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Wiltrud Gieseke: Lebenslanges Lernen und Emotionen

Rezensiert von Prof. Dr. Jochen Schmerfeld, 03.07.2009

Cover Wiltrud Gieseke: Lebenslanges Lernen und Emotionen ISBN 978-3-7639-3331-0

Wiltrud Gieseke: Lebenslanges Lernen und Emotionen. Wirkungen von Emotionen auf Bildungsprozesse aus beziehungstheoretischer Perspektive. W. Bertelsmann Verlag GmbH & Co. KG (Bielefeld) 2009. 2., unveränderte Auflage. 280 Seiten. ISBN 978-3-7639-3331-0. 29,90 EUR. CH: 49,90 sFr.
Reihe: Erwachsenenbildung und lebensbegleitendes Lernen - Band [9] - Grundlagen und Theorie.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.

Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-7639-5711-8 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.

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Thema

Das Buch von Wiltrud Gieseke beschäftigt sich „mit dem bisher ausgesparten Aspekt der Emotionen in der individuellen, subjektiven Perspektive lebenslangen Lernens“ (14) und tut dies vor allem im Rückgriff auf Ergebnisse und Erkenntnisse aus den Naturwissenschaften, vor allem aus der Neurobiologie. Die emotionstheoretischen Erkenntnisse werden in ihrer Bedeutung für die Erwachsenenpädagogik erörtert und in eine beziehungstheoretische Didaktik eingebaut.

Aufbau und Inhalt

Das auf die Einleitung folgende 2. Kapitel behandelt den Zusammenhang von Bildung und Emotionen und will zeigen, dass die Emotionen ein ausgeblendeter Aspekt der Bildung gewesen seien: “Emotionen sind bisher ein gesellschaftlich verweigertes, abgewertetes Thema gewesen“ (47). Demgegenüber sei Bildung mit Rationalität und dem Kampf gegen Irrationalität, gegen Unwissenheit und gegen Gefühle verbunden worden (47). Die Autorin bestimmt in Abgrenzung davon Emotionen als „biologisch bestimmtes, sozialkulturell überformtes Informationssystem für das Individuum“ (47).

Im 3. Kapitel geht es um „Aspekte einer Psychologie und Neurobiologie der Emotionen“ und zwar betrachtet aus „der Perspektive der Erwachsenen- und Weiterbildung als lebenslanges Lernen im Zusammenhang mit der Bildungsbiografie“(49). Die Erörterung verschiedener Emotionstheorien sowie von Ergebnissen der Neurobiologie mündet in der These: „Die Faktoren Motivation, Selbstregulierung, nicht –steuerung und soziale Beziehungen sind als Grundlage von Lernen neu auszuarbeiten.“ (88) Lebenslanges Lernen ließe sich nur in einer Haltung von Offenheit und mit der Fähigkeit, Frustrationen zu verarbeiten, sich Neugierde zu erhalten realisieren, so eine zentrale These von Gieseke. Diese Fähigkeiten seien vor allem von Emotionen abhängig, die im Laufe der individuellen Entwicklung erlernt würden. An dieser Stelle kommt die im Untertitel des Buchs angekündigte ‚beziehungstheoretische Perspektive“ ins Spiel: Emotionen würden in der frühen Kindheit in Interaktionen mit den frühen Bezugspersonen erlernt und würden so eng verbunden mit den ebenfalls früh erlernten Beziehungsmustern. Damit beschäftigt sich das 4. Kapitel - zum Erlernen von Emotionalität (!) -, das mit der These endet: „Wenn mehr Aufmerksamkeit auf lebenslanges Lernen gelegt werden soll, sind beziehungsstiftende Auseinandersetzungen über Inhalte und die Beachtung eingebrachter emotionaler Lernschemata von hoher Bedeutung.“ (134)

Im 5. Kapitel folgt eine Erörterung der Bedeutung von Emotionen für Arbeits- und Managementprozesse in verschiedenen Dienstleistungsberufen (Verkaufen und Bedienen, Pflegen, Betreuen und Heilen). Die Autorin konstatiert eine zunehmende Wahrnehmung der Bedeutung von Emotionen und diskutiert u. a. die Konzepte der ‚Gefühlsarbeit‘, der ‚emotionalen Dienstleistung‘, der ‚emotionalen Intelligenz‘ und der ‚emotionalen Kompetenz‘.

