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Paul Scheffer: Die Eingewanderten

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 05.05.2009

Cover Paul Scheffer: Die Eingewanderten ISBN 978-3-446-23080-4

Paul Scheffer: Die Eingewanderten. Toleranz in einer grenzenlosen Welt. Hanser Verlag (München) 2008. 536 Seiten. ISBN 978-3-446-23080-4. D: 24,90 EUR, A: 25,60 EUR, CH: 48,00 sFr.
Originaltitel: Het land van aankomst.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.

Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-446-25182-3 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.

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Thema

Es müsste uns eigentlich pausenlos in den Ohren klingen, wenn wieder jemand in seiner Gesellschaftsanalyse und der Reflexion über unsere Befindlichkeiten feststellt, dass wir, in Deutschland und in den meisten anderen europäischen Ländern, immer noch in dem „geschlossenen“ Bewusstsein leben, dass unsere Nation und unsere Kultur etwas Überschaubares, eindeutig Definierbares sei, das es uns erlaubt, von „Uns“ und den „Anderen“ zu sprechen (vgl. dazu auch die Rezension zu Wolfgang Gippert, u.a., Transkulturalität. Gender- und bildungshistorische Perspektiven). Diese Einstellungen gehen nicht selten damit einher, dass wir davon überzeugt sind, dass „unsere“ Kultur und „unsere“ Vorstellungen vom Leben das non plus ultra menschlicher Existenz sei. Dadurch sehen wir Menschen, die aus anderen Ländern und Kulturen zu uns kommen, aus welchen Gründen auch immer, als Eindringlinge und Profiteure unserer eigenen Leistungen an. Zugegeben: Diese Philippika klingt für manche Ohren als überzogen, und der Verweis auf die vielfältigen Bemühungen, Zugewanderten auch die Chance einer Integration zu ermöglichen, klingen wie eine Verteidigungsrede.

Autor und Übersetzer

Der niederländische Autor, Journalist und Soziologe an der Universität Amsterdam, Paul Scheffer, weist immer wieder darauf hin, dass die westlichen Gesellschaften es bisher versäumt hätten, den Menschen, die als Migrantinnen und Migranten in ihre Länder kommen, eine Lebensperspektive und ein Zugehörigkeitsgefühl zu vermitteln. Nicht nur er, sondern mittlerweile auch eine Reihe anderer Experten konstatieren: Die Integration in den westeuropäischen Ländern ist gescheitert! Scheffer hat dies in seinem im Jahr 2000 erschienenem Essay „Das multikulturelle Drama“ am Beispiel der Probleme, wie sie sich in der niederländischen Gesellschaft darstellen, deutlich gemacht und damit im Land und darüber hinaus eine aufgeregte, zustimmende und mit aggressiver Abwehr gefüllte Diskussion los gebrochen.

Mit seinem neuen Plädoyer für eine offene Gesellschaft greift er in seine Schatzkiste der Erfahrungen, Begegnungen und Gespräche in Europa, den USA, Australien und Kanada. Wie nicht anders zu erwarten, mischen sich dabei positive Eindrücke, Konfrontationen und Irritationen, die er in Worte fasst. Dabei zeigt sich seine besondere Begabung: Komplizierte, von Emotionen, Ideologien und staatstragenden Ideen befrachtete Äußerungen und Reaktionen von Menschen verschiedener Herkunft, mit unterschiedlichem Intellekt und in vielfältigen, alltäglichen wie offiziellen Situationen, in eine Sprache zu bringen, die allgemein verständlich und diskutierfähig ist. Dies ist natürlich auch der ausgezeichneten Übersetzung von Gregor Seferens, Andreas Acke, Heike Baryga und Gerd Busse zu verdanken.

Inhalt

Paul Scheffer geht mit seinen ganz unterschiedlichen Schilderungen, die er in dem umfangreichen Buch mit Leuchtziffern versieht, unaufgeregt zur Sache, z.B.:

  • „Der Koffer unterm Bett“,
  • „Die Welt in der Stadt“,
  • „Die große Völkerwanderung“,
  • „Holland – Vermeidungsland“,
  • „Europäische Kontraste“,
  • „Die Kunst des Kosmopolitismus“,
  • „Die Wiederentdeckung Amerikas“,
  • „Das zerstrittene Haus des Islam“ und
  • „Der Grundsatz der Gleichheit“.

Dabei spießt er die Parolen, wie sie von den „Multi-Kulti-Bewegten“ und den amtlichen Sprechern gerne benutzt werden – „Migration ist eine Bereicherung für unsere Gesellschaft“ – auf und rät, Migration nicht in erster Linie als ein Problem, sondern als eine Tatsache zu registrieren: „Migration ist der sichtbarste Teil einer Globalisierung, die vielen Menschen das Gefühl gibt, dass eine vertraute Welt verloren geht“. Um die Gründe, Hoffnungen und Enttäuschungen von Menschen, die ihre Heimat verlassen, um in einer Fremde eine neue zu finden, zu verstehen, vielleicht sogar Empathie entwickeln zu können, bedarf es erst einmal der Nachfrage, weshalb „Ortswechsel eine Erfahrung der Entwurzelung“ bedeutet; und weshalb es nicht selten zum „Crash“ beim Zusammentreffen von verschiedenen, sich fremd gegenüberstehenden Kulturen kommt (vgl. dazu auch die Rezension des Buches: Stefan Weidner, Manual für den Kampf der Kulturen. Warum der Islam eine Herausforderung ist). Das Problem der Zugehörigkeit zu einer Gesellschaft, zumal wenn man einer Minderheit angehört, wird im Migrationsdiskurs immer wieder angesprochen. Meist aber in dem Sinne, dass sich Minderheiten an die Mehrheiten anpassen, sich integrieren müssten. Scheffer stellt in diesem Zusammenhang eine Reihe von peinlichen Fragen, wie etwa die: „Wir können Migranten nicht auffordern, Teil einer Gesellschaft zu werden, zu der wir selbst nicht mehr gehören wollen“; weil Eingesessene von den Neuankömmlingen nur das verlangen dürften, was sie selber bereit sind zu leisten. Das ist die Gretchenfrage nach unserer eigenen (kulturellen und ethnischen) Identität. Eine weitere Einsicht, auf die wir ja in Deutschland (zu) lange warten mussten, nämlich, dass wir ein Einwanderungsland sind, wird mit einer Reihe von Argumenten belegt; unter anderem mit der Frage, ob Segregation im Einwanderungsland von Vorteil oder nachteilig für die Migrantinnen und Migranten wie für die Mehrheitsgesellschaft ist (vgl. dazu die Rezension zu: Georg Hansen / Martin Spetsmann-Kunkel, Integration und Segregation). Es gibt (zum Glück!) darauf keine allgemeinverbindliche Antwort.

Fazit

Segregation kann kulturelle Nähe und Wohlbefinden für Individuen ermöglichen, aber auch zu einer Mauer von Abwehr und Einigelung werden: „Die Schlussfolgerung lautet, dass dort, wo es bereits soziale Ungleichheit und kulturelle Fremdheit gibt, das räumliche Auseinanderdriften von Bevölkerungsgruppen die Distanz noch verstärken und verstetigen kann“.

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Es gibt 1689 Rezensionen von Jos Schnurer.

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ISSN 2190-9245