Carmen Kindl-Beilfuß: Fragen können wie Küsse schmecken
Rezensiert von Dr. Kirsten Oleimeulen, 06.06.2009

Carmen Kindl-Beilfuß: Fragen können wie Küsse schmecken. Carl-Auer Verlag GmbH (Heidelberg) 2008. 208 Seiten. ISBN 978-3-89670-641-6. D: 37,00 EUR, A: 30,80 EUR.
„Eine schöne Frage ist ein Seelenkuss“
(S. 201) Die systemische Fragetechniken umfasst eine spezielle Arten von Fragen, die es dem/der Klienten/-in ermöglicht sich seine/ihre Fähigkeiten, Talente und vorhandenen Strategien bewusst zu machen, um auf diese Weise persönliche Kompetenz zu steigern.
Ein wesentliches Merkmal der systemischen Therapie sind die unterschiedlichen und vielfältigen Fragetypen. Es sind zirkuläre Fragen, lösungsorientierte Fragen, gedankenlesende Fragen, Wunderfragen, Fragen nach Ausnahmen, Skalierungs- und Prozentfragen, Handlungsfragen, hypothetische Fragen, diachronische Fragen, Fragen zum Therapierahmen, zur Therapiemotivation, zur Möglichkeitskonstruktion, Fragen zu Verhaltensalternativen bzw. nach bekannten Vergleichen, nach problematischen Verhaltensweisen und deren Ausnahmen, zum Raum und zum zeitlichen Kontext des Problems.
„Hätte ich eine andere Frage gestellt, hätte ich eine andere Antwort bekommen.“
Fragen werden nicht nur zum Informationsgewinn gestellt, sondern gleichzeitig wird auch immer Information geschaffen. Denn in jeder Frage ist auch eine Aussage enthalten, die gewohnte Arten, wie in einer Familie Dinge gesehen werden, potentiell verstören kann. Beispielsweise steckt in der Frage einer Beraterin, ob sich das Symptom des Kindes in Anwesenheit der in der Beratung sitzenden Mutter oder des Vaters verstärkt, das Angebot, das Symptom als Beziehungsphänomen zu betrachten und nicht als ein individuelles Problem des Kindes. Sollte die Frage mit der Erklärung, dass ein Unterschied festzustellen ist, beantwortet werden, dann wurde das implizite Angebot der Wirklichkeitsbeschreibung angenommen. Die beratende Person sollte sich dessen bewusst sein, dass durch die Frage implizite Botschaften übermittelt werden. Die Wirkung der Frage erhöht sich mit der Anzahl der Teilnehmenden an der Beratungssitzung, da nicht nur ein Teilnehmender, sondern auch alle anderen neue Informationen erhalten.
„… küssen kann im Prinzip jeder, aber die Unterschiede, die Unterschiede …“
(S. 10) Dr. Carmen Kindl-Beilfuß, Diplompsychologin, niedergelassene approbierte Psychologische Psychotherapeutin, Lehrtherapeutin für Systemische Therapie (SG), Supervisorin (BDP / SG) und Lehrende Supervisorin (SG), Gesprächspsychotherapie, Verhaltenstherapie, Klinische Hypnose M.E.G., Gründerin und Leiterin des Magdeburger Instituts für Systemische Forschung, Therapie und Beratung (isft), Mitbegründerin und Lehrtherapeutin am Helm-Stierlin-Institut (hsi) Heidelberg, 20 Jahre psychotherapeutische Arbeit in stationären und ambulanten Kontexten, seit 1996 Lehrpraxis, seit 1992 Beratung von Unternehmen und Coaching, langjährige wiss. Tätigkeit, zahlreiche Veröffentlichungen, Lehrauftrag an der „Otto-von-Guericke“ Universität und FH Magdeburg, ehem. Vorstandsmitglied DGSF. Ihr Lieblingsaccesoire ist ein Lächeln.
Aufbau
Das Buch ist in 5 Hauptkapitel unterteilt
I. Grundlagen
1. Die Kunst des guten Fragens. Das Buch beginnt, mit der Funktion und Wirkung gut gestellter Fragen, der Struktur schlecht formulierter Fragen, einem autobiographischen Beispiel der Autorin über die Folgen ungeschickter Fragen, der Perspektive, jede/n Klienten/-in als VIP zu betrachten sowie Aufgabenstellungen für den Lesenden, um die Konstruktion schöner Fragen zu erlernen.
2. Der gelungene Einstieg. Die Auftragsklärung als Mittel zum kooperativen Kontrakt zwischen Therapeut/-in und Klient/-in wird durch Vorannahmen und Erwartungen des/r Klienten/-in beeinflusst. Das Kapitel gibt Hinweise dazu, mit Hilfe welcher Fragen wichtige Informationen über Vorannahmen des Kunden erhalten werden können und wie diese am besten im weiteren Verlauf des Gespräches berücksichtigt werden können.
