90 sFr.
Reihe: Stadtforschung.

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Entstehungshintergrund

Der Herausgeberband entstammt einer Tagung, die durch die Bremer Arbeitsgruppe MIGREMUS (MIGration, REsidential Mobility and Urban Structure) initiiert wurde. Im Zentrum stand eine Verbindung von soziologischen und geographischen Perspektiven auf die Risiken und Chancen von Migration sowie auf soziale und ethnische Segregation. Die HerausgeberInnen konstatieren wenige empirische Studien zu dieser Thematik und liefern vor diesem Hintergrund einen Überblick über vorhandene, teilweise noch unausgeschöpfte Datensätze, die etwas zu diesem Thema aussagen können. Gemeinsam ist somit allen Beiträgen dieses Bandes, dass sie sich dem Schwerpunkt ihres Beitrags in empirischer Weise nähern.

Herausgeberin und Herausgeber, Autorinnen und Autoren

Die AutorInnen sind von ihrer fachlichen Ausrichtung im Wesentlichen der Soziologie, den Sozialwissenschaften allgemein und der Geographie zuzuordnen, jeweils mit einem Schwerpunkt auf Migration und Stadtforschung.

Aufbau

Das Buch ist insgesamt in drei große Abschnitte gegliedert:

Unter der Überschrift „Segregation und Stadt im Wandel – Darstellung“ werfen Jürgen Friedrichs und Alexandra Nonnenmacher die Frage auf, inwiefern innerstädtische Wanderungen zu einer ethnischen Entmischung von Stadtteilen führen. Josef Kohlbacher und Ursula Reeger beleuchten die Dynamik ethnischer Wohnviertel in Wien von 1981 bis 2005 vor dem Hintergrund der Zuwanderung aus dem ehemaligen Jugoslawien. Andreas Farwick untersucht unter dem Titel „Ethnische Segregation und soziale Distanz“ inwiefern sich das Ausmaß ethnisch geprägter Wohnviertel auf ablehnende Einstellungen von Menschen deutscher Staatsangehörigkeit gegenüber MigrantInnen auswirkt. Und Ayca Polat betrachtet die Ursachen und Folgen sozialer und ethnischer Segregation an Grundschulen, ihre Konsequenzen für Ausschließungsprozesse und die Auswirkungen von Entmischungsprozessen auf das Zusammenleben im Quartier.

In einem zweiten Abschnitt wird „Migration im Lebensverlauf – Entscheidungsprozesse“ in den Mittelpunkt gerückt. Im Beitrag von Till Kathmann/Steffan Mau/Nana Seidel/Roland Verwiebe und in jenem von Stefanie Kley wird Verbundenheit mit dem Wohnort und ihre Auswirkungen auf Wegzugsabsichten ergründet. Jenny Schmithals untersucht die Rückwanderung nach Ostdeutschland am Beispiel Magdeburgs. Birgit Glorius nimmt eine verknüpfte Betrachtung von Migrations- und Integrationsverläufen polnischer MigrantInnen in Leipzig vor. Schließlich beleuchten Andreas Horr und Lars Wiesemann in ihren Aufsätzen die Wohnstandortentscheidungen von MigrantInnen.

Ein dritter Abschnitt nimmt „Migranten als Akteure der Integration im sozialen und institutionellen Kontext“ in den Blick. Mit diesem Fokus stellt Ina von Schlichting unter Rekurs auf den Transnationalismusansatz eine ecuadorianische Dorfgemeinschaft mit starker Migration nach Spanien und Deutschland in den Mittelpunkt und beschreibt die Situation von migrierten DorfbewohnerInnen im zeitlichen Verlauf der letzen 20 Jahre. Erol Yildiz nimmt eine Binnenperspektive auf die Lebenspraxis vor Ort in einem ausgewählten Einwandererquartier von Köln ein. Edith Pichler beschreibt in ihrem Aufsatz milieutheoretisch die Situation der italienischen Bevölkerung in Berlin, u.a. mit Blick auf Schulerfolg. Dita Vogel und Berit Rinke beleuchten die Integration von Zuwanderern und die Bedeutung von Sprache. Christian Babka von Gostomski und Anja Stichs untersuchen den Einfluss von Gelegenheitsstrukturen auf die Kontakthäufigkeit von Deutschen und Migranten. Andrea Hense, Annette Stürmer, Christiane Böer und Markus Gamper geben breite Einblicke in die Praxis des Arrangierens von Ehen muslimischer Migranten in Deutschland. Susann Rabold und Dirk Baier analysieren den Einfluss von Freundschaftsnetzwerken auf ethnische Unterschiede im Gewaltverhalten von Jugendlichen.

