Suche nach Titel, AutorIn, RezensentIn, Verlag, ISBN/EAN, Schlagwort
socialnet Logo

Jack Novick, Kerry K. Novick: Ein guter Abschied

Rezensiert von Prof. Dr. Margret Dörr, 27.02.2010

Cover Jack Novick, Kerry K. Novick: Ein guter Abschied ISBN 978-3-86099-871-7

Jack Novick, Kerry K. Novick: Ein guter Abschied. Die Beendigung von Psychoanalysen und Psychotherapien. Brandes & Apsel (Frankfurt) 2008. 236 Seiten. ISBN 978-3-86099-871-7. 29,90 EUR. CH: 49,90 sFr.
Originaltitel: Good goodbyes.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.

Kaufen beim socialnet Buchversand
Kaufen beim Verlag

Thema

Die Beendigung von Psychoanalysen und Psychotherapien ist ein Gegenstand, der noch immer nur „stiefmütterlich“ bearbeitet wird. Dabei zeigt die psychologische Praxis, wie wichtig es wäre, wenn sich Professionelle intensiver auf dieses Thema einlassen und darüber nachdenken würden, wie sie verhindern können, dass eine zuvor gute Therapie durch einen misslungenen Abschiedsprozess sabotiert wird. Ein genügendes Wissen über und ein kunstvoller Umgang mit Abschied kann zudem erheblich dazu beitragen, dass auftauchende Hindernisse bereits während der Behandlung leichter überwunden und darüber vorschnelle Abbrüche in psychotherapeutischen und medizinischen Behandlungen vermieden werden.

AutorInnen

Kerry Kelly Novick absolvierte ihre psychoanalytische Ausbildung am Anna Freud Centre in London und arbeitete danach u. a. als Lehranalytikerin bei der New York Freudian Society, Professorin im Bereich Psychiatrie an der University of Michigan und an den Wayne State University Medical Schools.

Jack Novick promovierte an der New York University in Psychologie und absolvierte seine Ausbildung zum Erwachsenen-Psychoanalytiker in der British Psycho-Analytical Society. Am Anna Freud Centre war er als Supervisor tätig. Kontrollanalytiker für Kinder- und Jugendlichenpsycho-analyse am Michigan Psychoanalytic Institute sowie Lehr- und Kontrollanalytiker der New York Freudian Society. An der University of Michigan und den Wayne State University Medical Schools lehrt er Psychiatrie.

Die Übersetzerin Elisabeth Vorspohl lebt und arbeitet in Frankfurt a. M., Übersetzerin zahlreicher psychoanalytischer Bücher.

Aufbau

Das vorliegende Buch ist durch 8 Kapitel strukturiert und spiegelt damit die Prämisse von Novick/Novick wider, dass die Art und Weise der Beendigung von Behandlungen ein relevantes und wirkmächtiges ‚Datum‘ in allen Behandlungsphasen einer Psychoanalyse und/oder Psychotherapie ist. Die Überschriften der einzelnen Unterkapitel repräsentieren jene Fragen, die den AutorInnen von Studierenden, PatientInnen und KollegInnen zum Thema „Abschied“ gestellt wurden.

