Werner Faulstich: Grundkurs Fernsehanalyse
Rezensiert von Prof. Dr. Lothar Mikos, 28.04.2010
Werner Faulstich: Grundkurs Fernsehanalyse.
Wilhelm Fink Verlag
(München) 2008.
237 Seiten.
ISBN 978-3-7705-4683-1.
D: 18,90 EUR,
A: 16,40 EUR,
CH: 29,00 sFr.
Reihe: UTB - 3153. utb.de Bachelor-Bibliothek.
Thema
Die Filmanalyse ist ein etablierter Zweig der Medienwissenschaft, der seit den 1970er Jahren verschiedene Richtungen, von der semiotischen Analyse über die tiefenhermeneutische Rekonstruktion bis hin zur systematischen Filmanalyse hervorgebracht hat. Das Fernsehen geriet dabei zunächst gar nicht in den Blick. Das änderte sich erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts, als Einführungsbücher in die Film- und Fernsehanalyse erschienen. Beide Medien analytisch ähnlich zu behandeln, beruhte auf der Gemeinsamkeit aus bewegten Bildern zu bestehen. Die unterschiedliche institutionelle Verfasstheit von Film und Fernsehen, die unterschiedlichen Inhalte und ästhetischen Formen gerieten dabei ebenso nur am Rand in den Blick wie ihre unterschiedlichen Nutzungen. Der Lüneburger Medienwissenschaftler Werner Faulstich hat nun den Versuch unternommen, diese Lücke mit einem „Grundkurs Fernsehanalyse“ zu schließen.
Aufbau und Inhalt
Zu Beginn seiner Ausführungen klärt der Autor zunächst einmal, was er unter Fernsehen und demzufolge unter Fernsehanalyse versteht. „Im Folgenden meint Fernsehen vor allem das Fernsehprogramm: ‚Fernsehanalyse‘ wird demnach eingeschränkt als Produktanalyse verstanden“ (S. 11). Daneben unterscheidet Faulstich drei weitere Formen der Fernsehanalyse als Medienanalyse: die Produktionsanalyse, die Distributionsanalyse und die Rezeptionsanalyse, die er knapp vorstellt. Doch diese Formen spielen für das vorliegende Buch keine weitere Rolle. Damit bleibt der Autor dabei stehen, vor allem die Bewegtbilder des Fernsehens ähnlich dem Film zu analysieren. Dabei stellt er jedoch selbst fest, dass die reine Produktanalyse nicht ausreichend sei, denn es müssten auch „übergreifende Momente berücksichtigt werden, insbesondere Fernsehtheorien und Fernsehgeschichte sowie Unterhaltungscharakter und Serialität des Fernsehens“ (ebd.). Allerdings berücksichtigt er vor allem Genres und sogenannte Subgenres des Fernsehens, an denen entlang er seine Kategorien für die Analyse entwickelt.
Im Wesentlichen nennt er drei große Gruppen von Genres: „Unterhaltungssendungen, Informationssendungen und Fiktionale Sendungen“ (S. 34). Als vierte Gruppe führt er dann noch eine „Verlegenheitskategorie“ (S. 35) ein, die er sonstige Genres und Formate nennt. Dazu zählen dann neben Kindersendungen und Werbesendungen vor allem sogenannte Hybridsendungen, die er schlicht als „Mischformen“ (ebd.) bezeichnet.
An diesen Kategorisierungen zeigt sich bereits ein Grundproblem des Buches. Der Autor versucht sich an Systematisierungen, die auf verschiedenen Ebenen angelegt sind, und kommt zu recht ungenauen Kategorien. Fiktionale Sendungen als Genre zu bezeichnen, fällt weit hinter den aktuellen Erkenntnisstand der Medienwissenschaft zurück, wo diese Gruppe von Sendungen als Gattung gilt. Ein Genre in dieser Gattung wäre dann z.B. die Familienserie oder der Fernsehkrimi.
Für die Analyse „dieser 17 Fernsehgenres“ (S. 36) greift Faulstich neben den klassischen Standards der Filmanalyse auf verschiedene Analysekategorien zurück, die sich für ihn als hilfreich erwiesen haben – „allerdings nicht gleichbleibend für alle Gattungen“ (ebd.). Es sind dies Fragen nach den verschiedenen Typen und Subgenres, nach den Themen und Objekten, nach den Figuren, die die Handlung prägen, nach den charakteristischen Bauformen und Stilmerkmalen der jeweiligen Genres und schließlich die Frage nach den Normen und Werten, die dominieren, also nach dem ideologischen Gehalt. Dies dekliniert er dann in vier Kapiteln, die nach den vier großen Gruppen von Genres betitelt sind, durch.