3. Das biografische Interview. „ Das biografische Interview“ gibt eine Hilfestellung für wichtige Blickwinkel, die mit systemischen Methoden kurze und effektive Abläufe ermöglichen. Es wird der kürzeste Weg, Menschen in veränderndes Handeln zu führen aufgezeigt. Das Kapitel umschließt die Konstruktion und Analyse eines fiktiven Interviews mit Marlene Dietrich.
4. Zehn Fragen, die immer gehen. Zehn Fragen, die immer gehen lassen sich zu folgenden Themenkomplexen zusammenfassen: wichtige Ziele, gute Zukunftsaussichten, wertvolle Lebensbilanzen, Erfahrungen und Kompetenzen, Startenergie, Lebensphilosophie, Familie, Beziehungen, Engagement in Schule und Arbeit, Entspannung und Freizeit.
II. Anwendungsfelder
5. Biografiearbeit mit Kindern und Jugendlichen. Carmen Kindl-Beilfuß stellt die Methode „Die Einladung ins Abenteuerland“ vor. Es schließt sich eine kurze Darstellung der 6 häufigsten „Fehler“ im therapeutischen Interview an, die weder kinderspezifisch, noch an die biografische Arbeit gebunden sind.
6. Das Paarinterview. Im Kontext der Paararbeit nimmt die zirkuläre Fragetechnik eine entscheidende Rolle ein. Durch sie wird der Eindruck verstärkt, dass es um zwei Menschen geht, die etwas miteinander bewegen wollen. Es werden verschiedene Methoden der Paararbeit vorgestellt und selbstverständlich darf hier auch das Thema „Sexualität“ nicht fehlen.
7. Das Familieninterview. Der Schwerpunkt dieses Abschnittes liegt auf der Auftragsklärung mit Großfamilien und auf der Integration von Fragen zur Paarbeziehung in das Familieninterview.
III. Fragen der Zeit
8. Fragen im Reigen der Jahreszeiten. Jeder jahreszeitliche Übergang hat starke Bezüge zum jeweiligen Lebensgefühl der Menschen. Diese Lebensgefühle sollte man ganz bewusst in seine therapeutischen Strategien mit einbeziehen.
9. Zukunft zum Anfassen – Fragen zu besonderen Lösungsräumen. Die Fragen in diesem Abschnitt dienen dazu die strategische Kernaufgabe – den Entwurf von Lösungsräumen –einzuleiten. Dazu bieten sich Zukunftsreisen, Ankunftspartys und Hürden an.
10. Das Interview mit Zeitbezug. Neben dem Reigen der Zeit lassen sich auch zeitbezogene aktuelle Ereignisse in die Therapie integrieren. Frau Kindl-Beilfuß beschreibt eine Coachingsitzung mit einem Unternehmer, der das zum damaligen Zeitpunkt aktuelle geplante Comeback von Henry Maske zum zentralen Thema werden lässt.
IV. Die wunderbare Fragenbox
11. Fragen können wir Küsse schmecken. Zu diesem Buch gehört eine Fragenbox mit 111 Fragekarten. Die Karten können zur Vorbereitung einer Sitzung genutzt werden, während der Sitzung spontan gezogen werden oder als Einladung zur Selbstreflektion im Sinne einer Hausaufgabe mitgegeben werden.
V. Schluss
12. Warum man eine gute Frage nie gegen eine gute Antwort eintauschen sollte. „Gewissheit ist mehr als ein Irrtum, es ist das Ende der Reise zum Glück.“
13. Der Abschluss eines Interviews ist keine Frage, sondern ein guter Kommentar! Diese Aussage wird in der Verabschiedung des/der Leser/-in nicht erläutert.
Zielgruppe
Das Buch richtet sich an alle systemisch arbeitenden Therapeuten/-innen, Coach und Trainer/-innen sowie an die Auszubildenden der entsprechenden Fachrichtungen.
Fazit
Die Lektüre dieses Buches inspiriert den Lesenden dazu aktiver Fragen zu stellen und macht Lust auf den Austausch mit dem/der Klienten/-in. Die Ausrichtung der Fragen ist durchgängig ressourcenorientiert und eine Hommage an die Kompetenz des Gegenüber. Diese Art der Fragestellung ist darüber hinaus auch eine sichere Methode dem Burn-Out des/der Therapeuten/-in entgegen zu wirken. Wie viele Bücher gibt es schon, die Lust auf Arbeiten machen?!
Rezension von
Dr. Kirsten Oleimeulen
Psychologin – Familienberaterin, akkreditierte Psychologin für Gesundheitspsychologie und Prävention (BDP), systemische Familientherapeutin und Supervisorin, online-Beraterin
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