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Claus Henning Bachmann: Freiheitsberaubung (Autobiographie)

Rezensiert von Dorothea Dohms, 09.03.2009

Cover Claus Henning Bachmann: Freiheitsberaubung (Autobiographie) ISBN 978-3-89334-497-0

Claus Henning Bachmann: Freiheitsberaubung. Eine Vatersuche. Asanger Verlag (Kröning) 2008. 203 Seiten. ISBN 978-3-89334-497-0. 25,50 EUR.
Reihe: Psychotraumatologie, Psychotherapie, Psychoanalyse - Band 19. Vorwort von Wolfgang Benz.

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Vita

  • Geboren am 2. 9. 1928 in Hamburg als Sohn des jüdischen Rechtsanwalts Dr. Robert Bachmann und einer „arischen“ Mutter.
  • Nach 1945 Mitbegründer der Ortsgruppe Hamburg-Bergedorf der DAG (Deutsche Angestellten-Gewerkschaft).
  • Schauspielunterricht mit dem Berufsziel „Regie“ und Gaststudium in den Fächern Theater- und Musikwissenschaft.
  • Ab 1952 Korrespondent für Theater und Musik in Hamburg und Umgebung.
  • Ab 1953 Premiereberichte aus Bayreuth, später auch aus Salzburg, Aix-en-Provence, Prades, Besançon, Venedig.
  • 1960 erste eigene Regiearbeit am Landestheater in Schleswig.
  • 1962 – 1967 Chefdramaturg und Regisseur am Staatstheater Braunschweig.
  • 1968 Lehrer für Schauspiel am Opernstudio der Bayerischen Staatsoper, danach freier Regisseur.
  • 1970 Abschied vom Theater, Tätigkeit zunächst als Rundfunkautor und Herausgeber in Salzburg und Berlin.
  • Ab 1978 Artikel und Essays über Neue Musik in Tageszeitungen und Fachzeitschriften.
  • 2002 überlässt der Autor sein Archiv und alle vorhandenen Unterlagen aus 50 Jahren Berufsarbeit als Schenkung dem Musikarchiv und der Bibliothek der Künste, Berlin.

Herausgeber

  • Psychoanalyse und Verhaltenstherapie. Frankfurt a. M. 1972.
  • Malerei aus Bereichen des Unbewussten. Künstler experimentieren unter LSD. Köln 1974.
  • Kritik der Gruppendynamik. Grenzen und Möglichkeiten sozialen Lernens. Frankfurt a. M. 1981.

Vorbemerkung

Zum besseren Verständnis des Buches erscheint mir eine der Chronologie folgende Inhaltsbeschreibung sinnvoll, obwohl Aufbau und Intention des Buches dies eher verbieten und sie dem Konzept des Autors nicht annähernd entspricht. Vielmehr reihen sich um die beiden Kernstücke der hier vorliegenden „psychoanalytischen Erzählung“ – einem erdachten Gespräch mit der Schweizer Schriftstellerin Zoe Jenny (Jahrgang 1974, „Das Blütenstaubzimmer“, „Der Ruf des Muschelhorns“, Ein schnelles Leben“) und dem Traumtagebuch „Primäre Gier und frühe Träume“ – thematisch unterschiedliche Texte, Essays, Erinnerungs- und Gedankensplitter, die in ihren immer neuen Variationen durch die Klammer der wiederkehrenden Kindheitserinnerungen eher lose zusammengehalten werden.

