Heidi Neumann-Wirsig (Hrsg.): Supervisions-Tools
Rezensiert von Peter Schröder, 20.01.2009

Heidi Neumann-Wirsig (Hrsg.): Supervisions-Tools. Die Methodenvielfalt der Supervision in 55 Beiträgen renommierter Supervisorinnen und Supervisoren. managerSeminare Verlags GmbH (Bonn) 2008. 350 Seiten. ISBN 978-3-936075-81-6. 49,90 EUR.
Thema, Hintergründe und Autorin
Aus meinen Vorbehalten gegenüber "Tools-Sammlungen" habe ich in bisherigen Rezensionen kein Hehl gemacht. Jetzt liegt eine weitere vor - mit einer renommierten Herausgeberin, die ihr Netzwerk nicht minder renommierter SupervisionskollegInnen um Beiträge gebeten hat. Es sind nahezu alle dabei, die sich in Deutschland durch Veröffentlichungen und/oder Ausbildungen zum Thema Supervision einen Namen gemacht haben - eine Art supervisorisches Familientreffen. Wenn 51 namhafte SupervisorInnen bereit waren, ihre Ideen zu diesem Band beizutragen, soll dies ein Anlass sein, die eigenen Vorbehalte noch einmal kritisch zu hinterfragen.
Die Herausgeberin Heidi Neumann-Wirsig ist durch zahlreiche Veröffentlichungen zum Thema Systemische Supervision und Beratung bekannt, sie arbeitet seit 1980 als selbständige Beraterin, Supervisorin und Coach, inzwischen in eigener Firma: BTS Mannheim (http://www.bts-mannheim.de). Dort bildet sie auch Supervisoren und Coaches aus. Viele der anderen AutorInnen kommen ebenfalls aus dem Bereich der Ausbildung - ihre Tools sind also nicht nur in direkten Beratungs-, sondern auch in Ausbildungszusammenhängen erprobt. Das macht die Sammlung an sich schon wertvoll.
Aufbau und Inhalt
Der Band beginnt, nach dem Vorwort, mit einer ausführlichen Einleitung, die das Feld beschreibt, in dem die vorgestellten Tools ihren Ort haben: das Feld der Supervision. Auf dreizehn Seiten wird beschrieben, was Supervision ist, woher dieses Beratungsformat stammt, welche Methoden sich etabliert haben, wie Supervision von Coaching unterscheiden werden kann, wie sich Tools zu Interventionen verhalten etc. Das ist eine sehr instruktive Einleitung - man kann sie AusbildungsteilnehmerInnen direkt weiterreichen. Und diese Einleitung stellt einen guten und notwendigen Rahmen dar für das, was dann folgt: die Sammlung von 56 verschiedenen Supervisions-Tools. Ihr vorangestellt ist eine tabellarische Übersicht: "Welches Tool passt zu welchem Setting?" Auch wenn die Anordnung der einzelnen Tools in der Sammlung den Phasen eines Supervisionsprozesses bzw. einer Supervisionssitzung folgt (Einstieg, Themenfindung, Bearbeitung, Auswertung), können einzelne Methoden in verschiedenen Phasen eingesetzt werden. Insofern führt die Tabelle gegenüber der inneren Gliederung des Bandes weiter und ist deshalb ein hilfreiches Raster.
Die einzelnen Tools können hier nicht besprochen werden. Angemerkt sei aber, dass sie von durchaus unterschiedlicher Qualität sind: einige sind inzwischen so betagt, dass sie aus der methodischen Mottenkiste stammen könnten, andere sind innovativ. Einige entstammen dem sozialpädagogischen Feld, in dem sie in unterschiedlichen Zusammenhängen (Gruppenpädagogik, Spielpädagogik) schon das eine oder andere Mal aufgetaucht sind, andere stammen deutlich aus dem Feld Coaching. Und manches Mal wäre eine überlieferungsgeschichtliche Betrachtung spannend, aber: Hauptsache, es wirkt! Was ich gegenüber anderen Methodensammlungen angenehm (und redlich!) finde, ist, dass die Quellen ausführlich benannt werden - jedenfalls soweit sie zu rekonstruieren sind, manche Tools laufen einem auch mit der Zeit zu, und dann adoptiert man sie halt.
