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Bundesverband evangelische Behindertenhilfe e.V., Caritas Behindertenhilfe/ Psychiatrie (Hrsg.): PPQ. ProPsychiatrieQualität

Rezensiert von Ilja Ruhl, 25.04.2009

Cover  Bundesverband evangelische Behindertenhilfe e.V., Caritas   Behindertenhilfe/ Psychiatrie (Hrsg.): PPQ. ProPsychiatrieQualität ISBN 978-3-88414-474-9

Bundesverband evangelische Behindertenhilfe e.V., Caritas Behindertenhilfe/ Psychiatrie (Hrsg.): PPQ. ProPsychiatrieQualität. Leitzielorientiertes Qualitätsmanagement. Psychiatrie Verlag GmbH (Bonn) 2009. 144 Seiten. ISBN 978-3-88414-474-9. 29,95 EUR. CH: 50,90 sFr.
Reihe: Forschung fuer die Praxis - Hochschulschriften.

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AutorInnen

Die AutorInnen des Herausgeberwerks entstammen verschiedener Professionen und bilden somit ein multidisziplinäres und praxiserprobtes Team, das PsychologInnen, PädagogInnen, SozialwissenschaftlerInnen und Ärztinnen vereint. Auch heutzutage noch besonders hervorzuheben ist die Beteiligung psychiatrieerfahrener Menschen an diesem Buch.

Thema und Entstehungshintergrund

Die Soziale Arbeit kommt in ihren verschiedenen Tätigkeitsbereichen und Arbeitsfeldern nicht an der Frage der Qualität vorbei. In einer Vielzahl von Einrichtungen des sogenannten komplementären Bereichs sind Qualitätszirkel, Runde Tische und andere Instrumente der Qualitätsentwicklung eingeführt worden. Konzepte und Einführungen, die sich an den Spezifika gemeinde- und sozialpsychiatrischer Einrichtungen orientierten, existierten lange Zeit nicht. Stattdessen mussten Interessierte sich mit den wenigen und eher themenübergreifenden und inhaltlich breit angelegten Publikationen zur Qualitätsentwicklung in der sozialen Arbeit begnügen. Ende der 90er Jahre ist diesem Umstand in Form der Publikation „ProPsychiatrieQualität“ Rechnung getragen worden, die sich erstmals an Tätige mit sozialpsychiatrischer Orientierung wendete. Diese Publikation wird von dem hier besprochenen Buch „ProPsychiatrieQualität. Leitzielorientiertes Qualitätsmanagement“ abgelöst. Dabei handelt es sich nicht um eine aktualisierte oder erweiterte Auflage, sondern um ein „grundlegend neu bearbeitetes Handbuch“, das somit auch die Prozesshaftigkeit von Qualitätsentwicklung illustriert. Sein Inhalt bietet den LeserInnnen eine Einführung in ein umfangreiches Qualitätsmanagementsystem.

Aufbau

Das Buch umfasst fünf Kapitel und eine CD.

1. Qualitätsverständnis mit ethisch-fachlichen Leitzielen

    Im ersten Kapitel wird vor allem das Qualitätsverständnis von ProPsychiatrieQualität (im Folgenden PPQ) mit seinen unterschiedlichen Ausprägungen der Orientierung (z.B. Leitzielorientierung, Beteiligungsorientierung) dargelegt. Gleichzeitig stellen die AutorInnen die Matrix aus Leitzielen und Leistungsprozessen ausführlicher vor, sie bildet den roten Faden des Qualitätsprozesses.