Im abschließenden 6. Kapitel werden mögliche erwachsenenpädagogische Anschlussforschungen dargestellt: im ersten Teil geht es um Entscheidungsverhalten im Zusammenhang mit Weiterbildungsteilnahme. Gieseke bezieht sich hier auf Ergebnisse einer eigenen Studie, die vor dem Hintergrund der Emotionstheorien interpretiert werden. Im zweiten Teil wird eine relationale Didaktik in Grundzügen vorgestellt: „Alles, was ein Mensch in seinem Leben als Lernen bezeichnet und das in der Regel auf eine neue Sicht der Dinge, auf eine weiter gehende Erkenntnis, auf eine neue Fähigkeit und eine langfristig wirksame Veränderung oder Erweiterung hinweist, beruht auf Beziehungen, die hergestellt werden oder werden können.“ (216) In diesem Zusammenhang werden dann auch wiederum die Emotionen als bedeutsam angesehen.

Zielgruppen

Das Buch dürfte vor allem für Studierende eine wichtige Lektüre bieten. Theoretisch Interessierte finden eine Fülle von Anregungen zum Weiterdenken. Praktiker könnte es dazu veranlassen, ihre Konzepte und handlungsleitenden Theorien zu überdenken und gegebenenfalls zu erweitern.

Fazit

Entgegen der Ankündigung im Untertitel, der eine beziehungstheoretische Perspektive als leitend ankündigt, verzichtet die Autorin auf eine einheitliche, die verschiedenen von ihr angesprochenen Aspekte verbindende Basistheorie. Was die verschiedenen Teile und die darin behandelten Aspekte theoretisch verbindet ist die These, dass die bisherige pädagogische Theorie einen wesentlichen Aspekt des Lernens und der Bildung ausgespart oder unterschlagen habe: die Emotionen. Nun ist die These keineswegs neu – z. B. ist sie in der psychoanalytisch oder tiefenpsychologisch orientierten oder inspirierten Pädagogik seit langem ein Standard- , wohl aber hat sie bislang wenig Beachtung gefunden. Giesekes Buch erscheint da geeignet Abhilfe zu schaffen und dem Thema den Platz in den erwachsenenpädagogischen Diskussionen zu verschaffen, der ihm gebührt. Dazu gehörte aber auch eine angemessene theoretische Verortung innerhalb der entwickelten Systematiken.

Da die Emotionstheorien, jedenfalls da, wo es um das Erlernen von Emotionen geht, auf Bindungs- und Beziehungstheorie verweisen, ließe sich die theoretische Verknüpfung von Beziehungs- und Emotionstheorie, sowie die Ausarbeitung von deren basaler Funktion für Lernprozesse ziemlich zwanglos bewerkstelligen. Wer das aber in der Arbeit von Wiltrud Gieseke erwartet, dürfte enttäuscht werden. Wer allerdings an der Fülle von Theorien, von Aspekten rund um die Thematiken: Erwachsenenbildung, Weiterbildung sowie Bedeutung von Emotionen und Beziehungen für Lernprozesse partizipieren, sich anregen lassen und kreativ weiterarbeiten möchte, der kann mit diesem Buch viel anfangen.

Zu wünschen wäre, dass dieses Buch eine breite Diskussion zur Bedeutung der Emotionen für Lehren und Lernen anregt.

Rezension von
Prof. Dr. Jochen Schmerfeld
Professor für Pädagogik an der Katholischen Hochschule Freiburg

Es gibt 21 Rezensionen von Jochen Schmerfeld.

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ISSN 2190-9245