Inhalt und Diskussion

In dem vorliegenden Band wird das Phänomen der Migration, die Dynamik von und in ethnisch geprägten Wohnvierteln und das Thema der Integration von MigrantInnen detailliert beleuchtet. Mit Blick auf Migration finden sowohl Auslöser von Migrationsgedanken und –bewegungen sowie die Ortsbindung und ihr Einfluss auf Wanderungsabsichten Berücksichtigung, als auch Migrationsverläufe selbst. Dementsprechend wird sowohl im Beitrag von Till Kathmann, Steffan Mau, Nana Seidel und Roland Verwiebe als auch in dem von Stefanie Kley die bislang nur marginal beleuchtete Verbundenheit mit dem Wohnort ergründet. Im ersten Aufsatz werden die Verbundenheit von deutschen Facharbeitern mit dem Wohnort und ihre Auswirkungen auf Wegzugsabsichten am Beispiel von innereuropäischen Wanderungen analysiert. Der zentrale Beitrag besteht hierbei in der Klassifikation der Auslöser von Wanderungsgedanken, indem 41 problemzentrierte berufsbiographische Interviews ausgewertet werden. Stefanie Kley hingegen beleuchtet soziale und berufliche Einflussfaktoren auf die Wohnortverbundenheit sowie deren Wirkung auf Wegzugsabsichten. Sie kommt zu dem Schluss, dass der Einschätzung der Lebensbedingungen vor Ort ein hoher Stellenwert zukommt.

Die Rückwanderung nach Ostdeutschland am Beispiel Magdeburgs untersucht Jenny Schmithals, indem vergleichende quantitative Analysen zwischen Rück- und Zuwanderern und qualitative, biographische Interviews mit 30 Rückwanderern durchgeführt werden. Ein zentrales Ergebnis ist die genauere Betrachtung der in Studien oft vernachlässigten privaten Motive der Ortsbindung, wie familiäre Faktoren, soziale Netzwerke und Sehnsucht nach vertrautem Umfeld, die in der Realisierung der Rückwanderung oft die beruflichen Motive überwiegen.

Bei einer Betrachtung von Migrationsverläufen polnischer Migranten in Leipzig verbindet Birgit Glorius einen Fokus auf individuelle Lebenszykluspassagen mit Hilfe des transnationalen Ansatzes mit einem auf strukturelle Rahmenbedingungen mit dem Migrationssystemansatz. Unter Rekurs auf qualitative und quantitative Daten aus dem von der DFG geförderten Projekt „Transnationale Migration: Das Beispiel der Pendelmigration polnischer Arbeitnehmer nach Deutschland“ kann sie anhand von drei exemplarischen Migrationsbiographien die Verwobenheit der strukturellen und individuellen Ebenen mit Blick auf die drei zentralen Migrationsmotive Arbeit, Heirat und Studium beleuchten. Durch ihre transnationale Perspektive kann sie dabei einen Beitrag zum Überkommen von national begrenzten Ansätzen liefern sowie „eine Realität zwischen den Gegenpolen Multikulturalismus und Assimilation […] beschreiben“ (173).

Unter Rekurs auf den Transnationalismusansatz stellt Ina von Schlichtings Aufsatz eine ecuadorianische Dorfgemeinschaft mit starker Migration nach Spanien und Deutschland in den Mittelpunkt. Auf der Basis von 23 narrativen Leitfadeninterviews sowie einer Haushaltsbefragung in einem ecuadorianischen Dorf beschreibt sie – mit Fokus auf dem irregulären Aufenthaltsstatus – im Rahmen von Fallstudien die Situation von migrierten DorfbewohnerInnen im zeitlichen Verlauf der letzen 20 Jahre. Mit diesen Aufsätzen gelingt es dem vorliegenden Band das Phänomen der Migration, seine Kontext- und Einflussfaktoren sowie seine Verläufe an verschiedenen Beispielen zu illustrieren.

