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Gerda Ottinger: Soziale Ungleichheiten in der Informationsgesellschaft

Rezensiert von Dr. Stefan Anderssohn, 04.05.2009

Cover Gerda Ottinger: Soziale Ungleichheiten in der Informationsgesellschaft ISBN 978-3-86553-256-5

Gerda Ottinger: Soziale Ungleichheiten in der Informationsgesellschaft. Das Phänomen der "digitalen Kluft" und die Bedeutung für die Sozialarbeit. WiKu-Verlag - Wissenschaftsverlag & Kulturedition (Köln) 2008. 101 Seiten. ISBN 978-3-86553-256-5. 26,35 EUR.

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Thema

"Mehr Informationen unter www …" – dieser Satz aus Tageszeitung, Werbeflyer, Rundfunk- oder Fernsehsendung zeigt: Mittlerweile wird das Internet als ein übergeordnetes Medium zur Information und Kommunikation eingesetzt. Und dies mit deutlich steigender Tendenz: Nicht nur, was die Nutzerzahlen und Hochgeschwindigkeitszugänge anbelangt, auch Formulierungen wie "E-Government" lassen ahnen, dass diese Entwicklung unser Leben tief greifend beeinflussen wird. Was bedeutet das aber für die Menschen, die nicht stets online sein können, sondern aufgrund ihrer finanziellen, sozialen oder gesundheitlichen Verhältnisse gar keinen nur eingeschränkten Zugriff auf das World Wide Web besitzen?

Mit ihrer Arbeit möchte Gerda Ottinger den Sachverhalt thematisieren, dass „innerhalb der Informationsgesellschaft differierende Zugänge zum Internet zu ungleicher Wissensverteilung und dadurch zu Chancenungleichheit führen“ (Seite 2). Darüber hinaus möchte die Autorin die Bedeutung für die Sozialarbeit aufzeigen, wozu sie unter anderem auch auf eine empirische Untersuchung, genauer gesagt: auf qualitative Interviews mit Sozialarbeiter/innen, zurückgreift.

Autorin

Die Wiener Sozialarbeiterin Gerda Ottinger ist in der Krankenhaussozialarbeit und im medizinischen Entlassungsmanagement tätig. Das besondere Interesse der Autorin gilt dem Phänomen der "digitalen Ungleichheiten" im Kontext ihres Berufsfeldes.

Entstehungshintergrund

Mit Sicherheit liegt dem Text die Diplomarbeit der Autorin zugrunde. Ob es sich um die Originalarbeit handelt oder eine veränderte Fassung davon, lässt sich dem Text und den Begleitinformationen nicht entnehmen.

Aufbau und Inhalt

Im Vorwort, das der Erstgutachter der Arbeit, Karlheinz Benke, verfasste, wird der thematische Rahmen für die folgende Arbeit aufgespannt: Benke ist der Ansicht, dass das Eintreten für den freien Zugang zu Informationen via Internet zukünftig ein wichtiger Bereich sein wird, an dem sich eine moderne Sozialarbeit messen lassen müsse.

Die Autorin entfaltet das Thema dann in neun Kapiteln auf knapp 90 Seiten.