Alle Tools werden nach einem festen Raster vorgestellt: Es beginnt mit einer Kurzbeschreibung, die allerdings nicht die Methode selbst kurz beschreibt, sondern eher das Lernziel benennt. Dann werden die Anwendungsbereiche beschrieben: in welcher Phase des Prozesses, in der Einzel- oder Teamberatung, bei welchen Problemstellungen etc. Der dritte Abschnitt beschreibt die Zielsetzung und die Effekte des Tools. Dann folgt die ausführliche Beschreibung mit der Darstellung der einzelnen Arbeitsschritte, so detailliert und schrittweise, dass die Methode vorstellbar und handhabbar wird. Im Anschluss werden die Voraussetzungen und Kenntnisse reflektiert, die der/die SupervisorIn mitbringen sollte, und das Ganze wird ergänzt durch Kommentare der AutorInnen. Die einzelnen Beschreibungen enden mit der Quellenangabe und technischen Hinweisen auf benötigtes Material etc. Eine Reihe von Tools ist bebildert, was es noch leichter macht, sich die Methode gut vorstellen zu können.
Der Band schließt mit einem ausführlichen (und ebenfalls bebilderten) Verzeichnis der Autorinnen und Autoren, in dem auch die jeweiligen Kontaktdaten genannt werden.
Diskussion
Ich zitiere die Eingangspassage des Vorwortes von Heidi Neumann-Wirsig: "Erstaunt war ich über die erste Reaktion meiner Netzwerkkollegen, als ich ihnen von der Idee zu diesem Toolbuch erzählte. Zunächst herrschte einen Moment Schweigen, dann beglückwünschten sie mich und fanden die Idee sehr gut. Nach einer Weile sprach ein Kollege aus, was die anderen wohl auch gedacht hatten, nämlich dass es vor 20 Jahren schwer vorstellbar gewesen wäre, ein solches Buch zu schreiben. Als Autorin hätte ich zumindest Naserümpfen und Spott erfahren. In den Siebziger- und Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts war es nach außen hin verpönt, Tools in der Supervision einzusetzen, obwohl es viele Supervisoren taten." (S. 13)
Die Autorin fasst die Argumente zusammen, die zu solch einer kritischen Haltung gegenüber Tools führten: Supervision muss prozessorientiert arbeiten, also Themen und Methoden spontan aus der jeweiligen Situation heraus entwickeln und nicht mit vorgefertigten Interventionsfolgen, wie sie Tools darstellen, arbeiten. Tools erschienen eher als "Krücken" für Anfänger, mit denen sie eine prinzipiell unstrukturierte Situation meinten, strukturieren zu können. Tools wurden als vorgegebene Strukturen wahrgenommen, die der Situation aufgedrückt werden und sie an ihrer freien Entwicklung hindern. Diese Argumente mögen 20, 30 Jahre alt sein. Ob man deswegen ohne weiteres über sie hinweggehen kann, bezweifele ich aber.
Meine Vorbehalte gegenüber "Tools" beginnen allerdings noch früher: Mich irritiert schon der Begriff! "Tool" bedeutet "Werkzeug", also: Hammer, Schraubenzieher, Zange, Drahtbürste etc. Nur ein Bild, ich weiß. Aber haben wir nicht in der Supervision gelernt, gut auf Bilder zu achten? Wenn ich also dieses Bild ernstnehme, dann sagt es: der Supervisionsprozess (oder gar der Supervisand?) ist eine Art Maschine, die ich mit bestimmten Werkzeugen zum Laufen bringe oder am Laufen halte. Und wenn der Prozess (oder gar der Supervisand?) mal ins Stocken gerät, dann habe ich das richtige Tool parat. Mir gefällt dieses Bild nicht! Nun weiß ich aber auch, dass man mittlerweile im übertragenen Sinn auch kleinere Computer(hilfs)programme "tools" nennt. Mit denen kann man manches in der Informationstechnologie reparieren, beschleunigen, effizienter erledigen. Das gefällt mir, offen gestanden, auch nicht viel besser.
Weil es in der Supervision zuallererst um die Beziehung zwischen zwei (oder mehreren) Menschen geht, wird mir diese Techniksprache immer quer runtergehen. Weil es aber auch um einen zielgerichteten, nämlich lösungsorientierten Prozess geht, brauche ich in meiner Arbeit Mittel, um den Prozess zu begleiten und auch zu steuern, d.h. zu be- oder entschleunigen, zu weiten, zu tiefen, zu konfrontieren, zu vergegenwärtigen. Ich mache mich mit Supervisanden auf einen Weg, und nicht zufällig heißt der Weg, der zu einem Ziel führt, griechisch meth-odos. Dass wir in der Supervision Methoden brauchen, wird wohl niemand bestreiten. Neumann-Wirsig selbst umreißt den methodischen Fundus, aus dem Supervision immer schon geschöpft hat: Casework, gruppenpädagogische Methoden, Elemente der Gestaltarbeit, Psychodrama und vieles andere. Psychologische Richtungen, die ein ausdrücklich ganzheitliches Menschenbild vertragen, haben immer schon auch mit zahlreichen kreativen Materialien gearbeitet. Methode - ein Stück des Weges im Prozess, so halte ich es für angemessen. Das bedeutet aber auch, dass die Beschreibung von Methoden in dem Augenblick problematisch wird, wo sie vom Prozess gelöst und isoliert dargestellt werden. Das ist in allen Methoden- oder, sei‘s drum, "Tools-Sammlungen" der Fall. Vom Prozess bleibt nur noch eine magere Zuordnung zu Prozessphasen übrig. Das Tool droht sich zu verselbständigen. Es findet seinen Sinn darin, dass es Ergebnisse bringt. Eine Reihe von Tools ergibt noch keinen sinnvollen Weg.