2. Die Qualitätsmanagement-Konzeption von ProPsychiatrieQualität

    Das zweite Kapitel stellt nach einer kurzen Einführung anhand von sieben Thesen die Qualitätsmanagement-Konzeption vor. Zentrale Inhalte dieser Thesen sind u.a. der trialogische Ansatz, die Abstimmung mit und Einbindung des jeweiligen Gemeindepsychiatrischen Verbundes bei der Entwicklung von Qualitätsstandards sowie die umfassende Einbeziehung von Mitarbeitenden und NutzerInnen in den Verbesserungsprozess. Das zweite Kapitel enthält außerdem eine erste Checkliste, die den schrittweisen Aufbau eines Entwicklungsplans erleichtern soll. Zudem werden der Aufbau und die Intention des Strukturierten Qualitätsberichts und des PPQ-Handwerksbuchs kurz vorgestellt. Das Kapitel endet mit der Beschreibung von Möglichkeiten, PPQ in Arbeitsfeldern der Behindertenhilfe, insbesondere der Arbeit mit Menschen mit sogenannter geistiger oder Mehrfachbehinderung, einzubinden.

3. Bausteine einer internen Qualitätsmanagement-Konzeption: Ausgewählte Maßnahmen und Instrumente.

    Das dritte Kapitel beschreibt verschiedene Maßnahmen und Instrumente, die als Bausteine der Qualitätsmanagement-Konzeption von PPQ dienen. Hierzu gehören die verschiedenen Hilfeplan-Verfahren, wie der IBRP, das Metzler-Verfahren und die immer mehr verbreitete ICF. In einem weiteren Unterkapitel wird ausführlich auf die Hilfeplankonferenz, ihre Zielsetzung und Schwierigkeiten bei der Umsetzung einheitlicher bzw. sinnvoller Standards eingegangen. Außerdem wird exemplarisch die KlientInnenverwaltungssoftware CONTUR vorgestellt und Vorteile des EDV-Einsatzes in der KlientInnenverwaltung auch für die fachliche Ebene erläutert. In einem weiteren Unterkapitel geht es um die Beteiligung der Psychiatrieerfahrenen an allen Beratungs-, Behandlungs- und Hilfeprozessen. Hier werden neben bereits länger bekannten und z.T. umgesetzten Ansätzen (Trialog und Angehörigenarbeit, Anti-Stigma, Empowerment) auch neuere Entwicklungen in der Sozial- und Gemeindepsychiatrie erläutert (Recovery, EX-IN).

Als weiterer Ansatz der Sozial- bzw. Gemeindepsychiatrie wird die Gemeinwesenorientierung mit ihrer Methode, soziale Probleme im sozialen Kontext zu lösen, vorgestellt. Im Rahmen der Gemeinwesenorientierung kann auf eine Vielzahl von Instrumenten zurückgegriffen werden, die letztlich alle auch dem Ziel dienen, eine Gemeindepsychiatrie zu etablieren, die nicht Gefahr läuft, als ein gesellschaftliches Subsystem und „Psychiatrie-Gemeinde“ zu enden.

Während die Gemeinwesenorientierung in erster Linie in den sozialen Raum außerhalb der Institution reicht, um dort Veränderungen zu fördern, geht es bei einem weiteren Unterkapitel zu den ausgesuchten Maßnahmen und Instrumenten um die Organisationsentwicklung und das Projektmanagement, also um tendenziell eher intern verlaufende Arbeitsprozesse. Die AutorInnen weisen in diesem Zusammenhang auch auf die Probleme im Rahmen von Organisationsentwicklungsprozessen, wie die Verunsicherung von MitarbeiterInnen, hin. Wie in allen anderen Bereichen des QM wird auch hier die Wichtigkeit der Beteiligung von NutzerInnen (definiert als Psychiatrie-Erfahrene und Angehörige) hingewiesen.

Zentral bei der Organisationsentwicklung ist die Notwendigkeit, dass sie in der Verantwortung der Leitung liegt, also von der Leitung getragen wird und hier die Fäden zusammenlaufen. In einem weiteren Schritt beschreiben die AutorInnen die Organisationsentwicklung durch Projektmanagement und differenzieren die verschiedenen Formen und Arten von Zielen aus und grenzen diese z.B. von Maßnahmen und Standards ab. Das Kapitel zur Organisationsentwicklung schließt mir der exemplarischen Auflistung von Projektthemen aus der Praxis.