  1. In der Einleitung definiert Ottinger das Internet zunächst als virtuellen Lebensraum und stellt damit die Bedeutung für die gesellschaftlichen Zusammenhänge heraus.
  2. Im zweiten Kapitel geht es dann um „Herrschende Gesellschaftsbegriffe“, wobei allerdings nur die Begriffe "Postmoderne" und "Informationsgesellschaft" knapp skizziert werden.
  3. Das dritte Kapitel befasst sich dann mit dem eigentlichen Rohstoff der vernetzten Gesellschaft: „Wissen und Informationen“. Dabei unterscheidet Ottinger zwischen Wissen und Informationen und beschreibt die These von der Wissenskluft: Dieser These zufolge führe in massenmedial geprägten Gesellschaften die Aneignung von Informationen zu einer zunehmend stärkeren Differenzierung zwischen Menschen mit hoher und Menschen mit niedrigerer Bildung.
  4. Ganz ähnlich steht es um die „Digitale Kluft“, welche Ottinger im vierten Kapitel zunächst definiert, um sie auf globaler, d.h. nationaler Ebene knapp anhand von Zahlen zu illustrieren. Allerdings favorisiert die Autorin eher den Begriff "digitale Ungleichheit" bzw. die Mehrzahl: "Ungleichheiten", um die Dynamik des Phänomens herauszustellen. Mit dem Kausalmodell van Dijks bietet die Autorin einen griffigen Ansatz, die Entstehung digitaler Ungleichheiten zu interpretieren. Beschrieben wird der unterschiedliche Zugang zum Internet und dessen Nutzung. Dazu stellt Ottinger verschiedene "Faktorenbausteine", von individuumsbezogenen Eigenschaften, über (materielle, zeitliche usw.) Ressourcen bis hin zu Zugangsbedingungen, gesellschaftlicher Partizipation und positionellen Kategorien systematisch dar. Die Autorin veranschaulicht das Modell zusätzlich, indem sie die einzelnen Faktorendimensionen auf Fallbeispiele anwendet.
  5. Im kurzen Kapitel fünf, "Soziale Ungleichheiten, sozialer Ausschluss und die digitale Kluft", wird dann noch einmal dezidiert festgestellt, die digitale Kluft sei als "eine Form sozialer Ungleichheiten als unterschiedliche 'Verfügung über gesellschaftlich relevante Ressourcen'" (Seite 46) aufzufassen, mit der sich auch die Sozialarbeit zu beschäftigen habe. Im späteren Verlauf der Arbeit (Kapitel 7 und 8) seien Strategien dafür darzustellen.
  6. "Warum Teilhabe am Internet?" fragt Kapitel 6, um zunächst die Potenziale darzustellen, die sich durch die Nutzung des Mediums ergeben – auch in Regionen der Welt, wo die Versorgung mit Informationstechnologie auf den ersten Blick als wenig prioritär erscheine. Zudem geht Ottinger davon aus, dass Wissen durch Teilen am besten erweitert werde. Ferner könne das Internet eine Öffentlichkeit neben den Massenmedien herstellen, deren Wirkung allerdings durch Veranstaltungen und reale Netzwerke zu ergänzen sei.
  7. Das siebte Kapitel, "Die 'Schließung' der digitalen Kluft und die Rolle der Sozialarbeit" greift dann wiederum das van Dijksche Modell, genauer gesagt den Baustein "Internetzugang" hieraus auf: Ottinger zeigt verschiedene – allgemein gehaltene - Strategien auf, um motivationale, materielle und fertigkeitsbezogene Zugangsbarrieren zu verringern. Dies illustriert die Autorin danach anhand zweier europäischer bzw. österreichischer Initiativen (eEurope und i2010) zur Internetnutzung. Hier werden auch die Themen Bildung und Medienkompetenz sowie barrierefreie Webgestaltung angerissen. Ottinger evaluiert abschließend die Konzeptionen der beiden Initiativen anhand eines am van Dijkschen Modell (Baustein: Zugang) abgeleiteten Kriterienkataloges. Schließlich skizziert die Autorin sieben Wiener Projekte der Sozialarbeit, die die Nutzung des Internets bzw. Schulungen dazu anbieten. Dabei handelt es sich um einen breiten Querschnitt: Jugendarbeit ist dort ebenso vertreten wie die Arbeit mit Gehörlosen, alten Menschen oder Flüchtlingen.
  8. Das Kapitel 8 unter dem Titel "Empirischer Teil" bringt kurze Schlaglichter auf die praktische Arbeit in diesen genannten Projekten, indem kurze Auszüge und Zusammenfassungen von Interviews dargestellt werden, die mit den involvierten Sozialarbeiter/innen geführt wurden.
  9. Die "Schlussbetrachtung" ist dann das Thema des neunten Kapitels, in dem die Autorin die Ergebnisse zusammenfasst und dazu auffordert, dass Sozialarbeit zu einer "Art Kontrollinstanz für die aktuell gestarteten politischen Strategien zur Verringerung der digitalen Kluft" (Seite 90) werden müsse.

