Sven B. Gareis, Gunter Geiger (Hrsg.): Internationaler Schutz der Menschenrechte
Rezensiert von Dr. Axel Bernd Kunze, 30.04.2009

Sven B. Gareis, Gunter Geiger (Hrsg.): Internationaler Schutz der Menschenrechte. Stand und Perspektiven im 21. Jahrhundert. Verlag Barbara Budrich GmbH (Opladen, Berlin, Toronto) 2008. 230 Seiten. ISBN 978-3-86649-186-1. D: 19,90 EUR, A: 20,50 EUR, CH: 35,90 sFr.
Sechzig Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
Unter dem Eindruck der Totalitarismen des zwanzigsten Jahrhunderts und des Zweiten Weltkriegs war sie am 10. Dezember 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet worden. Zahlreiche Tagungen, Vortragsreihen und Themenabende erinnerten 2008 an dieses Jubiläum – so auch die Katholische Akademie in Fulda.
Vertreter aus Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft wurden eingeladen, ihre Einschätzungen zum Stand und zu den Perspektiven des internationalen Schutzes der Menschenrechte abzugeben und zur Diskussion zu stellen. Die nach der Tagung von den Referentinnen und Referenten noch einmal überarbeiteten Beiträge liegen nun unter dem Titel „Internationaler Schutz der Menschenrechte“ in Buchform vor.
Als Kooperationspartner an dem Projekt waren beteiligt die katholische Friedensbewegung „pax christi“, die Arbeitsgemeinschaft katholisch-sozialer Bildungswerke in Deutschland (aksb), namentlich vertreten durch ihren Geschäftsführer Lothar Harles, sowie Dr. Siegfried Grillmeyer, Direktor der Katholischen Akademie Caritas-Pirckheimer-Haus in Nürnberg.
Herausgeber
Der Tagungsband ist herausgegeben worden von Professor Dr. Sven Bernhard Gareis, Leitender Wissenschaftlicher Direktor an der Führungsakademie der Bundeswehr Hamburg und Politikwissenschaftler an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, sowie Diplomvolkswirt Gunter Geiger, Direktor der gastgebenden Katholischen Akademie Fulda.
Aufbau
Der Sammelband umfasst insgesamt zwölf in sich abgeschlossene Beiträge. Die präzisen Titel erlauben es dem Leser, sich gezielt über einzelne Themen zu informieren.
Inhaltlich lassen sich die Beiträge zu folgenden Themenkreisen zusammenfassen: Einführung (Kap. 1), internationaler und regionaler Menschenrechtsschutz (Kap. 2 bis 4), rechtlicher Schutz der Menschenrechte auf Ebene der Vereinten Nationen (Kap. 5 und 6), Nichtregierungsorganisationen in der Menschenrechtspolitik (Kap. 7), Chancen und Grenzen humanitärer Interventionen (Kap. 8), Möglichkeiten und Grenzen der religiösen und kulturellen Universalisierbarkeit der Menschenrechte (Kap. 9 bis 11) und künftige Perspektiven der Menschenrechte (Kap. 12). Im Anhang des Bandes ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 im Wortlaut wiedergegeben.
Die Autoren und Autorinnen des Bandes setzen sich zusammen aus Vertretern von Nichtregierungsorganisationen, der Politik, der politischen Bildung und der Wissenschaft (Philosophie, Theologie und Sozialwissenschaften).
Einführung
Gunter Geiger, einer der beiden Herausgeber, führt einleitend in die Thematik des Bandes und der zugrunde liegenden Tagung ein. Dabei bleibt er nicht bei einer bloßen Einleitung in die einzelnen Beiträge stehen, sondern umreißt aus seiner Sicht als Akademiedirektor zugleich, inwiefern die Menschenrechte der Förderung durch pädagogisches Handeln bedürfen. Dabei macht er deutlich, dass Menschenrechtsschutz auf der lokalen Ebene und im unmittelbaren Lebensumfeld beginnen muss.
