Rektorenkonferenz Kirchlicher Fachhochschulen (Hrsg.): Entdeckungen (Theologie und Ethik in der sozialen Arbeit)
Rezensiert von Prof. Dr. Arnd Götzelmann, 11.02.2009

Rektorenkonferenz Kirchlicher Fachhochschulen (Hrsg.): Entdeckungen. Theologie und Ethik in Studium und Praxis der sozialen Arbeit. Budrich Academic Press GmbH (Opladen, Berlin, Toronto) 2008. 96 Seiten. ISBN 978-3-86649-215-8. D: 9,90 EUR, A: 10,20 EUR, CH: 18,90 sFr.
Thema
Um „Theologie und Ethik in Studium und Praxis der Sozialen Arbeit“ geht es in dem Band, wie der Untertitel zutreffend aussagt. Zugleich geht es jedoch auch um die Funktion und Legitimation der evangelischen und katholischen Fachhochschulen in Deutschland, die seit einigen Jahren unter Spar- und Schließungsdruck stehen.
Die meisten kirchlichen Fachhochschulen beider Konfessionen wurden in den 1960er und 1970er Jahren gegründet. Zwar wurden in den 1980er Jahren zumindest auf evangelischer Seite etliche Fachbereiche für Religions- und Gemeindepädagogik abgebaut, doch folgte bis kurz nach der deutschen Einigung ein stetiger Ausbau vorhandener und die Gründung neuer evangelischer Fachhochschulen. Mit der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld eröffnete eine neue evangelische Hochschule zum Wintersemester 2006/07 ihren Betrieb. Seit Mitte der 1990er Jahre wurden Studienplatzzahlen ausgeweitet und zahlreiche neue Studiengänge begonnen. Zugleich wurden die kirchlichen Finanzmittel einiger Fachhochschulen eingefroren und anderer Fachhochschulen deutlich heruntergefahren. Zusammenlegungen und Schließungen von Fachhochschulen wurden diskutiert und mancherorts bereits exekutiert.
Nun sind neben diesen Veränderungen auf Seiten der kirchlichen Träger auch Transformationen der Sozialen Arbeit (Ab-/Umbau des Sozialstaats) und des Gesundheitswesens (Gesundheitsreformen) in unserer Gesellschaft hinzugekommen, die zusammen mit dem unter dem Stichwort „Bologna-Prozess“ bekannten Umbau des Hochschulwesens und der Umstellung auf ein zweiphasiges System von modularisierten Bachelor- und Masterstudiengängen die kirchlichen Fachhochschulen und die Theologie bzw. Ethik im Blick auf die Studiengänge des Sozial- und Gesundheitswesens vor eine neue Situation stellen. Das ist Anlass genug, sich mit diesen Themen auseinander zu setzen.
HerausgeberInnen
Die Aufsatzsammlung wird von der „Rektorenkonferenz Kirchlicher Fachhochschulen“ (kurz: RKF) herausgegeben, in der sich die Rektoren/innen und Präsidenten/innen der zehn evangelischen und sieben katholischen Fachhochschulen verbunden haben (vgl. www.r-k-f.de (Abruf: 07.01.2009), wo noch elf Evangelische Fachhochschulen genannt werden, von denen jedoch die in Ludwigshafen bereits zum 29.02.2008 geschlossen und in einen neuen Fachbereich der staatlichen Fachhochschule Ludwigshafen transferiert wurde). Federführend waren für diesen Band offenbar die Vorsitzende der Rektorenkonferenz Evangelischer Fachhochschulen (kurz: REF), Prof. Dr. med. Alexa Köhler-Offierski, und der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Rektoren und Präsidenten der Katholischen Fachhochschulen (ARKF), Prof. Dr. rer. soc. Christoph Steinebach.
Entstehungshintergrund
Der Band entstand aus der gleichnamigen Fachtagung „Entdeckungen und Aufbrüche - Theologie und Ethik in Studium und Praxis der Sozialen Arbeit“ heraus, die am 24. Mai 2007 in der Katholischen Akademie Berlin stattfand.
Aufbau und Inhalt
Neben der knappen vorwortartigen Einführung zum Band von Köhler-Offierski und Steinebach (S. 7f.) sind acht Aufsätze recht unterschiedlicher Perspektive und Provenienz in dem knapp einhundertseitigen Werk enthalten. So äußern sich neben je zwei Professoren und Professorinnen kirchlicher Fachhochschulen, von denen einer zugleich Hochschulpräsident ist, die beiden - zum Zeitpunkt der Tagung - obersten Repräsentanten der Kirchen, die Bischöfe Huber und Lehmann, sowie der kirchlichen Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie, Neher und Kottnik.
- In seinem Beitrag „Überleben durch Bildung oder: Stichworte zu einer angewandten Theologie“ (S. 9-14) beschäftigt sich der Präsident der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit, Prof. Dr. theol. Ralf Evers, einerseits mit dem Proprium und der Bedeutung kirchlicher Fachhochschulen und andererseits mit der Funktion von Theologie im Kontext der anderen, sich auf die Soziale Arbeit beziehenden Wissenschaften.