Der hohe Personaleinsatz und die vielfältigen und wechselnden Anforderungen an die Mitarbeitenden in der Sozialpsychiatrie machen die Personalentwicklung unumgänglich. Diese wird von den AutorInnen als ein weiterer Baustein des Qualitätsmanagements vorgestellt.

4. Qualitätsbewertung und Kompatibilität mit anderen QM-Systemen

PPQ ist ein Qualitätsmanagementansatz unter vielen, so könnte man meinen. Deshalb wird PPQ in diesem Kapitel in den Zusammenhang der etablierten QM-Systeme gestellt. Das Alleinstellungsmerkmal ist bei PPQ gegenüber anderen Systemen die Einbeziehung fachlich-ethischer Leitlinien. Dies macht PPQ interessant für die Sozialpsychiatrie, weil es sich da, wo es erforderlich wird, von den Industriestandards des QM entfernt, oder positiv formuliert, die spezifischen Anforderungen an ein sozialpsychiatrisches QM-System berücksichtigt und integriert. Recht kritisch fällt die Einordnung der Balanced Scorecards als geeignetes Instrument für die Sozialpsychiatrie aus.

5. Rechtsgrundlage der Qualitätssicherung

In diesem Kapitel werden die Rechtsgrundlagen der Qualitätssicherung in der Systematik aller Sozialgesetzbücher dargestellt und erläutert. Die AutorInnen tragen dabei dem Umstand Rechnung, dass z.B. das Heimgesetz aufgrund der Föderalismusreform von 2007 auf Länderebene verankert wurde und verweisen deshalb auf eine Internetseite, in der aktuelle Änderungen einzusehen sind. Auch die Problematik der bisher nicht umgesetzten Bundesempfehlung in Bezug auf das SGB XII wird insofern berücksichtigt, als die AutorInnen diesen Umstand anmerkend, auf die Bundesempfehlung von 1999 zurückgreifen.

Zielgruppe

Als Zielgruppe für das Buch „ProPsychiatrieQualität. Leitzielorientiertes Qualitätsmanagement.“ kommen neben Qualitätsbeauftragten medizinisch-psychiatrischer und psychosozialer Einrichtungen also letztlich alle an der Sozialpsychiatrie Beteiligten in Frage. Der Grundhaltung der AutorInnen entsprechend, gehören zu den potentiellen LeserInnen ausdrücklich auch interessierte Betroffene und Angehörige.

Diskussion

Das Angebot von Fachliteratur zum Qualitätsmanagement im Bereich sozialer Dienstleistungen kann als „übersichtlich“ bezeichnet werden. Auf der Suche nach einem Werk zur Qualitätssicherung in der Sozial- oder Gemeindepsychiatrie, kam man in den letzten Jahren nicht am Vorgängerbuch zu dem hier rezensierten vorbei. Ganz bewusst und völlig zu recht kennzeichnet der Verlag die aktuell erschienende Publikation als 1. Auflage, handelt es sich doch im Vergleich zu ihrer thematischen Vorgängerin um ein völlig neues Buch. Der besondere Verdienst des AutorInnenteams ist die Aktualität der Texte und ihr konkreter Bezug zur sozialpsychiatrischen Qualitätsentwicklung. So finden sich in dem vorliegenden Buch nicht nur neuere Instrumente der Hilfeplanung, wie z.B. der ICF (S. 58), die VerfasserInnen sparen auch nicht mit Kritik an bestehenden, aus ihrer Sicht ungeeigneten Systematiken, wie dem Metzler-Verfahren (S. 56). Gelegentlich wird hier aber auch über das Ziel hinausgeschossen, wobei dies sicherlich der optimistischen Grundhaltung geschuldet ist.