Inhalt

  1. Die Übersicht informiert über die seit den Anfängen der Psychoanalyse unzureichende Beachtung der Thematik in der psychoanalytischen Behandlungstheorie, gibt erste wesentliche Überlegungen über die Wichtigkeit einer gelungenen Beendigung von Behandlungen und umschreibt dabei auch das allgemeine Behandlungsziel als Wiederherstellung der Fähigkeit, sich zwischen dem Funktionieren und der Selbstregulation des offenen bzw. geschlossenen Systems zu entscheiden, eine Zielformulierung, die zwar nur ansatzweise skizziert wird, dessen Sachgehalt aber im weiteren Lektüreverlauf – auch durch zahlreicher Fallvignetten – anschaulich wird.
  2. Im Kapitel Evaluation wird anschaulich dargelegt, wie wichtig es in dieser ersten Phase des Kennenlernens ist, aufmerksam darauf zu achten, ob der Patient in den Sitzungen Beispiele für ein freudvolles, kreatives Funktionieren und für differenzierte Beziehungen schildert. Die AutorInnen empfehlen die Evaluation so lange fortzusetzen, bis sich Hinweise auf diese Gefühle zu erkennen geben. Zudem erläutern sie die Bedeutung einer klaren unmissverständlichen geschäftlichen Arbeitsgrundlage, die häufig in den Dienst von Abwehrbedürfnissen oder aggressiven Wünsche gestellt werden und somit oft verantwortlich für eine vorzeitige Beendigung der Behandlung ist.
  3. In der Anfangsphase konzentrieren sich Novick/Novick – mit Blick auf die Beendigung – auf die Bedingungen, die der Patient für das Zusammensein mit dem Therapeuten setzt und welche ‚Aktionen‘ er unternimmt, um sich sicher zu fühlen und um Trennungen unter Kontrolle zu bringen. Unterschiedliche Trennungsmuster werden dargestellt, ihre jeweiligen Auswirkungen demonstriert und Möglichkeiten zum Umgang damit aufgezeigt. Anregend sind die Bezugnahmen auf ihre Erfahrungen mit Psychotherapien von Kindern und Jugendlichen und der begleitenden Elternarbeit.
  4. In der langen mittleren Phase einer Psychoanalyse/Psychotherapie fokussieren die AutorInnen auf die Psyche des Patienten mit dem besonderen Interesse daran, wie diese auf die innere und äußere Realität reagieren, sie verarbeiten, wie sie Konflikte lösen und das Selbstgefühl aufrechterhalten. Im Hinblick auf die Beendigung ist es ihnen wichtig, inwieweit bei Konfliktlösungen auf das geschlossene System verzichtet und das offene System aktiviert werden kann. Die anschaulichen Beispiele drohender vorzeitiger Beendigungen demonstrieren ihre von Empathie getragene Fähigkeit in der Unterstützung der PatientInnen. Damit helfen sie den PatientInnen, die mit dem offenen System kompetenter Selbstregulierung assoziierten Emotionen als Alternativen kennen zu lernen.
  5. Das relativ neue Konzept der Vorbereitung auf die Beendigungsphase wird in seiner Besonderheit besonders detailliert dargestellt. Dabei kommen sowohl die mannigfaltigen Aufgaben in den Blick, die Patient und Therapeut zu bewältigen haben als auch verschiedene Dimensionen, die (fördernden und hemmenden) Einfluss auf diesen Prozess haben. Die AutorInnen stellen diverse Gefahrensignale sowie Behandlungstechniken vor, die der Behandlung in dieser Phase förderlich sind. Auch dieses Kapitel profitiert von den Bezugnahmen auf die Erfahrungen in der Therapie mit Kindern und Jugendlichen, die die AutorInnen sachhaltig auf die Lebensphase Erwachsene (z.B. Arbeit an den Omnipotenzwünschen) transformieren.
  6. Die Beendigungsphase wird durch die Vereinbarung eines konkreten Termins für die letzte Sitzung eingeleitet. Dieser Abschnitt erläutert anschaulich, wie anregend und fruchtbar diese Arbeitsphase wird, wenn sich beim Patienten die progressiven Strebungen stabilisiert haben und an Stärke gewinnen, obgleich durch die Realität des Abschlussdatums die Konflikte sich intensivieren und wiederbelebt werden. Enttäuschung, Desillusionierung und Traurigkeit entwickeln in dieser Phase eine besondere Intensität, wobei eine gelungene Bearbeitung der Abwehr gegen diese Gefühle sowie das Durcharbeiten die Patienten in ihren Fähigkeiten stärkt, sowohl um den Verlust der therapeutischen Beziehung zu trauern als auch die stützenden Aspekte der therapeutischen Beziehung zu internalisieren, um sie zur Selbstanalyse und für ein kreatives Leben zu benutzen.
  7. Auch wenn die postanalytische oder posttherapeutische Phase streng genommen keine Behandlungsphase darstellt, so ist das Nachdenken der AutorInnen über jene Probleme und Sachverhalte, die nach der Beendigung auftreten können, ausgesprochen instruktiv. Dabei werden sowohl Themen der Veränderungen als auch über Kontaktmöglichkeiten nach der Beendigung der Therapie angesprochen.
  8. Das kurze achte Kapitel enthält abschließende Gedanken.