Ein weiterer Verdienst des Bandes ist die vertiefte Betrachtung der Dynamik von und in ethnisch geprägten Wohnvierteln. Dabei wird u.a. die Frage gestellt, ob bzw. inwiefern sich ethnische Segregation im Laufe der Zeit verändert hat. Eng damit zusammenhängend werden auch die Wohnstandortentscheidungen von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund analysiert: Jürgen Friedrichs / Alexandra Nonnenmacher und Lars Wiesemann beleuchten dies am Beispiel Kölns, Josef Kohlbacher / Ursula Reeger mit Blick auf Wien und Andreas Horr mit Bezug auf Mannheim und Ludwigshafen. Friedrichs/Nonnenmacher werfen in Ihrem Beitrag die Frage auf, inwiefern innerstädtische Wanderungen zu einer ethnischen Entmischung von Stadtteilen führen. Sie beantworten diese Frage anhand von Daten aus den 85 Stadtteilen Kölns im Jahre 2005 und stellen u.a. eine zunehmende Mischung zwischen Deutschen und Ausländern fest. Kohlbacher/Reeger erhellen die Dynamik ethnischer Wohnviertel in Wien von 1981 bis 2005 vor dem Hintergrund der Zuwanderung aus dem ehemaligen Jugoslawien, da diese Gruppe der Zugewanderten sowohl die „älteste“ als auch mit 10% der Wohnbevölkerung die größte Gruppe darstelle. Ihre Ergebnisse verweisen auf eine Wohnkonzentration dieser Gruppe eher in Arbeiter- als in bürgerlichen Vierteln sowie eine Verschlechterung des Wohngebäudezustands. Andreas Horr und Lars Wiesemann beleuchten in ihren Aufsätzen die Wohnstandortentscheidungen von MigrantInnen. Horr vergleicht die Wohnungssuche und Wohnortwahl von deutschen und türkischstämmigen Personen unter Rekurs auf die Werterwartungstheorie. Dabei werden Analysen von Mikrozensusdaten sowie Auswertungen von 23 explorativen Leitfadeninterviews in Mannheim und Ludwigshafen vorgestellt. Sie liefern grundlegende Einblicke in die Suchstrategien und Präferenzen bei der Wohnungssuche. Wiesemann stellt eine Vierer-Typologie charakteristischer Wohnstandortentscheidungsmuster von türkischen Migranten in Köln vor.

Weiterhin wird der Alltag von MigranInnen untersucht. So nimmt etwa Erol Yildiz eine Binnenperspektive auf die Lebenspraxis vor Ort in Einwandererquartieren von Städten ein. Am Beispiel der Keuppstraße in Köln gibt er auf der Grundlage von ethnographischer Forschung differenzierte Einblicke in urbane Alltagspraktiken und die vielfältigen, transnationalen Netzwerke, die BewohnerInnen des Quartiers haben. Anhand von Daten aus der Repräsentativbefragung „Ausgewählte Migrantengruppen in Deutschland 2006/2007“ (RAM 2006/2007) prüfen Christian Babka von Gostomski und Anja Stichs den Einfluss von Gelegenheitsstrukturen auf die Kontakthäufigkeit von Deutschen und Migranten und analysieren detailliert das Gewicht, das dabei dem Wohngebiet, der Arbeit/ dem Bildungswesen und der Freizeit zukommt. Andreas Farwick untersucht inwiefern sich das Ausmaß ethnisch geprägter Wohnviertel auf ablehnende Einstellungen von Menschen deutscher Staatsangehörigkeit gegenüber MigrantInnen auswirkt. Anhand von Daten einer Befragung aus 17 Stadtteilen Bremens zeigt er die teilweise gegenläufigen Zusammenhänge zwischen Ausländeranteil und sozialer Distanz auf. Breite Einblicke in die Praxis des Arrangierens von Ehen muslimischer Migranten in Deutschland gewinnt man im Beitrag von Andrea Hense, Annette Stürmer, Christiane Böer und Markus Gamper anhand qualitativer Interviews, während Susann Rabold und Dirk Baier den Einfluss von Freundschaftsnetzwerken auf ethnische Unterschiede im Gewaltverhalten von Jugendlichen analysieren. Insgesamt finden sich somit in dem vorliegenden Band mit Bezug auf die Dynamik von und in ethnisch geprägten Wohnvierteln facettenreiche und empirisch fundierte Einblicke.

