Sabine Handschuck: Interkulturelle Qualitätsentwicklung im Sozialraum, Band 1
Rezensiert von Prof. Dr. Susanne Spindler, 16.11.2010

Sabine Handschuck: Interkulturelle Qualitätsentwicklung im Sozialraum, Band 1. ZIEL Verlag (Augsburg) 2008. ISBN 978-3-940562-20-3.
Autorin
Die Autorin ist Mitarbeiterin des Stadtjugendamtes der Stadt München und hat mit dieser Studie ihre Dissertation veröffentlicht.
Entstehungshintergrund
Die Studie ist in Theorie-Praxis-Verknüpfung entstanden, in der die Autorin ein Konzept zur Weiterentwicklung der interkulturellen Orientierung und Öffnung Sozialer Arbeit erarbeitet. Das Konzept soll über Verfahren der Personalqualifizierung zur interkulturellen Öffnung hinausreichen, so z.B. durch den Einbezug der Verwaltungsreform als Instrument für interkulturelle Öffnung. Zur Praxiserprobung und zur Evaluation stellte die Stadt München der Autorin zwei Sozialregionen zur Verfügung. Im hier vorliegenden ersten Band legt die Autorin die theoretischen Grundlagen sowie lokale Bedingungen für die Konzeption des Modellprojektes vor. In einem weiteren zweiten Band, der nicht Gegenstand der vorliegenden Rezension ist, evaluiert die Verfasserin die Arbeit.
Aufbau und Inhalt
Im ersten Kapitel beschreibt Handschuck verschiedene Projekte zur interkulturellen Orientierung und Öffnung und stellt fest, dass (zumindest bis 2005) keine Unterstützung der freien durch öffentliche Träger zu verzeichnen ist. Die vorgestellten Studien (deren Auswahl sie nicht näher erläutert) zur interkulturellen Öffnung und Kommunikation konstatieren bei MitarbeiterInnen sozialer Dienste teilweise Defizitorientierungen bzw. Tendenzen zur Verallgemeinerung von MigrantInnen aufgrund von Nationalität oder Religion, die dann einen spezifischen Umgang mit den MigrantInnen nach sich ziehen.
Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit Schlüsselthemen und Kernbegriffen, die von Interkultureller Orientierung über Kultur und kulturelle Identität bis hin zu Netzwerken und Interkulturelle Qualitätsentwicklung reichen. Die Darstellung dient vorrangig dem Ziel, Begrifflichkeiten darzulegen, die wichtig für die Analyse und Entwicklung von Organisationsstrukturen und Projekten im Kontext interkultureller Qualitätsentwicklung sind. Die Begriffe werden weniger in ihrer theoretischen Tiefe als eher in der Zweckgebundenheit an das Konzept dargestellt. Handschuck definiert im direkten Bezug zum eigenen Modellprojekt Ziel und Anknüpfungspunkte: „Das Projekt ist ein Dienstleistungsangebot des öffentlichen Trägers für soziale Einrichtungen mit dem Ziel, interkulturelle Qualität in der Sozialen Arbeit zu entwickeln. Daraus folgt für mich, dass das in der ‚Kundenorientierung‘ angelegte Anerkennungspotenzial zu einem Grundprinzip der Projektarbeit auszuarbeiten ist. Es hat sich sowohl auf die konkrete Form der Projektarbeit selbst als auch auf die durch das Projekt beabsichtigten Ergebnisse und Wirkungen zu beziehen.“ (S. 63)
Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit theoretischen Grundlagen des Konzeptes, die auf die Soziale Arbeit bezogen sind. Die Autorin knüpft an Staub-Bernasconi an. Normative Grundlagen und Handlungsschritte für die Projektarbeit werden miteinander verknüpft, vor allem über die Definition von Problemen in den Bereichen der Ausstattung, des Austauschs, von Macht sowie der Definition von Kriterien. Sodann setzt sich Handschuck mit den oben schon zur Grundlage genommenen Begriffen der Dienstleistung und der Kundenorientierung auseinander. Sie diskutiert auch kritische Stimmen zur Frage „Kunden“ oder „Nutzer“ Sozialer Arbeit sowie am Konzept der Dienstleistungsorientierung Sozialer Arbeit. Die eigene Positionierung expliziert sie nicht, sieht aber Anschlussmöglichkeiten für interkulturelle Orientierung und Öffnung in einem Verständnis von Professionalität, das reflexive Dienstleistungskompetenz bei personenbezogener Dienstleistung in eine strategisch-funktionale Kompetenz übersetzt (S. 82). In der Konsequenz bleibt die dargelegte Kritik unberücksichtigt.