Da wird z.B. die Hilfeplankonferenz als trialogisches Forum definiert, obwohl diese aber m.W. ausschließlich dialogischen bis hin zum manchmal gar nicht logischen Charakter haben, z.B. dann wenn die Notwendigkeit der eigenen Teilnahme an der HPK für die Vertreter verschiedener leistungserbringender Einrichtungen einen höheren Stellenwert einnimmt, als die Rücksichtnahme auf die dort eingeladenen KlientInnen. Dieses Ungleichgewicht findet folglich auch die Kritik der AutorInnen (S.58).

Die Mitwirkenden an „ProPsychiatrieQualität. Leitzielorientiertes Qualitätsmanagement“ scheuen keine klaren Worte bei der Benennung von Missständen, wie die gelegentlich zu beobachtende Ignoranz seitens eines Teils von MitarbeiterInnen der klinisch-psychiatrischen Professionen gegenüber ressourcenorientierten Ansätzen, wie dem Empowerment oder Recovery (S.68 f) oder auch die Fehlentwicklungen der Stigmatisierung von Betroffenen seitens psychiatrischer MitarbeiterInnen (S. 73).

Der hohe ethische und fachliche Anspruch der VerfasserInnen stößt gelegentlich an ökonomische Grenzen, die aber nicht aufgegriffen werden. So ist die beim PPQ geforderte individuelle Beratung und Begleitung von Angehörigen (S. 82) insbesondere in der Fachleistungssystematik vieler Kostenträger kaum bis gar nicht finanziell gedeckt (S. 135).

In verschiedenen Passsagen des Buches, z.B. bei der Besprechung von Balance Scorecards, wird deutlich, dass es sich bei den AutorInnen nicht um euphorische Qualitätssystem-EnthusiastInnen handelt. Vielmehr machen sie klar, dass die Instrumente und Methoden des Qualitätsmanagements immer auch auf ihre Eignung für das Anwendungsfeld geprüft und gegebenenfalls verworfen werden müssen.

Besonders gelungen ist der übersichtliche Aufbau, der sich in der nachvollziehbaren Gliederung und den Abstracts zu Beginn der Hauptkapitel und den Zusammenfassungen

am Ende jedes Unterkapitels zeigt.

Etwas enttäuschend ist der Inhalt der beiliegenden CD. Diese enthält lediglich den Buchtext als PDF-Datei. Hier hätte ich gehofft, zumindest einen Teil der vielfältigen Materialien und Texte zu finden, auf die im Buch meist in Form von Internetlinks verwiesen wird. Auch hätte sich das Medium für Checklisten in Formularform, Fragebogenbeispiele etc. angeboten.

Fazit

Die AutorInnen haben sich viel Mühe gegeben, herausgekommen ist ein sehr gutes, überhaupt nicht bemüht wirkendes Buch. Ein vergleichbares Werk, das in so spezifischer Form die Entwicklung eines Qualitätsmanagementsystems für die Sozialpsychiatrie erläutert, ist mir nicht bekannt.

Das besondere Herausstellungsmerkmal ist dabei der Praxisbezug, man merkt dem Buch an, dass die AutorInnen auf Erfahrungen in der Sozialpsychiatrie in vielfältiger Weise zurückgreifen. Es ist „ProPsychiatrieQualität“ zu wünschen, dass es nicht ausschließlich im sogenannten komplementären Bereich wahrgenommen wird, sondern auch an den klinischen Schnittstellen (z.B. bei MitarbeiterInnen der Sozialdienste) Beachtung findet.

Rezension von
Ilja Ruhl
Soziologe M.A.

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Es gibt 24 Rezensionen von Ilja Ruhl.

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Zitiervorschlag
Ilja Ruhl. Rezension vom 25.04.2009 zu: Bundesverband evangelische Behindertenhilfe e.V., Caritas Behindertenhilfe/ Psychiatrie (Hrsg.): PPQ. ProPsychiatrieQualität. Leitzielorientiertes Qualitätsmanagement. Psychiatrie Verlag GmbH (Bonn) 2009. ISBN 978-3-88414-474-9. Reihe: Forschung fuer die Praxis - Hochschulschriften. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/7404.php, Datum des Zugriffs 19.01.2025.


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