- Im Kapitel „Unterhaltungssendungen“ geht es dann um Quizsendungen und Gameshows, um Talkshows, Bekenntnisshows und Late Night Shows, um Comedy Shows, um Musiksendungen und um Sportsendungen;
- im Kapitel „Informationssendungen“ um Nachrichtensendungen, Magazinsendungen, um Dokumentar-, Wissenschafts-, Ratgebersendungen, um Bildungsfernsehen und Schulfernsehen;
- im Kapitel „Fiktionale Sendungen“ geht es um Serien, um Fernsehspiele und Literaturadaptionen, um Theatersendungen und um Kinospielfilme;
- im Kapitel „Sonstige Formate“ schließlich um Hybridsendungen (Doku-Soap, Real-Life-TV, Living-History-TV), um Werbesendungen, um Kindersendungen und um religiöse Sendungen.
In einem weiteren Kapitel konzipiert Faulstich Fernsehanalyse als Programmanalyse. Dabei geht es vor allem um die Strukturierung des Fernsehprogramms sowohl einzelner Sender als auch mehrerer Sender im Vergleich. Den Abschluss des Buches bilden vier knappe „Skizzen exemplarischer Sendungsanalysen“ (S. 169), je eine zu den vier großen Genregruppen:
- „Schlag den Raab“ als Exemplar der Unterhaltungssendungen,
- die frühen Abendnachrichten von ProSieben, Sat.1, ARD und ZDF in der Gruppe Informationssendungen,
- drei Folgen der Serie „Dr. House“ als fiktionale Sendung sowie
- die Sendung „Der Schwarze Tod“, die auf dem Kulturkanal Arte an einem Themenabend zur Pest im Mittelalter ausgestrahlt wurde, für die sonstigen Formate. Faulstich ordnet diese Sendung in das Subgenre „Living-History-TV“ ein, obwohl sie damit nichts zu tun hat. Es handelt sich um eine Dokumentation, die sich u.a. nachgespielter Szenen bedient. Unter“Living-History-TV“ werden in der internationalen Medienwissenschaft Sendungen verstanden, in denen „normale Menschen“ in ein historisches Setting gesetzt werden, in dem sie dann von Kameras beobachtet eine Weile leben. „Das Schwarzwaldhaus 1902“ in der ARD oder „Die harte Schule der 1950er Jahre“ im ZDF können hierfür als Beispiel gelten. Im ersten Fall lebte eine Familie in einem alten Schwarzwaldhaus unter den Bedingungen, die um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert existiert hatten, im anderen Fall Schüler und Lehrer unter den Schulbedingungen der 1950er Jahre.
Fazit
Das Buch ist zwar als Grundkurs angelegt, ist dazu aber leider nicht zu benutzen. Es verspricht analytische Kategorien, hält dann aber den aus der Filmanalyse bekannten analytischen Standards lediglich beschreibende Kategorien bereit, die zudem teilweise sehr unscharf sind. Das Buch wimmelt von Ungenauigkeiten und Ungereimtheiten, von denen einige oben genannt wurden. Genres und Subgenres werden teilweise falsch beschrieben, Gattungen und Genres nicht differenziert, sondern verwechselt. Ganz zu schweigen davon, dass zitierte Autoren falsch geschrieben und genannte Fernsehsendungen falsch betitelt werden. Es enthält quasi nur eine vorgetäuschte Systematik an der Oberfläche, die sich in den fünf – vermeintlichen – Analysekategorien niederschlägt, die zur Gliederung der einzelnen Kapitel dienen. Darunter verbirgt sich eine Orientierungslosigkeit, die hätte vermieden werden können, wenn sich der Autor mehr am aktuellen Erkenntnisstand der Medienwissenschaft orientiert hätte. Das Buch entspricht leider nicht wissenschaftlichen Standards. Von Kauf und Lektüre muss daher dringend abgeraten werden.
Rezension von
Prof. Dr. Lothar Mikos
Professor für Fernsehwissenschaft
Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolf", AV-Medienwissenschaft
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Zitiervorschlag
Lothar Mikos. Rezension vom 28.04.2010 zu:
Werner Faulstich: Grundkurs Fernsehanalyse. Wilhelm Fink Verlag
(München) 2008.
ISBN 978-3-7705-4683-1.
Reihe: UTB - 3153. utb.de Bachelor-Bibliothek.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/7148.php, Datum des Zugriffs 10.09.2024.
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