Im Kapitel 4 greift Handschuck in einem informativen Abriss über den politischen Umgang mit MigrantInnen die jüngere Migrationsgeschichte seit den 50er Jahren auf. Die sich darin entwickelnde Soziale Arbeit für und mit MigrantInnen wird dargestellt, allerdings nur bis ca. zur Jahrtausendwende. Handschuck weist auf die Gleichzeitigkeit widersprüchlicher Ansätze im Umgang mit Migration in der Sozialen Arbeit hin. Für die Projektkonzeption dienen die hier behandelten Themen dazu, die am Projekt Teilnehmenden über Migrationsgeschichte und damit zusammenhängende politische und soziale Entwicklungen zu informieren.
Das fünfte Kapitel über Widerstände Interkultureller Sozialer Arbeit nimmt ethnisierende Konstruktionen und solche der Fremdheit sowie Machtasymmetrien in den Blick. Es dient zur erweiterten Definition der Problemlage von MigrantInnen. Für Pädagogik/Soziale Arbeit wird dabei deutlich, dass ihr eine kompensatorische Funktion für gesellschaftspolitische Versäumnisse zugedacht war und ist. Ihrer Machtlosigkeit bezüglich der Veränderung von Strukturen kann sie nach Handschuck symbolische Kämpfe entgegensetzen und damit Einfluss auf gesellschaftliche Diskurse nehmen. Die Autorin sieht weitere Möglichkeiten zur regionalen Einflussnahme und begründet damit auch den Entwurf des Modellprojektes: „Meine These ist, dass darüber hinaus auf der mesosozialen Ebene der regionalen sozialen Arbeit auch strukturelle Veränderungen innerhalb der Institutionen Sozialer Arbeit gelingen können, wenn dies von der Kommunalpolitik und den Trägern der Einrichtungen gewollt und eine interkulturelle Orientierung durch ein partizipatives Verfahren mit und durch die pädagogischen und sozialpädagogischen Fachkräfte erfolgt.“ (S.120)
Ab dem 6. Kapitel wird das Projektvorhaben dann konkreter umrissen. Zunächst werden kommunale Besonderheiten Münchens deutlich und die Verwobenheit sozialraumorientierter und interkultureller Arbeit dargestellt. Die prominente Stellung des Sozialreferats, insbesondere des Jugendamts bezüglich der interkulturellen Öffnung der Stadt wird besprochen, auch vor dem Hintergrund des Mangels an einer Stabsstelle, die in München als Amt für Multikulturelles angedacht, aber politisch nicht durchsetzbar war. Mitte der 90er Jahre verfolgte das Stadtjugendamt einen mehrdimensionalen Ansatz der interkulturellen Orientierung und Öffnung der Einrichtungen, der die Individuen, die Teams, die Organisationen und die gesellschaftspolitische Ebene einbeziehen wollte. Man orientierte sich dabei an den Veränderungen durch die Neue Steuerung sowie den Instrumenten der Sozialplanung und eines interkulturell orientierten Qualitätsmanagements. Für die Verwaltungsreform gelangt die Autorin zu dem Schluss, dass diese nicht konsequent mit interkultureller Öffnung verbunden wurde (S. 132). Die Wahrnehmung von MigrantInnen als KundInnen sozialer Dienstleistungen sei nicht hinreichend gegeben, zugleich werde der Produktlogik des Neuen Steuerungsmodells oft eine große Skepsis entgegengebracht. Hier bietet sich der Ansatzpunkt für das Projekt, bei dem interkulturelle Öffnung und Neue Steuerung enger zusammenfinden sollen.
Im siebten Kapitel stellt die Autorin die Grundlagen des Modellprojektes dar. Zentral geht es um den Abbau von Ausgrenzung und Barrieren in Verhaltensweisen, Kommunikationsroutinen und durch mangelnde interkulturelle Verständigung. Dem möchte sie die Begriffe der Anerkennung und des Vertrauens entgegenstellen.