- Stephanie Bohlen von der Katholischen Fachhochschule Freiburg stellt zentrale „Eckpunkte zur Verortung von Theologie“ (S. 15-24) des Positionspapiers der Arbeitsgemeinschaft Katholischer Fachhochschulen von 2005 dar und postuliert - unterstützt von der These Jürgen Habermas, dass Staat und Gesellschaft auf ethische und religiöse Traditionen zum Solidaritätserhalt angewiesen sind - „die Unverzichtbarkeit der Theologie“ (S. 20).
- Der längste Beitrag des Bandes entstammt der Feder von Dr. theol. Rainer Krockauer, Professor an der Katholischen Fachhochschule Nordrhein-Westfalen (Aachen). Unter dem Titel „Ausgangspunkte einer Angewandten Theologie“ (S. 37-58) beschäftigt er sich mit der „Profilierungssuche einer Fachhochschultheologie“ (S. 41), die er in ihrem Anwendungsbezug findet. Durch Kontextualisierung, Elementarisierung, Diakonisierung und Plausibilisierung könne sich Theologie in den Studiengängen der Sozialen Arbeit und Pflege an kirchlichen Fachhochschulen profilieren. Die Selbstbehauptung der Theologie als eigene wissenschaftliche Disziplin müsse durch eine „implizite Theologie“, die sich quasi in den Dialog säkularer Wissenschaften hinein entäußere, ergänzt, u.U. ersetzt werden.
- Als vierter Beitrag aus den Fachhochschulen selbst ist der Aufsatz von Dr. theol. Renate Zitt, Professorin an der Evangelischen Fachhochschule Darmstadt aufgenommen, der - wie schon der Titel „Angewandte Theologie und Praxis von Lehre und Forschung im Studium der Sozialen Arbeit“ (S. 59-76) wiederspiegelt - unmittelbar an die Vorgaben Krockauers anschließt. Die Weiterführung Zitts liegt in ihren didaktischen Vorschlägen zur Umsetzung einer angewandten Theologie der Sozialen Arbeit. Besonders interessant und Anlass für weitere methodisch-didaktische Anregungen ist die Auswertung der Befragung Studierender der Sozialen Arbeit zum Thema Theologie, die die Autorin in einer Lehrveranstaltung im Jahre 2004 durchführte. Kirchliche Fachhochschulen unterliegen sehr unterschiedlichen Trägerstrukturen. Neben den Kirchen gehören z.T. auch ihre Wohlfahrtsverbände zu den Hochschulträgern. Zugleich sind Caritas und Diakonie sozusagen die im ideellen Sinne - wenn auch gewiss nicht einzigen, so doch - ersten „Abnehmer“ der Studierenden und mancher „Bildungsdienstleistungen“ von kirchlichen Fachhochschulen.
Die Interessen der kirchlichen Wohlfahrtsverbände an den Fachhochschulen und der in ihnen gelehrten Theologie formulieren Diakoniepräsident Klaus-Dieter Kottnik und Caritaspräsident Peter Neher in ihren Beiträgen. Dass ihre Perspektive in erster Linie die von „Erwartungen“ der kirchlichen Wohlfahrt an die kirchlichen Fachhochschulen ist, wird bereits in den beiden Aufsatzüberschriften deutlich.
- Kottnik gibt seinen „Erwartungen an die Fachhochschulen aus der Sicht der Diakonie“ (S. 25-29) insofern Ausdruck, als er den Fachhochschulen sieben Forderungen in die Agenda schreibt: Praxis- und Kirchennähe, Angebote von Spiritualität für Studierende, diakonie-/caritaswissenschaftliche Profilierung in Kooperation mit den theologischen Fakultäten, ökumenische Projekte, Vernetzung der kirchlichen Fachhochschulen untereinander, Durchlässigkeit zwischen Fachschulen und Fachhochschulen, praxisorientierte Forschung und eine neu zu schaffende Forschungsplattform.
- Etwas anders stellen sich die Ideen Nehers unter dem Titel „Caritas und Diakonie: Hoffnungen, Bedarfe, Erwartungen“ (S. 31-36) dar. Er sieht für die Soziale Arbeit im kirchlichen Kontext den „Bedarf einer theologischen Inspiration und Reflexion“. Kirchliche Soziale Arbeit sei „ohne ihre theologischen und ethischen Grundlagen nicht denkbar“ und sie habe „eine zutiefst ekklesiologische Dimension“. Nach den Vorstellungen Nehers hat der Deutsche Caritasverband die klare Erwartung, dass Theologie und Ethik in Aus-, Fort- und Weiterbildung der Sozialen Arbeit obligatorischer Bestandteil ist. An kirchlichen Fachhochschulen müssten Grundlagen christlicher Sozialethik und Theologie vermittelt werden, eine Führungs- und Organisationsethik für Einrichtungen der Caritas sei mit zu entwickeln und neu entstehende soziale Fragen seien theologisch-ethisch zu reflektieren. Dazu sei bei den Erfahrungen der Studierenden und der „Leidenden“ anzusetzten.