Der Vater

Dr. Robert Bachmann, geboren 1883 in Hamburg, Jurist, Doktor seit 1906, seit 1909 ein erfolgreicher und bekannter Rechtsanwalt, ist ein bis 1933 angesehenes Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft seiner Heimatstadt. 1925 heiratet er die Mutter des Autors – sie bleibt in diesem Erinnerungsbuch namenlos – es ist seine zweite, ihre dritte Ehe. 1928 wird der Sohn Claus Henning geboren, ein von der Mutter ungewolltes Kind („Ich habe dich nicht gewollt – dein Vater hat dich gewollt“). Bis 1933 erlebt dieser Sohn eine behütete Kindheit scheinbar fernab von den drohenden Schatten, die sich über seinem jüdischen Vater zusammenziehen. Die feierliche Taufe des später als „Mischling 1. Grades“ gebrandmarkten Kindes gleicht, mit Taufkleidchen, seidenen Schühchen, auf Seide gestickter Speisekarte und einem kostbaren Diner, einer Operettenszene: der Täufling als herausgeputztes Vorzeigeobjekt in einem von der Mutter inszenierten, glanzvollen Gesellschaftsspiel. Eine zweite, weit weniger spektakuläre Taufe erfolgt 1933. Mit dem Taufschein, so die Hoffnung des Vaters, erwirbt der Jude Robert Bachmann endgültig das – in Anlehnung an einen Ausspruch Heinrich Heines – Entreebillet in die europäische Gesellschaft, wird er sich und den Sohn vor den aufkommenden Verfolgungen des Naziregimes schützen können. Zugleich jedoch ist der geheimnisvolle Taufakt auch eine Reaktion des Vaters auf die inzwischen geltenden Nazigesetze, welche die Entlassung nichtchristlicher Juristen auch dann vorsahen, wenn sie, wie der Vater, in einer „privilegierten Mischehe“ lebten. Damit verleugnet er – zum Schutz des Kindes – nicht nur sein Judentum, sondern auch die immer grausamer werdende Realität, die ihn schließlich doch einholt und seinen Mördern, der Sohn als Zeuge, ausliefert. Von 1933, dem Jahr der Boykottaufrufe der NSDAP gegen jüdische Berufsgruppen, bis zum endgültigen Berufsverbot auch für Altanwälte (Zulassung vor 1914) und ehemalige Frontkämpfer, vollzieht sich der Niedergang des von der Mutter so glänzend inszenierten Familienlebens. Sie, die als passionierte Reiterin sich so gerne, den erjagten Fuchsschwanz als Trophäe in der Hand, hoch zu Ross präsentiert, wandelt sich von der Philo- zur Antisemitin, von der „strahlenden Reiterin“ zur „fürchterlichen Frau“. Einst verdankte sie ihrem Mann ein äußerlich blendendes Leben, um ihn jetzt, da er ihr das nicht mehr bieten kann, gnadenlos fallen zu lassen. Für Robert Bachmann, den Vater, folgen Ausgrenzung und schleichende Verarmung, für seine Peiniger wird er zum Freiwild. Noch einmal versucht er, sich der drohenden Verfolgung zu erwehren, dient sich der Stadt Hamburg als Auswanderungsagent für seine jüdischen Leidensgenossen an, wird jedoch schon bald der Rassenschande und Kuppelei bezichtigt, scheitert auch hier. Dennoch hält er fest an Deutschland, denkt nicht an Auswanderung – seines Sohnes, seiner Mutter, sie wird in Theresienstadt zugrunde gehen, zuliebe. 1939 erfolgt die Scheidung der Eltern auf Betreiben der Mutter und mit dem hilflosen Einverständnis des Vaters. Nur einen Monat später heiratet die Mutter einen den Nazis ergebenen Juristen in hoher Stellung, drei weitere Ehen sollen nach dem Krieg noch folgen. 1942 folgt dann das Ende: der Vater, so berichtet es der Sohn, gehört zu den ersten Probanten für das Schädlingsbekämpfungsmittel Zyklon B, der Sohn wird Zeuge seiner Deportation, „dichtgedrängt auf einem Lastwagen, aufrecht, mit Hut, den Namen des Sohnes schreiend“, so brennt es sich ihm ein. Nicht Theresienstadt sondern Auschwitz ist das Ziel, der Tod, ob durch Selbstmord oder Gas, bleibt im Ungewissen. Nur wenige Tage später findet die sogenannte freiwillige Versteigerung der Vermögenswerte des Juden R. Israel Bachmann statt. Die Mutter nimmt den ungeliebten, gebrandmarkten, jetzt endgültig schutzlosen Sohn aus der Schule und schiebt ihn ab auf ein Gut in der Nähe Buxtehudes, wo dieser bis Kriegsende primitive Landarbeit verrichten muss.

Der Sohn

Bei Kriegsende ist der Autor Claus Henning Bachmann 17 Jahre alt. Nur wenige Monate zuvor noch wurde er unter dem von der eigenen Mutter verbreiteten Vorwurf der „Rassenschande“ verhaftet und zur Zwangsarbeit abkommandiert. Nun hat die Bedrohung, dem Kinde zunächst unkenntlich, seine Schutzlosigkeit zumindest äußerlich ein Ende gefunden. Das „Vater-Haus“, jener Ort der so unglücklichen Verkettung zweier Menschen, die ihre unbewusste Feindschaft als Ehe zelebrierten, der Ort einer zum Verderben behüteten Kindheit, ist verloren. Doch das Ende der Nazizeit und damit das äußere Freiwerden legt die innere Unfreiheit offen, löst in dem jungen Menschen einen Angststau aus. Die Alb- und Wachtraumwelt, der sich der Autor in der Folgezeit ausgesetzt sieht, beginnt während eines Opernbesuches. Man gibt den „Rosenkavalier“, „Kitschkunsttheater aus der Inszenierungsküche der Mutter“ und den trällernden Operettenmelodien, die das Haus seiner Kindheit durchzogen, durchaus verwandt. Der an der Garderobe abgegebene Mantel, das nachfolgende Gefühl von Nacktheit und Schutzlosigkeit, das Umklammern der Garderobenmarke mit dem Code für die Rückgabe der bergenden Mantelhülle symbolisieren als Schlüsselerlebnis das späte Aufbrechen jener frühkindlichen Ängste, die Bedrohliches, Lügen, Verfolgung und Gefahr witterten unter dem Mantel scheinbarer Normalität. Mit der Deportation des Vaters endete dieser eigeninszenierte Selbstbetrug. Das „Rosenkavalier“-Erlebnis wird zum Beginn einer lebenslangen Zwangsneurose.