Das achte Kapitel stellt das Konzept selbst dar, definiert Leitziel und Handlungsziele, legt Handlungsschritte fest und stellt methodische Bausteine vor. Für die einzelnen Projektphasen werden Ziele, Standards und Indikatoren genau beschrieben. Die zuvor dargelegten theoretischen Ausführungen finden sich nun hier umgesetzt in den einzelnen Projektphasen, in der ersten Projektphase vorrangig als zu vermittelndes Grundlagenwissen oder Sensibilisierung im Sinne antirassistischer Bildungsarbeit. Die zweite Projektphase sieht für die interkulturelle Öffnung der Einrichtung dann Qualitätsmanagementverfahren vor, die Erarbeitung von Prüfkriterien sowie die Bearbeitung der Leitbilder und vertragliche Vereinbarungen für interkulturelle Zielsetzungen. In der dritten Projektphase wird die Orientierung an den Nutzerinnen und Nutzern der Einrichtung geprüft und eine Selbstbewertung durchgeführt. Eine weitere einjährige Phase sieht die Unterstützung der Nachhaltigkeit vor.
Diskussion
Der Einstieg in das Buch fällt an einigen Stellen etwas schwer, die Leserin/der Leser muss sich die Anbindung der theoretischen Ausführungen an das mögliche Konzept, das man noch nicht kennt, des Öfteren selbst erschließen. Daneben kämpfen die Lust am Lesen und der unschöne Schriftsatz mit überlangen Zeilen miteinander. Die teilweise sehr formale Sprache ist auch dem Schwerpunkt auf Verwaltungslogiken geschuldet. Hilfreich sind die Resümees am Ende von Kapiteln, die allerdings etwas unlogisch verteilt nicht am Ende eines jeden Kapitels auftauchen.
Zu den vielfältigen Themen, die sich durch den Anspruch ergeben, interkulturelle Orientierung und Öffnung mit sozialräumlicher Qualitätsentwicklung zu verbinden, gibt die Autorin viele Informationen. An einigen Stellen wäre eine Konzentration wünschenswert gewesen, indem zusammengehörende theoretische Ausführungen enger aneinander rücken oder indem thematische Vertiefungen stattfinden (z.B. im Kapitel 3, wo die Vertiefung von interkultureller Organisationsentwicklung interessanter gewesen wäre als die Darstellung einer Palette von Ansätzen).
Eine kritische Auseinandersetzung mit den Problemen einer dienstleistungsorientierten Sozialen Arbeit findet nur theoretisch statt. Letztendlich nutzt die Autorin diese nach Marktlogik funktionierenden Denk- und Handlungsweisen in einem pragmatischen Sinne für die interkulturelle Entwicklung, indem sie konsequent eine Kundenorientierung bezogen auf Menschen mit Migrationshintergrund fordert.
Fazit
MitarbeiterInnen sozialer Einrichtungen und Kommunen, die sich mit interkultureller Orientierung und Öffnung beschäftigen, finden in diesem Band ein Grundlagenwissen sowie Möglichkeiten der konzeptionellen Umsetzung. Der konsequente Einbezug der Veränderungen durch Verwaltungsreformen, sozialräumliche Instrumente und eine „Kundenorientierung“ Sozialer Arbeit, die hier streng im Sinne interkultureller Öffnung gedacht wird, sind das Besondere an der Projektkonzeption. Die Projektkonzeption beinhaltet viele Anregungen und kann modellhaft sicherlich auch für andere Städte/Regionen/Sozialräume stehen. Je nach Wissensbedarf des Lesers/der Leserin sind die ersten fünf Kapitel sicherlich auch nur kursorisch zu nutzen. Sie eignen sich teilweise für die Arbeit mit Studierenden. Allerdings erschließt sich die Projektkonzeption im Kapitel 8 nur schwer ohne die vorausgegangenen Ausführungen, da sie den Prozess vorrangig tabellarisch darstellt.
Rezension von
Prof. Dr. Susanne Spindler
Hochschule Düsseldorf, Fachbereich Sozial- & Kulturwissenschaften; Schwerpunkte: Migration/Interkulturalität, Jugendarbeit, sozialraumorientierte Soziale Arbeit
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