Internationaler und regionaler Menschenrechtsschutz
Der andere Herausgeber, Sven Bernhard Gareis, bilanziert sechzig Jahre nach Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte den inzwischen erreichten Stand des Menschenrechtsschutzes auf internationaler Ebene. Dabei beklagt er als schwerwiegendstes Problem, dass Menschenrechtsverletzungen in verschiedenen Ländern oft aus politischen Gründen sehr unterschiedlich wahrgenommen und bewertet werden. In der Konsequenz werde die Universalität der Menschenrechte dadurch relativiert: „Geradezu dramatisch wird die Entwicklung indes, wenn demokratische Staaten ihre eigenen Standards hinsichtlich der Menschenrechte zugunsten vermeintlich höherrangiger Interessen (partiell) aufgeben, wie dies im Rahmen des ‚Krieges gegen den Terrorismus‘ von den USA und einigen ihrer Verbündeten praktiziert wird“ (S. 34). Alle Instrumente zum Schutz der Menschenrechte sind immer nur so gut, wie sie auch tatsächlich genutzt werden. An den Staaten und Regierungen vorbei wird deren Ausbau nicht gelingen. Daher plädiert Gareis am Ende dafür, dass sich die Staaten im Rahmen der Vereinten Nationen gegenseitig stärker als bisher beim Schutz der Menschenrechte unterstützen; den westlichen Demokratien komme dabei eine besondere Verantwortung zu.
Michael Krennerich diskutiert in seinem Beitrag zunächst die Tragfähigkeit unterschiedlicher Normbegründungen für die Menschenrechte. Anschließend formuliert der Vorsitzende des Nürnberger Menschenrechtszentrums sehr eindeutige Forderungen, die aus seiner Sicht noch nicht hinreichend implementiert sind: Die Sozialrechte sollen als vollwertige Menschenrechte uneingeschränkt anerkannt werden. Die Staaten sollen auch außerhalb ihres Hoheitsgebietes – extraterritorial – zum Schutz der Menschenrechte verpflichtet werden. Und schließlich sollten auch nichtstaatliche Akteure, beispielsweise transnationale Konzerne, zu deren Schutz in die Pflicht genommen werden.
Dem Menschenrechtsschutz auf Ebene der Europäischen Union (EU) widmet sich Ruth Weinzierl, Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Menschenrechte in Berlin. Die Autorin sieht zwar die Gefahr, dass die Rechtsangleichung in Europa zulasten der Menschenrechte gehen könnte, benennt aber auch sehr deutlich positive Impulse, die vom System der „checks and balances“ innerhalb der EU für die Menschenrechtsentwicklung ausgehen, beispielsweise beim Diskriminierungsschutz oder beim Recht auf Zugang zu Dokumenten, wie es in Artikel 42 der EU-Grundrechtscharta festgelegt ist.
(Völker-)Rechtlicher Schutz der Menschenrechte auf Ebene der Vereinten Nationen
„Ist der Menschenrechtsschutz durch internationale Strafgerichte nützlich oder schädlich, wirksam oder ineffektiv?“, fragt Patricia Schneider in ihrem Beitrag. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik diskutiert sehr ausgewogen das Für und Wider der verschiedenen Instrumente im internationalen Strafrecht. Die zunehmende, erst am Anfang stehende Verrechtlichung des internationalen Menschenrechtsregimes wird von der Autorin insgesamt positiv bewertet. Schließlich könne sich – so ihr Fazit – im Zuge dieser Entwicklung „kein Täter schwerwiegender Menschenrechtsverbrechen mehr sicher fühlen“ (S. 98).
Die Generalsekretärin der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, Beate Wagner, nimmt eine abwägende Bestandsaufnahme der verschiedenen Instrumente und Organe vor, die von den Vereinten Nationen zum Schutz der Menschenrechte entwickelt wurden. Dabei würdigt sie sowohl die erreichten Fortschritte, mahnt aber auch bisher vernachlässigte Schritte an: So sei die Kodifizierung der Menschenrechte inzwischen zwar weit fortgeschritten, die Implementierung habe damit aber nicht immer Schritt halten können. Am Ende ihres Beitrags steht dann auch ein Appell: Die Menschenrechtsbewegung dürfe in ihrem Bemühen nicht nachlassen.
Nichtregierungsorganisationen in der Menschenrechtspolitik
Hieran schließt sich dann, thematisch passend, der Beitrag von Barbara Lochbihler an, die als Generalsekretärin der deutschen Sektion von amnesty international wohl einen der wichtigsten Akteure der internationalen Menschenrechtsbewegung vertritt. Nur sehr knapp, wie aus ihrer Sicht wahrscheinlich auch nicht anders zu erwarten, setzt sie sich einleitend mit der Kritik an der Arbeit der Nichtregierungsorganisationen auseinander, um anschließend auf Erfolge im zivilgesellschaftlichen Kampf für die Menschenrechte zu verweisen (z. B. bei den Frauenrechten, der Antifolterkonvention oder jüngst im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen in China).