Mit Blick auf das Thema Integration werden schließlich Kontakte und Einstellungen zwischen der deutschen Bevölkerung und MigrantInnen, die Rolle von Sprache und soziale Ungleichheit beleuchtet. Babka von Gostomski/Stichs untersuchen diesbezüglich den Einfluss von Gelegenheitsstrukturen im Wohngebiet, bei der Arbeit/ im Bildungswesen und in der Freizeit auf die Kontakthäufigkeit von Deutschen und Migranten.

Mit einem Fokus auf die Integration von Zuwanderern und die Bedeutung von Sprache präsentieren Dita Vogel und Berit Rinke Ergebnisse von Daten aus dem EU-Projekt POLITIS. Sie unterscheiden verschiedene Ebenen von Integration und erweitern bisher vorliegende quantitative Ergebnisse um qualitative. Auf deren Basis betonen sie die häufig überschätzte Bedeutung von Sprache für emotionale und strukturelle Integration.

Andreas Farwick untersucht unter dem Titel „Ethnische Segregation und soziale Distanz“ inwiefern sich das Ausmaß ethnisch geprägter Wohnviertel auf ablehnende Einstellungen von Menschen deutscher Staatsangehörigkeit gegenüber MigrantInnen auswirkt. Anhand von Daten einer Befragung aus 17 Stadtteilen Bremens zeigt er die teilweise gegenläufigen Zusammenhänge zwischen Ausländeranteil und sozialer Distanz auf.

Edith Pichler beschreibt in ihrem Aufsatz die Situation der italienischen Bevölkerung in Berlin. Mit Blick auf die Milieutheorie und die Arbeiten von Pierre Bourdieu typologisiert sie die italienische Community und beleuchtet Faktoren sozialer Ungleichheit im Schulerfolg. Auch Ayca Polat widmet sich dem Thema Schule und Ungleichheit, wenn sie die Ursachen und Folgen sozialer und ethnischer Segregation an Grundschulen, ihre Konsequenzen für Ausschließungsprozesse und die Auswirkungen von Entmischungsprozessen auf das Zusammenleben im Quartier betrachtet. Mit dem Ausgangspunkt der Reproduktion sozialer Ungleichheit im deutschen Bildungssystem integriert sie vorhandene Studien zu dieser Thematik mit Einblicke in das Beispiel eines anonymisierten Stadtteils S., in dem eine Schule, die sich der gesellschaftlichen Herausforderung der Heterogenität in innovativer Weise angenommen hat, auf Druck von hegemonialen Interessensgruppen geschlossen wurde.

Fazit

Der vorliegende Herausgeberband gibt insgesamt recht spezifische, tiefe Einblicke in die Thematik der Migration. Dabei liegt seine Stärke sowohl in der Breite des Spektrums als auch in der empirischen Fundierung der Beiträge. Das Buch eignet sich aufgrund seiner Reichweite sowohl als Einblick in den Gegenstandsbereich als auch als Übersicht über neuere themenbezogene empirische Projekte und Ergebnisse.

Rezension von
Dr. Sandra Landhäußer
Universität Tübingen Institut für Erziehungswissenschaft, Abteilung Sozialpädagogik
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Es gibt 3 Rezensionen von Sandra Landhäußer.

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Zitiervorschlag
Sandra Landhäußer. Rezension vom 11.11.2009 zu: Felicitas Hillmann, Michael Windzio (Hrsg.): Migration und städtischer Raum. Chancen und Risiken der Segregation und Integration. Budrich Academic Press GmbH (Opladen, Berlin, Toronto) 2008. ISBN 978-3-940755-17-9. Reihe: Stadtforschung. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/7025.php, Datum des Zugriffs 16.01.2025.


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