Diskussion

Novick/Novick geben eine umfassende und anregende Information über Probleme, die eine verfrühte Beendigung von Psychoanalysen und Psychotherapien herbeiführen können und erörtern anschaulich konstruktive Techniken im Umgang mit den jeweiligen Herausforderungen. Dabei wird jede einzelne Behandlungsphase auf folgende Fragen hin untersucht. Welche Themen oder Schwierigkeit signalisieren die Gefahr einer verfrühten Beendigung oder einer über Gebühr in die Länge gezogenen Behandlung? Welche Beobachtungen und Erinnerungen sind für die Einleitung, die Durchführung und den Abschluss der Beendigung relevant? Welche Fortschritte, die in den jeweiligen Behandlungsphasen erzielt wurden, können in der Vorbereitung auf die Beendigung und in der Beendigungsphase internalisiert werden, damit der Patient in seinem Leben nach der Therapie von ihnen profitieren kann? Die von Novick/Novick verwendete Unterscheidung zwischen einem geschlossenen, destruktiven und einem offenen, kreativen und kompetenten System, woran sie förderliche Entwicklungen erkennen, wird zwar nur andeutungsweise theoretisch erläutert, gleichwohl zeigen die Beispiele eindrücklich das zentrale Ziel jeglicher Behandlung: die (Wieder)Gewinnung von Entscheidungsfähigkeit der Patienten.

Fazit

Die AutorInnen nehmen sich in diesem Band „Ein guter Abschied“ kenntnisreich und kreativ einer Thematik an, die im Diskurs der Psychoanalyse/Psychotherapie über Behandlungstechniken – aber auch in außerklinischen psychosozialen Arbeitsfeldern – leider noch immer sehr unterbelichtet ist. Anhand klinischer Beispiele für eine Vielfalt psychischer Erkrankungen machen sie auf typische Fallstricke einer frühzeitigen Beendigung der Behandlung aufmerksam und zeigen anschaulich, wie Patienten die emotionale Kompetenz erwerben, die notwendig ist, um die Schwierigkeiten des Lebens zu bewältigen, frühe Verluste zu verarbeiten und neue, freudig oder traurig stimmende Erfahrungen in die Persönlichkeit zu integrieren. Es wird gezeigt, dass und wie ein guter Abschluss einer Therapie als Gelegenheit dienen kann, dieses Lebensthema auf eine Weiterentwicklung und Veränderung ermöglichende Weise in Angriff zu nehmen. Dieses Buch stellt keineswegs nur für den engen klinischen Bereich überzeugende Hilfestellungen bereit, sondern auch Professionelle der Sozialen Arbeit, deren Tätigkeit sich als Beziehungsarbeit beschreiben lässt, können von vielen Überlegungen, Beispielen und Fingerzeigen enorm profitieren.

Rezension von
Prof. Dr. Margret Dörr
Professorin (i. R.) für Theorien Sozialer Arbeit, Gesundheitsförderung an der Katholischen Hochschule in Mainz, Fachbereich Soziale Arbeit und Sozialwissenschaften. Arbeitsschwerpunkte: Affektabstimmungsprozesse in der Sozialpsychiatrie (BMBF-Projekt)‚ Psychoanalytische (Sozial)Pädagogik, Gesundheitsförderung.
Mailformular

Es gibt 27 Rezensionen von Margret Dörr.

Besprochenes Werk kaufen
Sie fördern den Rezensionsdienst, wenn Sie diesen Titel – in Deutschland versandkostenfrei – über den socialnet Buchversand bestellen.


Zitiervorschlag
Margret Dörr. Rezension vom 27.02.2010 zu: Jack Novick, Kerry K. Novick: Ein guter Abschied. Die Beendigung von Psychoanalysen und Psychotherapien. Brandes & Apsel (Frankfurt) 2008. ISBN 978-3-86099-871-7. Originaltitel: Good goodbyes. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/7216.php, Datum des Zugriffs 13.12.2024.


Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.


socialnet Rezensionen durch Spenden unterstützen
Sie finden diese und andere Rezensionen für Ihre Arbeit hilfreich? Dann helfen Sie uns bitte mit einer Spende, die socialnet Rezensionen weiter auszubauen: Spenden Sie steuerlich absetzbar an unseren Partner Förderverein Fachinformation Sozialwesen e.V. mit dem Stichwort Rezensionen!

Zur Rezensionsübersicht