Chancen und Grenzen humanitärer Interventionen
Werden extraterritoriale Staatenverpflichtungen beim Schutz der Menschenrechte anerkannt, liegt die Frage nach der Legitimität und den Möglichkeiten humanitärer Interventionen geradezu auf der Hand. Johannes Varwick, der dieser Frage nachgeht, will militärische Mittel beim Kampf um die Menschenrechte keinesfalls ausschließen, warnt aber zugleich vor dem machtpolitischen Missbrauchspotential, das damit verbunden ist. Ob dieses Problem aber – so die Option des Kieler Politikwissenschaftlers – künftig tatsächlich stärker operativ als legitimatorisch diskutiert werden sollte, wäre gerade in Zeiten sogenannter Präventivkriege durchaus kontrovers zu diskutieren.
Religiöse und kulturelle Aspekte
Drei Beiträge widmen sich der interreligiösen und interkulturellen Perspektive auf die Menschenrechte. Hamideh Mohagheghi, Vorsitzende der Muslimischen Akademie in Deutschland, verweist auf die praktischen Erfolge im Kampf gegen Ungerechtigkeit, die der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte mehr als sechzig Jahre nach ihrer Verabschiedung Recht gegeben haben – und dieser Aspekt, so das Resümee am Ende, finde die „volle Unterstützung der islamischen Lehre“ (S. 177).
Walter Schweidler, Philosoph an der Universität Bochum, diskutiert, inwiefern die von ihrem historischen Ursprung zunächst „westlich“ geprägten Menschenrechte auch mit asiatischem Denken kompatibel seien. Dabei unterscheidet er zwischen dem Diskurs um die Menschenrechte als Werte und als Rechte. Dabei lasse sich zeigen, so der Verfasser, dass die Menschenrechte kulturübergreifend dazu dienen könnten, Motive der eigenen Tradition für die Bestimmung von Humanität zu aktivieren.
Der katholische Moraltheologe Peter Schallenberg zeichnet im historischen Rückblick – von der Renaissance bis zur Postmoderne – nach, wie viel die Menschenrechte geistesgeschichtlich dem Christentum zu verdanken haben, ohne dabei Spannungen ungebührlich zu glätten. Schallenbergs ideengeschichtlich angelegter Beitrag bietet überraschende Perspektiven auf ein schon oft diskutiertes Thema und ist ganz sicher einer der Höhepunkte des Bandes.
Künftige Perspektiven der Menschenrechte
Das letzte Wort gebührt der ehemaligen Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin, indem sie die Frage stellt: „Qua vadis, Menschenrechte?“ Dabei tauchen noch einmal alle im Band verhandelten Themen wie in einer Art Gesamtschau auf. Die Menschenrechte, so die SPD-Politikerin, begrenzten die politische Macht und prägten zugleich das politische Handeln inhaltlich. Ganz praktisch plädiert sie am Ende dafür, da sich die Staatenbeschwerden vielfach als wirkungslos erwiesen hätten, das Instrument der Individualbeschwerde zu stärken.
Diskussion
Jahrestage wie das sechzigjährige Jubiläum der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sind immer ein Anlass, Bilanz zu ziehen. Dabei überraschten in diesem Fall so manche Reaktionen mit einer äußerst pessimistischen Bilanz, so als habe es die sechs Jahrzehnte internationaler Menschenrechtsentwicklung nicht gegeben. Sicher: Die Menschenrechte werden weltweit weiterhin mit Füßen getreten. Das darf keinesfalls verschwiegen werden. Dennoch sollte man sich fragen, wie die Welt aussehe, hätte es nach dem Zweiten Weltkrieg nicht den Willen der Völkergemeinschaft gegeben, sich auf fundamentale und unveräußerliche Rechte zu einigen, die jedem Menschen allein aufgrund seines Menschseins zukommen. Man sollte sich davor hüten, die erreichten Erfolge im Kampf um den Schutz der Menschenwürde gering zu achten.
Dies tun die Autorinnen und Autoren des vorliegenden Sammelbandes keineswegs. Zugleich sind sie aber auch davor gefeit, die Menschenrechte zu idealisieren. Sehr deutlich benennen sie neben den Erfolgen im Kampf um die Menschenrechte auch die Mängel beim gegenwärtigen Menschenrechtsschutz. Im Einzelfall kann man sich über die Schlussfolgerungen, welche die Verfasser ziehen, dann durchaus streiten.