Mit seinen 17 Jahren gründet Claus Henning Bachmann 1945 eine Ortsgruppe der Deutschen Angestellten Gewerkschaft (DAG), fühlt sich dem toten Vater nahe durch die Beschäftigung mit dem Arbeits- und Tarifrecht. Aber die vergangene zwölf Jahre fordern ihr Recht, er muss wegen der ausbrechenden Krankheit die frühe sozialpolitische Karriere aufgeben, sucht zum ersten Mal einen Nervenarzt auf, einen Anti-Freudianer, der ihm nicht helfen kann. Damit beginnt eine 60 Jahre währende Leidens- und Therapiegeschichte.

Nach der Entlassung versucht sich der Autor zunächst als Firmengründer und Unternehmer, scheitert jedoch auch hier und findet schließlich den eigenen Weg über das Schauspiel zur Musik. Er arbeitet als Regisseur und Dramaturg, träumt davon, dass das „wirkliche“ Theater, im Gegensatz zu der erlebten Schmierenkomödie der Mutter, ihm Befreiung bedeuten könne. Doch wird er auch hier nicht glücklich, denn die Verfolgungstraumata seiner Schülerzeit durchleidet er nun noch einmal als Lehrer, als Regisseur. So bleibt am Ende die Musik – und hier vor allem die Neue Musik, zu deren kenntnisreichem Anwalt er sich entwickelt. Ihr gehört schon lange seine Liebe, ihr dient er ab 1953 und etabliert sich mit Erfolg als Musikkritiker, als Rundfunkautor und Schriftsteller. Daneben aber beschäftigt er sich, bedingt durch die zumeist wenig erfolgreichen Therapien mit der Psychoanalyse, mit ihren unterschiedlichen Deutungen und Lehrmeinungen (Freud, Michael Balint, James Herzog, Fritz Morgenthaler). In einem über die Jahre geführten Traumtagebuch, hier in Ausschnitten zitiert, versucht Claus Henning Bachmann, dem Zusammenhang von Traum – Wachträume, Halbschlaf-Fantasien – und der Zwangsneurose auf die Spur zu kommen, den Zugang zum Unbewussten zu finden.

2003 erscheint ein zweites „Gedenkbuch“ über jüdische Rechtsanwälte in Hamburg (Heiko Morisse) unter bescheidener Mitwirkung des Autors, das Erbe des Vaters posthum vertretend. Danach entsteht die zweite Fassung des vorliegenden Buches als ein Versuch, die nachwirkende Kindheit zu beschreiben.

Fazit

Das Buch ist die Selbstanalyse eines Intellektuellen, der die Psychotherapie, die vornehmlich um des Erinnern kreist, als Möglichkeit zu leben erfährt. Die „psychoanalytische Erzählung“ als Selbsterfahrung berichtet von Schmerz und Einsamkeit, von Verstoßenwerden und Verlassensein, von Folgen und Wirkungen des Vaterverlustes („Vaterhunger“) und des Mutterhasses, von der Vertreibung aus dem vermeintlichen Kinderparadies, dessen glänzender äußerer Schein die ihm innewohnende Zerrissenheit zuletzt kaum noch übertünchen konnte. Der Komposition des Buches – Introduktion, Hauptteil mit Variationen und Coda – ist nicht immer leicht zu folgen. Gleichwohl sind vor allem die wiederkehrenden, quälenden Variationen, die um leidvolles Geschehen und Erleben kreisen, die hier berichten von einem Leben unter dem Zwang der schier nicht enden wollenden Vatersuche, ein weiteres eindringliches und bewegendes Zeugnis der lebenslangen Verletzungen von Opfern der Nazidiktatur. Sie schlug Wunden, die niemals verheilen wollen. Am Ende steht da ein „Stolperstein“ vor dem Hamburger Vaterhaus mit der Inschrift: „Hier wohnte Dr. Robert Bachmann, Jahrgang 1883, verhaftet 1942, KZ Fuhlsbüttel, deportiert 1942, ermordet in Auschwitz“.

Rezension von
Dorothea Dohms
Ortsverbandssprecherin der Grünen im Stadtrat von Niederkassel

Es gibt 41 Rezensionen von Dorothea Dohms.

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Zitiervorschlag
Dorothea Dohms. Rezension vom 09.03.2009 zu: Claus Henning Bachmann: Freiheitsberaubung. Eine Vatersuche. Asanger Verlag (Kröning) 2008. ISBN 978-3-89334-497-0. Reihe: Psychotraumatologie, Psychotherapie, Psychoanalyse - Band 19. Vorwort von Wolfgang Benz. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/7234.php, Datum des Zugriffs 11.09.2024.


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