Mehr in Grundsatzfragen von Theologie und Ekklesiologie tendieren die Beiträge der Bischöfe Huber und Lehmann, jedoch formulieren auch sie recht klare Erwartungen aus der Perspektive kirchlicher Trägerschaft an die evangelischen und katholischen Fachhochschulen.
- „Die Funktion von Theologie und Ethik für Soziale Arbeit“ interessiert den Ratsvorsitzenden der EKD, Prof. Dr. theol. Wolfgang Huber (S. 77-84). Insofern Soziale Arbeit in der Kirche Anteil am kirchlichen Zeugnisauftrag habe, sei sie auf theologische Klärung angewiesen. Darüber hinaus seien Theologie und Ethik für die Soziale Arbeit egal welcher Prägung und Trägerschaft unentbehrliche Reflexionsmittel. Angesichts einer „Wiederentdeckung der Religion“ und eines „religiösen Pluralismus“ gehöre die „religionshermeneutische Kompetenz“ zu den professionellen Grundanforderungen der Sozialen Arbeit. Soziale Arbeit lasse sich in einer bestimmten Hinsicht als „Ausweitung der christlichen Seelsorge“ verstehen. Im Begriff des „Mitleidens“ sieht Huber ein spezifisch christliche Motivation sozialer Dienste, zugleich verweist er auf die kulturelle Wirkungsgeschichte etwa des Samaritergleichnisses in unserer Gesellschaft.
- Prof. Dr. theol. Karl Lehmanns Aufsatz ist überschrieben „Zur Theologie kirchlicher Sozialarbeit - Anforderungen an das Ausbildungsprofil kirchlicher Fachhochschulen“ (S. 85-94). Lehmann deutet die großen Umbrüche im Hochschulwesen, im Sozialwesen und in den Kirchen an, vor die sich die kirchlichen Fachhochschulen gestellt sehen. Er will sie als dezidiert kirchliche Einrichtungen verstehen, deren christliche Zielsetzung von allen Hochschulmitgliedern „mitgetragen und gemeinsam verwirklicht werden“ sollen. Genau hierin sieht er ihr „Alleinstellungsmerkmal“ im Wettbewerb des Bildungsbereiches. Von der Enzyklika „Deus caritas est“ über Äußerungen Karl Rahners bis zu den theologischen Arbeiten aus den Fachhochschulen heraus nimmt Lehmann Anleihen, um die Relevanz von Theologie und die Bildung einer „sozialpastoralen“ oder „seelsorgend-diakonischen Grundkompetenz“ für diejenigen, die zu Sozialarbeitern ausgebildet werden, zu belegen. Schließlich versichert er die „hohe Wertschätzung der Bischöfe gegenüber den Fachhochschulen in kirchlicher Trägerschaft“, auch angesichts der Sparzwänge in der Kirche.
Am Ende steht ein Verzeichnis mit knappen Hinweisen zu den beteiligten der Autoren/innen.
Diskussion
Dieser kleine Band leistet einen wesentlichen und notwendigen Beitrag zur Erhellung der Bedeutung kirchlicher Fachhochschulen und einer spezifischen „Fachhochschultheologie“ in Deutschland. Angesichts der Umbrüche im Sozial- und Gesundheitswesen und im Hochschulbereich sowie der Säkularisierung und eines christlichen Traditionsabbruchs stehen die kirchlichen Fachhochschulen seit kurzem vor einer wesentlich veränderten Situation und sind genötigt, sich im deutschen und neuerdings auch internationalen Bildungs- und Forschungsbereich neu auszurichten. Diese Neupositionierung muss aus der Mitte der Fachhochschulen erarbeitet werden, kann aber nur gelingen, wenn die zuständigen Träger - Kirchen, Caritas und Diakonie - sich ihrerseits erneut Klarheit über ihre Ziele mit diesen, ihren tertiären Bildungseinrichtungen verschaffen. Insofern beschreitet das Konzept des Bandes einen korrekten Weg, der im Vorfeld der Gründungen der kirchlichen Fachhochschulen in den späten 1960er Jahren begann und in Zukunft weiter zu beschreiten sein wird. Die fruchtbare Tagungskooperation und fachliche Vernetzung von evangelischer und katholischer Theologie an kirchlichen Fachhochschulen weist das Buch als hoffnungsvollen Schritt in eine ökumenische Zukunft aus.
Fazit
Das Bändchen wird insbesondere theologische Fachleute aus dem Bereich der Trägerschaft, Leitung und Mitarbeit kirchlicher Fachhochschulen interessieren. Es bietet jedoch über diese Zielgruppe auch einem weiteren Kreis von Menschen, die sich mit dem kirchlichen Bildungswesen, der Theologie im gesellschaftlichen Wandel oder den einzelnen Fachlichkeiten, die an kirchlichen Fachhochschulen für die Felder des Gesundheits- und Sozialwesens gelehrt werden, beschäftigen, eine anregende Lektüre.
Rezension von
Prof. Dr. Arnd Götzelmann
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