So wäre beispielsweise noch einmal kritischer hinzuschauen, ob die zahlreichen zivilgesellschaftlichen Menschenrechtsorganisationen selbst immer hinreichend kontrolliert und transparent vorgehen. Wie in allen Fällen von Lobbyismus verfolgen auch Organisationen, die in diesem Feld tätig sind, mitunter recht profane Ziele, die zunächst einmal den eigenen Organisationsinteressen geschuldet sind, beispielsweise im Kampf um zusätzliche personelle oder finanzielle Ressourcen.
Schließlich wäre auch zu fragen, ob die Ausdehnung des Adressatenkreises der Menschenrechte auf nichtstaatliche Organisationen in allem ein erstrebenswertes Ziel darstellt, so wünschenswert eine stärkere Kontrolle transnational operierender Konzerne – nicht zuletzt angesichts der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise – auch wäre. Die Menschenrechte sichern zunächst einmal dem Individuum seine Rechte gegenüber der staatlichen Gemeinschaft. Wird dieser Kerngedanke der Menschenrechte aufgeweicht, kann dies schnell zu Lasten notwendiger rechtlicher Abwägungs- oder politischer Entscheidungsspielräume gehen. Die Menschenrechte zu überdehnen, kann auf Dauer ihre Akzeptanz gefährden. Den so bitter notwendigen Menschenrechten wäre auf Dauer ein Bärendienst erwiesen.
Nicht alle Probleme sind auf Ebene der Menschenrechte zu lösen. Nicht minder ist auch darüber nachzudenken, wo anderweitig Veränderungen im Völkerrecht notwendig sind. Ob die Etablierung eines internationalen Sozial- und Wirtschaftsrates analog zum Sicherheitsrat ein sinnvoller Vorschlag ist, wäre noch genauer zu prüfen; im vorliegenden Band konnte dieses Thema noch keine Rolle spielen.
Trotz der Detailkritik fallen die vorliegenden Beiträge aber deutlich aus dem gewohnten Rahmen: Den Herausgebern ist es gelungen, Beiträge einzuwerben, die mehr sind als schnell zusammengestellte Gebrauchstexte. Alle Autorinnen und Autoren haben sich der Versuchung zu plakativen Statements enthalten. Am Ende kann man sich den Worten Däubler-Gmelins anschließen: „Menschenrechtsschutz ist anstrengend, aber er lohnt. Es ist ja so viel erreicht worden. Aber wir sehen auch, dass noch sehr viel zu tun bleibt […]“ (S. 223). Aufzuzeigen, wie diese Herausforderungen entschieden, aber durchaus auch mit Nüchternheit und politischer Klugheit anzugehen sind, ist ein großer Verdienst des Bandes. Realistisch und gerade nicht pessimistisch wird man dabei sagen müssen: So lange die Menschen immer wieder über die Überwindung von Ungerechtigkeit und Gewalt reflektieren werden, werden auch die Menschenrechte ein offenes Projekt bleiben. Die Menschenrechte sind keine Heilslehre, wohl aber eine notwendige und unverzichtbare Antwort mit den Mitteln des säkularen Rechts auf das Unrecht und das Leid, das Menschen einander antun können. Dieses rechtliche Instrumentarium bleibt, wie der Band zeigt, entwicklungsfähig und gestaltungsbedürftig.
Fazit
Tagungsbände sind ein schwieriges Genre, versammeln sie doch recht oft Beiträge von sehr unterschiedlicher Qualität und ist ihr Aufbau nicht selten zahlreichen Kontingenzen der Tagungsorganisation geschuldet. In diesem Fall ist es anders: Den beiden Herausgebern ist ein Band gelungen, der prägnant und gut verständlich, aber zugleich differenziert und ausgewogen einen sehr guten Überblick über die Möglichkeiten, Grenzen und Perspektiven des internationalen Menschenrechtsschutzes vermittelt. Herausgekommen ist weit mehr als ein dem aktuellen Jubiläum geschuldeter Tagungsband. Das vorliegende Werk kann vielmehr ausdrücklich als eine gelungene Einführung zu den internationalen Menschenrechten empfohlen werden.
Rezension von
Dr. Axel Bernd Kunze
Privatdozent für Erziehungswissenschaft an der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
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