Neumann-Wirsig benennt das Problem von Tools selbst: "Auf der anderen Seite engen sie ein, verhindern die Beobachtung außerhalb des Rahmens, der Struktur, bringen bestimmte Ergebnisse hervor, andere nicht, verhindern die Kreativität des Chaos und der Unbegrenztheit. Sie determinieren Kommunikationsabläufe und strukturieren Entscheidungsprozesse." Andererseits sind sie, in mancherlei Hinsicht, "Ermöglichungen". (S. 24) Supervisions-Tools sind, die Beschreibungen in dem Band zeigen es deutlich, komplexe Werkzeuge. Ihre Möglichkeiten erschließen sich beim Lesen so mangelhaft wie die Möglichkeiten technischer Geräte beim Studium der Gebrauchsanweisung. Das bedeutet: Tools lassen sich am besten lernen, wenn man sie im Rahmen konkreter Supervisionsprozesse erlebt. Dafür gibt es meines Erachtens zwei gute Möglichkeiten. Die eine sind Ausbildungskurse und Weiterbildungsseminare. Das ist die bessere Möglichkeit. Ich selbst habe meine Ausbildung bei zwei Supervisoren gemacht, die in diesem Band vertreten sind: bei Heinrich Fallner und Kurt Richter, beide Ausbilder, die viele kreative Methoden entwickelt und eingesetzt haben. Ich habe diese Methoden in meinen Werkzeugkoffer gepackt, weil ich ihren Gebrauch erlernt habe. Eine zweite Möglichkeit stellen Bücher dar, die den Einsatz von Methoden im Prozess zeigen: Praxisberichte, die den Verlauf einer Beratung dokumentieren und so zeigen, an welchem Ort im Beratungsprozess sich welche Methoden nahegelegt hat.
Ich gehe davon aus, dass ein Buch mit Supervisions-Tools nur von SupervisorInnen genutzt wird. SupervisorInnen haben eine anspruchsvolle Ausbildung hinter sich, in deren Verlauf sie viele Methoden kennenlernen und integrieren. Ich gehe deshalb davon aus, dass ich nicht der einzige bin, dem mehr als die Hälfte der in diesem Band vertretenen Tools gut vertraut ist, zumal viele zum Standardrepertoire systemischer Beratung gehören. Es bleiben also etwa 20 Tools, die mir unbekannt waren. Ich frage mich, ob mir die den Preis des Buches wert wären. Aber da muss jede und jeder eine eigene Antwort finden. Mein Vorschlag wäre, noch mehr Geld auszugeben: Die meisten der in diesem Band vertretenen AutorInnen veranstalten Fortbildungen, in denen man das eigene Repertoire mit den Methoden dieser versierten KollegInnen anreichern kann. Das wäre das bessere Lernfeld!
Fazit
Die vorgestellten Tools sind gut aufbereitet und dargestellt. Sie haben alle ihre Wirksamkeit in der Beratungspraxis renommierter SupervisorInnen erwiesen. Der Band ist, bei allen grundsätzlichen Bedenken, eine gut gemachte Ideensammlung für die Supervisionsarbeit.
Rezension von
Peter Schröder
Pfarrer i.R.
(Lehr-)Supervisor, Coach (DGSv)
Seniorcoach (DGfC) Systemischer Berater (SySt®)
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Zitiervorschlag
Peter Schröder. Rezension vom 20.01.2009 zu:
Heidi Neumann-Wirsig (Hrsg.): Supervisions-Tools. Die Methodenvielfalt der Supervision in 55 Beiträgen renommierter Supervisorinnen und Supervisoren. managerSeminare Verlags GmbH
(Bonn) 2008.
ISBN 978-3-936075-81-6.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/7055.php, Datum des Zugriffs 26.03.2023.
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