Zielgruppe

Das Buch eignet sich vorrangig für Studierende der Sozialpädagogik, aber auch für andere Interessierte, etwa mit einem Studienschwerpunkt im Schnittbereich von Medien- oder Gesellschaftswissenschaften. Auch Praktiker/innen aus der Sozialarbeit bietet das Buch eine gut lesbare, übersichtliche Einführung in das Thema.

Diskussion

Mit Sicherheit hat die Autorin ein wichtiges Thema für die so genannte Informationsgesellschaft angepackt. Nämlich inwieweit sich soziale Ungleichheiten im virtuellen Raum, durch eingeschränkten Zugang und veränderten Umgang mit dem Internet, replizieren. Oder wie bestehende soziale Ungleichheiten durch dieses virtuelle Medium eine stärkere Ausprägung erfahren.

Positiv empfand ich, dass die Autorin ein breites Spektrum an Risikogruppen vor Augen hat, dabei auch Seniorinnen und Senioren oder Menschen mit Behinderungen einbezieht. Dies führt plastisch vor Augen, dass das Internetzeitalter neue „Risikogruppen“ erschafft, die von der Sozialarbeit in den Blick zu nehmen sind. Damit zusammen hängt die Beobachtung, dass die "digitale Kluft" als einheitliche Größe nicht existiert, sondern eine Vielzahl von "Klüften" bzw. Ungleichheiten. Interessant ist darum das van Dijksche Faktorenmodell zur Internetnutzung, welches ein differenziertes Analyseinstrument an die Hand gibt, die Hindernisse bei der Internetnutzung durch verschiedene Gruppen einzuschätzen.

Allerdings scheint die Veröffentlichung rein quantitativ dem Thema nicht ganz gewachsen: Ein so facettenreiches und breites Thema (Ursachen, Auswirkungen, Maßnahmen) ist auf neunzig Seiten kaum vertiefend zu behandeln, zumal im letzten Sechstel der Veröffentlichung ein empirischer Teil auf 15 Seiten eröffnet wird, der für sich genommen bereits eine ausführliche Publikation abgeben könnte.

Zu vertiefen wäre aus meiner Sicht Folgendes: Welche Faktoren des van Dijkschen Kausalmodells sind für welche Risikogruppen besonders relevant, und wie sind diese Informationen für die Entwicklung spezifischer Strategien der Sozialarbeit zu nutzen? Wie überhaupt die Trennung von Ursache, Wirkung und sozialpädagogischem Ziel (Maßnahmen/Projekte) in der vorliegenden Arbeit aus meiner Sicht etwas stringenter hätte dargestellt werden können.

Befremdlich empfand ich allerdings den für eine wissenschaftliche Arbeit streckenweise saloppen Stil (häufige "Infos" statt "Informationen", Kapitel mit nur einem Unterpunkt oder etwa: "das Nichtwissen, wie ein Computer funktioniert" (Seite 81)), die teilweise autonome Kommasetzung und vermeidbare Rechtschreibfehler.

Insgesamt überwiegt jedoch der positive Eindruck der Veröffentlichung, die sich als reflektierte, übersichtliche und schnell lesbare Einführungslektüre in das Thema eignet.

Fazit

Gerda Ottinger thematisiert mit den "digitalen Ungleichheiten" ein ernstzunehmendes soziales Phänomen der Informationsgesellschaft, dessen Bedeutung nicht unterschätzt werden darf. Auf knapp neunzig Seiten wird aus Sicht der Sozialarbeit ein orientierender Einstieg in die Thematik geboten.

Rezension von
Dr. Stefan Anderssohn
Sonderschullehrer an einer Internatsschule für Körperbehinderte. In der Aus- und Fortbildung tätig.
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Es gibt 47 Rezensionen von Stefan Anderssohn.

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Zitiervorschlag
Stefan Anderssohn. Rezension vom 04.05.2009 zu: Gerda Ottinger: Soziale Ungleichheiten in der Informationsgesellschaft. Das Phänomen der "digitalen Kluft" und die Bedeutung für die Sozialarbeit. WiKu-Verlag - Wissenschaftsverlag & Kulturedition (Köln) 2008. ISBN 978-3-86553-256-5. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/7228.php, Datum des Zugriffs 23.01.2025.


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